Mediennetzwerk: Das «Intellectual Dark Web» lernt Deutsch
Im deutschsprachigen Raum formierte sich im Zuge der Coronavirus-Pandemie ein Mediennetzwerk, ähnlich dem «Intellectual Dark Web» in den USA. Auf YouTube, in Podcasts und in Zeitungen wie «Weltwoche», «Schweizer Monat» oder NZZ artikuliert sich eine relativ kleine, aber lautstarke Schar konservativer Meinungsmacher:innen gegen Corona-Massnahmen, «Cancel Culture» und den «linken Mainstream». Die versprochene «rationale» Debatte entpuppt sich als hohle Polemik.
Marco Rima ist das neue Video-Zugpferd des traditionsreichen und im März als libertäre Stimme neu lancierten Satiremagazins «Nebelspalter». Mit seinen «Rima-Spalter»-Videos auf YouTube erreicht der wohl erfolgreichste Comedian der Schweiz regelmässig ein Publikum im fünfstelligen Bereich. Die erste Folge wurde bereits über 80’000 Mal angeschaut (Stand Anfang Juli). Für Schweizer Verhältnisse ein beachtlicher Erfolg. Rima hält im Auftrag des Nebelspalters gekonnt getextete und zutiefst ironische Monologe, die sich gegen den politisch-kulturellen «Mainstream» richten: Die Massnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie seien völlig übertrieben; Viren seien doch etwas ganz Normales; vor Corona hätten wir noch auf Eigenverantwortung und Vertrauen statt Freiheitsentzug gesetzt; man könne wegen «politischer Korrektheit» heute nicht Mal mehr harmlose Witze machen. Marco Rima diagnostiziert, dass etwas mit dem politischen, kulturellen und moralischen Zeitgeist nicht stimmt und hält lautstark dagegen.
In seinem Kampf gegen den «Mainstream» ist Marco Rima nicht alleine. Spätestens im Zuge der Coronavirus-Pandemie hat sich im deutschsprachigen Online-Raum eine Gegenöffentlichkeit jenseits journalistischer Massenmedien gebildet. Gesellschaftskritische Kommentator:innen treten als Denker:innen auf, die über den Dingen stehen und all die Probleme ansprechen wollen, die im «Mainstream»-Diskurs vermeintlich zu kurz kommen: Die angeblich grassierende «Cancel Culture», der überbordende Moralismus und die politische Korrektheit der Linken, das Versagen des traditionellen Journalismus.
Im Zuge der Coronavirus-Pandemie hat sich diese Gegenöffentlichkeit durch dezidiert Corona-skeptische Positionen hervorgetan.
Die wissenschaftliche Sicht auf die Gefahren von Covid-19 und auf die Wirksamkeit von Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie lehnen seine Mitglieder ab. Stattdessen proklamieren sie, die wahre Wahrheit zu kennen.
Diese Gegenöffentlichkeit erinnert stark an das angelsächsische «Intellectual Dark Web», eine lose Gruppe öffentlicher Intellektueller, die illustre und kontroverse Persönlichkeiten wie den ultra-erfolgreichen Podcaster Joe Rogan, den Neuropsychologen und Buchautor Sam Harris und den ehemaligen Psychologieprofessor und Buchautor Jordan Peterson umfasst.
Den Namen «Intellectual Dark Web», kurz: IDW, hat Eric Weinstein erfunden. Weinstein ist Mathematiker und Direktor von Peter Thiels Venture Capital-Unternehmen «Thiel Capital». Als erfolgreicher Podcaster ist Weinstein selber auch Mitglied des Netzwerks. «Intellectual Dark Web» als Begriff nutzen Weinstein und Konsorten aber nicht als selbstironischen Scherz, sondern als durchaus ernst gemeinte Beschreibung ihres Selbstverständnisses:
Das vielleicht wichtigste Prinzip des IDW und dessen Anhänger:innen ist das kollektive Selbstverständnis als «rationale», «neutrale», «objektive» Beobachter des Zeitgeschehens.
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Das IDW sieht sich über den ideologischen Grabenkämpfen der Alltags stehend und erklärt, was wirklich schief läuft. Ähnlich wie das angelsächsische Original besteht das deutschsprachige Pendant zum IDW aus Akteuren, die miteinander vernetzt sind und einen ähnlichen thematischen Fokus haben. Gar so viel Starpower wie das angelsächsische IDW hat die deutschsprachige Variante zwar (noch) nicht. Aber Personen wie Milosz Matuschek, Gunnar Kaiser, Roger Köppel, Milena Preradovic, Tamara Wernli, Daniel Stricker, Henryk Broder und Plattformen wie «Die Achse des Guten», der «Nebelspalter», «Die Weltwoche», der «Schweizer Monat» bilden prominente Knotenpunkte im deutschsprachigen IDW.
Das deutschsprachige IDW ist zudem wie sein angelsächsisches Vorbild eine Echokammer der Gleichdenkenden, die die im Grunde immer gleichen Ansichten in einem diskursiven Pingpong hin- und herspielen.
Tamara Wernli tritt bei Gunnar Kaiser auf; Nicolas Rimoldi vom «Schweizer Monat» tritt bei Milena Preradovic und bei Gunnar Kaiser auf; Gunnar Kaiser findet ebenfalls den Weg zu Milena Preradovic; Milena Preradovic und «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel kommen bei der «Achse des Guten» ins Gespräch; Henryk Broder, Mitgründer der «Achse des Guten», schreibt regelmässig für die «Weltwoche»; Gunnar Kaiser unterhält sich mit Henryk Broder; Milosz Matuschek, vormals stellvertretender Chefredaktor des «Schweizer Monat» tritt ebenfalls in der «Weltwoche» auf und kommt auch bei der «Achse des Guten» zu Wort; Milosz Matuschek und Gunnar Kaiser waren sich nicht zu schade, sich auf «KenFM», der Plattform des Verschwörungs-Entrepreneurs und Corona-Skeptikers Ken Jebsen zu Wort zu melden; Ronnie Grob, Chefredaktor des «Schweizer Monat», empfängt den Corona-skeptischen Satiriker Andreas Thiel; der Corona-Skeptiker Daniel Stricker begrüsst Roger Köppel und Alex Baur von der «Weltwoche» sowie Marco Rima vom «Nebelspalter» zum Gespräch.
Im selbstreferenziellen Kommunikations-Ökosystem bleibt man gerne unter sich und bestärkt einander und das Publikum in den eigenen homogenen Meinungen.
Wie beim angelsächsischen Original sind auch die Protagonist:innen des deutschsprachigen IDW davon überzeugt, dass etwas mit dem öffentlichen Diskurs nicht stimmt. Die gesellschaftliche Debatte sei inhaltlich defizitär und vor allem auf einer Meta-Ebene in Gefahr. Die freie Rede und die kritische Debatte würden durch einen überbordenden Moralismus und durch Konformismus-Zwang immer stärker zurückgebunden. Gemäss dem IDW geht ein Gespenst um in Europa – das Gespenst der «Cancel Culture». Wer das «Falsche» sage, so die generelle Befürchtung, müsse damit rechnen, mundtot gemacht zu werden. Die Treiber hinter dieser «Cancel Culture» sollen die «Linken» sein; die Zielscheiben Menschen mit abweichenden rechtskonservativen bis rechts-reaktionären Meinungen, wie sie die IDW-Angehörigen auch selber vertreten.
Milosz Matuschek und Gunnar Kaiser brachten diese Sorgen im letzten Jahr mit ihrem «Appell für freie Debattenräume» (unter dem Banner «IDW Europe») kurz und knapp auf den Punkt:«Wir erleben gerade einen Sieg der Gesinnung über rationale Urteilsfähigkeit. Nicht die besseren Argumente zählen, sondern zunehmend zur Schau gestellte Haltung und richtige Moral. Stammes- und Herdendenken machen sich breit. Das Denken in Identitäten und Gruppenzugehörigkeiten bestimmt die Debatten – und verhindert dadurch nicht selten eine echte Diskussion, Austausch und Erkenntnisgewinn.»
Die IDW-Protagonist:innen wollen uns also zurück zur «Rationalität» und zu einer Debattenkultur führen, in der wieder die «besseren Argumente» zählen.
Matuschek setzte sich im Rahmen dieses Appells sogar zum Ziel, diese «Cancel Culture» eigenhändig zu «canceln» – von den 200’000 Euro, um die er zu diesem Zweck auf der Crowdfunding-Plattform GoFundMe gebeten hatte, kamen bisher aber nur knapp 18’000 Euro zusammen. (Wofür das Geld genau eingesetzt werden sollte, bleibt bis heute nebulös. Ein konkreter unmittelbarer Zweck findet sich im Spendenaufruf nicht. Als mögliche zukünftige Massnahmen werden lediglich ein «Unterstützungsfonds für Künstler», «Aufklärungskampagnen» an Schulen und Universitäten sowie «Publikationsprojekte» in Aussicht gestellt, ohne Details. Wofür Matuschek die bisher gesammelten Spenden verwendet hat, ist nicht angegeben.)
Das deutschsprachige IDW mag als ein (Online-)Ökosystem gesellschaftskritischer Kommentator:innen mit spezifischem Themenfokus und Duktus neu sein, aber das Phänomen kritischer Gegenöffentlichkeiten, die sich gegen den politischen, kulturellen und journalistischen «Mainstream» stemmen, ist grundsätzlich so alt wie die Demokratie selbst.
Die Philosophin Nancy Fraser beschrieb bereits 1990 in ihrem berühmten Aufsatz «Rethinking the Public Sphere», dass Gegenöffentlichkeiten als alternative diskursive Arenen ein wesentliches Merkmal gelebter Demokratie sind. Die deutschsprachige IDW ist in diesem Sinne keine Ausnahme, sondern eher die Regel für funktionierende demokratische Gesellschaften: Dort, wo der Diskurs und die Meinungsäusserung halbwegs frei sind, bilden sich kritische Gegenstimmen mit alternativen Problemdiagnosen und Lösungsvorschlägen.
Die Kanäle und Mittel der IDW-Gegenöffentlichkeit (YouTube, Podcasts, Online-Magazine) sind teilweise zwar neu und nicht zuletzt darum für ein breites Publikum zugänglich, aber das Prinzip der «Mainstream»-kritischen Gegenöffentlichkeit hat Tradition. Und das ist gut so. Wenn das deutschsprachige IDW Gesellschaftskritik jenseits der diskursiven Eliten – also der journalistischen Leitmedien, der Politiker:innen, der kulturellen VIPs – betreibt, ist das aus demokratischer Sicht sehr zu begrüssen. Aber, wie auch schon Fraser bemerkt hatte:
Bloss, weil man gegen die Mehrheitsmeinung ist, hat man nicht automatisch recht.
Nimmt man die Argumente und Narrative der deutschsprachigen IDW genauer unter die Lupe, zeigt sich denn auch rasch, dass die versprochenen «rationalen» Debatten und Perspektiven in Tat und Wahrheit reichlich irrational ausfallen. Das zeigt sich in dreierlei Hinsicht:
Erstens ist der Fokus des deutschprachigen IDW auf im weitesten Sinne «Cancel Culture» reichlich paradox. Denn die IDW-Kommentator:innen sind, wie Nathan Robinson für das das angelsächsische IDW festhielt, ziemlich gut und prominent hörbar, obwohl sie beklagen, dass Meinungen wie die ihrigen zum Schweigen gebracht würden. Auch die deutschsprachigen IDW-Protagonist:innen verfügen über eine Reihe an öffentlichkeitswirksamen Plattformen, mit denen sie ein grosses Publikum erreichen: Von «alternativen» Kanälen wie YouTube und Podcasts über quasi-journalistische Meinungspublikationen wie die «Weltwoche» oder den «Schweizer Monat» bis hin zur «Neuen Zürcher Zeitung».
Gerade der Umstand, dass wir so klar und deutlich hören, was angeblich nicht mehr gesagt werden darf, führt die Prämisse ad absurdum, dass das soeben Gesagte unsagbar geworden sei.
Im Kontext der Coronavirus-Pandemie etwa beklagen die Kommentator:innen, dass es kaum noch möglich sei, den wissenschaftlichen und politischen Umgang mit der Corona-Bekämpfung zu hinterfragen. Doch ganz offensichtlich ist es möglich – die Kommentator:innen tun ja eben genau dies. Corona-querdenkerische Stimmen erhalten zudem praktisch seit Beginn der Pandemie auch in klassischen Leitmedien eine prominente Bühne, sodass von einer wie auch immer gearteten Unterdrückung von Meinungen keine Rede sein kann.
Das führt uns zur zweiten Problematik des deutschsprachigen «Intellectual Dark Web»: Das ewige Wehklagen, man dürfe gewisse Meinungen nicht mehr haben und äussern, ist im Grunde genommen eine polemische Nebelpetarde, mit der von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den betroffenen Meinungen abgelenkt wird. Die vermeintlich «verbotenen» Meinungen darf man nach wie vor haben und kann sie auch lautstark kundtun – aber zur Natur des demokratischen Diskurses gehört eben auch, dass Meinungen inhaltlich kritisiert werden. Aber genau auf diese inhaltliche Kritik, auf diese Auseinandersetzung mit Argumenten, an der sie angeblich so interessiert sind, gehen die IDW-Kommentator:innen nicht ein. Stattdessen deuten sie die Kritik selbstdarstellerisch in einer fast pathetischen Opferhaltung gekonnt als «Canceln» um: Schaut her, sie wollen uns Andersdenkende mundtot machen!
Schauen wir uns dieses rhetorische Ausweichmanöver etwas genauer an – zum Beispiel anhand der Behauptung, die Debatte über den Nutzen der Corona-Massnahmen werde unterdrückt. Im IDW-Netzwerk wird immer wieder behauptet, nicht-pharmazeutische Massnahmen gegen die Corona-Pandemie wie Gesichtsmasken und «Lockdowns» seien entweder unverhältnismässig, gänzlich nutzlos oder sogar schädlich gewesen – alarmierende Umstände, die in der breiten öffentlichen Debatte aber ignoriert oder bewusst unterdrückt würden.
Inzwischen schiesst sich das deutschsprachige IDW auch auf Corona-Impfungen ein, etwa mit der Behauptung, dass die Impfungen im Kampf gegen Covid-19 in Tat und Wahrheit schädlich seien.
Oder, dass die Impfungen irgendwie Teil einer grossangelegten, weltweiten Verschwörung sind, bei der China das Coronavirus als Biowaffe eingesetzt habe. Solche Fragen dürfen, können und sollen selbstverständlich gestellt werden – der Umstand, dass die IDW-Protagonist:innen das tun, zeugt wie erwähnt davon, dass es möglich ist, sie zu stellen. Doch leider hält sich ihr Interesse an den Antworten auf solche Fragen in engen Grenzen.
Bei der Kritik an der Wirksamkeit von Gesichtsmasken, von «Social Distancing», von Corona-Impfungen fehlt eines nämlich immer: Eine nüchterne, ergebnisoffene und breite Auseinandersetzung mit der verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz. Anstatt sich inhaltlich differenziert (und durchaus kritisch) mit der Frage der Wirksamkeit von Corona-Massnahmen auseinanderzusetzen, igelt man sich beim IDW in eine Abwehrhaltung ein, in der beispielsweise einzelne «Expertenmeinungen» wie jene der prominenten wissenschaftlichen Corona-Querdenker Beda Stadler, Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi mehr zählen als umfassende, systematische wissenschaftliche Übersichtsarbeiten. Hierin besteht schliesslich das dritte Problem mit dem deutschsprachigen IDW:
Die IDW-Kommentator:innen werden dem eigenen Anspruch, «rational», unideologisch und «objektiv» zu sein, alles andere als gerecht.
Lauthals zu verkünden, dass man «rational» sei, trägt nämlich noch gar nichts zur eigenen Rationalität bei.
Das Ausflaggen der angeblichen eigenen «Rationalität» hat in diesem Fall eine andere Funktion: Sie ist ein wirksames Werkzeug für sogenanntes «Virtue Signalling». Also für das Zurschaustellen bestimmter wünschenswerter Eigenschaften, mit dem gleichzeitig suggeriert wird, dass andere Menschen diese Eigenschaften nicht besitzen: Ich bin «rational», und jene, die ich kritisiere, sind entsprechend per Definition und automatisch «irrational». Mit dieser Auslegeordnung wird impliziert, dass eine fundierte inhaltliche Auseinandersetzung mit den eigenen Überzeugungen und den Überzeugungen der anderen gar nicht nötig ist: Warum sollte man sich ernsthaft und selbstkritisch anhören, was die anderen meinen, wenn doch schon vorher klar ist, dass sie ganz grundsätzlich nichts Schlaues zu sagen haben? Auf Argumente nicht eingehen, sondern sie a priori und pauschal ablehnen: Der rhetorische Trick auch der deutschsprachigen IDW, den Kritisierten abzusprechen, vielleicht doch gute Argumente haben zu können, ist ironischerweise ein Paradebeispiel für Irrationalität.
Matuschek und Kaiser zelebrieren dieses Rationalitäts-«Virtue Signalling» in ihrem oben erwähnten «Appell für freie Debattenräume», indem sie sich als Retter der Rationalität aufspielen: Die «Gesinnung» siege über «rationale Urteilsfähigkeit»; die «besseren Argumente» zählten heute nicht mehr; eine «echte Diskussion» und «Erkenntnisgewinn» würden verhindert. Roger Köppel erklärt, dass die «Eliten» wüssten, dass sie die «schlechteren Argumente» haben. Gunnar Kaiser beschreibt Menschen, die seine Corona-skeptischen Ansichten nicht teilen, als «Coronazis» und «loyale Kultisten». Milosz Matuschek meint, dass Intellektuelle, die seine Ansichten zu «politischer Korrektheit» und «Cancel Culture» nicht teilen, «feige» seien, sich als «Sprachrohre» zur Verfügung stellten und damit die «wahren Totengräber der Freiheit» seien.
Der Corona-Skeptiker Daniel Stricker, der sich selber als «unabhängigen, ehrlichen» Journalisten sieht, stempelt Menschen, die seine Ansichten nicht teilen, als «böse» und «blöde» ab. Tamara Wernli macht sich über Menschen, die sich gegen Covid-19 impfen lassen, lustig und warnt vor den «Sozialisten», die im Zuge von Corona unsere «Freiheit rauben» – erklärt aber, dass sie «nicht wirklich» ein politischer Mensch sei und sich einfach für «gute Argumente» einsetze. So irrational das Rationalitäts-«Virtue Signalling» auch sein mag, so wirksam ist es.
Der Gesellschaftskritiker Michael Brooks beschreibt in seinem Buch «Against the Web», dass die Exponenten des angelsächsischen IDW mit ihrer Rationalitäts-Theatralik gekonnt darüber hinwegtäuschen, dass sie alles andere als ideologisch neutral und sachlich sind.
Unter der gekünstelten Rationalitäts-Patina verbirgt sich nämlich nicht nur eine eigentliche, oft mit Sarkasmus und Häme zelebrierte Irrationalität, sondern auch eine konservativ-reaktionäre Weltsicht. Geht es um moralische Themen wie Rassismus, Sexismus, soziale und materielle Ungleichheit oder LGBTQ-Rechte, sind IDW-Expontent:innen wenig mehr als Hüter:innen des Status Quo. Die vermeintlichen kritischen Stimmen, die sich angeblich trauen, den Mächtigen und den Eliten auf die Finger zu klopfen, verteidigen in solchen Belangen bestehende gesellschaftliche Machtstrukturen und Ungleichheiten. Das ist zwar eine totale Perversion des eigenen Anspruchs, den gesellschaftlichen «Mainstream» zu kritisieren, eignet sich aber gut für emotionale Empörungsbewirtschaftung nach einfachen, vordefinierten Schemata: Was von «links» kommt, ist pauschal und immer «irrational»; die gegenteilige eigene Meinung ist entsprechend pauschal «rational» und eben ideologiefrei.
Das deutschsprachige IDW könnten wir als blosse Kuriosität eines pluralistischen (Online-)Diskurses abtun; als eine überrissene Trotzreaktion auf eine sich wandelnde und komplexer werdende Welt. Doch gar so harmlos ist die Sache nicht. In den USA decken sich die Anliegen und der Jargon der konservativen republikanischen Partei mittlerweile mit jenen des IDW. Die republikanische Partei wettert gegen «Cancel Culture» und gegen «Wokeness» (angeblichen linken Moralismus) und treibt damit weiter just jenen ideologischen Keil durch die Bevölkerung, mit dem schon die Trump-Regierung gekonnt von ihrer elite- und machtfreundlichen Politik ablenken konnte.
Der Zustand des politischen Diskurses in den USA ist natürlich nicht direkt oder einzig dem Einfluss des IDW zuzuschreiben. Doch das Netzwerk der angelsächsischen IDW-Kommentator:innen ist ein ideologischer Inkubator, dessen simple, emotionale, anti-rationale Problemdiagnosen und Parolen in den breiteren politischen Diskurs eingeflossen sind und ihn damit mitgeprägt haben. Darum lohnt sich auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem deutschsprachigen IDW-Netzwerk: Die selbsterklärten Retter:innen des rationalen Diskurses sind in Tat und Wahrheit dessen Totengräber:innen.
Bildquelle: Screenshots YouTube
Artur Vogel 13. Juli 2021, 17:40
„Bloss, weil man gegen die Mehrheitsmeinung ist, hat man nicht automatisch recht“, schreibt der Autor. Das ist absolut richtig. Absolut richtig ist aber auch: Bloss weil man die Mehrheitsmeinung vertritt, hat man nicht automatisch recht. Das sollte man in Erinnerung behalten, zumal die Mehrheitsmeinung im Lauf der Pandemie ein paarmal die Richtung gewechselt hat.
Peter Herzog 15. Juli 2021, 00:50
Lieber Artur, eine Meinung sollte auf nachvollziehen Fakten basieren und das tatsächlich bessere Argument auf seiner Seite haben. Dann ist es egal, ob Mainstream oder nicht.
Mittlerweile bauen, wie im Text schön beschrieben, leider viele Meinungen nur noch darauf, ob die Information (egal ob richtig oder falsch) von der eigenen Seite kommt. Seltsamerweise betrifft das oft gerade diejenigen, die sich als Anti-Mainstream-Denker sehen.
Michael Theissen 14. Juli 2021, 11:11
Phantastischer Artikel und eines Journalismus-Preises würdig.
Erderichbin 14. Juli 2021, 14:20
An den Autor:
Es ist eine ungeheure Falschaussage zu konstatieren sie lehnten DIE wissenschaftliche Sicht auf die Gefahren von Covid-19 ab !
Das ist kreuzfalsch! Erstens sind viele selber Wissenschafter und zweitens ist sich Die Wissenschaft mitnichten einig was Covid19 anbetrifft und bzgl. der getroffenen Massnahmen schon gar nicht !!!!
Wie kann Ihnen ein derart gravierender, völlig entstellender Fehler unterlaufen ? !
Absichtliche Irreführung oder unverzeihlich unsaubere Recherche ?
Korrigieren Sie das umgehend
Peter Herzog 15. Juli 2021, 00:45
Herr DerderSind: Ja gut, sie lehnen nur DIE Sicht ab, die von praktisch allen qualifizierten Fachpersonen erforscht, vertreten und lebhaft diskutiert wird.
Hingegen akzeptieren sie Einzelmeinungen und unsauberen Papers von zweifelhaften Forscherpersönlichkeiten, die aber für ihre ideologische Sicht nutzbar sind. Von daher tatsächlich falsch: Sie lehnen nicht jede wissenschaftliche Sicht ab.
Wie man sich als vermeintlich kritischer Intellektueller für seine Weltsicht so verbeugen und Ideologie vor jede Selbstachtung stellen kann, wird mir immer ein Rätsel bleiben.
Roger K. 15. Juli 2021, 07:51
Das ist auf der „anderen Seite“ 1:1 das Gleiche. Eine kleine Gruppe schreit nach Gender Sternli als gäbs kein Morgen.
Martin Schwizer 15. Juli 2021, 15:02
Dem Autor ist wohl entgangen, dass auf Plattformen wie Youtube, oder auch Social-Media Inhalt praktisch aller genannten Protagoniten gelöscht werden. Cancel Culture verneinen, wie es der Autor tut, ist wohl das Einfältigste und Leichtdurchschaubarste zur Zeit. Damit entlarvt er sich einfach als Gegenpropagandist.
Thomas Hüsser 17. Juli 2021, 18:30
Kovic ist ein Schwurbler, das ist schon lange bekannt.
M. Andreas S. 25. Juli 2021, 11:04
Was für ein gedankenloser, demagogischer Schrott!
Eine Lügenparade, die ihresgleichen sucht. Traurig.
Tomas Slezak 03. August 2021, 10:49
Man muss dem Artikel von Herrn Kovic zugute halten, dass er nicht pauschal zu den üblichen langweiligen Methoden der Diskreditierung der genannten Personen greift und seinem Artikel einen sachlichen und unaufgeregten Anstrich verleihen möchte. Fast etwas infantil wirkt jedoch der Versuch, die Hauptkritikpunkte gegen die Leitmedien, die tatsächlich viele der im Text genannten Personen eint, einfach plump 1:1 gegen eben diese Kritiker selbst zu richten. Das führt im Diskurs leider nirgendwo hin und man würde sich so bei jeder Diskussion ewig im Kreis drehen. Bestes Beispiel da ist das „selbstrefenzielle Kommunikations-Ökosystem“, das ja eigentlich u.a. ein Kritikpunkt eines Jebsen, Kaiser, Weinstein etc. gegen „die Mainstreammedien“ ist. Da wird auch schlichtweg Ursache und Wirkung vertauscht. Und zu behaupten, dass man sich künstlich und quasi fiktiv in eine Opferrolle begäbe ist, ich möchte dem Autor nicht zu nahe treten, aber das grenzt schon an eine Unverschämtheit. Das kann jeder aufmerksame Beobachter heute quasi in Echtzeit selber mitbekommen. Natürlich gibt es Druck, natürlich gibt es Hetze, natürlich gibt es aktive Bestrebungen gewissen alternativen Informationsplattformen unter falschem Vorwand den Hahn abzudrehen. Das kann man Konsumenten, die Leitmedien und alternative Medienkanäle nebeneinander verfolgen, aktuell überhaupt nicht mehr glaubwürdig vermitteln Herr Kovic. Blödsinn!
Tomas Slezak 03. August 2021, 20:10
Man muss dem Artikel von Herrn Kovic zugute halten, dass er nicht pauschal zu den üblichen langweiligen Methoden der Diskreditierung der genannten Personen greift und seinem Artikel einen sachlichen und unaufgeregten Anstrich verleihen möchte. Fast etwas infantil dagegen wirkt jedoch der Versuch die Hauptkritikpunkte gegen Leitmedien, welche tatsächlich viele der im Text genannten Personen einen, einfach plump 1:1 gegen eben diese Kritiker selbst zu richten. Das führt im Diskurs leider nirgendwo hin und man würde sich so bei jeder Diskussion ewig im Kreis drehen. Bestes Beispiel da ist das „selbstrefenzielle Kommunikations-Ökosystem“, das ja eigentlich u.a. ein Kritikpunkt von Jebsen, Kaiser, Weinstein etc. gegen „die Mainstreammedien“ ist. Da werden vom Autor schlichtweg Ursache und Wirkung vertauscht. Und zu behaupten, dass man sich künstlich und quasi fiktiv in eine Opferrolle begäbe, ich möchte dem Autor nicht zu nahe treten, aber das grenzt schon an einer Unverschämtheit. Das kann jeder aufmerksame Beobachter heute quasi in Echtzeit selber mitbekommen. Natürlich gibt es Druck, natürlich gibt es Hetze, natürlich gibt es aktive Bestrebungen gewissen alternativen Informationsplattformen unter falschem Vorwand den Hahn abzudrehen. Das kann man Konsumenten, die Leitmedien und alternative Medienkanäle nebeneinander verfolgen, aktuell überhaupt nicht mehr glaubwürdig vermitteln. Völliger Blödsinn Herr Kovic!