Medienkritik: Da fehlt doch was?!
Journalismus sollte nicht nur rapportieren, sondern auch Zusammenhänge aufzeigen. Doch immer wieder fehlt die Einordnung. Drei aktuelle Beispiele und warum diese trotzdem nicht als Beleg für einen Trend taugen.
Wer regelmässig Zeitung liest, kennt diesen Moment der Irritation. Man erwartet eine wichtige Kontextinformation, eine Einordnung, die ein vollständigeres Bild ergäbe, aber sie fehlt. Der – vermutete – Mangel lässt einen gedanklich abschweifen, man gerät ins Grübeln oder lässt gar die Lektüre liegen, um in anderen Quellen nach den fehlenden Fakten zu suchen. Und wer sie findet, geht nicht mehr zum ersten Beitrag zurück.
Natürlich beeinflussen auch die eigenen Erwartungen und das Vorwissen die Toleranz gegenüber solchen Mängeln. Ausserdem handelt es sich bei fehlender Kontextinformation nicht um Fehler im engeren Sinn, wie etwa Verschreiber, die man für unverzeihlich hält. Dennoch färbt sie auf die Wahrnehmung der journalistischen Leistung ab, zumal eine Einordnung in der Regel mit bescheidenem Aufwand möglich wäre. So auch in den folgenden drei aktuellen Fällen.
• Anfang März präsentierte ein Komitee aus dem Umfeld der SVP eine Initiative, die zum Ziel hat, die Finanzierung der SRG zu beschneiden. «200 Franken sind genug», lautet der Titel des Volksbegehrens. Dass elf Jahre zuvor mit dem genau gleichen Titel, ebenfalls unter der Federführung von SVP-Politiker:innen, mehr als 140’000 Unterschriften für eine Petition zusammengekommen waren, ist in der aktuellen Berichterstattung nirgends zu lesen. Auch wenn sich medienpolitisch in der Zwischenzeit einiges getan hat, wäre diese Information ein Hinweis darauf, dass die neuerliche Forderung nach einer Gebührenreduktion bei der Unterschriftensammlung leichtes Spiel haben dürfte.
• Als die «Sonntagszeitung» kürzlich als Erste darüber berichtet hat, dass die Migros fortan ein Milchserumgetränk namens «Prego» anbietet, suchte man vergeblich einen Hinweis auf das Schicksal der früheren «Rivella»-Klone im Sortiment des Grossverteilers. Dabei hätte es durchaus interessiert, welche Schlüsse die Migros aus dem früheren Verkauf von «Surelli» und «Mivella» für den neuerlichen Versuch mit «Prego» gezogen hat. Immerhin hat «20 Minuten» noch gleichentags in einem Nachzieher die Sache mit «Mivella» geklärt. Und in den Kommentaren erinnerten sich wohl ältere Lesende an die «Rivella»-Kopie «Surelli». Aber eigentlich würde man den Kontext gerne an Ort und Stelle lesen und sich nicht nachträglich im Netz zusammenklauben müssen.
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• Ein Blick ins eigene Archiv hätte genügt, um festzustellen, dass die Leseförderungsaktion «Bern liest ein Buch» eine etwas unrühmliche Vorgeschichte hat. Was die Redaktion von «Bund» und «Berner Zeitung» schrieb, ist zwar korrekt: Es handelt sich um die lokale Premiere eines bereits in anderen Städten erprobten Literaturvermittlungsformats. Nur: Diese hätte eigentlich schon 2004 stattfinden sollen, scheiterte aber damals am manipulierten Online-Voting für die Wahl des zur Lektüre empfohlen Buchs. Diesen Aspekt nahm auch das neue lokale Online-Medium «Hauptstadt» nicht auf, das sich mit der historischen Vertiefung hätte profilieren können gegenüber der Tamedia-Konkurrenz. Ein Geheimnis ist die Pleite des ersten Anlaufs nicht. In der Schweizerischen Mediendatenbank SMD gibt es 31 Treffer zum Thema, einer der frühen heisst: «Bern liest kein Buch».
Mehr als anekdotische Evidenz liefern diese zufällig zusammengetragenen Beobachtungen nicht. Zwar misst die Medienforschung die Einordnungsleistung des Journalismus und stellte in den vergangenen Jahren eine abnehmende Tendenz fest. Sie schaut sich hierfür aber nur einordnende Hintergrundberichte an. Wie es mit der Einordnungsleistung in Newsberichten aussieht, liegt dagegen unter der Messschwelle.
Dennoch dürfte die Diagnose der Herausgeber des Jahrbuchs «Qualität der Medien» auch auf diesen unerforschten Bereich zutreffen, wenn sie schreiben: «Unter dem finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcenmangel im Informationsjournalismus leidet die Einordnungsleistung am stärksten.»