Sperrung von RT und «Sputnik»: Zensur oder Selbstverteidigung?
Die Europäische Union und Tech-Giganten wie Google und Apple haben den Zugang zu russischen Propaganda-Medien erschwert. Auch Schweizer TV-Plattformen haben den russischen Sender RT aus dem Angebot gekippt. Das ist unmittelbar zwar ein Schlag gegen die Desinformations-Kapazitäten des Kreml, aber die Sperrung ist demokratisch heikel und kein nachhaltiges Mittel gegen Desinformation.
In einem seltenen Schulterschluss haben die Europäische Union und die Tech-Giganten Google und Apple im Zuge des Ukraine-Krieges russischer Desinformation den Kampf angesagt: RT (ehemals «Russia Today») und «Sputnik», zwei wichtige Pfeile im russischen Desinformations-Köcher, sind in der EU nur noch erschwert erreichbar. Die Websites sind nicht mehr abrufbar, die Apps können nicht mehr heruntergeladen werden, die Fernseh- und Radiostationen bleiben stumm. Google hat die YouTube-Kanäle von RT und «Sputnik» sogar weltweit gesperrt. In der Schweiz haben die beiden Telekom-Anbieter Swisscom und UPC Sunrise das Programm von RT aus ihrem TV-Angebot gestrichen. In den USA hatte der Satelliten-TV-Anbieter «DirecTV» den US-Ableger von RT aus dem Angebot gekippt, worauf RT in den USA gänzlich den Betrieb einstellte.
Diese Form der Propaganda ist ein direkter Angriff auf die Demokratie.
Dieser Schlag trifft die russische Desinformations-Maschinerie hart. RT und «Sputnik» erreichten im Westen Millionen von Menschen, nicht zuletzt im rechtspopulistischen und im Corona-skeptischen Milieu. Das Publikum liess sich von den Kreml-Botschaften überzeugen und verbreitete diese weiter in der Überzeugung, die Wahrheit gefunden zu haben5. So konnte der Kreml jahrelang anti-demokratische, anti-westliche Verschwörungstheorien verbreiten. Diese Form der Propaganda ist ein direkter Angriff auf die Demokratie, weil damit die demokratische Debatte und die demokratische Meinungsbildung aktiv und bewusst sabotiert werden, um dadurch demokratische Gesellschaften zu destabilisieren. Darum ist es grundsätzlich legitim, im Sinne der demokratischen Selbstverteidigung gegen Desinformation vorzugehen.
Das harte Durchgreifen gegen die russischen Desinformations-Plattformen ist zweifellos ein starkes Signal: Jahrelang haben Politik und Tech-Konzerne im Westen nur wenig gegen russische Desinformation unternommen. Die Sperrung von RT und «Sputnik» war eine spontane politische Hauruck-Aktion, ohne vorangehende breite gesellschaftliche Debatte zum richtigen Umgang mit Desinformation. Das ist in mindestens dreifacher Hinsicht problematisch.
Die EU-Kommission diskutiert bereits, die Sperrung von RT und «Sputnik» weiter auszudehnen.
Erstens drängt sich die Frage auf, wie umfassend Eingriffe gegen Desinformation in demokratischen Ländern überhaupt sein sollen und dürfen. So wird in der EU-Kommission gegenwärtig diskutiert, die Sperrung von RT und «Sputnik» weiter auszudehnen. Nachdem die direkten Inhalte von RT und «Sputnik» nur noch erschwert abrufbar sind, schlägt die EU vor, in einem möglichen nächsten Schritt auch alle Online-Suchergebnisse und alle Social-Media-Inhalte zu löschen, die sich mit Inhalten von RT und «Sputnik» befassen. Und zwar auch dann, wenn es sich um eine kritische Auseinandersetzung handelt. Ein Text wie der vorliegende wäre dann in EU-Ländern über Suchmaschinen nicht mehr auffindbar und über Social-Media-Plattformen nicht mehr teilbar.
Ein zweites Problem im Umgang mit RT und «Sputnik» ist die Frage, was mit all den anderen Desinformations- und Propaganda-Kanälen geschehen soll, die es sonst noch gibt. Wenn die totale Sperrung das politische Gebot der Stunde ist, müssten auch sie gesperrt werden. Aber wer bestimmt nach welchen Kriterien das geschehen soll? Wie viel Propaganda und Desinformation ist zu viel? Wie ist beispielsweise mit staatlichen chinesischen Newsportalen umzugehen, die auf westlichen Social-Media-Plattformen Hunderte Millionen Menschen erreichen und pro-chinesische Propaganda streuen? Was ist der Status von Nachrichtenportalen wie «Voice of America», «BBC World Service» oder der «Deutschen Welle», die zwar nicht Desinformation vom Schlage eines RT oder «Sputnik» verbreiten, aber im Mindesten auch eine heikle Propaganda-Geschichte haben? Was ist mit Einzelpersonen, die auf Social Media, YouTube und Co. auf eigene Faust und aus aufrechter Überzeugung Propaganda verbreiten, ganz ohne staatliche Einmischung? Soll in einer Demokratie nicht erlaubt bleiben, auch Falsches zu glauben?
Auch nach der Sperrung von RT sind weiterhin russische, aber auch chinesische und saudi-arabische Staatssender sind weiter zu sehen auf Schweizer TV-Plattformen.
Ein drittes Problem mit der Sperrung von RT und «Sputnik» ist der Umstand, dass private Plattformbetreiber ohne demokratische Legitimierung umfassende Eingriffe in die Struktur des öffentlichen Diskurses vornehmen können. Google hat RT und «Sputnik» freiwillig weltweit auf YouTube gesperrt. In der Schweiz haben Sunrise UPC und Swisscom den Fernsehsender von RT freiwillig aus dem Programm genommen. Diese Interventionen sind für sich genommen nicht zwingend falsch, aber sie erfolgen nicht nach demokratisch festgelegten Prinzipien, sondern nach privatwirtschaftlichen Interessen. Plattformbetreiber greifen in der Regel dann zu «Deplatforming», wenn so ein Schritt wirtschaftlich opportun erscheint und sich damit Unannehmlichkeiten (verärgerter Werbekund*innen, unerwünschte politischer Regulierung) vermeiden lassen. Das scheint auch bei Swisscom und UPC Sunrise der Fall zu sein. Hätten sie RT im Angebot gelassen, müssten sie nun unangenehme Fragen beantworten. Gleichzeitig zeigt das Handeln der beiden Telekom-Anbieter die Symbolhaftigkeit solcher Sperren. Andere russische, aber auch chinesische und saudi-arabische Staatssender sind weiter zu sehen in der Schweiz.
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Den Desinformations-Schleudern RT und «Sputnik» brauchen wir keine Träne nachzuweinen. Ihre wenig bedachte umfassende Sperrung zeigt aber, dass wir im regulatorischen Kampf gegen Desinformation noch ganz am Anfang stehen. Das Problem ist seit Jahren bekannt, aber (über-)reagiert wird nur punktuell und erst, nachdem der Schaden schon angerichtet ist. Von diesem regulatorischen Vakuum zeugt nicht zuletzt der Umstand, dass das relevanteste internationale Abkommen für den Umgang mit Desinformation die «Konvention über den Gebrauch des Rundfunks im Interesse des Friedens» von 1936 stammt. Die Europäische Union hat im Rahmen des «Digital Services Act»-Gesetzes, das noch 2022 verabschiedet werden könnte, zwar auch Massnahmen gegen Falsch- und Desinformation auf Social-Media-Plattformen implementiert. Diese beschränken sich aber auf das Löschen eindeutig illegaler Inhalte (etwa Morddrohungen), womit der Grossteil des Desinformations-Problems unberührt bleibt. Die nächste Ad-hoc-Aktion ist damit nur eine Frage der Zeit.
Es wird immer alternative Kanäle und Plattformen geben, zu denen die Desinformation und ihr Publikum migrieren können.
Wie aber sollten zukunftsorientierte Regulierung von Desinformation aussehen? Zunächst brauchen wir eine Debatte zur Frage, was in einer Demokratie aushaltbar sein muss. Das grossflächige Löschen und Sperren von Inhalten, das in Richtung Zensur geht, muss uns aus demokratischer Sicht grundsätzlich suspekt sein. In einer offenen Gesellschaft darf die freie Rede nur sorgfältig begründet und in Ausnahmefällen eingeschränkt werden. Aber auch wenn wir wollten, könnten wir Desinformation rein praktisch nicht durch umfassende Sperrungen und Löschungen aus der Welt schaffen. Zum einen wird es immer alternative Kanäle und Plattformen geben, zu denen die Desinformation und ihr Publikum migrieren können – RT ist nicht mehr auf YouTube, dafür neu unter anderem auf der in rechtskonservativen und verschwörungstheoretischen Kreisen beliebten Video-Plattform «Rumble». Zum anderen ist Desinformation nicht immer als solche erkennbar. Desinformation ist in der Regel auf Täuschung ausgelegt und wird zum Beispiel über Social-Media-Konten gestreut, die wie unverdächtige Nutzer*innen aussehen.
Weil wir Desinformation nicht weglöschen können, muss ein Teil der Desinformations-Regulierung darauf fussen, dass das beste Mittel gegen schlechte Argumente gute Argumente sind. Das heisst, die öffentliche Debatte muss widerstandsfähiger gegen Desinformation werden. Zum Beispiel in Form journalistischer Faktenchecks, die Desinformation inhaltlich entlarven, oder in Form journalistischer «Prebunking»-Massnahmen, die für die Problematik von Falsch- und Desinformation präventiv sensibilisieren – und zwar dann, wenn wir noch nicht in einer akuten Krise stecken.
Im Kampf gegen Desinformation müssen wir darauf achten, nicht übermütig zu werden und demokratische Grundwerte wie die freie Rede nicht übermässig einzuschränken.
Ein zweiter Baustein ist die Regulierung von Social-Media-Plattformen. Deren Betreiber können zwar nicht immer erkennen, was Desinformation ist. Aber sie können technisch bestimmen, welche Art von Inhalten grundsätzlich sichtbarer und «viraler» sind. Die Art und Weise, wie die Plattformen gegenwärtig operieren, begünstigt tendenziell die Verbreitung von Desinformation. Über die Belohnungsmechanismen wie Likes und Shares werden Nutzer*innen auf möglichst polarisierende, empörende oder emotionale Inhalte und Verhalten konditioniert. Nicht zuletzt wegen ihrem oft emotionalen Ton verbreiten sich Falschinformationen auf den Plattformen schneller und weiter. Ausserdem neigen Menschen dazu, viralen, also sehr beliebten Inhalten, die sie immer wieder sehen, mehr Glauben zu schenken. Die Plattformbetreiber müssen in die Pflicht genommen werden, diesen Teufelskreis der Viralität des Falschen zu durchbrechen.
Der Umgang mit Desinformation ist eine grosse Herausforderung für demokratische Länder. Wir müssen Desinformation bekämpfen, weil Desinformation ein Angriff auf die Grundlagen der Demokratie bedeutet. Gleichzeitig müssen wir im Kampf gegen Desinformation darauf achten, nicht übermütig zu werden und demokratische Grundwerte wie die freie Rede nicht übermässig einzuschränken. Dieser Balanceakt ist schwierig, aber wir haben keine andere Wahl, als ihn zu meistern. Vereinzelte aufsehenerregende Interventionen wie die Sperrung von RT und «Sputnik» nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mögen als einfache und schnelle Lösungen erscheinen, aber sie sind letztlich bloss Symptombekämpfung, dank der wir uns schlimmstenfalls in falscher Sicherheit wähnen.
Bild: Adobe Stock
Saurer 18. März 2022, 12:23
Diese Sperrung war längst fällig!