von Nick Lüthi

Seit Jahren befürchtet, jetzt eine Tatsache: Tamedia fusioniert Berner Lokalredaktionen

Tamedia vollzieht den letzten Schritt zur Vollfusion von «Bund» und «Berner Zeitung» und legt auch die Lokalressorts zusammen. Die unterschiedlichen Publika der beiden Tageszeitungen kriegen fortan Einheitskost. Dank Scheinvielfalt soll sie etwas besser schmecken.

Es ist das Ende einer Epoche und der Anfang einer neuen Zeitrechnung auf dem Medienplatz Bern. Gut vierzig Jahre hat es gedauert, bis von vier Tageszeitungsredaktionen noch eine übrig bleibt. Am Donnerstagmorgen gab Tamedia bekannt, die heute noch unabhängigen Lokalressorts von «Bund» und «Berner Zeitung» ab Oktober zu einer einzigen Berner Redaktion zu verschmelzen.

Der Schritt folgt der Ankündigung eines weiteren Sparpakets im letzten Sommer. Innert dreier Jahre will Tamedia 70 Millionen Franken Kosten sparen. Dafür müssen sich die abonnierten Tageszeitungen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Das ist schmerzhaft und geht nicht ohne Verluste.


18 Jahre «Berner Modell»

Mit der Zusammenlegung der Lokalressorts von «Bund» und «Berner Zeitung» endet auch das sogenannte «Berner Modell». 18 Jahre hielt die Formel: Zwei Zeitungen, die publizistisch im Wettbewerb zueinander stehen, erscheinen im gleichen Verlag. Begründet wurde das Modell am 25. Juli 2003. Damals gab die NZZ die Hälfte ihrer 80-Prozent-Beteiligung am «Bund» an die damalige Espace Media Groupe ab. Die Herausgeberin der «Berner Zeitung» übernahm gleichzeitig die verlegerische Verantwortung für das Konkurrenzblatt.

Was damals am Deal bestechend erschien: Ein notorisch defizitäres Blatt, das der «Bund» damals schon seit mehr als zehn Jahren war, konnte auf Kurs gebracht werden, ohne die redaktionelle Substanz anzutasten. Einsparungen brachten die Synergien mit der «Berner Zeitung» bei Inserateverkauf, Druck und Administration. Bei der NZZ zeigte man sich damals mit der gefundenen Lösung sehr zufrieden: «Wir sind hocherfreut, dass mit dem ‹Bund› eine zweite publizistische Stimme im Raum Bern erhalten bleibt.»

Im Rückblick beutet die Rettung damals auch den Anfang vom Ende von zwei unabhängigen Zeitungen in der Bundesstadt. Schon unter Espace Media folgte ein erster Eingriff in die Unabhängigkeit der beiden Blätter als der «Bund» 2006 als Sparmassnahme das Sportressort der «Berner Zeitung» übernahm. Nachdem sich Espace Media 2007 mit Tamedia zusammengeschlossen hatte, bekannte sich die Unternehmensleitung zwar zum «Berner Modell», aber immer unter der Voraussetzung, dass die beiden Zeitungen rentieren. Unter diesem Druck musste der «Bund» ab 2009 den Mantel vom «Tages-Anzeiger» übernehmen und verlor damit in weiten Teilen seine publizistische Selbständigkeit. Die «Berner Zeitung» konnte bis 2018 ihre Komplettredaktion halten.

Seit drei Jahren beliefert die Tamedia Redaktion beide Berner Titel mit der überregionalen Berichterstattung, nur noch die lokalen Ressorts unterscheiden sich. Und nun ist auch damit bald Schluss. Wie es heute scheint, auch mit Blick auf das globale Zeitungswesen, ein unvermeidbarer Weg.

Dennoch darf man sich heute fragen, was geschehen wäre, wenn 2003 die NZZ den «Bund» nicht in die Obhut von Espace Media gegeben und stattdessen mit dem Aargauer Verleger Peter Wanner und seinem damaligen Netzwerk der Mittelland-Zeitung zusammengespannt hätte. Diese Option stand damals im Raum.

Wanner wollte den «Bund» nie übernehmen, wie er später öffentlich versicherte. Er hatte damals nur eine Offerte eingereicht für die Lieferung des Mantelteils seiner «Aargauer Zeitung». Das kam aber für die NZZ nicht in Frage, weil sie erstens ihre Beteiligung am Sorgenkind «Bund» reduzieren wollte und zweitens hätte eine externe Mantellösung zu einem starken Personalabbau auf der «Bund»-Redaktion geführt, was auch nicht im Interesse der NZZ lag. So weit so nachvollziehbar aus der damaligen Perspektive.

Hätte sich die NZZ trotzdem für den AZ-Mantel und gegen das «Berner Modell» mit zwei Zeitungen im gleichen Verlag entschieden, sähe es heute in Bern vielleicht ähnlich aus wie in Basel. Am Rhein gibt es mit der «Basler Zeitung» von Tamedia und der BZ Basel von CH Media zwei Tageszeitungen aus zwei Verlagen.

Ein «Bund»-Deal zwischen NZZ und AZ Medien wäre seiner Zeit voraus gewesen. Später fanden die Zürcher und die Aargauer doch noch zueinander. 2018 legten sie ihre Regionalzeitungen im Joint Venture CH Media zusammen. Man wünschte sich, der «Bund» gehörte auch dazu. Doch der Konjunktiv schafft keine Medienvielfalt.


Als Folge der Redaktionsfusion von «Bund» und BZ wird Tamedia rund 20 Vollzeitstellen abbauen. Wie viele Journalistinnen und Journalisten ihre Stelle verlieren, wird erst nach einem Konsultationsverfahren in den nächsten Monaten feststehen. Der Abbau, schreibt Tamedia in einer Mitteilung, erfolge «soweit wie möglich über die natürliche Fluktuation». Geleitet wird die neue Redaktion von einer vierköpfigen Chefredaktion mit dem bisherigen BZ-Chefredaktor Simon Bärtschi an der Spitze.

Auch wenn frühere Abbauschritte beide Zeitungen bereits deutlich geschwächt haben, markiert die finale Fusion doch eine Zäsur.

Schauten bisher zwei voneinander unabhängige Redaktionen auf das Geschehen in Stadt, Region und Kanton Bern, so macht das künftig nur noch eine. Der Wettbewerb zwischen «Bund» und BZ um die besseren Geschichten, befeuert durch die starke Identifikation der Mitarbeitenden mit dem jeweiligen Blatt, ist Geschichte.

Mit den rund 70 Journalistinnen und Journalisten ist die neue Berner Tamedia-Redaktion zwar das mit Abstand grösste Lokalmedium im Kanton Bern. Aber schiere Grösse ersetzt nicht den fehlenden Wettbewerb. In schlechter Erinnerung bleibt die «Basler Zeitung», die auch aus einer Fusion entstanden war. «In Basel produziert die finanziell wohldotierte BaZ mit vielen guten Journalisten eine meist ehrgeizlos brave Zeitung», schrieb 2003 der «Tages-Anzeiger» mit Blick auf die schon damals erwartete Monopolsituation auf dem Platz Bern.

Gegen aussen versucht Tamedia den Eindruck des Monopols zu vermeiden, indem «Bund» und «Berner Zeitung» weiterhin als separate Titel erscheinen, sowohl gedruckt als auch im Web und als App. Dazu soll die Redaktion unterschiedliche Akzente setzen für die Publika der beiden Blätter. Der «Bund» soll mehr Kultur- und mehr Meinungsbeiträge bieten, die BZ dagegen soll, wie heute schon, verstärkt über ausgewählte Kantonsteile und Gemeinden berichten. Auch beim Sport soll die BZ eine weiterführende Berichterstattung anbieten als der «Bund».

Spielraum für eine unterschiedliche Positionierung bietet wie bisher der Mantelteil mit den überregionalen Ressorts. Hier kann sich die Berner Redaktion aus dem Pool der Tamedia-Redaktion bedienen, die wiederum Artikel der Süddeutschen Zeitung nutzen darf.

Die Abonnentinnen der BZ und die «Bund»-Abonnenten werden von der Fusion indes nicht allzuviel mitkriegen: Sie erhalten weiterhin ihr Leibblatt oder den Zugriff auf ihre Lieblings-App, vermutlich sogar mit einem umfassenderen Angebot als heute, weil die fusionierte Redaktion grösser ist als die bisher separaten Redaktionen der beiden Zeitungen.

Den «Einheitsbrei» sehen nur Doppelleserinnen und -leser, von denen es nur noch wenige gibt, weil «Bund» und BZ bereits in den letzten Jahren über weite Strecken identische Artikel brachten und zwei Abos darum nur noch wenig Mehrwert boten. Was auch heisst:

Für Tamedia könnte die Rechnung aufgehen. Der Aufschrei von Gewerkschaften und Politik wird verhallen, wie schon so mancher Protest gegen Tamedia-Sparübungen zuvor.

Das einzige Mittel gegen die Monopolmisere wäre ein Medium, das die bisherige Wettbewerbssituation zwischen «Bund» und BZ wiederbeleben würde. Das hiesse aber auch, dass jemand viel Geld in die Hand nehmen müsste, um der fusionierten Grossredaktion auf Augenhöhe etwas entgegenhalten könnte.

Eine gewisse Hoffnung besteht, dass der Schaffhauser Verleger Norbert Bernhard mit seinem Gratiszeitungsprojekt die nötigen 50 bis 60 Millionen zusammenkriegt, um ein publizistisches Gegengewicht zum Tamedia-Monopol aufzubauen. Wobei die starke Abhängigkeit von Banken und Werbung ein Fragezeichen hinter die Unabhängigkeit dieser Zeitung setzt. Bis Ende April will Bernhard entscheiden, ob er loslegt.

Etwas bescheidener unterwegs ist eine Gruppe Berner Journalistinnen und Journalisten. Nach dem Vorbild von Bajour in Basel versuchen sie eine Online-Plattform für Bern auf die Beine zu stellen. Viel mehr ist dazu noch nicht bekannt. Als Konkurrenz auf Augenhöhe zur neuen Tamedia-Redaktion sehen sie ihr Projekt aber nicht.

Weiter weibelt der Politikberater Mark Balsiger für ein neues Lokalmedium. Die von ihm initiierte NGO Courage Civil ruft dazu auf, «mit vereinten Kräften ein Online-Magazin zu lancieren». Der Aufruf folgt einer Umfrage, an der sich 3000 Personen beteiligt und ihre Medienbedürfnisse artikuliert haben. Ein Konzept für ein Start-up liege bereit, schreibt Balsiger. Nun brauche es 4,5 Millionen Franken, die durch Stiftungen, Firmen und private Spenden eingebracht werden sollen.

Der einzige Akteur, der die Kraft und sogar eine öffentliche Legitimation dazu hätte, als «Monopolbrecher» zu wirken, wäre die SRG. Deshalb fordert die lokale Trägerschaft der SRG, dass Schweizer Radio und Fernsehen SRF in die Bresche springt, die Tamedia mit der Redaktionsfusion hinterlässt. Das ist leichter gesagt als getan. Die Regionalredaktionen von SRF richten ihre Online-Berichterstattung verstärkt auf die gesamt Deutschschweiz aus und berichten nicht mehr aus der Region und für die Region.

Damit steht das Feld ziemlich weit offen für Tamedia. Medienmonopole haben es so an sich, dass sie zwar niemand liebt, aber auch niemand um sie herum kommt.

Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 09. April 2021, 10:58

Schattenboxen
Dieser Eiertanz um zwei Titel wird immer lächerlicher.
Die Konkurrenz zwischen Der Bund und Berner Zeitung BZ

ist rein künstlich, «Bund/BZ» besteht längst aus EINEM Newsroom, und die Einteilung «Linke Texte zum Beamten-Bund und bürgerliche zur Land-BZ» ist reine Camouflage, die Inhalte sind – siehe online – deckungsgleich.
Das unnötige Trauerspiel «Wir halten an zwei Titeln fest» wird von Tamedia nur wegen der laut schreienden Berner Linken durchgeführt, in Sachen Arbeitsplätze ist es längst eine Redaktion. Und mit 70 Stellen eine sehr, sehr grosse.
Ein «belebender» Wettbewerb findet seit langem weder unter Journalisten noch auf dem Anzeigenmarkt statt, wer in der BZ schaltet, schaltet auch im Bund. Ist auch der einzige Grund, weshalb Der Bund überhaupt noch existiert.
Die nun veröffenbtlichte Stellenreduktion folgt der Logik des Marktes.
Aber es gibt Konkurrenz, es gibt einen Wettbewerb. Da sind noch die Lokalradios und Telebärn. Und da ist auch eine echte Konkurrenz, sowohl publizistisch als auch verlegerisch: Berns Wochenzeitung Bärnerbär.

Warum die Kommentare (hier, in den Medien oder auch von AvG und anderen Linken) nicht auf bestehenden Medien eingehen, verstehe ich nicht. Der Bärnerbär hat (ohne Aboeinnahmen!) sogar die Coronakrise gut meistert, und er gibt das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben im Grossraumm Bern im Wochenrhythmus  politisch unabhängig gut wieder.
Auch die BZ hat landseits genügend funktionierende Konkurrenten, etwa den Berner Landobe BLB oder die Wochenzeitung Emmental/Entlebuch. Auch diese kämpfen ohne Aboeinnahmen und sind im Publikum äusserst beliebt. Diesen Gratis-Zeitungen verweigert keiner der linken Politiker Interviews und Kolumnen … aber wenn Tamedia ein paar Stellen streicht, dann besteht die Medienlandschaft nur noch aus dem längst überflüssigen Tagesanzeiger-Bund und der ausserhalb der linken Blase sehr beliebten Berner Zeitung BZ.
Also: Es gibt weiterhin viele bernische Zeitungen, und sie konkurrieren unter sich, journalistisch und verlegerisch.

Urs Allemann-Caflisch 09. April 2021, 11:15

Und wie bei allen Kommentaren zur Fusion von Bund und BZ ging auch hier vergessen, dass SRF den Radiostandort Bern über Jahrzehnte abgebaut und soeben das Radiostudio massiv verkleinert hat. Die SRF-Information wird  in absehbarer Zeit ganz in Zürich konzentriert. Die Kultur wurde nach Basel gezügelt. Bern steht arm da. Offenbar können sich die bestehenden online-Angebote in Bern mit den neu geplanten auch nicht zu einer Stimme zusammenraufen. Die reiche Radi0- und Fernsehgenossenschaft Bern (RGB) als Trägerschaftsmitglied der SRG müsste sich überlegen, ob sie nicht ausserhalb des SRG-Angebots die Lokalsender Berns unterstützen sollte, um ein lokales Informations- und Kulturangebot zu fördern. Mit dem Abziehen aller Kultur- und Informationsproduktionen verarmt auch das Berner Kultur- und Journalist*innen-Leben. Wer im Mediensektor lernen oder arbeiten will, muss nach Zürich ziehen. Bern als Brücke zwischen deutscher und französischer Schweiz wird ebenso geschwächt wie auch der Wirtschaftsstandort. Es wäre ein parteienübergreifendes Politik-Thema.