von Benjamin von Wyl

The Good, The Bad & The Ugly LXI

sonum.fm, Covid-Abstimmung, Interview-Magazin

«Sonum.fm» bringt die Radiozukunft

Diese Woche startet der Beta-Test von «Sonum.fm». Die gemeinnützige Plattform, die der Verein Radiolab nächstes Jahr lancieren will, ermöglicht Hörer:innen das Zusammenstellen eines «handkuratierten Audioprogramms». Radiomacher:innen, gerade die unabhängigen, sollen fair entschädigt werden.

Schon in der Beta-Version sind die Kombinationsmöglichkeiten unzählbar: Sie wollen die Musik vom legendären Radio Paradise mit BBC-Nachrichten und dem SRF Regionaljournal Aargau-Solothurn garnieren? Oder ein Programm aus Klimapodcasts, Literaturradio und Chansons hören? Alles möglich.

Das Angebot entspricht einem Bedürfnis: Wer heute Musik auf einem Streamingdienst hört, verpasst die Nachrichten. Nicht alle, die sich für die Sendungen von «SRF 2 Kultur» interessieren, interessieren sich für klassische Musik. Nicht alle, die sich für klassische Musik interessieren, interessieren sich für die Sendungen von «SRF 2 Kultur». Radiosender nehmen Hörer:innen die Entscheidung ab, was sie hören wollen – Streamingdienste wälzen diese Entscheidung auf Algorithmen ab. Doch dort werden Macher:innen schäbig entschädigt und Hörer:innen finden sich, wenn der Algorithmus mal gefüttert ist, in einem Meer aus Ähnlichem wieder. Was in der Beta-Version fehlt, aber geplant ist: Ein «Situationsfeature», das per Klick Wechsel zwischen Arbeits-, Freizeit- oder Einschlafprogramm ermöglicht.

Wenn selbst die öffentlich-rechtlichen Radios auf Podcasts setzen, ist die Zeit reif für gemeinnützige Radio-Collagen.

Lieber mal Tee trinken

Es fordert Journalist:innen viel ab, über die Pandemie und die Politisierung der Pandemie zu berichten. Anders als bei vielen Themen sind sie immer ebenfalls Betroffene. Viele machen ihre Arbeit gut. Doch gerade Journalist:innen bringen immer wieder das Argument, dass die Behörden nach knapp zwei Jahren nicht mehr von der Pandemieentwicklung überrascht sein sollten. Das stimmt. Doch der Diskurs ums Pandemiegeschehen bleibt neu. Anders als bei allen anderen Themen gab es, bevor die Politisierung (oder die politische Verzweckung) einsetzte – zirka im Mai 2020 – noch keine gefestigten Lager. Gerade mit zunehmender Pandemiemüdigkeit bleibt die Art neu, wie die Diskussion verläuft. Für alle. Zu welchem anderen Thema hat die Diskussion eine so kurze Tradition und eine so schwankende Grundlage? Vielleicht ist das ein Grund, weshalb sich Journalist:innen in diesem Thema stark exponieren, die zuvor nicht durch ein besonders anwaltschaftliches Berufsverständnis aufgefallen sind.

Wenn morgen die Abstimmungsresultate eintrudeln, ob der Ja-Anteil auf 55 oder 65 Prozent kommt, könnte die Polarisierung kurz innehalten: Macht eure Arbeit, wenn ihr arbeiten müsst – aber vielleicht einen Tag lang, ohne sie mit Tweets zu garnieren. Macht euch einen Tee, wenn ihr frei habt. Egal, für wie verantwortungslos ihr die Behörden, für wie gefährlich ihr Verschwörungstheoretiker:innen und neue Viren-Varianten haltet: Lieber Tee statt Liberté sollte auch heissen, dass man wirklich mal durchatmet, abschaltet und eine Tasse Tee trinkt.

«Interview», why Ringier?

Bei der Lektüre des eben lancierten Magazins «Interview by Ringier» fühlt man sich an einer Gala der Verlegerfamilie. Vom Cover strahlt Roger Federer. Bundesrat Alain Berset interviewt Stephan Eicher und Ex-Crédit Suisse-CEO Oswald Grübel verrät, dass «Übe dich in Bescheidenheit» eines seiner zehn Gebote ist. Dazwischen gibt es viel Hochkultur – auch Kunstsammler und Verleger Michael Ringier interviewt einen Künstler auf 20 Seiten. Alle mögen sich: Die Interviewten hätten das Projekt «mitgetragen», heisst es im Editorial. Darunter steht, das Heft sei in Partnerschaft mit Crédit Suisse, IWC Switzerland und Volvo entstanden. Auf den Volvo-Seiten interviewt ein Künstler die Volvo-Managerin Natalie Robyn; auf den IWC-Seiten interviewt eine Unternehmerin die Amazon Web Services-Managerin Yvonne Bettkober. Jener Cloud-Service, bei dem Ringier im internationalen Geschäft «all in» ging.

In einem 14’000-Zeichen-Interview erzählt Alexander Karp, CEO der umstrittenen Datenanalyse-Firma Palantir, Tai Chi gehöre zu seinem Tag. Es wird dann weinerlich: Obwohl «die breite Bevölkerung» von Palantir profitiere, sei man «eine Aussenseiterfirma». Komisch, liess der Interviewer – mit «Handelszeitung»-Chefredaktor Stefan Barmettler ausnahmsweise ein Journalist – da unerwähnt, dass die Palantir-Managerin Laura Rudas im Ringier-Verwaltungsrat sitzt und die Redaktionen auf Palantir-Software setzen. An einer Gala sind halt alle leicht beschwipst. Und an einer Gala ist journalistische Integrität keine Kategorie.

Leserbeiträge

Victor Brunner 28. November 2021, 09:09

Ringier neueste Strategie, peinliche „Premium“ Magazine produzieren. „Interview“ Gefälligkeitsartikel mit gefälligen Leuten, Typographie aus den 60er Jahren. „Caminada“, Jubelpostillie für einen guten Koch, zum gefühlten 100mal ein Interview mit Michelle Hunziker, natürlich mit schönen farbigen Bildern die alle im ungestrichenen Papier versaufen. Dazu viel Gutes zu Audi, auch bekannt aus dem Dieselskandal, Caminadas Lieblingsauto. Wahrscheinlich verlocht Ringier schon die Medienförderung!