von Peter Stäuber

Talk mit Trump: Der Knalleffekt verpuffte schnell

Rupert Murdoch will es noch einmal wissen. Der inzwischen 91 Jahre alte Medienmogul setzt in Grossbritannien auf billig produziertes Fernsehen. «Talk TV» soll seinen weiterhin starken Boulevard-Zeitungen einen möglichen Weg in die Zukunft weisen. Zum Start sorgte Donald Trump für gute Quoten.

Piers Morgan, kontroverser Talkmaster und Veteran des britischen Boulevards, weiss, wie man einen Medienwirbel erzeugt. Vor dem Start seiner neuen Talkshow, «Piers Morgan Uncensored», kursierte in den sozialen Medien ein kurzer, höchst dramatischer Zusammenschnitt aus der ersten Sendung, unterlegt mit mitreissender Orchestermusik. Ein schwitzender, offensichtlich genervter Donald Trump ist zu sehen, er reagiert ungehalten auf kritische Fragen, zum Schluss steht er auf und sagt: «Stell die Kamera ab!» Vor der Erstausstrahlung des Interviews mit dem früheren US-Präsidenten servierte Morgan seinen fast acht Millionen Twitter-Followern weitere saftige Ausschnitte aus dem Gespräch – und die britische Presse stürzte sich darauf, überall las man vom bevorstehenden «explosivsten Interview des Jahres», wie Morgan es unbescheiden nannte.

Als Piers Morgan am 25. April 2022 mit seinem neuen Talk erstmals auf Sendung ging, war ihm denn auch ein beeindruckendes Publikum garantiert: Zu Spitzenzeiten schauten sich rund 400’000 Britinnen und Briten die einstündige Sendung an – «mehr als BBC News, Sky News und GB News … ZUSAMMEN!!!», twitterte Morgan am nächsten Tag und klang dabei selbst ein bisschen wie Trump. Über die beeindruckenden Zuschauerzahlen dürfte sich nicht nur Morgan gefreut haben, sondern auch der Mann, der die neue Sendung möglich gemacht hat: Rupert Murdoch.

Murdochs eigene Vorlieben mögen bei der Gründung von «Talk TV» eine Rolle gespielt haben, aber ausschlaggebend war wohl vielmehr, wie er die Zukunft seines Medienimperiums sichern kann.

Der fulminante Auftakt von «Piers Morgan Uncensored» war gleichzeitig der Startschuss für den Fernsehsender «Talk TV», das neuste Projekt des australischen Medienmoguls. Es ist ein Versuch, den britischen Fernsehmarkt aufzumischen – laut Insidern habe Murdoch während der Covid-Lockdowns viel Zeit vor dem Fernseher verbracht, sei aber vom Angebot eher unbeeindruckt gewesen. Für den Medienzar war die Lösung offensichtlich: Er lanciert einfach selbst einen Sender – bevorzugt einen, der seiner rechtskonservativen politischen Haltung Rechnung trägt.

Seine eigenen Vorlieben mögen eine Rolle gespielt haben, aber ausschlaggebend war wohl vielmehr, wie Murdoch die Zukunft seines Medienimperiums sichern kann; mit seinen inzwischen 91 Jahren eine naheliegende Frage. Nach dem Verkauf des Fernsehsenders «Sky News» im Jahr 2018 verlässt sich das Geschäft der britischen Murdoch-Tochtergesellschaft News UK (das Mutterunternehmen heisst News Corp und ist in New York angesiedelt) wieder verstärkt auf Zeitungen wie die «Sun», die «Times» und deren Sonntagsausgaben. Aber wie Print allgemein befinden sich auch die Murdoch-Blätter seit langer Zeit in der Krise: Im Jahr 2000, als der britische Boulevard noch auf der Höhe seiner Macht war, verkaufte die «Sun» täglich 3.5 Millionen Exemplare; zwanzig Jahre später waren es noch gut 1.25 Millionen.

Im Juni 2021 meldete News UK, dass der Wert der «Sun» auf Null Pfund herabgesetzt worden war. Grund war in erster Linie eine dicke Busse, die News UK hatte zahlen müssen, und zwar für einen historischen Fall von unerlaubter Informationsbeschaffung über einen Politiker. Es war ein Nachbeben des Abhörskandals, der den Murdoch-Konzern vor über zehn Jahren arg in Bedrängnis gebracht hatte. Zur Erinnerung: Reporter von Murdoch-Zeitungen hatten routinemässig private Telefongespräche abgehört, um an Informationen zu kommen. Der Skandal hatte Folgen: Das Klatschblatt «News of the World» wurde 2011 eingestellt, und mehrere Reporter, Privatdetektive und Polizisten gingen ins Gefängnis. Aber an der Kultur und dem Einfluss des britischen Boulevards änderte sich wenig, noch immer vermögen die Zeitungen die nationale Konversation zu prägen.

Trotz der weiterhin starken Stellung im Print hat Murdoch immer wieder mal was Neues ausprobiert, um auch in Zukunft relevant zu bleiben.

Freilich ist Murdochs Einfluss in Grossbritannien nicht so gross wie in seinem Heimatland Australien. Dort gehören ihm 70 Prozent der Printmedien, darüber hinaus kontrolliert er einen grossen Fernsehsender. Während des Wahlkampfs 2019 nahmen diese Medien die oppositionelle Labor-Partei derart aggressiv in die Mangel, dass der konservative Premierminister Scott Morrison am Ende entgegen allen Erwartungen doch noch gewann. In wenigen Wochen wird in Australien erneut gewählt – und wieder schiessen die Murdoch-Medien scharf gegen Labor. Letztes Jahr lancierten Politikerinnen und Politiker der Labor- und der Grünen Partei eine Petition, die eine unabhängige Untersuchung zu Medienvielfalt, Besitzverhältnissen und Regulierung in Australien fordert. Die Petition wurde über 500’000 Mal unterschrieben.

In Grossbritannien sind die Murdoch-Zeitungen zwar weniger dominant, erreichen aber doch einen Anteil von 32 Prozent an der gesamten Auflage der britischen Printmedien. Weil die britischen Radio- und Fernsehnachrichten sich zu einem erheblichen Teil an den Zeitungen orientieren, können die Murdoch-Titel auf diese Weise die Berichterstattung ein Stück weit steuern. Trotz der weiterhin starken Stellung im Print hat News UK in den vergangenen Jahren immer wieder mal was Neues ausprobiert, um auch in Zukunft relevant zu bleiben.

So kaufte Murdochs «News Corp» 2016 beispielsweise die Wireless Group, die in Grossbritannien mehrere Radiostationen besitzt, darunter «Virgin Radio», «Talk Radio» und «Talk Sport». Vier Jahre später startete er mit «Times Radio» seinen eigenen Sender, eine Art Spin-off der «Times». Der Schritt zum Fernsehen ist jedoch eine grössere Herausforderung – Rebekah Brooks, Chefin von News UK, war laut Presseberichten zunächst skeptisch wegen der erheblichen Kosten eines neuen Senders. Das Projekt wurde denn auch etwas zurechtgestutzt: «Talk TV» ist kein klassischer Fernsehsender, sondern zeigt nur zu Spitzenzeiten originäre Programme; nebst «Piers Morgan Uncensored» gibt es zum Beispiel eine Nachrichten- und eine Debattensendung. Ansonsten ist lediglich ein gefilmter Mitschnitt des Radioprogramms «Talk Radio» zu sehen, also ein oder zwei eher uninteressante Talking Heads.

«Talk TV» verlässt sich zu einem erheblichen Teil auf Journalistinnen und Moderatoren, die bereits früher für Murdoch-Titel gearbeitet hatten.

Der neue Fernsehsender ist für Murdoch auch deswegen interessant, weil er ihm erlaubt, Inhalten und Journalisten aus unterschiedlichen Sparten seines Medienimperiums in einer Art gegenseitiger Befruchtung mehr Publizität zu verleihen. «Talk TV» habe die Möglichkeit, «News-UK-Talente aus den verschiedenen Titeln einzusetzen», sagte der Rundfunkchef von «News UK», Scott Taunton. Bereits jetzt verlässt sich «Talk TV» zu einem erheblichen Teil auf Journalistinnen und Moderatoren, die bereits früher für Murdoch-Titel gearbeitet hatten. Tom Newton Dunn beispielsweise, der im neuen Sender eine Talkshow leitet, war früher der Politikchef der «Sun». Umgekehrt hat Piers Morgan Anfang dieses Jahres als Teil seines Deals mit dem Murdoch-Konzern eine zweiwöchentliche Kolumne in der «Sun» gestartet.

Der Chef der Medienanalysefirma «Enders Analysis», Douglas McCabe, sagte gegenüber der «Financial Times», dass «Talk TV» insbesondere Möglichkeiten für Murdochs wichtigstes Klatschblatt eröffne: «Man ist wohl zur Einsicht gekommen, dass die Zukunft der ‹Sun› in hohem Mass visuell ist.» Mit dem Fernsehsender könne Murdoch testen, ob sich der Boulevard künftig eher auf Video als auf Text verlassen müsse.

Inhaltlich orientiert sich «Talk TV» tatsächlich stark an der kulturkämpferischen Stossrichtung der «Sun». Seit der Kanal auf Sendung gegangen ist, hat Piers Morgan die ganze Bandbreite an Themen beackert, die auf der rechten Seite regelmässig für Entrüstung sorgen: Er hat sich über genderneutrale Toiletten aufgeregt; über die «woke» britische Luftwaffe, die für einen Medienevent nicht-weisse Frauen gesucht hat («männerhassender Blödsinn»); über Cancel-Culture; und über Prinz Harry und Meghan, die nach ihrem Bruch mit dem Königshaus zu seinen Intimfeinden zählen.

Ob man mit den Tiraden Morgans und seiner Mitstreiter ein grösseres Publikum erreicht, ist fraglich.

Dahinter stecke auch Geschäftssinn, schreibt die Medienwissenschaftlerin Emily Bell im «Guardian»: Emotionen und Empörung zu generieren, ist höchst profitabel. Das sei wohl auch der Grund, weshalb Murdoch darauf verzichtet hat, einen richtigen Nachrichtensender aufzubauen – dieser müsste sich nicht nur an die Vorschriften bezüglich der inhaltlichen Balance halten, sondern wäre auch viel kostspieliger: «Die harte, teure Arbeit der Berichterstattung hat schon immer den Kürzeren gezogen gegenüber dem billigeren Geschäft, die Nachrichten zu kommentieren», schreibt Bell.

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Ob man mit den Tiraden Morgans und seiner Mitstreiter ein grösseres Publikum erreicht, ist jedoch fraglich. Die Erfahrung von «GB News», einem ähnlich gelagerten TV-Projekt, ist instruktiv. Auch dieser Sender ist ein Versuch, Fernsehprogramme für ein rechtsgerichtetes Publikum zu machen; «GB News» startete im Juni 2021 mit grossem Tamtam, nur um bald danach zur Lachnummer zu werden. Es gab unzählige technische Pannen, der Star-Moderator Andrew Neil schmiss nach wenigen Wochen das Handtuch, ein anderer Moderator wurde gefeuert, weil er während der Sendung aus Solidarität mit «Black Lives Matter» hingekniet war. Und die Zuschauerzahlen blieben denkbar bescheiden. Da half es auch nichts, dass Nigel Farage, ehemaliger Ukip-Chef und Koryphäe des Rechtspopulismus, seine eigene Show bekam.

Die jüngste Sendung von Piers Morgan haben nur noch 58’000 Leute geschaut – das sind weniger als je zuvor.

«Die Hoffnung, dass es ein desillusioniertes Fernsehpublikum gibt, das vom bestehenden Nachrichtenangebot nicht bedient wird, scheint sich nicht erfüllt zu haben», schrieb Tom Standen-Jewell von «Enders Analysis» vor einigen Wochen. Wenn Murdoch auf eine riesige Zahl von Zuschauerinnen und Zuschauern hoffe, die sich nach parteiischeren TV-Nachrichten sehnen, werde er womöglich enttäuscht werden.

Bereits zeichnet sich ab, dass Standen-Jewell damit Recht haben könnte. Nach dem unbestrittenen Erfolg der ersten Ausgabe von «Piers Morgan Uncensored» mit Donald Trump als Gast stürzten die Publikumszahlen rasant in den Keller. Die jüngste Sendung am vergangenen Montag haben nur noch 58’000 Leute geschaut – das sind weniger als je zuvor, und weniger als Nigel Farage auf «GB News» anlockte.

Als Antiklimax stellte sich übrigens auch das gross angekündigte Trump-Interview heraus. Das Endprodukt vermochte das Versprechen des aufwühlenden Trailers kaum zu halten und war weit zahmer als man erwartet hatte. Der suggerierte Eklat am Ende des Gesprächs fand auch nicht statt, es ging viel gesitteter zu und her: Trump bittet den Moderator, das Gespräch endlich zu beenden, dieser schüttelt ihm die Hand und sagt: «Das war ein tolles Interview», worauf Trump antwortet: «Ja, es war okay».