Die MEDIENWOCHE ist ein digitales Magazin für Medien, Journalismus, Kommunikation & Marketing. Die Redaktion beobachtet und begleitet publizistisch die Entwicklung der Branche in der Schweiz, verfolgt aber auch internationale Trends. Neben den redaktionellen Eigenleistungen bietet die MEDIENWOCHE mit dem «Medienmonitor» (zweimal wöchentlich) und der wochentäglichen Rubrik «Auf dem Radar» Lektüreempfehlungen aus nationalen und internationalen Medien.
Pro und contra Medienförderung: Der Argumente-Check
Drei Monate vor der Abstimmung über das «Massnahmenpaket zugunsten der Medien» haben sich Gegner und Befürworter der Vorlage bereits in Stellung gebracht. Ihre wichtigsten Argumente unter der Lupe.
In einem Abstimmungskampf bleibt kein Platz für Zwischentöne, da geht es um Grundsätzliches. Entsprechend dominieren schwarz und weiss. Das gilt auch für die anrollenden Kampagnen für und gegen den Ausbau der Medienförderung.
Das gegnerische Komitee, das mit seinem Referendum die Vorlage überhaupt erst an die Urne gebracht hat, konnte sich bei der Unterschriftensammlung schon einmal warm laufen. Als Hauptargument (und als Titel der Kampagne) dient die Warnung vor «Staatsmedien», sollten mehr Millionen in die Medienförderung fliessen.
Auch jene Kreise, die die Subventionen befürworten, operieren mit einem grossen Begriff. Ihnen geht es um nichts weniger als um die «Meinungsfreiheit». Mit den Geldern aus dem Gesetzespaket könne die «mediale Grundversorgung» gesichert und so der «Zugang aller am Meinungsbildungsprozess» gewährleistet werden. Das sei heute nicht mehr möglich wegen sinkender Werbeerträge.
Aber was ist dran an den Argumenten für und gegen das «Massnahmenpaket zugunsten der Medien» über das die Stimmberechtigten im kommenden Februar an der Urne befinden können?
Die Gegnerschaft der Vorlage besteht aus fünf Komitees, die sich unter dem Banner «Staatsmedien Nein» zusammengeschlossen haben. Auf der gleichnamigen Website stehen fünf «Kern-Argumente» gegen eine ausgebaute staatliche Medienförderung.
Das Argument steht nicht zufällig an erster Stelle. Denn damit dürften die Gegner weit über ihren Dunstkreis hinaus punkten. Es ist eine Tatsache, dass auch Zeitungen und News-Plattformen aus rentablen Grossunternehmen von der staatlichen Medienförderung profitieren würden, die eigentlich nicht auf eine Subventionierung angewiesen wären. Zwar profitieren kleinere Medien proportional stärker als die grossen. Das ändert aber nichts daran, dass Tamedia und CH Media unter dem Strich zu den grössten Profiteuren der indirekten Presseförderung und der neuen Online-Förderung zählen würden. Das ist auch deshalb der Fall, weil das Parlament die heute geltende Auflagenobergrenze von 40'000 Zeitungsexemplaren als Förderkriterium aufgehoben hat.
Die Gewährung staatlicher Förderung ist nicht an redaktionelle Gegenleistungen gekoppelt. Ein behördlicher Wille, die Berichterstattung zu beeinflussen oder gar zu kontrollieren, lässt sich nicht belegen. Das Komitee insinuiert diesen Zusammenhang allein aus der Tatsache, dass Steuergelder fliessen. Zudem: Von der indirekten Presseförderung mittels vergünstigter Posttaxen für den Zeitungsvertrieb profitieren schweizerische Verlage seit der Gründung des Bundesstaates. Nach der Argumentation des gegnerischen Komitees würde der Staat schon seit über 170 Jahre das Gros der Schweizer Zeitungen kontrollieren. Wenn die Bundesbehörden die Medien tatsächlich gängeln, dann nicht über Fördergelder, sondern mit ihren aufgeblähten Kommunikationsapparaten, die den direkten Zugang der Medienschaffenden zu den Fachleuten der Verwaltung verhindern. Aber das ist ein anderes Problem und hat mit dem Medienpaket nichts zu tun.
Beim neuen Gesetz für eine finanzielle Unterstützung von Online-Medien orientierte sich die Politik an der langjährigen Praxis der indirekten Presseförderung und entschied sich, auch online nur abonnierte Medien zu subventionieren. «Willkürlich», wie das Komitee behauptet, ist das nicht. Dass der Verzicht auf eine Förderung von Gratismedien «weite Bevölkerungsteile von der politischen Meinungsbildung» ausschliessen würde, ist ein gewagter bis unzulässiger Schluss. Zum einen wird es weiterhin eine breite Palette an werbefinanzierten Gratismedien geben, die zur politischen Meinungsbildung beitragen. Zum anderen können sich «Normalverdienende und die Jungen» sehr wohl ein Medien-Abonnement leisten. Teuer sind die nicht. Es ist ein individueller Entscheid, wofür man Geld ausgibt.
Als vierter Punkt im Kurz-Argumentarium fährt das Komitee grobes Geschütz auf: «Die neuen direkten Subventionen sind ein Verfassungsbruch.» Gemeint ist das Geld für Online-Medien. Artikel 93 der Bundesverfassung erlaube namentlich nur die Förderung von Radio und TV. Das Komitee verschweigt, dass sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auch auf «andere Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen» erstreckt. Ob damit auch das Internet gemeint ist und ob sich die vorgesehene Online-Förderung darauf abstützen kann, wird von Fachleuten kontrovers diskutiert und ist längst nicht so eindeutig wie das Komitee behauptet.
Anstatt ein fünftes Argument zu bringen, wiederholt das Komitee mit anderen Worten das zweite, wenn auch mit einer leichten Variation: Anstatt vor staatlich kontrollierten Medien wird vor gekauften Medien gewarnt. Kritik siehe oben.
Auf der Pro-Seite nennt ein breit abgestütztes Komitee, bestehend aus 80 National- und Ständerät:innen, sowie den grossen Branchenorganisationen, sieben «gute Gründe» für ein Ja zum Medienpaket.
Mit dem ersten seiner sieben «guten Gründe» kontert das Ja-Komitee den heikelsten Kritikpunkt der Gegner staatlicher Medienförderung. Abhängige, staatlich kontrollierte Medien will niemand. Tatsächlich sind die Förderkriterien sehr niederschwellig. Anders als bei Radio- und Fernsehen, die als Gegenleistung für die Gelder aus der Haushaltsabgabe publizistische Kriterien erfüllen müssen, gibt es bei der indirekten Presseförderung und der neuen Förderung für Online-Medien nur sehr allgemeine Vorgaben.
Die Wirksamkeit der indirekten Presseförderung bezüglich ihrer staatspolitischen Ziele ist bis heute nicht belegt. Die regionale Medienvielfalt nimmt in der Schweiz seit Jahrzehnten ab – trotz indirekter Presseförderung seit 1849. «Wenn der Bund die notleidende Lokal- und Regionalpresse unterstützen soll, müsste das mit gezielten Beiträgen erfolgen», hielt der Bundesrat bereits 1999 fest. Die Regierung hätte die indirekte Presseförderung schon längst abschaffen wollen, doch das Parlament hielt stets dagegen. Eine wissenschaftliche Evaluation 2010 kam zu einem ähnlichen Schluss wie der Bundesrat: Die «Wirksamkeit der Presseförderung hinsichtlich der politischen Ziele der publizistischen Vielfalt sowie der staatspolitischen Relevanz der Presse ist hingegen sehr begrenzt.» Als Mittel gegen Konzentration und Abbau sei die indirekte Presseförderung nicht wirksam genug. Ob die zusätzliche Millionen daran etwas ändern, darf darum bezweifelt werden.
Hoffentlich tut sie das. Schliesslich ist die Vergünstigung der Zustellung der Kernzweck der indirekten Presseförderung. Für mittelgrosse und kleinere Zeitungen, etwa die «Südostschweiz» oder die «Freiburger Nachrichten», sind die subventionierten Posttaxen überlebensnotwendig, wie die Verantwortlichen der beiden Verlage in den letzten Wochen betont haben. Man kann es aber auch so sehen: Die zusätzlichen Millionen halten ein Auslaufmodell künstlich am Leben.
Wahrscheinlicher als ein «Auf- und Ausbau» ist die Stabilisierung der bestehenden Angebote. Dass neue Onlinemedien nur wegen der Aussicht auf Fördergelder entstehen, entspricht nicht der Realität. Und auch die bestehenden Medien beziehen die in Aussicht stehende Förderung sehr vorsichtig in ihre Budgets ein. Überhaupt wäre es riskant, allzu stark auf die Subventionen zu setzen. Zum einen können die Beiträge von Jahr zu Jahr schwanken: Je mehr geförderte Medien, desto weniger Geld für die einzelnen Unternehmen. Zum anderen wird die Online-Förderung nach vier Jahren evaluiert. Es könnte also sein, dass sie wieder verschwindet.
Ob die zusätzlichen Mittel wirklich den Service public stärken, muss man mit Blick auf frühere Mittelerhöhungen bezweifeln. So gab es bereits per Anfang 2019 mehr Geld für Lokalradio und Regionalfernsehen. Trotzdem gelangte die Programmforschung zu einer äusserst durchzogenen Bilanz: Mehrere Sender unterlaufen die Mindestanforderungen an den regionalen Service public. Gegen zwei Fernseh- und zehn Radioveranstalter hat das Bakom im Sommer Aufsichtsverfahren eröffnet, weil sie «die quantitative Mindestvorgabe im Bereich der lokalen/regionalen Informationen nicht erfüllt haben.»
Das Gesetz macht keinerlei Vorgaben, wie die Fördergelder den Journalismus stärken sollen. Es ist ganz den Verlagen überlassen, ob sie allenfalls freigespielte Mittel in den Journalismus investieren oder nicht. Wenn die Subventionen jedoch nur dazu beitragen, die weiterhin wegbrechenden Erträge aus Aboverkauf und Werbung zu kompensieren, bleibt nichts übrig für eine Investition in den Journalismus.
Das patriotische Argument zum Schluss steht auf wackligen Beinen. Auch wenn es nach viel Geld aussieht, das da zusätzlich in die Medienförderung fliesst, ist es ein Klacks verglichen mit dem, was Google und Facebook in ihre Plattformen stecken können. Auch mit dem Medienpaket wird sich nichts an den Grössen- und Machtverhältnissen zwischen den globalen Internetkonzernen und den heimischen Medienunternehmen ändern. Einzig eine Regulierung auf überstaatlicher Ebene könnte die Konzernmacht bändigen. Die aktuellen Bestrebungen der EU mit zwei Gesetzesvorhaben würden Google und Facebook wirklich schmerzen und den heimischen Medienunternehmen bei der digitalen Werbung etwas Luft verschaffen.
Was auffällt: Beide Seiten fokussieren mit ihren zentralen Argumenten auf den Ausbau der indirekten Presseförderung und die Einführung einer Online-Förderung. Die Befürworter thematisieren zusätzlich noch die Aufstockung des Abgabenanteils für Lokalradio und Regionalfernsehen.
Unterstützen Sie unabhängigen und kritischen Medienjournalismus. Werden Sie jetzt Gönner/in.
Journalismus braucht Herzblut, Zeit – und Geld. Mit einem Gönner-Abo helfen Sie, unseren unabhängigen Medienjournalismus nachhaltig zu finanzieren. Ihr Beitrag fliesst ausschliesslich in die redaktionelle und journalistische Arbeit der MEDIENWOCHE.
[rml_read_more]
Keine Rolle spielen dagegen die zahlreichen anderen Komponenten des umfassenden Gesetzespakets. Das überrascht insofern, als dass gerade die Befürworter weitere Argumente finden könnten, die auf breitere Zustimmung stossen könnten. Ihre «sieben gute Gründe» lesen sich mehr wie eine Replik auf die Kampagne des Referendumskomitees.
Dass die Aus- und Weiterbildung für Medienschaffende finanziell unterstützt werden soll und auch der chronisch überlastete Presserat finanziell vom Massnahmenpaket profitieren könnte, war in der bisherigen Diskussion ebenso wenig ein Thema wie die geplanten Gelder für Nachrichtenagenturen und digitale Infrastrukturen.
Ebenfalls kein Thema war bisher die Ausweitung der Posttaxenvergünstigung für die Mitgliedschafts- und Stiftungspresse von heute 20 auf 30 Millionen Franken pro Jahr. Vereine und Verbände sollen in Zukunft weniger bezahlen für den Versand ihrer Mitteilungsorgane. Gut möglich, dass aus dieser Ecke in den nächsten Monaten noch Support für die Vorlage kommen wird. Schliesslich sind wir in der Schweiz alle Mitglied in mindestens einem Verein und profitieren damit von dieser Form der Medienförderung.
***
Wer dem Gesetzespaket indifferent oder skeptisch gegenübersteht, und das dürfte ein Grossteil der Stimmberechtigten sein, wird für sich vor allem eine Frage beantworten müssen: Überwiegt der Kollateralschaden oder der Kollateralnutzen? Macht die Tatsache, dass auch Unternehmen im grossen Stil von der Medienförderung profitieren, die sie eigentlich gar nicht bräuchten, die gesamte Vorlage ungeniessbar? Oder soll man darüber hinwegsehen, weil ein Kompromiss nie die perfekte Lösung ist, aber das Gesetzespaket unter dem Strich dem intendierten Zweck dient und die schweizerische Medienlandschaft stärkt? Um diese Abwägung zu treffen, helfen die Argumentarien von Pro- und Contra-Seite allerdings nur bedingt.
Habt ihr denn keine besseren Pro-Argumente? Z.B. die Qualität der ausgeglichenen Berichterstattung?
Wenn die Qualität dieser Medien stimmen würde, gäbe es mehr Abonnenten. Wer will den schon PR kaufen?
Das hier genau diese Qualitätsfrage ausgelassen wird, ist das stärkste Gegenargument. Immer mehr Menschen merken, dass diese „staatstragenden“ Medien nicht willens sind, einen ergebnisoffenen Diskurs für Wissenschaft und Demokratie zu erlauben. Das ist die supervirale Krankheit dieser hoffentlich sterbenden Zunft. Gelogen ist schlechter als Wichtiges zu verschweigen!
Victor Brunner 04. November 2021, 08:48
Gute Auflistung von Pro und Contra. Warum kann ich das nicht bei den 4 grossen Medienhäuser lesen die am meisten von der Sozialhilfe profitieren.
Die Meinungsfreiheit 12. November 2021, 15:10
Fair und ausgewogen! Die Replik aus JA-Sicht zur Lüthi-Analyse kann man hier lesen: https://www.schweizermedien.ch/artikel/news/2021/medienpaket-neutraler-argumente-check-in-der-medienwoche
Urs Lachenmeier 12. November 2021, 23:08
Habt ihr denn keine besseren Pro-Argumente? Z.B. die Qualität der ausgeglichenen Berichterstattung?
Wenn die Qualität dieser Medien stimmen würde, gäbe es mehr Abonnenten. Wer will den schon PR kaufen?
Das hier genau diese Qualitätsfrage ausgelassen wird, ist das stärkste Gegenargument. Immer mehr Menschen merken, dass diese „staatstragenden“ Medien nicht willens sind, einen ergebnisoffenen Diskurs für Wissenschaft und Demokratie zu erlauben. Das ist die supervirale Krankheit dieser hoffentlich sterbenden Zunft. Gelogen ist schlechter als Wichtiges zu verschweigen!