von Nick Lüthi

Musikabend auf SRF 3: Schwer geniessbarer Mix aus Konserve und Frischware

Die legendäre SRF-Sendung «Sounds!» erklingt seit zwei Monaten nach einem neuen, «ganzheitlichen» Konzept. Soll es hören, wem es gefällt. Früher war nicht alles besser, aber anders.

Eigentlich dürfte ich diese Zeilen gar nicht schreiben. Denn ich war Fan und bin also hochgradig befangen. Dreissig und mehr Jahre lang hörte ich regelmässig das Abendprogramm von Radio SRF 3, zuletzt fast täglich – Pandemie sei Dank. Zuerst zwei Stunden «Music Special», vor allem die Reggae- und Rock-Sendungen, danach bis Mitternacht zwei Stunden Indie-Musik bei «Sounds!». Es waren die einzigen vier Stunden am Tag, diese «letzten Bastionen des ehemals stolzen Senders», die ich noch regelmässig auf SRF 3 hörte.

Seit dem 21. März heisst der Musikabend zwar immer noch (und wie seit über 40 Jahren) «Sounds!». Er hat aber mit dem gleichnamigen Vorläufer nicht mehr viel zu tun. Beim neuen Format handelt es sich um eine Fusion des alten «Sounds!» mit den vormaligen genrespezifischen «Special»-Sendungen. Damit wolle man eine «ganzheitliche» Musiksendung bieten, welche «die verschiedenen Musikrichtungen miteinander verbindet». Und das neue Abendprogramm dauert nur noch drei statt wie bisher vier Stunden. Um 23 Uhr ist schon Schluss.

Der neue Musikabend auf SRF 3 ist nach eigenen Angaben «ohne Scheuklappen» unterwegs und will «breite Zugänge» schaffen.

Als Stammhörer der langjährigen Kombination von Specials und «Sounds!» habe ich mich mit der neuen Struktur auch nach zwei Monaten noch nicht angefreundet. Lange eingeübte Rituale prägen sich tief ein. Und die Radionutzung erfolgt nun mal stark ritualisiert. Wenn ich jetzt abends nach acht SRF 3 einschalte, dann tue ich das primär aus professionellem Interesse und nicht mehr als Fan. Auch darum schreibe ich nun trotz meiner langen und leidenschaftlichen Hörhistorie darüber: Ich versuche zu verstehen, worin der Mehrwert des neuen Konzepts gegenüber der früheren Programmstruktur liegen könnte.

Tatsächlich sprengt das neue «Sounds!» Genregrenzen. In ein und derselben Sendung geht es um eine neue Hip-Hop-Platte und bald darauf dreht sich alles um Ambient. Solche Sprünge können inspirierend wirken, einen zu Kopfreisen animieren oder überraschende Zusammenhänge aufzeigen, aber ich nehme sie vielmehr als Abspulen des Vielfaltsgebots gemäss Sendungskonzept wahr. Von allem ein Bisschen hat auch etwas Beliebiges. Vertiefung wäre mir lieber. Aber davon steht nichts im neuen Konzept; das war früher. Jetzt ist man «ohne Scheuklappen» unterwegs und will «breite Zugänge» schaffen.

Es gibt weiterhin Strecken in der Sendung, die genauso locker und souverän daherkommen wie im «Sounds!» vor dem 21. März.

Gegen einen eklektizistischen Ansatz wäre grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn die Moderation aus einem Guss und elegant durchs Programm führen würde. Bei überraschenden Stilsprüngen will ich erfahren, was das eine mit dem anderen verbindet und was sich die Redaktion dabei überlegt hat. Stattdessen gleicht die Rolle der Moderation der eines Content-Jockeys: hier ein Expertenstatement einspielen, da einen Podcast abrufen. Die vorproduzierten Elemente wirken als Fremdkörper in der Sendung, umso mehr, wenn sie, wie bei manchen Podcasts, gut hörbar einem Skript folgen. So degeneriert Radio – das Live-Medium per se – zu einem schwer geniessbaren Hybrid aus Konserve und Frischware.

Unterstützen Sie unabhängigen und kritischen Medienjournalismus. Werden Sie jetzt Gönner/in.

Journalismus braucht Herzblut, Zeit – und Geld. Mit einem Gönner-Abo helfen Sie, unseren unabhängigen Medienjournalismus nachhaltig zu finanzieren. Ihr Beitrag fliesst ausschliesslich in die redaktionelle und journalistische Arbeit der MEDIENWOCHE.

[rml_read_more]

Natürlich gibt es weiterhin Strecken in der Sendung, manchmal auch eine ganze Stunde, die genauso locker und souverän daherkommen wie im «Sounds!» vor dem 21. März. Das liegt vor allem an Luca Bruno und Andi Rohrer, die mit ihren Stimmen und ihren Vorlieben für Kontinuität sorgen, wo sonst alle Zeichen auf Neuanfang stehen. Lea Inderbitzin, die auf den Wechsel hin dazugestossen ist, bringt mit ihrer unverblümten und direkten Art einen frischen Moderationsstil in die Sendung. Ihre Herkunft vom Jugendradio «3fach» aus Luzern lässt sich dabei nicht überhören. Ob Authentizität am Mikrofon aber auch heisst, jeden Kraftausdruck, der einem gerade über die Lippen geht, ungefiltert in den Äther zu artikulieren, ist vermutlich eine Geschmacksfrage.

Irgendwann wird mein berufliches Interesse am neuen «Sounds!» nachlassen, und ob ich dann als Privatperson die Sendung weiterhin höre, wage ich zu bezweifeln. Früher war nicht alles besser, aber anders. Wenn ich Bier mag und mir jemand ein Red Bull hinstellt, dann verzichte ich dankend darauf, verdamme aber das Dosengetränk nicht. Soll es trinken, wem es schmeckt.

Leserbeiträge

Reto Süessli 25. Mai 2022, 08:29

„Eigentlich dürfte ich diese Zeilen gar nicht schreiben.“ – Dann lass es bitte sein.