Für eine bessere Medienkritik – eine Anleitung in fünf Punkten
Auf Social Media, in Blogs und in alternativen Medien werden journalistische Medien heute intensiv kritisiert. Das ist grundsätzlich erfreulich – aber es gilt, zwischen rationaler Kritik und emotionalen Totschlagargumenten zu unterscheiden. Eine Checkliste für die Praxis.
Wir leben heute im goldenen Zeitalter der Medienkritik. Dank Internet und Social Media wird journalistische Arbeit heute so intensiv wie noch nie diskutiert und kritisiert. Wenn traditionelle Massenmedien als sprichwörtliche Wachhunde der Demokratie die vierte Gewalt bilden, dann ist, wie der Kommunikationswissenschaftler Stephen Cooper in seinem Buch «Watching the Watchdog» beschreibt, mit den neuen Formen der Online-Medienkritik eine fünfte Gewalt entstanden, die die Wachhunde überwacht.
Diese Entwicklung ist grundsätzlich sehr erfreulich. Je intensiver die kritische Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Rolle von Medien und mit konkreten journalistischen Leistungen, desto eher können Probleme identifiziert und gelöst werden. Die neue Welle an Medienkritik bereichert die gesellschaftliche Debatte. Dass wir heute mehr denn je darüber reden, wie Journalismus und Medien operieren, ist grundsätzlich ein Gewinn für die Demokratie.
Diese schöne neue Welt der Medienkritik hat aber auch eine Schattenseite. Nicht zuletzt in der Corona-Pandemie erleben wir Formen der Medienkritik, die in erster Linie von Wut, von Misstrauen, von pauschaler Ablehnung der «Mainstream-Medien» geprägt ist; bei der nicht selten vage Vorwürfe der Manipulation und Lüge gemacht werden, bisweilen auch garniert mit verschwörungstheoretisch angehauchten Kampfbegriffen wie «Lügenpresse», «Systemmedien» oder «gleichgeschaltete Medien». Diese Art der Medienkritik trägt wenig zum demokratischen Diskurs bei und ist schlimmstenfalls sogar dysfunktional, weil lediglich Misstrauen und Wut gestreut werden.
Eine eindeutige Trennlinie zwischen «guter» und «schlechter» Medienkritik existiert nicht.
Was unterscheidet diese destruktiven Formen von konstruktiver Medienkritik, die der Qualität der Medien und des Journalismus und damit letztlich der demokratischen Sache dienlich ist? Eine eindeutige Trennlinie zwischen «guter» und «schlechter» Medienkritik existiert nicht. Es gibt aber mindestens fünf Punkte, die ein Anzeichen dafür sein können, dass eine konkrete Medienkritik nicht destruktiv alles vom Tisch fegt, sondern konstruktiv und lösungsorientiert auf Probleme eingeht.
1. Wie konkret ist die Kritik?
Ein erstes Anzeichen, dass Medienkritik nicht ganz hält, was sie verspricht, ist, wenn sie allgemein und vage ausfällt und das Problem auf eine pauschalisierende Art beklagt.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der oft geäusserte Vorwurf, «die Medien» seien doch alle politisch links; zum Beispiel, weil sie angeblich nicht über einen bestimmten Sacherhalt berichtet hätten. In der Corona-Pandemie etwa werfen Massnahme-Kritiker:innen «den Medien» vor, ihre kritischen Einwände und Bedenken zu ignorieren.
Dieser Vorwurf kann sachlich im Prinzip durchaus zutreffen, aber als pauschaler Vorwurf ohne konkrete Begründungen, Beispiele und Erklärungen ist die Kritik wenig mehr als ein rhetorisches Totschlagargument. Einige der vielen Fragen, die sich hier zur Präzisierung aufdrängen: Welche Medien sind eigentlich gemeint, wenn von «den Medien» die Rede ist? Haben die Medien tatsächlich gar nicht über Sachverhalt X berichtet? Was wäre ein angemessener Umfang der Berichterstattung zu Sachverhalt X? Wie sollte eine angemessene Berichterstattung über Sachverhalt X inhaltlich aussehen?
Gute Medienkritik zeichnet sich durch Genauigkeit und Präzision aus. Die Grundlage guter Medienkritik ist nicht ein vages Bauchgefühl oder der subjektive Eindruck, sondern konkret aufgezeigte und klar nachvollziehbare Sachverhalte.
Unterstützen Sie unabhängigen und kritischen Medienjournalismus. Werden Sie jetzt Gönner/in.
Journalismus braucht Herzblut, Zeit – und Geld. Mit einem Gönner-Abo helfen Sie, unseren unabhängigen Medienjournalismus nachhaltig zu finanzieren. Ihr Beitrag fliesst ausschliesslich in die redaktionelle und journalistische Arbeit der MEDIENWOCHE.
2. Ist die Argumentation logisch schlüssig?
Medienkritik, die hält, was sie verspricht, muss auf logisch sauberen Schlussfolgerungen beruhen und nicht auf emotionalisierte Fehlschlüsse zurückgreifen, um die mangelnde Kraft von Argumenten zu kaschieren.
Ein Beispiel für logisch unschlüssige Medienkritik habe ich unlängst im Gespräch mit Ronnie Grob erlebt, dem Chefredaktor der Zeitschrift «Schweizer Monat». Grob machte mir zum Vorwurf, dass ich als Beleg für meine Kritik an der Corona-skeptischen Organisation «Mass-Voll» auf journalistische Inhalte der Zeitschrift «megafon» zurückgegriffen habe. Das «megafon», so seine Kritik, sei nicht zuverlässig oder glaubwürdig, weil die Zeitschrift ja eine Verbindung zur Berner «Reitschule» habe (Die «megafon»-Redaktion befindet sich in diesem linksalternativen Kulturzentrum). Dass die konkreten journalistischen Inhalte des «megafon», die ich zitiert habe, in sachlicher Hinsicht nachweisbar absolut korrekt und faktentreu sind, war für meinen Gesprächspartner unwichtig.
Diese Kritik ist der «Red Herring»-Fehlschluss: Ein rhetorisches Ablenkungsmanöver, das emotional bewegt, logisch aber ins Wasser fällt. Der «Red Herring»-Fehlschluss ist nur einer von zahlreichen sogenannten informellen Fehlschlüssen. Einige weitere Fehlschlüsse, denen wir gerne auf den Leim gehen, sind etwa der Beliebtheits-Fehlschluss (weil viele Menschen die gleiche Meinung haben, gilt etwas als wahr), der Traditions-Fehlschluss (weil es etwas schon lange gibt, gilt es als richtig oder wahr), oder der Fehlschluss der vorschnellen Verallgemeinerung (aus einem Einzelfall deuten wir die Gesamtsituation).
3. Ist der Standpunkt transparent?
Journalismus ist nie neutral und objektiv. Wenn man die Welt journalistisch betrachtet, muss man zwangsläufig einen Standpunkt einnehmen.
Genauso wie Journalismus nicht neutral und objektiv sein kann, ist auch Medienkritik nie neutral und objektiv. Sie hat immer einen wertenden, weltanschaulichen, normativen Charakter. Entsprechend zeichnet sich gute Medienkritik dadurch aus, dass sie ihren normativen Charakter klar aufzeigt und begründet. Schlechte Medienkritik hingegen verschleiert ihren normativen Charakter, oder deklariert ihn gar als die «objektive», die «rationale» und «unverzerrte» Sichtweise.
Gute Medienkritik spielt mit offenen weltanschaulichen Karten.
Ein Beispiel für misslungene Medienkritik, bei der die eigene normative Position nicht begründet wird, sind die selbsternannten Alternativmedien, die sich im Zuge der Corona-Pandemie als kritische Gegenöffentlichkeit etabliert haben. Diese Kreise sprechen Journalist:innen und Medien ab, «rational» über die Pandemie zu berichten, und sie deklarieren ihre eigenen Ansichten als «rational» – obwohl sie in Tat und Wahrheit einen eindeutigen weltanschaulichen Einschlag haben. Zu implizieren oder direkt zu behaupten, dass man selber im Gegensatz zu den kritisierten Journalist:innen und Medien keine weltanschauliche, ideologische Brille trage, mag als rhetorischer Trick gut funktionieren, zeichnet aber schlechte Medienkritik aus. Gute Medienkritik spielt mit offenen weltanschaulichen Karten.
4. Ist die Kritik fair?
Wenn wir Kritik im Allgemeinen und Medienkritik im Besonderen üben, dann haben wir den natürlichen Hang, die kritisierten Sachverhalte eher negativ, pessimistisch, oder sogar alarmistisch zu deuten. Doch gute Medienkritik zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nicht vorschnell in eine negative Deutung hineinkapriziert und den kritisieren Medien schlechte Absicht unterstellt. Stattdessen wendet gute Medienkritik das sogenannte Prinzip des Wohlwollens an. Dieses sprachphilosophische Prinzip besagt, dass wir das Verhalten von Menschen ganz gezielt auch wohlwollend interpretieren sollten, um nicht Opfer unserer voreingenommenen Meinung zu werden.
Ein Beispiel dafür bietet der skandalöse Fall des ehemaligen Star-Reporters Claas Relotius, der zahlreiche Geschichten frei erfunden hatte. Eine nicht-wohlwollende Medienkritik dieses Falles könnte zum Schluss kommen, dass der Betrüger Relotius einen Beweis dafür liefert, dass alle Medien lügen und damit Kasse machen. Eine wohlwollende Interpretation hingegen würde auch mitreflektieren, dass der Betrugsfall eben genau deshalb aufgeflogen ist, weil eine Reihe von Journalist:innen an der Arbeit von Claas Relotius zu zweifeln begann und so die Verfehlungen erst aufgedeckt wurden.
Gute Medienkritik fokussiert nicht nur auf schlimmstmögliche Motivstrukturen und Absichten, sondern zieht ganz explizit auch wohlwollendere Erklärungen in Betracht.
5. Ist die Kritik kritisierbar?
In der Wissenschaftsphilosophie gilt die sogenannte Falsifizierbarkeit als wichtiges Kriterium, um Wissenschaft von Nicht-Wissenschaft abzugrenzen: Kann eine Hypothese oder Überzeugung oder eine vermeintliche Tatsache widerlegt werden? Kann man aufzeigen, dass etwas nicht stimmt? Falls nicht, handelt es sich wohl nicht um einen wissenschaftlichen Sachverhalt, sondern um Phänomene wie Religion, Esoterik oder Pseudowissenschaft. Ganz ähnlich verhält es sich mit Medienkritik: Wenn sie so formuliert ist, dass sie nicht wirklich widerlegt werden kann, ist die Güte der Kritik zumindest zweifelhaft.
Mit seiner Form der kritikresistenten Medienkritik machte es Trump unmöglich, seinen «Fake News»-Vorwurf zu entkräften.
Ein extremes Beispiel hierfür sind die «Fake News»-Vorwürfe von Donald Trump. Der ehemalige US-Präsident hatte schon kurz nach seinem Amtsbeginn den Begriff «Fake News» in einer rhetorischen Meisterleistung umgedeutet: «Fake News» bedeutete für Trump nicht inhaltlich erwiesenermassen faktisch falsche (pseudo-)journalistische Berichterstattung, sondern schlicht jede Form der journalistischen Berichterstattung, die ihn und seine Regierung kritisiert – also auch, oder vor allem, solche, die inhaltlich, faktisch wahr ist. Mit dieser Form der kritikresistenten Medienkritik machte es Trump im Grunde unmöglich, seinen «Fake News»-Vorwurf zu entkräften: Jede Journalistin, jedes Medienhaus, die auf seinen pauschalen Vorwurf mit Kritik reagierte, bestätigte in den Augen der Trump-Anhänger:innen damit lediglich, dass sie «Fake News» sind.
Fazit: Mehr Medienkritik-Kritik
Der Boom der Medienkritik, den wir gegenwärtig erleben, ist zu begrüssen. Die kritische Debatte über die Arbeit von Journalist:innen und Medien, die lange ein Nischendasein fristete, wird heute um neue Perspektiven und Stimmen erweitert. An der Diskussion, wie Medien funktionieren und funktionieren sollen, beteiligen sich immer mehr Menschen. Das tut unserer Demokratie gut.
Aber bekanntlich ist nicht alles Gold, was glänzt. Die neue, grundsätzlich positive Vielfalt der Medienkritik bedeutet auch, dass destruktive Medienkritik häufiger wird. Medienkritik, die in erster Linie den rhetorischen Zweihänder auspackt und Emotionen bedient, löst keine Probleme, sondern verschärft sie eher. Dieser neue Pluralismus bedeutet darum auch, dass es zunehmend wichtiger wird, auch der Medienkritik kritisch zu begegnen. In einer Zeit, in der Medienkritik zunehmend demokratisiert wird, müssen wir alle ein Stück weit Wachhunde sein.
Heinz Baumann 16. September 2021, 23:47
Schön, würden sich MedienkritikerInnen an diese Anleitungen halten. Leider ist jedoch Medienkritik, die mit Schlagworten wie „Mainstream-Medien“, „Leitmedien“ oder gar verächtlich „Lügenpresse“ operiert, durchwegs destruktiv und populistisch. Meist geht sie einher mit Staats-, Wissenschafts- und Justizfeindlichkeit. Gut zu sehen bei der gegenwärtigen Pandemie oder bei der Beurteilung des Klimawandels. Gezielt werden Fake News und Verschwörungsmythologien zur Verunsicherung der Gesellschaft verbreitet. Eine bedenkliche Entwicklung, die letztlich die Demokratie untergräbt.
Schneider Alex 28. September 2021, 09:37
Soziale Medien und Demokratie
Mit dem Aufkommen der sozialen Medien wird offensichtlich, dass die Informationen der etablierten Medien, aber auch die veröffentlichten Meinungen und Kommentare der Journalist*innen, der Verleger*innen und der gewählten Politiker*innen ihre bisher unbestrittene Leitfunktion verloren haben. Das bekommen insbesondere die Printmedien zu spüren. Die Meinungsbildung im Volk wird durch die sozialen Medien breiter abgestützt und damit die Indoktrination durch die Mainstream-Medien erschwert. Für die Demokratie ist dies grundsätzlich ein Gewinn.