von Adrian Lobe

Staat vs. Medien: Journalisten als Gefährder

Immer öfter beschneiden auch liberale Demokratien wie die Schweiz, Deutschland oder Frankreich die Medienfreiheit. Quellenschutz und Redaktionsgeheimnis lassen sich unter digitalen Bedingungen leichter aushebeln.

Am Mittwoch stimmte der Ständerat mit grosser Mehrheit einer Gesetzesänderung zu, die es vereinfachen würde, in der Schweiz gegen kritischen Journalismus vorzugehen. Konkret geht es um die sogenannten «vorsorglichen Massnahmen gegen Medienberichte». Heute kann ein Richter die Veröffentlichung eines Artikels verhindern, wenn «die drohende Rechtsverletzung der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen kann».

Künftig soll ein «schwerer Nachteil» für einen Publikationsstopp ausreichen. Es ist zwar nur das Wörtchen «besonders», das aus der Zivilprozessordnung gestrichen werden soll. Aber die Änderung birgt Sprengstoff, weil Redaktionen aus Angst vor teuren Gerichtsverfahren sich selbst zensieren könnten.

Die im Vorfeld der Ständeratsdebatte geäusserte Kritik der Medien kanzelte der Walliser Kantonsvertreter Beat Rieder («Die Mitte») mit den Worten ab: «Wenn sich die geschlossene Medienwelt hier ins Zeug legt, als ginge es um Leben und Tod oder um ein Ja oder Nein zur Pressefreiheit, ist dies nichts anderes als eine hochentwickelte Form von Empörungsjournalismus, der leider auch in der Schweiz immer mehr eine Erscheinung der Pressevielfalt wird.» SRF-Redaktor Daniel Foppa zeigte sich auf Twitter erschreckt darüber, «wieviel Ressentiments im Ständerat gegenüber den Medien laut wurden».

Das ist nicht das einzige medienfeindliche Gesetzesvorhaben. Am vergangenen Sonntag haben die Stimmberechtigten an der Urne das «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» PMT angenommen. Wegen seiner weitreichenden Definition von «terroristischer Aktivität» beziehungsweise «terroristischer Gefährder» könnte das neue Gesetz auch Auswirkungen auf Medienschaffende haben. Kritiker befürchten, dass auch Journalisten und Aktivisten als Gefährder eingestuft und Gegenstand staatlicher Zwangsmassnahmen wie etwa Ausreiseverbote oder Hausarrests werden könnten. Amnesty International warnte im Vorfeld der Abstimmung vor «Polizei-Willkür»: Die weit gefasste Definition einer «terroristischen Gefahr» sei eine Gefahr für die Meinungsfreiheit.

Damit würde ein Angstklima geschaffen, «das eine abschreckende Wirkung auf die Meinungs- und Pressefreiheit hätte und viele Menschen, darunter politische Aktivistinnen oder Journalisten, zur Selbstzensur drängt».

Bettina Büsser, Koordinatorin von Reporter ohne Grenzen Deutschschweiz und freie Journalistin (u.a. MEDIENWOCHE), sieht das differenzierter: «Wir gehen davon aus, dass das neue Gesetz keine direkte Bedrohung für die Pressefreiheit darstellt und die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten entsprechend nicht erschwert», teilt sie auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit. «Jedoch sehen wir die Gefahr einer Bedrohung der Meinungsäusserungsfreiheit, da im Gesetz die Definition von ‹Terrorismus› sehr breit gefasst ist.» Allgemein befürchtet Büsser aber, dass journalistische Schutzrechte im digitalen Raum zunehmend ausgehöhlt werden. Insbesondere der Quellenschutz sei gefährdet aufgrund der weitreichenden Überwachungsbefugnissen von Nachrichtendienst und Strafverfolgungsbehörden.

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Die Entwicklung in der Schweiz folgt einem europaweiten Trend. Auch in Deutschland werden Sicherheitsgesetze verschärft. So hat der Bundestag vergangene Woche den sogenannten Staatstrojaner genehmigt. Alle 19 Geheimdienste in Deutschland dürfen die Geräte verdächtiger Personen mit einer Spähsoftware infizieren und Kommunikationsvorgänge überwachen. Im Rahmen der sogenannten «Online-Durchsuchung» sind Ermittler des Bundeskriminalamts schon seit 2008 befugt, zur Abwehr terroristischer Bedrohungen gespeicherte Inhalte wie etwa Chatprotokolle auf IT-Geräten mitzulesen. Das Bundespolizeigesetz erweitert jedoch nicht nur den Kompetenzbereich auf die Landesverfassungsämter, sondern auch den Anwendungsbereich:

Künftig darf der Staatstrojaner auch präventiv zum Einsatz kommen, das heisst, es dürfen auch Personen überwacht werden, «gegen die noch kein Tatverdacht begründet ist».

Diese offene, verdachtsunabhängige Ermächtigungsgrundlage wirft Fragen auf, weil sie sich auch gegen Medienschaffende richten kann. Darf der Staat Handys von Journalisten hacken? Wie sehr wird der Quellenschutz durch die Infiltration informationstechnischer Systeme geschleift? Werden Informanten gefährdet, wenn Ermittler Kommunikationsdaten noch vor ihrer Verschlüsselung abfangen dürfen? Werden investigative Recherchen (etwa in Chatprogrammen wie Telegram, in denen Terroristen und Extremisten kommunizieren) behindert, weil Journalisten unter Verdacht geraten? Sind Journalisten Gefährder? Gegen das Gesetz ist bereits eine Klage der Gesellschaft für Freiheitsrechte vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig, auch Reporter ohne Grenzen will Klage erheben.

Im vergangenen Jahr hat ein breites Medienbündnis (u.a. ARD, BDZV, Deutschlandradio, DJV und ZDF) den Staatstrojaner scharf kritisiert und einen schweren Eingriff in die Pressefreiheit gerügt: Mit dem Gesetz gingen «eine Reihe von Gefahren für die journalistische Arbeit in Deutschland» einher, «während dringend nötige Korrekturen ausbleiben, die den Quellenschutz und das Redaktionsgeheimnis in das digitale Zeitalter übertragen würden».

Das Medienbündnis äussert zudem die Sorge, dass ein «Zwei-Klassen-System» von Berufsträgern geschaffen werde: Während Geheimdienste Journalisten und ihre Quellen überwachen dürften, sei ihnen dies bei anderen Berufsgeheimnisträgern wie etwa Bundestagsabgeordneten untersagt. Darum das Fazit:

«Der Gesetzgeber schreibt damit eine unrühmliche Geschichte fort, die Freiräume von Journalistinnen und Journalisten im digitalen Zeitalter immer mehr begrenzt.»

Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund, sieht in der Aufweichung des Quellenschutzes ein strukturelles Problem: «Der Quellenschutz ist in der analogen Zeit entstanden», erklärt er auf Anfrage der MEDIENWOCHE. In Deutschland sei hierfür das «Spiegel»-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1966 zentral: «Es betonte die Notwendigkeit der Vertraulichkeit journalistischer Recherchen und die Anonymität von Quellen.» Das Nachrichtenmagazin hatte 1962 unter dem Titel «Bedingt abwehrbereit» eine brisanten Recherche über das Nato-Manöver «Fallex 62» veröffentlicht, was die Durchsuchung der Redaktionsräume und Verhaftung mehrerer Redaktoren (u.a. Herausgeber und Chefredaktor Rudolf Augstein) nach sich zog und eine Staatsaffäre auslöste. Grundprinzip des Urteils sei gewesen, «dass Journalisten gegenüber Ermittlungsbehörden nicht benennen müssen, welche Informationen sie wie von wem erhalten haben», erklärt Gostomzyk. Darüber hinaus sei der Zugriff auf Redaktionsräume entsprechend geschützt gewesen. In der digitalen Zeit habe dieser Schutz jedoch eine offene Flanke erhalten. Dazu Jurist Gostomzyk:

«Bei Online-Durchsuchungen besteht das Problem, dass Daten miteinander vermengt sind, weil private und berufliche Kommunikation häufig über identische Endgeräte stattfindet.»

Darauf habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung 2008 hingewiesen. «Greift ein Staatstrojaner auf Endgeräte wie Smartphones zu, bleibt das beschriebene ‹Digitalrisiko› natürlich bestehen», so die Einschätzung des Medienrechtlers. Nach Gostomzyk stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit, wenn heute Quellenschutz nur noch gewährleistet ist, wenn man auf digitale Infrastruktur verzichtet. Durch technische Massnahmen der IT-Sicherheit «besser» zu sein als die staatliche Schadsoftware sei dagegen «kaum zumutbar».

Staatliche Stellen lassen im Umgang mit Redaktionen immer mal wieder die Muskeln spielen. Nachdem das investigative Blog «Netzpolitik» 2015 aus vertraulich eingestuften Dokumenten des Verfassungsschutzes zitierte und diese im Netz veröffentlichte, leitete der damalige Generalbundesanwalt Harald Range Ermittlungen wegen des Verdachts des Landesverrats ein. Erinnerungen an die «Spiegel»-Affäre wurden wach. Das Verfahren wurde eingestellt, Range vom damaligen Justizminister Heiko Maas entlassen.

Das neue deutsche Bundespolizeigesetz stärkt nun ausgerechnet jene Behörden, die sich damals über die Pressefreiheit hinwegsetzten und den Quellenschutz auszuhebeln versuchten. Es ging im «Fall Netzpolitik» ja nicht nur um die juristische Frage, ob die Veröffentlichung der vertraulichen Geheimdienstpapiere ein Staatsgeheimnis im Sinne des Strafgesetzbuchs darstellt, sondern um die seit der NSA-Abhöraffäre virulente Frage, wie das Grundrecht auf Informationsfreiheit in einer digitalen Öffentlichkeit gewährleistet werden kann.

Wenn man sieht, wie auf der einen Seite Journalisten bei Corona-Demonstrationen tätlich attackiert werden und rechte Aktivisten mit teils erschlichenen Journalistenausweisen unter dem Schutz der Polizei gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung agitieren und das Recht auf Pressefreiheit pervertieren, fragt man sich, auf welcher Seite der Rechtsstaat eigentlich steht.

Was ist das für ein Staat, der Journalisten als potenzielle Gefährder einstuft?

Auch in Frankreich wird die Pressefreiheit zugunsten der Sicherheit eingeschränkt. Innenminister Gérald Darmanin liess im vergangenen Jahr ein Gesetz ausarbeiten (Loi «Sécurité globale»), das die Verbreitung von Abbildungen von Polizisten mit einer Geld- und Haftstrafe belegen sollte. Das geplante Film- und Fotografieverbot von Polizeieinsätzen sorgte für hitzige Debatten. Nachdem das Parlament das Gesetz im April dieses Jahres verabschiedet hatte, wurde es vom Verfassungsrat kassiert und zur Überarbeitung an die Regierung geleitet. Doch dort hat man längst schon an neuen Massnahmen gearbeitet.

So sind die französischen Geheimdienste mit dem neuen Anti-Terror-Gesetz befugt, zu verfolgen, wer im Internet welche Websites besucht – also nicht nur Metadaten wie Ort und Datum der Internetnutzung, sondern die konkrete Seite. Wenn jemand mehrmals am Tag dschihadistische Seiten aufruft oder Enthauptungsvideos anschaut, soll ein Alarm ausgelöst werden, heisst es in Medienberichten.

Dass auch Journalisten im islamistischen Milieu recherchieren und damit ins Visier der Geheimdienste kommen könnten, bleibt bei dem Vorhaben unberücksichtigt.

Wozu das im Extremfall führen kann, zeigte sich in den USA: Dort hat das FBI in einem Kriminalfall Leserdaten der Zeitung «USA Today» angefordert. Die Bundespolizei wollte wissen, wer alles einen bestimmten Online-Artikel gelesen hat über einen verdächtigen Pädophilen, der zwei FBI-Agenten ermordet hatte. Zwar zog das FBI seine Strafandrohung zurück. Doch der Fall zeigt, wie weit Behörden zur Aufklärung eines Verbrechens gehen. Vor wenigen Wochen erst machte die «Washington Post» öffentlich, dass das US-Justizministerium 2017 unter Präsident Trump heimlich Telefonnummern ihrer Reporter abgriff, um Gesprächsverläufe zu rekonstruieren.

Darin offenbart sich ein Muster: Die liberalen Demokratien des Westens schleifen unter dem Eindruck extremistischer Gefährdungen Presse- und Informationsrechte – und nehmen dabei billigend in Kauf, dass Journalisten und unbescholtene Bürger in einen Topf mit Kriminellen geworfen werden. Das führt im Ergebnis zu einem doppelten Konflikt. Auf der einen Seite sind die Massnahmen Wasser auf die Mühlen derer, die von einer Diktatur schwafeln («Meinungsdiktatur», «Corona-Diktatur», «Merkel-Diktatur») und mit ihrem Institutionen-Bashing das Vertrauen in den Rechtsstaat erodieren. Auf der anderen Seite verliert der Rechtsstaat auch an Glaubwürdigkeit im Umgang mit Ländern wie Polen und Ungarn, wo die Regierung Justiz und Presse noch viel massiver gängelt. Wenn das nächste Mal ein Ordnungsruf aus Brüssel kommt, hallt es aus Warschau oder Budapest zurück: Bei euch wird die Presse doch auch überwacht!