«Es geht nicht nur darum, einfach mehr über Frauen zu schreiben»
Die Zahlen sind unverändert ernüchternd: Nur jede vierte Person, über die in Schweizer Medien berichtet wird, ist eine Frau. Das zeigt eine aktuelle Studie der Universität Zürich. Was denken die Verlage und Redaktionen über den anhaltend tiefen Frauenanteil in ihren Medien? Welche Massnahmen wollen sie ergreifen, um die Situation zu verbessern? Die MEDIENWOCHE hat sich umgehört.
Über 100’000 Medienbeiträge aus dem vergangenen Jahr analysierten Wissenschaftler:innen der Universität Zürich, um die Darstellung der Frau in Schweizer Print- und Onlinemedien zu untersuchen. Wie oft kommen Frauen zu Wort? In welchen Rollen treten sie auf? Die Studie analysiert die Berichterstattung aus den Jahren 2015 bis 2020. Die Resultate sprechen eine deutliche Sprache: Frauen bleiben in der hiesigen Berichterstattung weiterhin stark untervertreten.
Konnte im Frauenstreik-Jahr 2019 ein leichter Anstieg auf 25 Prozent Frauenanteil verzeichnet werden, so fällt der Wert in der diesjährigen Auswertung zurück auf 23 Prozent. Die Sichtbarkeit des weiblichen Geschlechts in den Schweizer Medien stagniert damit seit 2015, der zwischenzeitliche Aufschub durch eine verstärkte Gleichstellungs-Diskussion scheint bereits wieder verpufft.
Die 44 untersuchten Medientitel weisen Unterschiede auf, was die Sichtbarkeit von Frauen betrifft:
Die «Wochenzeitung» WOZ verzeichnet mit 29 Prozent den höchsten Frauenanteil in der Berichterstattung.
Auf den weiteren Plätzen folgen RTS (27 Prozent) und Blick.ch (26 Prozent). Das Schlusslicht bilden NZZ Online, «Watson» (beide 20 Prozent) und die gedruckte NZZ (19 Prozent). «Viele der untersuchten Medientitel liegen nahe beieinander. Bei über der Hälfte bewegt sich der Frauenanteil in der Berichterstattung zwischen 19 bis 23 Prozent», sagt Studienautorin Silke Fürst gegenüber der MEDIENWOCHE. Mit durchschnittlich 23 Prozent Präsenz fristen Frauen in der Schweizer Medienberichterstattung also ein marginales Dasein.
Wie reagieren die Schweizer Medienhäuser auf die Resultate der Studie? Werden sie Massnahmen ergreifen, um den Status Quo zu ändern? Die MEDIENWOCHE hat bei den grossen Verlagen CH Media, Tamedia, NZZ und Ringier nachgefragt – und sich bei der WOZ erkundigt, was sie besser macht als die Konkurrenz.
Bei der WOZ freut man sich zwar über den Spitzenplatz im Ranking der Frauen-Sichtbarkeit, betont aber, es gebe noch «Luft nach oben». «29 Prozent Frauenanteil in der Berichterstattung ist natürlich noch zu wenig», sagt Redaktionsleiterin Silvia Süess. «Wir sind uns der Problematik seit Jahrzehnten bewusst. Sichtbarkeit wird daher bei uns bewusst gefördert: Wir suchen aktiv nach Protagonistinnen für Geschichten – oder nach Geschichten mit Protagonistinnen.» Auch komme es vor, dass man einen Text um eine Woche verschiebe, weil man merke, dass die Ausgabe sonst zu männerlastig werden würde. Hilfreich seien die basisdemokratischen WOZ-Strukturen, in der jede Stimme gleich viel zähle: «Wir haben keine männlich geprägte Chefredaktion, der es oft an Sensibilität und Interesse für diese Fragen fehlt – wie das in der Schweizer Medienlandschaft leider noch immer üblich ist.»
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Den Rang mit dem tiefsten Frauenanteil in der Berichterstattung belegt die NZZ, welche die Studie als Förderpartnerin unterstützt hat. Dem Teil der Analyse, der allein die Anzahl vorkommender Frauen in der Berichterstattung aufzeigt, stehe man jedoch «mit einer gewissen Skepsis» gegenüber, sagt Kommunikationschefin Seta Thakur zur MEDIENWOCHE:
«Da die NZZ einen hohen Anteil an Wirtschaftsberichterstattung hat, fallen die tiefen Frauenanteile im Themenbereich Wirtschaft besonders stark ins Gewicht.»
Tatsächlich hat das Thema eines Beitrags einen beachtlichen Einfluss darauf, ob Frauen zu Wort kommen. Geht es um Politik, Wirtschaft oder Sport, sind Frauen besonders unterrepräsentiert. Etwas weniger gross ist der Gender Gap in Bereichen wie Kultur oder Human Interest. Die Studienergebnisse sind damit auch auf gesellschaftliche Strukturen zurückzuführen: Die Medien bilden eine männerdominierte Realität ab. Gleichzeitig betonen die Studienautor:innen, dass auch journalistische Routinen einen Einfluss hätten: Sprecherinnen und Expertinnen stünden oft zur Verfügung, würden aber nicht berücksichtigt.
Als einen weiteren Haupttreiber für eine ungleiche Geschlechterberücksichtigung nennt die Studie fehlende redaktionelle Ressourcen.
Wenn Medienschaffende – unabhängig ihres Geschlechts – mehr Zeit haben, sich einem Beitrag zu widmen, steigt auch die Chance, dass weibliche Akteure miteinbezogen werden. Berichte, die hingegen auf Agenturmeldungen beruhen, weisen einen nur halb so hohen Frauenanteil aus, wie selbst recherchierte Artikel. «Agenturmeldungen sind häufig vergleichsweise kurz, bieten dadurch eine geringere Vielfalt an Akteur:innen und fokussieren tagesaktuell häufig auf Akteure aus der hierzulande stark männerdominierten Wirtschafts-, Politik- und Sportelite», erklärt Studienautorin Silke Fürst.
Die journalistische Eigenleistung stärker als bisher fördern? Ringier, CH Media und NZZ winken ab – man investiere bereits viel in den Journalismus und werde das auch weiterhin tun, heisst es auf Anfrage. Auch Tamedia sieht keinen Grund, die Redaktionen zu vergrössern, um so den Gender Gap in der Berichterstattung zu verkleinern. «Was die Ressourcen betrifft, sehen wir die Lösungsansätze mehr in diverseren Redaktionsstrukturen», sagt Nicole Bänninger, Leiterin Kommunikation Tamedia. «Wir streben einen höheren Frauenanteil an, besonders auch auf Führungsebene.» Mit anderen Worten: Auch wenn die Studie zum Schluss kommt, dass «Gendergerechtigkeit auch von finanziellen und zeitlichen Ressourcen der Redaktionen abhängt» – ändern werden die meist unter Spardruck stehenden Verlage in dieser Hinsicht wohl nichts.
Doch ganz untätig bleiben sie nicht. Stefan Heini, Kommunikationsleiter von CH Media, sagt, man sensibilisiere die Redaktionen durchaus dafür, dass relevante weibliche Stimmen zu Wort kommen und gleichwertig positioniert werden. Die Titel von CH Media liegen punkto Frauenanteil im Mittelfeld der untersuchten Medien. So kommt beispielsweise die «Aargauer Zeitung» auf 25 Prozent, die «Schweiz am Wochenende» auf 23 Prozent. Der NZZ wiederum sei es generell ein Anliegen, in der Berichterstattung die Diversität der Gesellschaft «angemessen abzubilden», sagt Seta Thakur, Leiterin Unternehmenskommunikation. «Dabei geht es nicht nur um das Verhältnis von Mann/Frau, sondern generell um verschiedene Lebenswelten.» Man sei überzeugt, dass die Zusammensetzung der Redaktionen zu einer Veränderung beitrage und habe im letzten Jahr den Frauenanteil in der Chefredaktion auf 40 Prozent erhöhen können.
Ringier misst seit 2019 im Rahmen von EqualVoice die Frauenanteile in der Berichterstattung der eigenen Medien. Die «Handelszeitung» beispielsweise steigerte den Frauenanteil so innerhalb eines Jahres von 17 auf 24 Prozent, die «Bilanz» von 20 auf 26 Prozent. Weiter stellt Ringier den Redaktionen eine Expertinnenliste für die Recherche bereit und thematisiert in Workshops, wie Frauen in der Berichterstattung dargestellt werden – auch punkto Bildwahl. «Aber natürlich sind wir uns bewusst, dass das ein Marathon ist und kein Sprint», sagt Katia Murmann-Amirhosseini, Leiterin Digital der «Blick»-Gruppe und Initiantin von EqualVoice:
«Es braucht die ständige, tägliche Auseinandersetzung mit dem Thema in den Redaktionen, um eine langfristige Veränderung zu schaffen.»
Auch Tamedia analysiert seit Anfang 2020 die Sichtbarkeit der Geschlechter in Text und Bild. Kommunikationsleiterin Nicole Bänninger sagt: «In internen Kanalkritiken wird ein besonderes Augenmerk auf eine ausgeglichene Berichterstattung gelegt: Wann werden Frauen gezeigt, in welchem Zusammenhang, ohne Klischee?» so Bänninger – und spricht damit einen weiteren zentralen Untersuchungsgegenstand der Studie an.
Im zweiten Teil der Studie wird nämlich analysiert, in welchen Rollen die Geschlechter in den Medien dargestellt werden. Treten etwa einfache Bürger:innen auf, ist der Gender Gap mit einem Frauenanteil von 44 Prozent gering. Auch als Augenzeuginnen (42 Prozent) sind Frauen oft zu sehen – nicht aber als Expertinnen (23 Prozent) oder Repräsentantinnen und Sprecherinnen (21 Prozent). Im Vergleich zu Männern werden Frauen häufiger in einem privaten Kontext dargestellt. Bei weiblichen Hauptakteurinnen thematisieren sie zudem häufiger das Liebesleben (17 Prozent) als bei den männlichen Pendants (8 Prozent) – und auch auf Kinder wird bei Frauen öfter verwiesen als bei Männern (9 Prozent vs. 5 Prozent). WOZ-Redaktionsleiterin Silvia Süess findet das bedenklich. «Es geht eben nicht nur darum, einfach mehr über Frauen zu schreiben. Zentral ist auch, wie Medien über Frauen schreiben und in welchem Kontext sie repräsentiert werden.»
Es scheint also, als bleibe noch viel zu tun für die Schweizer Medien, um das Problem der weiblichen Unterrepräsentation effektiv anzugehen.
Auch wenn Wille, Ideen und Projekte vorhanden sind, fruchten die Bemühungen noch nicht. Während Ringier und Tamedia im Rahmen von grösseren Projekten die eigene Berichterstattung auf die Sichtbarkeit der Geschlechter hin analysieren und intern thematisieren, sind NZZ und CH Media weniger weit und konkret. Tamedia und NZZ sehen die Lösung auch in diverseren Redaktionen und vor allem in mehr weiblichen Führungskräften.
Silvia Süess sieht in der fehlenden redaktionellen Diversität denn auch die Hauptursache für das Problem fehlender Sichtbarkeit von Frauen in den Medien: «Die Schweizer Medienunternehmen sind leider noch immer männlich dominierte Unternehmen. Je höher die Hierarchie, umso höher der Männeranteil – das spiegelt sich auch in der Berichterstattung wieder.»
Die Frage, welchen Einfluss die Frauenanteile in den Redaktionen auf die Sichtbarkeit der Frauen in der Berichterstattung wirklich hat, wird von der Studie indes nicht beantwortet. «Es handelt sich hierbei aber um eine wichtige Frage, die noch zusätzliche Forschung verlangt», sagt Studienleiterin Lisa Schwaiger gegenüber der MEDIENWOCHE. «Ich kann mir vorstellen, dass ein höherer Frauenanteil in Chefetagen oder mehr Journalistinnen vor allem in den Bereichen Sport, Wirtschaft und Politik die Sensibilität für das Thema gleichberechtigte Geschlechterdarstellung in den Medien erhöhen könnte.»