Küren und kassieren: Das Ranking-Geschäft von «Bilanz» und «Handelszeitung»
Die Reichen-Liste und das Künstler-Rating gehören zur DNA der «Bilanz». Inzwischen zeichnet das Wirtschaftsmagazin und sein Schwesterblatt «Handelszeitung» unzählige Unternehmen in zahlreichen Branchen aus. Die neuen Rankings stehen in der Kritik, mehr dem Verlag als Geldmaschine zu dienen und weniger dem Publikum als vertrauenswürdige Ranglisten.
Mit der «Bilanz» hatte sich Statista den richtigen Adressaten ausgesucht. Als 2016 das deutsche Online-Portal für Statistik das Schweizer Wirtschaftsmagazin kontaktierte zwecks Geschäftsanbahnung, durfte es damit rechnen, auf offene Ohren zu stossen. Schliesslich gehören Listen zur DNA der «Bilanz». Mit den «300 Reichsten» publiziert das Heft seit über 30 Jahren das wohl wichtigste und am stärksten beachtete Ranking in der Schweizer Medienlandschaft. Auch für Statista gehören Listen zum Geschäft. Für «Focus» evaluierte das Unternehmen 2015 «Deutschlands Top-Anwälte». Ein Jahr später wurde man sich mit der «Bilanz» handelseinig, das gleiche Ranking auch in der Schweiz durchzuführen.
«Wenn wir ein neues Ranking lancieren, dann steht für uns im Zentrum, ob das Thema für unsere Leser interessant ist und wir hinter der Erhebungsmethode stehen können», erklärt Marc Kowalsky. Beim Ranking der besten Anwaltskanzleien habe beides gestimmt. Kowalsky arbeitet seit über zwanzig Jahren für die «Bilanz», seit 13 Jahren als stellvertretender Chefredaktor. In dieser Zeit verfasste er unzählige Artikel, die auf den Ergebnissen von Rankings basieren und die Listen publizistisch umrahmen.
Das Geschäftsmodell der Rankings zielt auf die Eitelkeit, nach dem Motto: küren und kassieren. Geschmeichelten sitzt das Portemonnaie lockerer.
Die Partnerschaft mit Statista markierte einen Strategiewechsel. Während die zuvor eingeführten Listen entweder in Eigenregie, mit einer Fachjury oder punktuellen, sachkompetenten Partnerorganisationen erstellt wurden, tritt Statista als Universaldienstleister auf. Die Firma führt Umfragen und Befragungen durch, erstellt daraus die Rankings und übernimmt dann gleich noch einen Teil der Vermarktung. Schliesslich handelt es sich bei den Rankings auch um ein Geschäft, von dem Statista und «Bilanz» profitieren wollen.
Wer mit seinem Unternehmen in einem der inzwischen vier neuen Rankings auftaucht, bekommt Post von Statista. Um auf Ruhm und Ehre aufmerksam zu machen, die einen zuteil geworden sind (falls man die Präsenz auf einer dieser Listen so auffasst), bietet Statista ein digitales Siegel an. Das kostet je nach Ranking bis zu 8000 Franken. Wer die Pixel-Urkunde erwirbt, erhält zudem Rabatt auf die Werbebuchung. Das Geschäftsmodell der Rankings zielt auf die Eitelkeit, nach dem Motto: küren und kassieren. Geschmeichelten sitzt das Portemonnaie lockerer.
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Mit und ohne Siegel
Sie belegen Spitzenplätze in den Rankings von «Bilanz» und Handelszeitung, gehen aber mit dieser Auszeichnung unterschiedlich um. Während der Discounthändler Lidl seinen 9 Platz unter den «klimabewussten Unternehmen» aktiv kommuniziert, macht sich der zwei Ränge besser positionierte Zoo Zürich nicht viel aus der Auszeichnung. Genauso wie der WWF, der im Ranking der «besten Arbeitgeber» auf einem Spitzenplatz abgeschnitten hat. Bei der Umwelt- und Tierschutzorganisation freut man sich zwar ob der Anerkennung als attraktiver Arbeitgeber. Dass man ein Siegel erwerben könnte als Kommuniktionsinstrument, war der NGO aber nicht bewusst.
Der Zoo Zürich wiederum behandelte das Ranking wie eine normale Medienanfrage. «Für uns stand keine Werbeabsicht im Vordergrund», erklärt Zoo-Sprecherin Rita Schlegel. «Ein allfälliges Siegel mit kostenpflichtiger Nutzung haben wir entsprechend auch gar nicht in unsere Mediaplanung miteinbezogen.»
Dass sich Lidl für eine aktive Kommunikation entschieden hat, liege sowohl an der Qualität des Rankings als auch den guten Rang, erklärt Mediensprecher Mathias Kaufmann auf Anfrage. «Es ist noch vielen in der Öffentlichkeit unbewusst, wie stark wir uns im Nachhaltigkeitsbereich engagieren. Unter Rang 9 kann man sich jetzt etwas vorstellen», so Kaufmann weiter. Wichtig sei Lidl zudem, dass es sich um ein unabhängiges Ranking handle.
Das Geschäftsmodell mit dem Siegelverkauf bedeutet auch: Mit jeder Firma, die Statista zusätzlich auszeichnet, gibt es einen weiteren potenziellen Käufer von Siegeln und Inseraten. Da liegt die Verlockung auf der Hand, die Rankings so zu gestalten, dass möglichst viele Firmen in die Kränze kommen, um das kommerzielle Potenzial zu optimieren. «Die Listen werden sorgfältig kuratiert und richten sich konsequent nach inhaltlichen Kriterien», dementiert Marc Kowalsky. Längere Listen hätten nichts mit kommerziellen Hintergedanken zu tun, sondern böten den Lesenden einen Mehrwert. «So landen jeweils auch kleinere und unbekannte Unternehmen in einem Ranking, welche viele Leserinnen und Leser noch gar nicht auf dem Schirm hatten.»
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Die Kritik an aufgeblähten Rankings betrifft insbesondere eine Liste der «Handelszeitung», der Schwesterpublikation der «Bilanz». Auch die «Handelszeitung» arbeitet mit Statista zusammen. Marc Kowalsky weist darauf hin, dass er und die «Bilanz» damit nichts zu tun hätten. Auf der Liste mit den «besten Personaldienstleistern» finden sich in der Kategorie «Job-Portale» mehrere Unternehmen, die für den Schweizer Markt schlicht irrelevant sind. Diesen Eindruck bestätigen auch andere Spezialisten aus der Branche, namentlich Jörg Buckmann, ehemaliger Personalchef VBZ und heute unabhängier HR-Berater. Eine Anfrage dazu bei der Chefredaktion der Handelszeitung blieb unbeantwortet. Ebenso reagierte Statista nicht auf einen Kontaktaufnahmeversuch.
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Das halten Fachleute von den Rankings
Listen schaffen Klarheit und verhelfen zu einem schnellen Überblick. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass sich die Lesenden stärker von der Form als vom Inhalt leiten lässt; dass nur interessiert, wer an der Spitze steht und nicht warum. Dazu lohnt es sich, jene zu fragen, die ihre Branchen gut kennen, was sie von den Rankings halten, die «Bilanz» und Handelszeitung in Zusammenarbeit mit Statista veröffentlichen.
Jörg Buckmann bewegt sich schon mehr als ein Vierteljahrhundert professionell im Personalwesen. Seit sieben Jahren berät und begleitet der frühere Personalchef der Verkehrsbetriebe Zürich VBZ Firmen und Behörden als selbständiger HR-Spezialist. Buckmann kennt darum auch all die Awards, Labels und Rankings, die es in seiner Branche gibt. Manche findet er wert- und sinnvoll, etwa die Auszeichnung «Friendly Workspace». Dahinter stecke ein aufwändiges Verfahren. «Die Unternehmen müssen sich durchleuchten lassen. Da kommen Assessoren in die Firma und schauen alles an», erklärt Buckmann. Ausserdem zahlen die Firmen dafür – ohne zu wissen, ob sie das Assessment bestehen. Von anderen Auszeichnungen hält Buckmann dagegen wenig. Dazu zählt er die Rankings zu den «besten Personaldienstleistern» und den «besten Arbeitgebern» von Statista und «Handelszeitung». Damit werde einzig das Bedürfnis vieler Personalchefs befriedigt, sich mit einem Label schmücken zu können, das dann bei potenziellen Bewerbenden etwas auslösen sollte. «Aber so funktioniert das nicht», sagt Buckmann. Darum hält der HR-Spezialist die Rankings vor allem für «clevere Geldmaschinen», die hauptächlich dem Verlag etwas bringen.
Deutlich milder fällt das Urteil beim Schweizerischen Arbeitgeberverband aus zur Liste mit den «besten Arbeitgebern». Geschäftsleitungsmitglied Fredy Greuter hält Ranglisten und Auszeichnungen grundsätzlich für wichtige Orientierungsgrössen. Was deren Qualität angeht, vertraut der ehemalige NZZ-Redaktor ganz dem Markt: «Über die Zeit hinweg setzen sich jene Angebote durch, deren Informationsgehalt wert- und stichhaltig sind.» Ob eine Liste als verlässlicher Massstab tauge oder einfach eine belanglose Spielerei sei, schäle sich letztlich im Wettbewerb heraus. Insofern hält Greuter die Liste mit den «besten Arbeitgebern» der Handelszeitung für «legitim und sinnvoll».
Skeptischer und zurückhaltender äussert sich René Rall, Generalsekretär des Schweizerischen Anwaltsverbands SAV, zum Nutzen des «Bilanz»-Rankings der «besten Anwaltskanzleien». Die Wirkung solcher Rankings und Bewertungen könne er nicht beurteilen. Ebensowenig, wie weit solche Verlautbarungen überhaupt einem Bedürfnis des potentiellen Kunden entsprechen. Fall fragt sich deshalb, ob die Rankings, «nicht viel mehr Mittel zum Zweck der Verlage sind».
Beim Schweizerischen Treuhänderverband hat man anfänglich etwas schlechte Erinnerungen an die erste Auflage des «Bilanz»-Rankings der «besten Steuerexperten und Treuhänder» 2020. Man sei damals etwas überrascht und dann auch verärgert gewesen, als Branchenverband nicht miteinbezogen worden zu sein, erinnert sich Vanessa Jenni, Geschäftsführerin von Treuhand Suisse. Das habe sich aber bei der zweiten Auflage gebessert. Was die Aussagekraft der Liste angeht, geniesse man die Resultate mit Vorsicht, weil diese unter anderem auch darauf beruhen, dass sich Treuhandunternehmen und Treuhänder*innen gegenseitig empfehlen.
Bei den beiden jüngsten Statista-Rankings der «Bilanz» sehen Fachleute auch noch Luft nach oben. So hält Christian Zeyer die Liste mit den «klimabewussten Unternehmen der Schweiz 2021» zwar für «einen ersten Schritt, aber noch zu wenig aussagekräftig». Sein Urteil macht der Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands Swisscleantech daran fest, dass die Freisetzung klimaschädlicher Gase in der vor- und nachgelagerten Stufen der Lieferkette zu denen die untersuchten Unternehmen gehören nicht berücksichtigt wurde. So überrascht es nicht, dass mit dem Computerzubehörhersteller Logitech ein Unternehmen an der Spitze der Liste liegt, das in der Schweiz nur entwickelt und verwaltet, aber vor allem im Ausland produziert. Auch hält Zeyer das Ranking für «etwas mager, weil es nur auf einen Indikator setzt. Andere Aspekte, wie zum Beispiel ein Engagement für klimafreundliche Rahmenbedingungen, die genau so wichtig sind, wie die eigenen Anstrengungen, werden nicht bewertet.»
Auch das Ende Januar von der «Bilanz» erstmals veröffentlichte Ranking zu den «innovativsten Firmen der Schweiz» fällt im Urteil des Fachmanns durch. Oliver Gassmann ist Professor am Institut für Technologiemanagement an der Universität St. Gallen. Er schickt vorweg: «Das perfekte, richtige Ranking wird es nicht geben.» Und das Publikum übersehe häufig, dass die Kriterien das Ergebnis definieren. Was heisst: Eine Liste mit den innovativsten Unternehmen könnte auch ganz anders aussehen. Etwa dann, wenn nicht die Anzahl der Patente so stark gerichtet würden, wie das Statista gemacht hat. «Patente sind nur ein Inputkriterium für Innovation, der wirkliche Output wäre stärker reflektiert durch Umsatzanteile von Produkten, die nicht älter als 3 oder 5 Jahre sind», relativiert der Professor die Bedeutung dieses Faktors. Einen weiteren kritische Punkt sieht Gassmann darin, das hochinnovative Unternehmen, die im B2B-Bereich und/oder in Nischenmärkten tätig sind, in solchen Rankings einen schweren Stand haben, weil die «wahrgenommene Innovativität durch Experten» ein wichtiges Kriterium sei.
Wenn die Wirtschaftsmedien von Ringier Axel Springer Schweiz heute wie keine anderen Schweizer Medien auf Rankings setzen, dann geschieht das mit einer langen Vorgeschichte. Das 1977 gegründete Wirtschaftsmagazin «Bilanz» veröffentlichte ab 1989 jährlich eine Liste mit den Reichsten der Schweiz. Anfänglich zählte sie 100 Positionen, wuchs dann auf 250 und umfasst seit 1999 die 300 Reichsten. Selbst die Gewerkschaftszeitung «Work» würdigt die Liste als «journalistische Fleissarbeit und Magazin-Legende» und nimmt sie zur Grundlage für die eigene kapitalismuskritische Berichterstattung. Was auch heisst: Auf die Zahlen in der Reichsten-Liste kann man sich verlassen, egal wie man zum Reichtum steht.
Neben den legendären Listen zu Geld und Kunst zählen auch das Geschäftsberichte-Rating und das Telekom-Rating zu den Longsellern.
Nicht ganz so alt ist das Künstler-Rating, es erscheint aber heuer auch bereits zum 29. Mal. Anders als beim Vermögen, wo sich die «Bilanz» auf harte Zahlen abstützen kann, erfolgt die Kür der Kunstschaffenden durch eine 48-köpfige Jury. Darunter befindet sich so ziemlich alles, was in der Schweiz Rang und Namen hat. Kritik gab es in der Vergangenheit etwa wegen einem zu engen Fokus auf die Zürcher Szene. Deshalb heisse das Rating ausserhalb Zürichs auch bloss «Züriwixete», höhnte einmal der Berner Oberländer Künstler Heinrich Gartentor.
Neben den legendären Listen zu Geld und Kunst zählen auch das Geschäftsberichte-Rating und das Telekom-Rating zu den Longsellern, die seit über zwanzig Jahren in der «Bilanz» erscheinen. Auch schon seit 13 Jahren gibt es das Private-Banking-Rating. Andere Listen hielten sich nicht so lange im Blatt, etwa das Airline-Rating oder das Agentur-Rating, einst angepriesen als «Die 25 Rosinen im Schweizer Werbekuchen».
«Dass es uns nicht primär um die kommerzielle Verwertbarkeit geht, zeigt zum Beispiel das Geschäftsberichte-Rating, das wir seit über 20 Jahren für eine eher spitze Zielgruppe veröffentlichen», sagt Marc Kowalsky zum Schluss. Etablierte Rankings und Ratings, wie die Reichsten-Liste oder das Künstler-Rating, würde man aus Überzeugung pflegen und damit eine zusätzliche Leserbindung erreichen.
Doris Gloor 05. März 2022, 18:54
Und es gibt noch andere Ratings, die gekauft worden sind. So zum Bsp. Anwaltskanzleien. Nummer One in Schaden-und Versicherungsrechte. Grösste Anwaltskanzlei des Haftpflicht- und Versicherungsrecht. Und dann, wenn Frau eine Unfallgeschichte von über 10 Jahren zu verzeichnen hat, stellt sich heraus, dass Versicherungen/Anwälte doch nur zusammen arbeiten. Mit einem Kuhhandel, Vermerk – EMail, dass die Korrespondenz nicht vor Gericht verwendet werden darf, dass man gerade mal 22% einer Rente der Versicherung erhält und wenn es um PK Gelder geht, auch noch alles blockiert wird, bis nach 11 Jahren evtl. mal ein IV-Entscheid vorliegt. Da kann man nur noch staunen.