von Benjamin von Wyl

The Good, The Bad & The Ugly LXXXII

Polaris, Pressefreiheit, Physische Gewalt

The Good – Eine Plattform für vertrauenswürdige Nachrichten

Im Appell «Ein GA für News» forderte «Magazin»-Reporter Hannes Grassegger (Bild) vor drei Jahren: «Ein öffentlich-rechtliches soziales Netzwerk. Ein Netzwerk, das seriöse Nachrichten liefert.» Diese Woche präsentierte er mit drei Mitstreiter:innen «Polaris». Die Menschen in der Schweiz sollen dereinst auf «Polaris» unterwegs sein, um den diskursiven Vielklang zu erleben, wie auf Social Media. Anders als auf Social Media, wo sich Otterbilder mit Fake News, provokativen Sprüchen und seriösen Informationen abwechseln, werden im gemeinnützigen «Portal für vertrauenswürdige Nachrichten» eben nur solche erscheinen. Bis es soweit ist, dauert es noch: Das vierköpfige Team will im Herbst «ein ausgereiftes Konzept» vorstellen.

Vieles ist noch offen: Kann «Polaris» Nutzer:innen einerseits, Medienunternehmen andererseits, überzeugen? Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Medien als «vertrauenswürdig» gelten? Die Kehrseite jedes Gütesiegels ist, dass es all jene abwertet, die ausgeschlossen sind. Die «TX Group» hätte wohl ein Interesse daran, nicht nur ihre Tamedia-Zeitungen, sondern auch «20 Minuten» auf «Polaris» zu platzieren. Wenn «20 Minuten» dabei ist, dann auch die «Today»-Portale von CH Media, und wenn die dabei sind, dann auch … Wo wird «Polaris» die Grenze ziehen? Die Frage stellt sich auch für politisch umstrittene Medien. Und sowieso: Wie baut man überhaupt so eine Plattform? «Technisch wäre das kein Problem», schrieb Grassegger bereits 2019, seiner Sache gewiss.

The Bad – Pressefreiheit im gelben Bereich

Bis zum 3. Mai, dem «Tag der Pressefreiheit», war die Schweiz ein grüner Fleck im gelben Herzen Mitteleuropas. In der neuen Rangliste der Pressefreiheit beurteilt «Reporter ohne Grenzen» RSF die Lage in der Schweiz nur noch als «eher gut». Das Land wird gelb, fällt vom 10. auf den 14. Rang. «Reporter ohne Grenzen» führt das «hauptsächlich» auf eine veränderte Messmethodik zurück, die der Medienvielfalt eine hohe Bedeutung zumisst. Bemerkenswert: Das reiche Banken-Land Schweiz fällt vor allem deshalb zurück, weil die Vielfalt der unabhängigen Medien stärker gewichtet wird – und nicht in erster Linie darum, weil diejenigen, die Bankdaten enthüllen, dafür im Gefängnis landen können.

Diese Woche gab UNO-Sonderberichterstatterin Irene Khan den Tamedia-Zeitungen ein Interview zu ihrer Besorgnis über die Pressefreiheit in der Schweiz. «Das Schweizer Bankengesetz ist ein Beispiel für die Kriminalisierung von Journalismus. Das ist normalerweise ein Problem in autoritären Staaten», so Khan. Das Gesetz führe zu Selbstzensur von Journalist:innen. Sie habe deswegen bereits an die Schweizer Regierung geschrieben und hoffe, dass das Parlament das Gesetz «endlich ändert». In ihrem Pressefreiheitsbericht, den sie dem UNO-Menschenrechtsrat Ende Juni vorlegt, plant sie dies kritisch zu thematisieren.

Bereits nächsten Dienstag, genau eine Woche nach dem Tag der Pressefreiheit, zeigt sich, ob das Parlament die Pressefreiheit zusätzlich einschränkt: Der Nationalrat entscheidet, ob er die Hürden für vorsorgliche Massnahmen gegen kritische Berichterstattung senkt. Die Gewerkschaft Syndicom spricht von «Maulkörben für Medienschaffende».

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The Ugly – Bei der Arbeit ins Gesicht geschlagen

Neben Gesetzen und Rechtsabteilungen schränken auch Fäuste die Pressefreiheit ein. Reporter ohne Grenzen RSF stellte 2021 für die Schweiz einen «plötzlichen Anstieg» verbaler und physischer Gewalt gegen Journalist:innen fest. Da diese «Einschüchterungen und Gewalttätigkeiten» im Umfeld der Demos von Massnahmengegner:innen geschahen, hofft RSF, dass sie «mit dem Ende der Pandemie verschwinden». Dass auch andere Demonstrierende auf Journalist:innen losgehen, zeigte sich am Sonntag in Basel. An der 1.-Mai-Demo wurde ein Fotograf der «Basler Zeitung» beim Ausführen seiner Arbeit von Vermummten ins Gesicht geschlagen, ins Schienbein getreten. Es wurde versucht, ihm die Fotoausrüstung zu entreissen.

Der MEDIENWOCHE sagt der langjährige Pressefotograf, dass er in Basel noch nie eine solch «schnelle Eskalation» erlebt habe. Von Demonstrationen und Fanmärschen sei er sich mehr oder weniger drohende Forderungen zum Abstand halten gewöhnt. «In dem Fall gab es das gar nicht. Sofort wurde Gewalt angewendet.» Auch einige Tage nach den Ereignissen hört man dem Fotografen an, dass die Attacke in ihm nachwirkt. Doch er macht klar: «Es ist keine Staatsaffäre, ich will kein Öl ins Feuer giessen – aber es ist wichtig, dass Medienschaffende ihrer Arbeit nachgehen können, ohne verprügelt zu werden.»

Der Journalist:innenverband impressum fordert nun «Schutzmassnahmen». So soll die Polizei «Übergriffe auf JournalistInnen sofort» stoppen. Demo-Organisator:innen sollen sich «von Gruppierungen distanzieren, die mit ihrem Verhalten letztendlich die Pressefreiheit in der Schweiz gefährden».