Aus für SRF 3 Musik-Specials: Die letzten Bastionen sind gefallen
Nach fast vierzig Jahren streicht Radio SRF 3 seine abendlichen Musik-Specials aus dem Programm. Damit verschwindet ein wichtiges Stück Radio- und Musikgeschichte – mit einer Ausnahme.
Der 1. November 1983 markierte eine Zäsur in der Deutschschweizer Mediengeschichte. Neben zahlreichen Privatradios, die erstmals auf Sendung gingen, legte an diesem Dienstag auch «Radio DRS» mit seinem neuen Programm für ein junges Publikum los. Mussten sich bis dahin Pop und Rock, Jazz und Folk den Platz mit Volksmusik und Klassik auf den ersten beiden DRS-Kanälen teilen, so erhielten sie mit DRS 3 nun eine eigene Plattform.
Von zehn Uhr abends bis Mitternacht standen die nach Genres gegliederten Specials im Programm. In den ersten Jahren ab 1983 widmeten sich die Specials Black Music, Country, Rock und Folk. Am Freitag und Samstag war feiern angesagt mit den Sendungen «Let’s dance!» und «Let’s party!». Und zum Wochenausklang gab es am Sonntagabend ein «Jazz-Special».
Selbst die radikale Umgestaltung 2002, bei der DRS 3 viele Sendungen der Gründungszeit kippte, überlebten die Specials.
Mit dieser Programmstruktur war DRS 3 damals nicht allein. In einer ersten Bilanz zu den neuen Privatsendern schrieb die NZZ Ende November 1983: «Musikalische Akzente werden in den Programmen der Lokalradios abends unter anderem mit den als Specials angekündigten Sendungen gesetzt, die einer bestimmten Art von Musik gewidmet sind, etwa dem Rock ’n‘ Roll.» Von diesen musikalischen Akzenten ist bei den kommerziellen Lokalradios schon länger nichts mehr zu hören. Bei DRS 3 (seit Ende 2012 SRF 3) sollten sich die Specials dagegen fast 40 Jahre im Programm halten. Selbst die radikale Umgestaltung 2002, bei der DRS 3 viele Sendungen der Gründungszeit kippte, überlebten die allabendlichen Musikhintergrundsendungen.
Ununterbrochen seit 1983 blieben einzig das Rock Special und das Black Music Special im Programm. Andere verschwanden, neue kamen dazu, weitere wechselten den Namen oder den Sender. Als das Country Special 2009 zu DRS 1 wechselte, folgte an seiner Stelle das Reggae-Special. Das Jazz-Special hatte 2002 ausgedient. Aus dem Blues-Special 2013 wurde Pop Routes. Die früheren Sendungen Folk Special und Tropical Special firmierten ab 1995, respektive 2000, als World Music Special. Ein Dance Special gab es von 1991 bis 1995.
«Die abendlichen Musik-Specials von DRS/SRF 3 sind die letzten Bastionen des ehemals stolzen Senders.»
Stefan Künzli, Aargauer Zeitung, 2015
Was die Sendungen verband und auszeichnete, war die profunde Sachkenntnis ihrer Macher:innen. Fachleute, die um den Globus reisten, auf der Suche nach Ungehörtem, wie etwa Marianne Berna, um nur einen Namen zu nennen. Während dreissig Jahren prägte die Musikjournalistin bis 2015 den World Music Special. Sie brachte einem interessierten Publikum insbesondere Musik aus Afrika näher, deren Protagonist:innen sie persönlich kannte und Grössen wie Fela Kuti auf Tournée begleitete. Wie Berna lebten und brannten auch alle anderen Special-Redaktor:innen und -Moderator:innen für «ihre» Musik.
Solch sorgfältige Pflege und Präsentation ausgewählter Musikstile in eigenen Sendungen hat bei SRF ausgedient. Nach 38 Jahren und vier Monaten verschwinden die Specials. 2015 schrieb der Aargauer Autor und Musikjournalist Stefan Künzli: «Die abendlichen Musik-Specials von DRS/SRF 3 sind die letzten Bastionen des ehemals stolzen Senders.» Und nun sind die letzten Bastionen gefallen.
SRF 3 will «Genres sprengen», wie sich der verantwortliche Abteilungsleiter ausdrückt. Anstelle der bisherigen Specials gibt es neu ein um eine Stunde verlängertes Sounds!. Was auch heisst, dass der SRF3-Musikabend neu schon um elf Uhr endet und nicht wie bisher um Mitternacht. Sounds!, seit über vierzig Jahren die erste Anlaufstelle für Indie, Alternative und Underground, soll «musikalisch noch breiter und offener» werden. Die Genres aus den bisherigen Specials blieben «fixer und unverzichtbarer Bestandteil» der neuen Sendung. Mit zwei Podcasts will SRF 3 die Marke Sounds! erweitern. Nach offizieller Lesart handelt es sich also um einen Umbau und nicht um einen Abbau. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich mit Rahel Giger, Dominic Dillier und Lukie Wyniger gleich drei bisherige Specials-Macher:innen entschieden haben, beim neuen Musikabend nicht mitzuarbeiten. Ihr Know-how lässt sich nicht so leicht ersetzen.
Vom Abbau verschont geblieben ist das Country Special, das weiterhin jeden Sonntag auf Radio SRF 1 zu hören ist.
Kommt dazu, dass sich SRF 3 mit dem Entscheid, die Specials zu streichen, Konkurrenz geschaffen hat. Die sich im Aufbau befindliche Audioplattform sonum.fm bietet einer Reihe der früheren Radioleute eine neue Heimat. Derzeit sammeln sie Geld. Kommen die erforderlichen 60’000 Franken zusammen, sollen ab Herbst Sendungen erklingen im Stil der Specials und von Sounds! vor März 2022.
Vom Abbau verschont geblieben ist das Country-Special, den es weiterhin und wie bisher am Sonntagabend auf Radio SRF 1 zu hören gibt. Seine Rettung war der Senderwechsel vor 13 Jahren. Die Sendung erinnert nun daran, welch hohen Stellenwert das Schweizer Radio einst der musikalischen Genrepflege beigemessen hatte.
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Darum hörte ich Reggae Special: Bekenntnisse eines treuen Hörers
In meinen Playlists muss man mit der Lupe nach Reggae suchen. Denn eigentlich mag ich die Klänge aus der Karibik nicht besonders, und noch weniger das ganze Drum und Dran. Aber wenn sich irgendwo in meiner Musiksammlung doch ein Stück Reggae findet, dann wegen ihm; wegen Lukie Wyniger, «Lukie mit ie und Wyniger mit y», wie er sich, nicht frei von Eitelkeit, am Sender vorzustellen pflegte.
Zehn Jahre lang moderierte der Basler DJ und Radiojournalist die Sendung Reggae Special auf «Radio SRF 3». Im Zentrum standen stets Lukie und seine Lieblingsmusik. In dieser Reihenfolge. «Ich auf Jamaika», «ich mit Künstler X», «ich im Studio Y». Was andere genervt und ihnen Anlass zum Ausschalten geboten hätte, hielt mich gerade dabei.
Über die Jahre entwickelte ich eine Art Hassliebe und Dienstag 20 Uhr wurde zu einem der wenigen Pflichttermine in meinem sonst eher zufällig strukturierten Radiokonsum. Während ich andere Sendungen regelmässig als Podcast höre, gab es beim Reggae Special kein Pardon. Es musste live sein und auch nicht über Kopfhörer, sondern laut.
Natürlich hörte ich auch die anderen Specials von SRF 3, insbesondere die Rock-Ausgabe am Mittwoch, der ich von meinen musikalischen Vorlieben her eigentlich viel mehr zugetan gewesen wäre. Gemessen an der geschätzten Hördauer verbrachte ich dennoch deutlich mehr Zeit mit Reggae als mit Rock. Wieso eigentlich? Die Frage musste ich mir bisher nie stellen, weil es immer weiterging, Dienstag für Dienstag.
Wahrscheinlich bin ich deshalb so lange und bis am Schluss dabei geblieben, weil ich kein Reggae-Fan bin. Als Kenner und Spezialist hätte ich mich vermutlich genervt ob der Vorlieben des Moderators. Als Laie konnte mir das egal sein. Klar merkte ich mit der Zeit, dass immer wieder die gleichen Namen auftauchten. Das empfand ich aber nicht als einengendes Korsett, sondern ich vertraute dem Fachwissen des Moderators, dass es sich dabei wirklich um das Beste vom Besten handelt. Schliesslich weiss Wyniger auch, wer das Zeug zum nächsten Bob Marley hat.
Was mich über die Jahre auch als Hörer dabei hielt, war sein mitunter polarisierender Moderationsstil. Wyniger hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Er sagte auch, was ihm nicht gefällt. In der Kontroverse um sexistische und homophobe Texte von Dancehall-Künstlern schlug er sich wortreich auf die Seite von Kunstfreiheit und lokaler Tradition. Das konnte nerven, wenn man anderer Meinung war. Nur: Lieber ein Moderator, der seinen Standpunkt offensiv vertritt als einer, der rumdruckst und gar keine Stellung nimmt. Wyniger wollte es gar nicht allen recht machen. Gerade deshalb habe ich immer wieder eingeschaltet am Dienstag um acht. Am 15. März zum letzten Mal.
Nick Lüthi