von Nick Lüthi

Aus der Region, für die Schweiz: Lücken im Lokaljournalismus

Sowohl Tamedia als auch Schweizer Radio SRF setzen online auf die nationale Verwertbarkeit ihrer Regionalberichterstattung. Das hinterlässt Lücken im Lokaljournalismus. Die zu schliessen, ist nicht einfach.

Die Tage der beiden unabhängigen Zeitungsredaktionen in der Bundesstadt sind gezählt. Ab April beginnt der finale Fusionsprozess von «Bund» und «Berner Zeitung» BZ. Am Ende, vermutlich bereits im Sommer, wird eine einzige Redaktion die beiden Blätter und ihre Online-Plattformen abfüllen. Dafür setzt Tamedia auf personelle Kontinuität. Die amtierenden Chefredaktoren Simon Bärtschi (BZ) und Patrick Feuz («Bund») sollen beide in leitender Position verbleiben; Bärtschi dem Vernehmen nach als Superchef der neuen Organisation und Feuz als Mitglied der Chefredaktion. Eine Tamedia-Sprecherin wollte auf Anfrage diese Personalien noch nicht bestätigen.

Die Aufgabe der neuen Berner Tamedia-Redaktion wird keine leichte sein. Dass «Bund» und BZ überhaupt so lange nebeneinander existieren konnten, hat massgeblich mit ihren sehr unterschiedlichen Publika zu tun. Die «Berner Zeitung» mit ihrer ländlichen DNA und der «Bund», der sich schon immer weltläufig sah, galten lange Zeit als unfusionierbar.

Exemplarisch zeigte sich das in den Befunden von – nicht ganz aktuellen – Leserbefragungen, die besonders das «Bund»-Personal gerne zückte, um die Unverträglichkeit mit der Konkurrenz zu untermauern: Während BZ-Lesende eine hohe Affinität für volkstümliche Musik zeigten, tendierte beim «Bund» dieser Wert gegen null – und bei der Oper war es vice versa. Was tun in Zukunft? Von beidem ein bisschen? Mal die einen langweilen und dann die anderen? Wohl kaum, denn:

Die Antwort auf dieses Dilemma sieht Tamedia in einem digitalen Journalismus für ein jüngeres und breiteres Publikum: Netflix statt Oper, weg von Nischenthemen.

In der Logik kommerzieller Online-Medien zählen vor allem «Total Engaged Minutes», also die Zeit, die das Publikum mit einem Beitrag verbringt; je länger desto besser.

Für den Lokaljournalismus ändert sich damit der Fokus: «Aus der Region für die Region» reicht in der Regel nicht mehr. Wenn lokale Stoffe so aufbereitet werden, dass sie auch ausserhalb des Einzugsgebiets eines Mediums auf Interesse stossen, generieren sie mehr Nutzungszeit. Als Beispiel nannten die Tamedia-Verantwortlichen bei der ersten Vorstellung des Fusionsprojekts von «Bund» und BZ den Umweltskandal rund um den Blausee. Die Vorgänge spielen sich zwar in einer Ecke im Berner Oberland ab, die beteiligen Akteure haben aber nationale Prominenz. Einen Fall Blausee gibt es natürlich nicht alle Tage. Aber er zeigt das Prinzip «Aus der Region, für die Schweiz» idealtypisch auf.

Schon länger berichten Tageszeitungen wie «Bund» oder BZ kaum noch aus der Gemeinde für die Gemeinde (oder aus dem Verein für den Verein). Früher machte solche akteursnahe Berichterstattung einen Grossteil des Lokalteils einer Zeitung aus.

Heute versuchen die Redaktionen Phänomene von allgemeinem Interesse herauszudestillieren und so ein breiteres Publikum anzusprechen als nur die unmittelbar Betroffenen.

Anstatt aus sieben Gemeindeversammlungen je eine Kurznachricht zu bringen zum Thema Kunstrasen auf dem Sportplatz, erklären sie mit einem einzigen grossen Hintergrundartikel, was es mit dem Trend zum Plastikbelag auf sich hat. Im Idealfall lässt sich so mit weniger Aufwand ein grösseres Publikum erreichen; der Traum jedes renditebewussten Medienunternehmens.

Nun dreht Tamedia weiter an der Schraube und will die Region vor allem aus einer nationalen Perspektive anschauen. Das wäre kein Problem, wenn es starke Akteure gäbe, die hier entgegenhalten und auch weiterhin aus der Region und für die Region berichten. Zum Beispiel die SRG. Die soll nach Meinung der Verleger das machen, was Private nicht (mehr) tun.

Mit den Regionaljournalen pflegt das Schweizer Radio SRF einen Journalismus aus der Region und für die Region.

Doch in der Online-Berichterstattung schlägt SRF den gleichen Weg ein wie Tamedia.

So schaffte SRF im letzten Herbst die regionalen Ressorts auf der Website srf.ch ab mit der Begründung, die Nutzung sei zu bescheiden. Stattdessen können die Regionalredaktionen nun vermehrt Meldungen auf der Hauptseite SRF News platzieren und so ein breiteres Publikum ansprechen. Das funktioniert aber nur mit Themen, die überregional interessieren.

Der Strategiewechsel stösst SRG-intern und bei der Politik auf Kritik. Während eine Mehrheit der lokalen Trägerschaften im Vorfeld das Vorgehen von Schweizer Radio und Fernsehen SRF unterstützte, halten sie es inzwischen für problematisch. SRF müsse sich nicht nur nach nationalen Quoten, sondern auch nach regionaler Relevanz ausrichten, hielten die Programmkommissionen von fünf Deutschschweizer SRG-Trägerschaften kürzlich fest. Sie befürchten zudem eine weitere Marginalisierung der Regionalinformationen und regen darum an, «den Strategiewechsel zu überdenken». Ähnlich lautende Bedenken haben auch die Parlamente und Regierungen beider Basel bei zuständigen Stellen von SRF deponiert.

Bewirken wird diese Kritik wenig; genauso wenig, wie die ergebnislos verhallten Appelle, Tamedia möge doch die Redaktionen von «Bund» und BZ nicht zusammenlegen. Wer etwas an der Situation ändern will, muss das Heft schon selbst in die Hand nehmen.


«Keine Konkurrenz auf Augenhöhe»

Wenn etwas verschwindet, entsteht Raum für Neues. So sorgte auch die Ankündigung, dass Tamedia die Redaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» BZ zusammengelegen werde, für eine gewisse Geschäftigkeit auf dem Medienplatz Bern.

Zum einen versucht ein Schaffhauser Unternehmer 50 Millionen Franken zusammenzutrommeln für die Gründung einer Gratis-Tageszeitung. Zum anderen macht sich eine bisher nicht näher bekannte Gruppe Gleichgesinnter Gedanken über die mögliche Gründung einer Online-Plattform. Prominenter Exponent ist Jürg Steiner.

Der langjährige BZ-Redaktor, der im Mai die Zeitung nach gut zwanzig Jahren verlassen wird (die MEDIENWOCHE berichtete), bot am vergangenen Montag erstmals einen Einblick in den Stand der Diskussionen bei einer Online-Veranstaltung des Berner Medientags.

«Wir haben schon ein recht gutes Konzept mit einem kleinen Businessplan», sagte Steiner im Online-Talk. Er verriet aber keine Details. Auch zu Form und Inhalt der Publikation gab es nicht viel zu erfahren. «Wir sind noch nicht in der Phase, wo wir an ein konkretes Produkt denken.» Online sei klar und Lokaljournalismus.

Inspiration holt sich das Berner Projekt unter anderem bei «Bajour» und der «Republik», jedoch nicht mit der Absicht, einen Ableger der Online-Magazine aus Basel und Zürich zu gründen. «Sie finden aber recht gut, was wir uns bisher überlegt haben, obwohl wir Anfänger sind», so Steiner.

Nun ist es nicht so, dass neben «Bund» und BZ in Bern Brachland herrscht. Zahlreiche kleinere und grössere Medien berichten seit Jahren mehr oder weniger kritisch über lokale Politik, Kultur und Wirtschaft. Man suche das Gespräch mit ihnen, heisst es. Etwa mit «Journal B», das sich vor acht Jahren als linke Alternative zu den beiden bürgerlichen Blättern positionieren wollte und seither ein stabiles Nischendasein fristet. «Wir wollen sicher nicht auf Konfrontation gehen, sondern die Kräfte zusammennehmen», erklärt Jürg Steiner.

Aber warum braucht es ein weiteres Angebot? Die Antwort heisst Tamedia. Das neue Projekt entstand als unmittelbare Reaktion auf den absehbaren Verlust an Meinungsvielfalt, den die Zusammenlegung der Redaktionen von «Bund» und BZ nach sich ziehen wird. «Wir sehen uns aber nicht als Konkurrenz auf Augenhöhe mit der künftigen Tamedia-Redaktion», relativiert Steiner die Ambitionen. Das mag eine realistische Einschätzung des eigenen Potenzials sein, ist aber zu klein gedacht.

Wenn schon bräuchte Bern eine Redaktion, die es publizistisch mit Tamedia aufnimmt und eine Alternative auf Augenhöhe bietet, damit sich das Publikum für das bessere Produkt entscheiden kann – so wie es bisher möglich war, «Bund» oder BZ zu abonnieren. Ergänzungs- und Nischenmedien gibt es genug.

Vielleicht wagt das Online-Projekt irgendwann doch noch grösser zu denken. «Wir nehmen Schritt für Schritt», sagt Jürg Steiner.