von Thomas Häusermann

The Good, The Bad & The Ugly XLIII

EqualVoice, JJS, Blick Sport

The Good – Datenbasiert zur Gleichstellung

Frauen sind in den Schweizer Medien bei weitem nicht angemessen sichtbar: 75 Prozent der Berichte handeln laut dem Global Media Monitoring Project von Männern. Um diesem Missstand entgegenzuwirken, misst Ringier seit 2019 die Geschlechterverteilung in der Berichterstattung seiner Medien im Rahmen der sogenannten Gleichstellungs-Initiative EqualVoice.

Der eigens dafür entwickelte Algorithmus soll die Daten für eine faktenbasierte Diskussion liefern und damit das Bewusstsein der Redaktionen schärfen. Mit Erfolg: Die «Handelszeitung» etwa hat so den Frauen-Anteil in ihren Artikeln im vergangenen Jahr um immerhin sieben Prozent erhöht.

Wie Ringier mitteilt, stellt man EqualVoice nun auch anderen Unternehmen und Medienhäusern im In- und Ausland als Dienstleistung zur Verfügung. Eine Anfrage zum Preis lässt das Unternehmen unbeantwortet.

Besteht bei den Schweizer Medienhäusern überhaupt ein Interesse am Ringier-Tool? CH Media teilt gegenüber der MEDIENWOCHE mit, man plane keinen Einsatz von EqualVoice, sei aber «hinreichend sensibilisiert, dass relevante weibliche Stimmen zu Wort kommen und gleichwertig positioniert werden sollen». Die NZZ gibt an, man finde die faktenbasierte Diskussion «sehr wichtig» und nehme sich «dem Thema grundsätzlich an». EqualVoice stehe aber nicht zur Diskussion. Etwas konkreter noch Tamedia: Das Unternehmen erfasse die Geschlechterverteilung in Wort und Bild seit Anfang 2020 mit einem eigenen Analyse-Tool, behalte die Zahlen aber bis auf weiteres für sich.

Trotz dieser teils schwammingen Auskünfte: Die Problematik der ungleichen Berichterstattung scheint den Medienhäusern bewusst. Es bewegt sich etwas. Zwar träge, aber immerhin.

The Bad – Junge Journalist*innen unter Stress

«Wir wissen von mehreren Mitgliedern unseres Vereins, die ein Burnout erlitten. Ein Burnout mit unter 30.» Der Verein Junge Journalistinnen und Journalisten Schweiz JJS schlägt Alarm: Viele junge Medienschaffende würden unter Stress leiden und im Berufsalltag ihre psychische Gesundheit riskieren, heisst es in einem Blog-Beitrag über die Resultate einer Umfrage unter den Mitgliedern. Zeitdruck, Überstunden sowie die fehlende Trennung von Beruf und Privatleben führten dazu, dass der mediale Nachwuchs an seine mentalen Grenzen stosse.

«In den Newsrooms herrscht eine Kultur, die kaum Schwäche zulässt», schreibt der JJS. Das vielerorts herrschende Credo: Journalist*in sein ist ein Privileg – wer die harten Seiten nicht aushält, kann ja gehen.

Wie schwierig das Ansprechen der Thematik für Betroffene sein muss, lässt ein Blick auf Twitter erahnen. Nachdem der JJS die mentale Gesundheit der jungen Journalistinnen und Journalisten unter #jjsmentalhealth auf den Tisch gebracht hat, werfen etablierte Berufskolleg*innen Ausdrücke wie «Gejammer» in die Runde. Watson-Chefredaktor Maurice Thiriet wundert sich süffisant, worüber sich manche Leute «beschweren». «SonntagsZeitung»-Textchef Rico Bandle kommentiert die JJS-Kampagne folgendermassen: «Befindlichkeit über alles. Man muss sich über die Zukunft unseres Berufsstands ernsthafte Sorgen machen.»

The Ugly – An den Haaren herbeigezogen

Sie darf scheinbar an keiner Fussball-Endrunde fehlen: Die von der Boulevard-Presse orchestrierte Empörung darüber, wie unschweizerisch sich Spieler der Schweizer Nati verhalten. Fielen die Fussballer in den vergangenen Jahren dadurch auf, dass sie die Nationalhymne nicht mitsangen, gegen gewisse Gegner demonstrativ nicht oder noch schlimmer falsch jubelten (Doppeladler!), so lieferten sie bei der diesjährigen EM gleich zwei Steine des Anstosses: Zuerst fuhren sie mit ihren Lamborghinis und Ferraris zum EM-Zusammenzug vor. Dann liessen einige vor dem Spiel gegen Italien ihren Stammcoiffeur einfliegen, um sich die Haare blond färben zu lassen.

«Diese Abgehobenheit, sie passt einfach nicht zur Schweiz», polterte der stellvertretende «Blick»-Sportchef Andreas Böni. Für die chauvinistische Petarde gab’s Applaus, Likes und Klicks von einer Leserschaft, die ohnehin seit Jahren über mangelnde Identifikation mit Petkovics Multikulti-Truppe klagt. Im Kampf um Quoten sind Xhaka und Co. mit ihren Steilpässen abseits des Fussballplatzes dankbare Zielscheiben.

Relevante Themen böte eine Fussball-EM eigentlich mehr als genug – das Thema Fussball etwa. Trostpflaster: Wer sich genug über fliegende Coiffeure aufgeregt hat und sich sachlich fundiert mit den bislang bescheidenen Schweizer Auftritten auseinandersetzen möchte, findet nach jedem Spieltag Antworten im SRF-Podcast «Sykora Gisler» oder im «EM-Talk» des CH-Media-Überraschungsteams Patrik Müller / François Schmid-Bechtel.