Sowjetische Zustände: die Folgen der Kriegszensur in Russland
Der am 24. Februar 2022 gegen die Ukraine losgetretene Krieg hat auch die Spielregeln für den Journalismus in Russland drastisch verändert: Es herrscht faktisch Kriegszensur. Was das für einheimische Medien und ausländische Korrespondent:innen heisst.
Es ist ein Rückfall in alte Sowjetzeiten. Wer heute kritisch über Auslandsaktivitäten des russischen Staates berichtet, kann mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. 1989 war kritischer Journalismus in Michail Gorbatschows Sowjetunion entkriminalisiert worden. Im Zug des Kriegs gegen die Ukraine werden die Uhren zurückgedreht. Obwohl es dazu noch keine Präzedenzfälle gibt, gilt die neue Strafbestimmung auch für Korrespondent:innen, die aus Russland berichten.
Die Staatsduma hat den neuen Artikel 207.3 des russischen Strafgesetzbuchs im Schnellzugtempo eingeführt. Debatte und Abstimmungen dauerten insgesamt weniger als zehn Minuten. Zunächst stellte das Parlament am 4. März die Verbreitung bewusster Falschinformation über den Einsatz der russischen Streitkräfte im Ausland unter Strafe. «Wir sind Zeugen eines grossangelegten Informationskriegs gegen unser Land, gegen unseren Präsidenten und unsere Bürger», begründete die Dumaabgeordnete Irina Pankina von der Putin-Partei «Einiges Russland» die Verschärfung.
Alle unabhängigen Publikationen zum Krieg gelten potenziell als «bewusste Verbreitung von Falschinformationen».
Am 22. März beklagte Pankina dann, die Gegner Russlands hätten mittlerweile hunderte Millionen Dollar für die Verbreitung von Fake News ausgegeben, zehntausende IT-Spezialisten damit beschäftigt, Falschmeldungen im Internet zu verbreiten. Es folgte eine weitere Verschärfung des Strafrechts: Auch die Verbreitung von bewussten Falschinformationen über Auslandsaktivitäten des Staates – etwa über die Tätigkeit der russischen Botschaften – gilt seither als Verbrechen, das mit 10 Jahren Haft geahndet werden kann, bei «schweren Konsequenzen» sogar mit 15 Jahren.
Das bedeutet de facto die Einführung einer Kriegszensur. Denn selbst wenn es sich um wirklichkeitsgetreue Beschreibungen handelt, gelten alle Publikationen zum Krieg, die nicht auf offiziellen Verlautbarungen des russischen Verteidigungsministeriums beruhen, potenziell als «bewusste Verbreitung von Falschinformationen» und können mit langjährigen Haftstrafen sanktioniert werden.
Man beobachte derzeit 93 Strafverfahren auf Grundlage von 207.3, die teilweise auch gegen unbekannte Täter:innen geführt werden, erklärte Stanislaw Selesnjow der russischen Menschenrechtsorganisation Agora auf Anfrage der MEDIENWOCHE. Der Moskauer Lokalpolitiker Aleksej Gorinow war bereits zuvor für eine Erklärung zu getöteten Kindern in der Ukraine zu sieben Jahre Strafkolonie verurteilt worden, mit Wladimir Kara-Mursa und Ilja Jaschin sitzen zwei führende Oppositionspolitiker des Landes aufgrund dieser Strafbestimmung in Untersuchungshaft. Bei einer Zählung Anfang August waren Journalist:innen und Blogger:innen mit 18 Fällen jedoch die grösste betroffene Gruppe. Ermittelt wurde etwa gegen den Radiomoderator Majkl Naki oder gegen den auf Geheimdienstfragen spezialisierten Publizisten Andrej Soldatow, sowie gegen den durch Open-Source-Recherchen bekannten Blogger Ruslan Lewijew. Da sie alle rechtzeitig ins Ausland geflohen waren, konnten sie ihrer Verhaftung entgehen.
Russische Medienschaffende, sich im Februar in der Ukraine befanden, kehrte in vielen Fällen nicht mehr nach Russland zurück.
Alle bekannten Ermittlungsverfahren beziehen sich bisher auf die Armee und die Nationalgarde, so erklärte Selesnjow der Menschenrechtsorganisation Agora. Die Verbreitung von «Falschinformationen» über andere staatliche Institutionen im Ausland werde seines Wissens einstweilen nicht strafrechtlich verfolgt.
Artikel 207.3 des russischen Strafgesetzbuchs war aber auch einer der Gründe für den beispiellosen Exodus hunderter russischer Journalist:innen. Russische Medienschaffende, sich im Februar in der Ukraine befanden, kehrte in vielen Fällen nicht mehr nach Russland zurück. In der Branche kursiert seither das unbestätigte Gerücht, dass Russlands Inlandsgeheimdienst FSB alle Journalist:innen mit russischer Staatsbürgerschaft, die nach dem 24. Februar 2022 aus von der Regierung in Kiew kontrollierten Teilen der Ukraine berichtet haben, gar wegen Landesverrats (Art. 275) anklagen wolle – Strafrahmen bis zu 20 Jahre Gefängnis.
Seit Ende Februar haben auch zahlreiche Korrespondent:innen westlicher Medien Moskau verlassen. In wie vielen Fällen private Gründe den Ausschlag gaben, lässt sich nicht beurteilen. Insgesamt fällt eine Tendenz auf: Während englischsprachige Journalist:innen eher Russland verliessen, blieben ihre deutsch- und französischsprachigen Kolleg:innen häufiger und/oder kehrten später wieder nach Russland zurück.
«Für die ohnehin schon verbreitete Willkür gibt es immer mehr Möglichkeiten. Das wirkt sich auf uns und auf unsere Gesprächspartner aus.»
Markus Ackeret, Korrespondent NZZ Moskau
Schweizer Journalist:innen haben sich unterschiedlich entschieden: Nachdem SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky am 16. Februar aus Russland ausgereist war, ist sie nicht mehr zurückgegangen und liess ihre Moskauer Wohnung aus der Ferne räumen. Ihr Berufskollege Markus Ackeret von der NZZ arbeitet indes weiter in Russland. Er erachte es für sehr wichtig, dass die Berichterstattung weiterhin aus dem Land komme, erklärte er schriftlich auf Anfrage der MEDIENWOCHE. «Die Risiken sind grösser geworden; ich würde sagen: Für die ohnehin schon verbreitete Willkür gibt es immer mehr Möglichkeiten. Das wirkt sich auf uns und auf unsere Gesprächspartner aus», schrieb er.
Die NZZ habe gewisse Anpassungen vorgenommen, erläuterte Ackeret. Abgesehen davon, dass er seit Mitte Februar nicht mehr für die Ukraine zuständig sei und auch nicht mehr dorthin reise, schreibe er seit Anfang März auch nur noch in Ausnahmefällen über Themen, die direkt mit dem Kriegsgeschehen und der russischen Armee zu tun hätten. «Beim Wort ‹Krieg› verweise ich [in meinen Artikeln] auf die offizielle Sprachregelung, sonst schränke ich mich aber nicht ein», betonte der Russland-Korrespondent.
Die Zurückhaltung im genannten Sinne fände er gerechtfertigt und sie schränke seine Urteilskraft nicht ein. Die Fortsetzung der Arbeit unter diesen Umständen ermöglicht mehr, als dass sie verhindere, betont Ackeret und verweist auf eine Recherche in Burjatien, wo er sich mit dem Schicksal gefallener Soldaten beschäftigt habe. «Das Thema ist dort tabu, es war kaum möglich, offen darüber zu sprechen, und ich musste sehr vorsichtig sein.» Dennoch habe er viel beschreiben können, was ohne seine Anwesenheit den Leser:innen vorenthalten geblieben wäre.
Ackeret sieht aber auch das Risiko «auf den Radar bestimmter Behörden» zu geraten. «Man muss immer und noch mehr denn je abwägen, worauf man sich einlassen will und was man besser bleiben lässt. Das betrifft auch Kontakte», erläuterte er.
In deutschsprachigen Medien fielen lediglich vereinzelt Beiträge auf, deren Wortlaut so wirkte, als ob der russische Zensor die Finger im Spiel gehabt haben könnte.
Hinweise darauf, dass sich «bestimmte Behörden» mit Korrespondent:innen beschäftigen, lieferten russische Propagandamedien, die in manchen Fällen mit gesteckten Informationen aus amtlichen Datenbanken und Überwachungskameras arbeiten. Nachdem der anonym betriebene Telegram-Kanal «Urallive» bereits im Mai 2022 der Korrespondentin der «Süddeutschen Zeitung», Silke Bigalke, im Zusammenhang mit Recherchen in Jekaterinburg «Sabotage-Tätigkeit» vorgeworfen hatten, schoss sich «Urallive» Ende Juli/Anfang August auf Christian Esch vom «Spiegel» ein: Esch sei in die Ural-Region gekommen, um Informationen über Teilnehmer der «Militärischen Spezialoperation» von deren Angehörigen zu erhalten. «Das ist eine reine Spionagetätigkeit, die das Leben unserer Soldaten gefährdet», hiess es im Telegram-Kanal. Gleichzeitig waren von «Lesern» zugeschickte Überwachungskameraaufnahmen zu sehen, die den Journalisten zeigten.
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Bleibt schliesslich die Frage, welche konkreten Auswirkungen die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen auf die Berichterstattung haben. In deutschsprachigen Medien fielen lediglich vereinzelt Beiträge auf, deren Wortlaut so wirkte, als ob der russische Zensor die Finger im Spiel gehabt haben könnte. Die Arbeit von Nachrichtenagenturen wirft dagegen schon grössere Fragen auf.
«Das entscheidende Kriterium dafür, ob die dpa zu russischen oder ukrainischen Regierungsverlautbarungen eine Meldung verfasse, ist der Nachrichtenwert.»
Froben Homburger, Nachrichtenchef dpa
Sowohl Reuters, das bei Beiträgen aus Moskau seit einigen Monaten keine Autor:innen mehr nennt, als auch Agence France-Presse (AFP) und die Deutsche Presse-Agentur (dpa) fielen wiederholt mit unkritischer Wiedergabe fragwürdiger Darstellungen der russischen Staatspropaganda auf. Das liess sich insbesondere in Meldungen beobachten, in denen die Agenturen Meldungen der Staatsmedien RIA Nowosti oder TASS nachschrieben. So war bei Reuters, AFP oder dpa die Rede von «Amtsträgern» der «prorussischen Verwaltungen» in den neuerlich von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine. Dabei setzen sie die Begriffe nicht in Anführungszeichen, um zu kennzeichnen, dass es sich um die russische Sichtweise handelt. Im Einklang mit der russischen Propaganda wird mit solchen Begriffen eine Souveränität suggeriert, von der keine Rede sein kann.
«Den Begriff ‹prorussische Verwaltung› verwenden wir inzwischen in der Regel tatsächlich nicht mehr, weil er zu dem Missverständnis einlädt, es handle sich um eine eigentlich ukrainische Verwaltung, die einfach prorussisch gesinnt sei», kommentiert der dpa-Nachrichtenchef, Froben Homburger, auf Anfrage der MEDIENWOCHE. Man schreibe nunmehr meist ausführlicher «von Russland eingesetzte (Militär-)Verwaltung», «russische Besatzungsverwaltung» oder «russische Okkupation», erläutert Homburger und betont, das Adjektiv «prorussisch» derzeit noch am ehesten für ukrainische Politiker zu verwenden, die mit der russischen Besatzung kollaborieren.
Das entscheidende Kriterium dafür, ob die dpa zu russischen oder ukrainischen Regierungsverlautbarungen eine Meldung verfasse, sei der Nachrichtenwert, sagt Homburger. Eine Information, Behauptung oder sonstige Äusserung müsse eine erkennbare Bedeutung für das Kriegsgeschehen oder damit zusammenhängende Entwicklungen, wie etwa die atomare Sicherheit, die Gasversorgung, die drohende Ernährungskrise, haben oder zumindest für politische Debatten eine Rolle spielen. Einen Nachrichtenwert könne aber auch daraus gewonnen werden, wenn eine Verlautbarung selbstentlarvend sei oder Rückschlüsse auf Änderungen in Strategien oder andere Entwicklungen erlaube, erläutert der dpa-Nachrichtenchef.
Nachrichtenagenturen haben militärische Erklärungen reproduziert, deren Realitätsgehalt bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als fragwürdig gelten mussten.
Die Nachrichtenagentur Reuters antwortet auf die Anfrage der MEDIENWOCHE nur summarisch. Man sehe «sich verpflichtet, über Russland und die Ukraine in einer unparteiischen und zuverlässigen Art zu berichten, die im Einklang mit den Vertrauensgrundsätzen von Thomson Reuters stehen», erklärt eine Sprecherin von Reuters. Bei seiner üblichen Berichterstattung zitiere man auch immer wieder externe Quellen, die wie in einer angesprochen Meldung auch deutlich als ein Bericht von TASS ausgewiesen wurde.
Unkritisch reproduzieren Nachrichtenagenturen aber auch militärische Erklärungen, deren Realitätsgehalt bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als fragwürdig gelten mussten. Mehr als 12 Stunden nach massiven Explosionen auf einem Militärflughafen auf der Krim liess die dpa am Abend des 9. August noch wissen, dass eine nicht näher bezeichnete «Quelle im russischen Verteidigungsministerium» einen «Verstoss gegen die Brandschutzregeln als wahrscheinlichste Ursache» des Vorfalls gewesen sei und Flugzeuge nicht beschädigt worden seien. Einen Hinweis auf die äusserst geringe Plausibilität dieser Behauptungen, die kurze Zeit später durch veröffentlichte Satellitenbilder wenig überraschend widerlegt wurden, unterliess die dpa. Sie ergänzte am betreffenden Tag lediglich plausiblere Erklärungen der New York Times zum Vorfall mit dem Hinweis: «Unabhängig überprüfen liessen sich die Angaben zunächst nicht».
Ohne die Darstellung der russischen Erklärungsversuche wäre die Berichterstattung nicht nur unvollständig, sondern sie wäre auch journalistisch unlauter gewesen, verteidigte dpa-Nachrichtenchef Homburger das Vorgehen der dpa. Unbestrittene Tatsache sei zum Zeitpunkt der Veröffentlichungen nur gewesen, dass es eine Explosion gegeben habe, während die Ursache noch völlig unklar gewesen sei. «In einem solchen Fall ist es journalistisch zwingend notwendig, die unterschiedlichen Darstellungen zu dokumentieren – inklusive unabhängiger Beobachter, die damals von einem Sabotageakt ausgingen, während Russland quasi von einem Unfall sprach», findet Homburger. Gleichzeitig habe Kiew jede Verantwortung von sich gewiesen und zudem die Sorge geäussert, Russland könne Beweise für einen angeblichen ukrainischen Angriff fälschen, aber gleichzeitig erklärt, dass das nur der Anfang gewesen sei.
Freude dürfte den russischen Behörden das aktive Interesse von manchen westlichen Qualitätsmedien an Fahrten in die besetzte Ukraine bereitet haben.
Homburgers Erläuterung hinkt freilich in einem wichtigen Detail: Die Rede war nicht nur von einer einzelnen Explosion – Stunden vor der dpa-Meldung waren auch Videos in sozialen Netzwerken verbreitet worden, die zwei synchrone Explosionen zeigten. Diese hätten kaum mehr mit einem «Verstoss gegen die Brandschutzregeln» erklärt werden können, wie dies die russische Seite glauben machen wollte.
Freude dürfte den russischen Behörden das aktive Interesse von manchen westlichen Qualitätsmedien an Fahrten in die besetzte Ukraine bereitet haben. Auf Einladung von Moskau fuhren etwa die Russland-Korrespondenten von «Le Figaro» und «Le Monde», Alain Barluet und Benoît Vitkine, im Juni 2022 auf Pressereise in das von russischen Truppen eroberte Mariupol. Barluet von «Le Figaro» hatte zuvor schon im Mai 2022 aus der Region berichtet und war für seinen russischen Spin vom ukrainischen Journalisten Danylo Mokryk kritisiert worden.
Im Juli 2022 schickte schliesslich auch der ZDF seinen Korrespondenten Winand Wernicke auf eine weitere Pressereise des russischen Verteidigungsministeriums in das Kriegsgebiet im Donbass. «Seit es diesen schweren Konflikt gibt, gab es, wenn ich das richtig weiss, bereits sieben solcher Reisen von Moskau aus mit Journalistinnen, Journalisten, Bloggerinnen und Blogger. Das waren in der Regel oft Kreml-nahe Berichterstatter», erläuterte Wernicke am 18. Juli. In seinem Bericht selbst wies er zwar wiederholt auf die russische Kontrolle seiner Berichterstattung hin, gleichzeitig produzierte er den von den Organisatoren der Pressereise gewünschten Spin. Wernicke sagte etwa: «Im Herbst soll es nun ein Referendum geben, ob die Region um die Aufnahme in die russische Föderation bittet.» Relevante und offensichtliche Kontexte, etwa in Bezug auf die Durchführung von russischen «Referenden», liess er unerwähnt. Abgesehen von frischen Aufnahmen zerstörter Häuser blieben neue Einblicke weitgehend aus.
In den letzten Jahrzehnten der Sowjetunion wurden die mit Art. 207.3 vergleichbaren Strafbestimmungen nicht gegen ausländische Korrespondent:innen eingesetzt.
Ob derartige Kompromisse und eine aus russischer Sicht nützliche Berichterstattung internationale Korrespondent:innen mittelfristig vor einer strafrechtlichen Verfolgung schützen werden, bleibt indes unklar. Von informellen Sicherheitsgarantien ist nichts bekannt. Dass die russischen Strafverfolger dem prominenten ukrainischen Journalisten Dmytro Hordon für seine Youtube-Videos Verbrechen nach Art. 207.3 vorwerfen, muss jedoch als Anlass zur Besorgnis geben. Doch unter internationalen Journalist:innen in Moskau dominiert einstweilen der Konsens, dass ihnen maximal eine Ausweisung oder bei einer etwaigen Wiedereinreise die Zurückweisung an der russischen Grenze droht. Erzählt wird dies freilich nur hinter vorgehaltener Hand. Ein von der MEDIENWOCHE befragtes Medium verweigerte mit Verweis auf die Sicherheit seiner Mitarbeiter:innen eine Antwort und wollte in diesem Zusammenhang auch nicht erwähnt werden.
Obwohl sich 2022 nur bedingt mit den 1970er-Jahren vergleichen lässt und der Krieg in der Ukraine radikale Wendungen wahrscheinlicher macht, erinnert diese aktuelle Einschätzung an vergangene sowjetische Zeiten. Auch in den letzten Jahrzehnten der Sowjetunion wurden die mit Art. 207.3 vergleichbaren Strafbestimmungen gegen «Antisowjetische Propaganda und Agitation» sowie «Bewusste Verbreitung von Falschmeldungen gegen den staatlichen und gesellschaftlichen Aufbau der Sowjetunion» explizit nicht gegen ausländische Korrespondent:innen eingesetzt.
Dennoch waren Korrespondent:innen damals stets vorsichtig und nur wenige kommunizierten direkt mit Dissident:innen, die vom KGB eifrig bekämpft wurden: «Nach den Angaben von Starr («Chicago Tribune»-Korrespondent Frank Starr, Anm. d. Red.) hat diese Nichtkommunikation der meisten westlichen Korrespondenten mit uns damit zu tun, dass sie die Ausweisung aus der UdSSR und damit verbundene Schwierigkeiten in ihrer Redaktion fürchten», erläuterte die Dissidentin Nadeschda Jemelkina 1973 in einem Verhör mit dem KGB.
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