von Benjamin von Wyl

Die Medienbranche kann keinen Abstimmungskampf

Der Abstimmungskampf um das Medienpaket ist auch deshalb so vertrackt, weil Medien und Politik als direkt Betroffene Partei sind und in eigener Sache kommunizieren müssen. Diese Rolle beherrschen sie nicht. Eine Zwischenbilanz.

Alle lieben den Journalismus. Spätestens noch bis Sonntagabend. Politiker:innen laden ihr Foto vom letzten oder nächsten Wahlkampf in eine Online-Maske und nehmen so in den Sozialen Medien Partei für ihr Lokal- oder Lieblingsmedium. Auch die Gegner:innen beschwören ihren Respekt für die Medienfreiheit.

Wohl fast alle Journalist:innen hatten schon mit Politiker:innen zu tun, die ihre mündlichen Zitate beim Gegenlesen zur Unkenntlichkeit verändern wollten. Bei der momentan zur Schau gestellten Wertschätzung für Journalismus drängt deshalb die Frage: Haben all diese Leute auf einen Schlag praktische Spielregeln und prinzipielle Medienethik verinnerlicht? Werden sie nach dem Abstimmungskampf ihre Zitate nie mehr zurücknehmen?

Beim Medienpaket stehen alle, die die öffentliche Debatte gestalten oder ermöglichen, im Verdacht, Eigeninteressen zu vertreten.

Journalist:innen sind nie komplett frei von Abhängigkeiten. Objektive Berichterstattung ist unmöglich. Egal, wie ihre Sympathien gelagert sind und egal, wie die Sympathien in ihren Artikeln hervortreten (dürfen): Journalist:innen ringen immer um Vertrauen. Sie ringen darum, ihr Publikum zu überzeugen, dass es ihnen um Erkenntnisgewinn geht. Für Abstimmungsparolen kauf kaum jemand ein Abo. Während sonst bei Abstimmungskämpfen Medienschaffende vom Seitenrand aus analysieren und einordnen, geht das beim Medienpaket nicht. Journalist:innen stehen beim Medienpaket im Verdacht des Eigeninteresses. Der gleiche Verdacht kommt auch bei Politiker:innen auf. Diese sind ja auf Medienöffentlichkeit angewiesen. In einer Stimmung, in der beide Seiten die Bedeutung der Pressefreiheit beschwören, ist das dem Publikum umso bewusster. Bei jeder Abstimmung haben manche Politiker:innen Eigeninteressen, etwa weil sie mit der Landwirtschafts- oder Krankenkassenlobby verbandelt sind. Beim Massnahmenpaket für die Medien gilt das für alle. Politiker:innen sind auf die Medien angewiesen. Sie schiessen vielleicht gegen die eine Zeitung, haben eine obsessive Beziehung zur anderen – doch vorkommen müssen sie.

Natürlich spielt Eigeninteresse in den Abstimmungskampf rein. Susanne Lebruments Somedia würde wahrscheinlich entscheidend profitieren. Artikel 76c im Gesetzestext des Medienpakets liest sich so, als hätte ihn Hansi Voigt selbst geschrieben. Dort steht: Förderberechtigt sind «Betreiberinnen digitaler Infrastrukturen», die «zur publizistischen Vielfalt» beitragen, welche die «Verbreitung von publizistischen Angeboten» steigern oder «deren Auffindbarkeit» erleichtern. Ein Schelm, wer bei Artikel 76c der Medienpaket-Vorlage nicht an «WePublish.ch» denkt – wo Hansi Voigt Initiator und Co-Geschäftsführer ist.

Manche Gegner:innen geben offen zu, wie gerne sie sich auf Zeitungseinkaufstour begeben würden. Selbst die 37 Unterzeichnenden (darunter vier Frauen und drei Anonyme) des «Manifest für Freie Medien» verbinden neben ihrer Überzeugung fast alle Marketing-Interessen mit dem Abstimmungskampf: Das Basler Newsportal «Prime News» wirbt beispielsweise seit seiner Gründung mit dem Argument um Abonennt:innen, dass der Verlag aus Überzeugung keine öffentlichen Gelder annehmen würde. Die nationale Aufmerksamkeit durch den Abstimmungskampf ist ein wertvolles Schaufenster für ein Medium mit einer Handvoll Mitarbeitenden.

Von einem Abstimmungskampf, der alle Medien betrifft, könnte man erwarten, dass alles genau erklärt wird.

Beim Medienpaket stehen alle, die die öffentliche Debatte gestalten oder ermöglichen, im Verdacht, Eigeninteressen zu vertreten. Bei einer Vorlage, die sehr viele Widersprüche enthält. Man könnte von einem Abstimmungskampf, der alle Medien betrifft, erwarten, dass alle Inhalte genau erklärt werden. Dass mehr Transparenz als üblich darüber geschaffen wird, worum es geht und worum nicht. Doch stattdessen erlangt man immer wieder den Eindruck, dass die Frage auf dem Abstimmungszettel «Demokratie Ja oder Nein?» lautet.

Denn Journalist:innen erklären nicht nur – sie können auch zuspitzen. Sie erzählen das, was Tag für Tag passiert, so verständlich und spannend, dass es möglichst viele Menschen Tag für Tag interessiert. Damit verdienen sie Geld. «Ohne Journalismus keine Demokratie» war vor vier Jahren der Marketing-Spruch, mit dem die «Republik» sehr viel Geld für ihren Launch gesammelt hat. Bereits das war heikel: Der Satz stimmt, aber wer «Demokratie» zum Verkaufsargument macht, muss sich beim Berichten immer dran erinnern, dass die «Demokratie» im Artikel nicht Teil des Eigenmarketings ist. Ein Gratgang: Wenn die «Republik» einen Artikel über die «TX Group» mit «Die Zerstörungsmaschine» betitelt, hat das womöglich auch einen Werbeeffekt fürs «Republik»-Abo.

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Wenn es nicht darum geht, Volksabstimmungen in teilweise eigener Sache zu gewinnen, stellen alle Medien gerne die journalistische Integrität der Konkurrenz in Zweifel. Einerseits hat das mit Marketing zu tun, andererseits auch damit, dass es Sache des Journalismus ist, mögliche Fehler oder Missstände anderswo zu kritisieren. Was Branchen-Insider:innen und reflektierte Leser:innen wissen: Dass das etwas Spielhaftes hat. Dass die Kritik von heute nicht immer überdauert. Dass die meisten «Republik»-Journalist:innen weiterhin kollegial mit Journalist:innen der «TX Group» umgehen – und die journalistische Recherche auch immer auf der Arbeit der anderen Medien aufbaut. Aber wer soll sich wundern, dass manche Leser:innen nun im Abstimmungskampf empört sind, wenn «Die Zerstörungsmaschine» mit am stärksten von der Medienförderung profitieren soll?

Die Sensibilität dafür, was Journalismus leistet und ausmacht, geht der Pro-Kampagne ohnehin ab.

Der erfolgreiche «Republik»-Slogan ist, leicht abgewandelt, nun vom Produkt- ins Politmarketing geschwappt: «Ohne Medien, keine Demokratie» wirbt die Pro-Kampagne des «Verband Medien mit Zukunft» für die Annahme des Medienpakets. Die Pro-Kampagne des Verlegerverbands trägt den Titel «Die Meinungsfreiheit». Die für diese Kampagne verantwortliche Agentur Farner ist zumindest historisch eher mit Meinungsmache als mit Meinungsabbildung verbunden. Der Name «Die Meinungsfreiheit» ist anmassend – weil die Meinungsfreiheit auch ausserhalb des professionellen Journalismus wirkt. Meinungen haben Menschen ohnehin – auch ohne Wissen um Zusammenhänge. Wilhelm Tell als Maskottchen der Pro-Kampagne ist verfehlt, denn fiktive Figuren aus dem Spätmittelalter können kaum vermitteln, weshalb faktenorientierte Medienvielfalt wertvoll ist. Die Sensibilität dafür, was Journalismus leistet und ausmacht, geht dieser Kampagne ohnehin ab: In ihrem Werbenewsletter rief «Die Meinungsfreiheit» auch Befürworter:innen dazu auf, möglichst oft an den gewichteten Umfragen teilzunehmen – denn gute Umfrageergebnisse haben «eine starke Signalwirkung» und würden für «Rückenwind» sorgen. Die Logik der Abstimmungskampagne crasht mit journalistischen Berufsprinzipien: Gewichtete Umfragen sollen Meinungen abbilden, keine Meinung machen.

Bei den Gegner:innen verfasst Kampagnenleiter Philipp Gut «Recherchen», die auf einem Bierdeckel Platz haben. Im «Nebelspalter»-Artikel vom 31. Dezember ist bis heute nicht ausgewiesen, dass Gut Geschäftsführer der Nein-Kampagne ist – obwohl Gut im «Nebelspalter» seither um die zehn Beiträge zum Abstimmungskampf verfasst hat. Im SRF-«Club» sagte er darauf angesprochen, dass er Kampagnenleiter sei, wüssten eh alle. Damit verhehlte er sein Desinteresse an Transparenz nichtmal. Obwohl Transparenz für Journalist:innen ja kein Nice-to-have, sondern Anspruch und Pflicht ist. Da kann Kampagnenleiter Gut in seinen Artikeln noch so oft berühmte Reporter zitieren und sich pathetisch um die Demokratie bekümmert fühlen.

Die Befürworter:innen führen den Abstimmungskampf über weite Strecken in einer Freund-Feind-Dynamik.

Gut hat es in seiner Rolle aber gar nicht nötig, als vorbildlicher Journalist aufzutreten. Wenn nicht über das Paket, sondern über Demokratierelevanz diskutiert wird, obliegt den Befürworter:innen die Beweislast, dass der existierende Journalismus in der Schweiz grösstenteils sauber und lauter arbeitet. Dass er seine demokratische Funktion erfüllt. Die Gegner:innen streuen Zweifel an diesem Bild, die IST-Situation sei schlecht oder gar korrupt – und das reicht schon. Während die andere Seite erklären muss, weshalb sie besser, professioneller, lauterer arbeitet.

Die Befürworter:innen sind da immer im Nachteil – und trotzdem führen sie den Abstimmungskampf über weite Strecken in dieser Freund-Feind-Dynamik: Sie schalteten grosse Ja-Inserate mit Fotos von «Freiheitstrychlern». Dass darauf sogar das Nein-Plakat sichtbar ist, hilft zu erkennen, wie grotesk eine solche Kampagne ist. Da gibt es kein Argument mehr, das ist bloss noch: Schaut, wer gegen uns ist!

In derselben Zuspitzungslogik erschienen Artikel, die vorrechneten, wie sehr die SVP oder journalistische Medien der Gegner:innen bereits heute von der indirekten Presseförderung profitieren. Damit unterlaufen sich die Befürworter:innen, denn diese Beiträge mobilisieren auch Nein-Stimmen. Die Blocher-Anzeiger, der «Nebelspalter», «Die Weltwoche», die SVP-Parteiblätter wären förderungsberechtigt und sind es zum Teil schon seit Jahren. Wenn so viel publizistische Power darauf verwendet wird, zu betonen, wie schlimm die genannten Medien sind, kann es auch sein, dass sich manche im Publikum umso mehr fragen: Will ich, dass solche Titel mit Steuergeld subventioniert werden?

Das Medienpaket ist vielgliedrig. Es eignet sich zum Zuspitzen nur begrenzt, denn es enthält Widersprüche:

Während Nachrichtenagenturen keine Dividenden ausschütten dürfen, wenn sie Fördergeld erhalten, waren Vorstösse chancenlos, die das gleiche für Verlage forderten, die von der indirekten Presseförderung profitieren. Einmal wird also das Gewinnstreben von Medienunternehmen gebremst, einmal nicht.
Während es gelungen ist, die finanzielle Unterstützung der Frühzustellung an eine GAV-Verhandlungspflicht zugunsten der 9000 Angestellten von Verteilunternehmen zu knüpfen, war dies für die 13000 direkt in der Medienbranche Beschäftigten chancenlos. Einmal trägt das Paket zur sozialen Absicherung der Beschäftigten bei, einmal nicht.
Die Erhöhung der indirekten Presseförderung für lokale Medien in peripheren Regionen ist wohl überlebensentscheidend für manche unabhängigen Lokalzeitungen. Das ist fast unbestritten. Doch gleichzeitig profitieren neu auch grosse Zeitungen mit grossen Auflagen von Grosskonzernen, die ihre Gewinne ohnehin ausserhalb des Journalismus einfahren. Die Medienvielfalt in den Regionen bröckelt auch wegen des Geschäftsgebarens dieser Unternehmen.
Das meiste Geld geht in den Journalismus, aber zehn Millionen Franken Rabatte pro Jahr sollen auch den Vereins- und Verbandsheftli von Greenpeace bis SVP zu Gute kommen. Viele davon haben mit professionellem Journalismus nichts zu tun.

Trotzdem wäre das Medienpaket wohl vor allem für lokale Medien in peripheren Regionen überlebensentscheidend. Die Explosion im Beiruter Hafen wird immer mehr Menschen interessieren als die Zonenplanrevision in einem Dorf. Wer behauptet, ein Medium mit einem Einzugsgebiet von wenigen tausend Menschen könne sich ebenso am Markt beweisen wie eines, das über die ganze Welt berichtet und damit für den ganzen deutschsprachigen Raum lesenswert ist, macht sich lächerlich. Das hätten die Befürworter:innen erklären müssen.

Die Zuspitzung auf «Demokratie ja/nein» setzt eine Medienkompetenz und ein Verständnis für die Branche voraus, die vielen abgeht.

Sie hätten erklären müssen, dass es nicht vor allem um den Journalismus geht, der sich seit Jahren als demokratierelevant bewirbt. Erklären, dass es wichtig ist, wenn in Küssnacht am Rigi, im Unterengadin, im Oberwallis jemand nach der Gemeindeversammlung kritische Fragen stellt. Erklären, dass 23 Millionen Franken pro Jahr in Ausbildung, Presserat, Agenturjournalismus und Institutionen wie Öffentlichkeitsgesetz.ch fliessen würden. Erklären, dass die filigranen Longform-Artikel der «Republik» unmöglich wären, wenn nicht die Journalist:innen von Keystone-SDA einen Nachrichtenteppich schafften. Erklären, dass die journalistische Berufsausbildung momentan so teuer ist, dass viele ohne reiche Eltern eher abgeschreckt werden. Erklären, dass sich Politiker:innen und Behörden über nichts mehr ärgern, als darüber, wenn Journalist:innen über das Öffentlichkeitsgesetz ihre Akten, ihre Agenden, ihre Korrespondenzen rausklagen – von wegen Staatsmedien. Erklären, dass der Presserat, der die Berufsethik der journalistischen Arbeit kontrolliert, momentan mit einem Mini-Budget am Limit agiert und ein effizienter Presserat im Interesse aller ist.

Selbst wenn man das Vertrauen seines Publikums geniesst: Der Abstimmungskampf über eine so vielgliedrige Vorlage ist schwierig. Die Zuspitzung auf «Demokratie ja/nein» setzt Medienkompetenz und ein Verständnis für Branchenzusammenhänge voraus, die nicht alle haben. Und die Zuspitzung sorgt dafür, dass jene Betroffenen ausgeblendet werden, die von der Vorlage profitieren, aber ihre «Demokratierelevanz» nicht herauspflaumen: Die tausenden Menschen, die prekär in der Frühzustellung von Zeitungen arbeiten. Über ihre Situation hat man kaum gesprochen.