von Adrian Lobe

Papierkrise: Zeitung lesen wird noch teurer

Steigende Papier- und Energiepreise machen den Zeitungsverlagen weltweit zu schaffen. In der Schweiz sind die Auswirkungen noch nicht so drastisch spürbar wie etwa in den USA oder in Kanada. Doch auch hierzulande kommt die Entwicklung ungelegen, der Verlegerverband sieht eine «sehr angespannte Situation».

Vom Ausweisdokument bis zum Zigarettenpapier – die gestiegenen Papierpreise bereiten vielen Branchen Probleme, so auch den Schweizer Zeitungsverlagen. Nachdem im vergangenen Jahr bereits aufgrund eines Brands in der Papierfabrik Perlen im Kanton Luzern vor einem Jahr der Umfang der Tageszeitungen reduziert werden musste, warnte die NZZ kürzlich vor Engpässen und bat in einem Brief ihre Abonnenten darum, «sich vorsorglich online (…) zu registrieren». Zwar würde man die eigenen Papierlager möglichst aufzufüllen versuchen. Man könne aber «nicht restlos ausschliessen, dass es in den nächsten Monaten dennoch zu Einschränkungen bei der Herstellung unserer gedruckten Zeitung» kommen könne.

Das Problem der Rohstoffknappheit rührt sowohl von der Angebots- als auch von der Nachfrageseite her: Zum einen haben zahlreiche Druckereien ihre Produktion gedrosselt oder ganz dichtgemacht, weil Kunden auf digitales Marketing umsteigen und Druckaufträge etwa für Prospekte wegfallen. Zum anderen wird dem Recycling-Kreislauf immer weniger Altpapier und stattdessen immer mehr Karton von Verpackungen aus dem Online-Versandhandel zugeführt, die nicht zu Papier verarbeitet werden können.

Hinzu kommt: Die Herstellung von Papier ist extrem energieintensiv. Um die Zellulosefasern aus dem Holz zu lösen, muss dieses in einer Lauge längere Zeit gekocht werden. Das geschieht unter hohem Energie- bzw. Gaseinsatz. Und das ist teuer. Monatelange Streiks in finnischen Papiermühlen und der Ukraine-Krieg haben das Problem verschärft.

Trotz steigender Papierpreise hat CH Media vorerst nicht vor, den Seitenumfang seiner Zeitungen zu reduzieren oder einzelne Ausgaben einzustellen.

Die Folgen sind auf der ganzen Welt zu spüren: In Indien, wo fast die Hälfte des Zeitungspapiers aus Russland importiert wird, sind die Ausgaben dünner und Artikel kürzer geworden, auf Sri Lanka standen zeitweise sogar die Druckerpressen still, weil das Papier fehlte. Und selbst in Australien, das sonst mit Rohstoffen gesegnet ist, sorgen sich Verlage, dass aufgrund der Papierknappheit einige Zeitungen vom Markt verschwinden könnten.

In der Schweiz spürt CH Media, Herausgeberin zahlreicher Zeitungen, den Anstieg der Energie- und Papierpreise ebenfalls. «Aargauer Zeitung», «St. Galler Tagblatt» und Co. erscheinen aber «zurzeit im gewohnten Umfang», teilt Unternehmenssprecher Stefan Heini auf Anfrage mit. Auch gebe es keine Pläne, Seitenumfänge zu reduzieren oder einzelne Ausgaben einzustellen. «Wir müssen jedoch jederzeit bereit sein, auf die Entwicklung der Lage entsprechend zu reagieren», so Heini. «Sähen wir uns gezwungen, zu kürzen, dann geschähe dies wann immer möglich nicht beim redaktionellen Inhalt, sondern beispielsweise bei den Eigeninseraten.»

Auch Tamedia spürt den Anstieg des Papierpreises. Die monatelangen Streiks in finnischen Papierfabriken, der Ukraine-Krieg sowie «eine sehr dynamische Preisentwicklung im Energiesektor» hätten dazu geführt, dass die Preise für Papier «dramatisch gestiegen» seien, erklärt Sprecher Philip Kuhn auf Anfrage – eine Verdoppelung allein zwischen November 2020 und April 2022. Deshalb habe man die Tarife der Zeitungsabos und auch die Einzelverkaufspreise diesen Sommer «nachjustieren» müssen. Die «Sonntagszeitung» kostet beispielsweise seit Anfang August pro Exemplar am Kiosk 6.40 Franken und damit 40 Rappen mehr als zuvor, berichtet Kuhn. «Aufgrund hoher Energiepreise und der nach wie vor mangelnden Verfügbarkeit von Rohstoffen bleibt die Lage in der ganzen Schweiz angespannt.»

«Zeitung lesen wird also teurer und wir zählen auf die Solidarität der Abonnentinnen und Abonnenten.»
Stefan Wabel, Verband Schweizer Medien

Stefan Wabel, Geschäftsführer des Verlegerverbands Schweizer Medien, sieht das gleiche Bild: «Die bereits sehr angespannte Situation bezüglich der Beschaffung von Papier für die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften hat sich seit dem letzten Frühling durch diverse Entwicklungen nochmals deutlich verschärft», erklärt er auf Anfrage der MEDIENWOCHE. Die Erhöhung der Papierpreise «in diesem Ausmass» könnten die Medienunternehmen nicht alleine verkraften. Einen Teil davon müssten sie in Form von Preiserhöhungen an ihre Abonnenten weitergeben, zumal auch die Kosten für die Distribution spürbar steigen und gleichzeitig die Werbeeinnahmen weiter sinken, schätzt Wabel. «Zeitung lesen wird also teurer und wir zählen auf die Solidarität der Abonnentinnen und Abonnenten.»

Aktuell würden die Zeitungsverlage «diverse Szenarien prüfen», so der Geschäftsführer des Verbands Schweizer Medien. «Dies insbesondere auch hinsichtlich einer möglichen Energiemangellage, welche sowohl für den Druck der Zeitung als auch für die Verfügbarkeit des Papiers gravierende Folgen haben könnte.» Konkret umgesetzt worden seien diese Massnahmen aber noch nicht. Trotzdem bleibt eine Reduktion von Seitenumfängen oder die Einstellung einzelner Printausgaben wie in Kanada ein realistisches Szenario, zumal die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs mit einem möglichen Gasmangel in den kälteren Wintermonaten heute noch nicht absehbar sind.

Was hierzulande noch ein Worst-Case-Szenario ist, ist in Kanada bereits Tatsache. Dort hat die Postmedia-Gruppe, zu der unter anderem die auflagenstarken Tageszeitungen «Vancouver Sun», «The Province» und «Calgary Herald» gehören, die gedruckte Montagsausgabe in dieser Woche eingestellt. Stattdessen soll es nur noch ein E-Paper geben. Als Grund führte die Verlagsgruppe die veränderten Konsumgewohnheiten der Leser sowie die «eskalierenden Druck- und Zustellkosten» an.

Die Energie- und Papierkrise kommt zur Unzeit – und trifft eine Branche, die ohnehin schon mit einer Reihe von Strukturproblemen zu kämpfen hat.

Das Zeitungssterben auf dem krisengeschüttelten nordamerikanischen Markt dauert ja schon eine Weile an, doch die globale Energiekrise hat das Problem weiter verschärft. So hat die US-Verlagsgruppe Gannett, zu der unter anderem die «USA Today» gehört, in diesem Jahr bei über 100 seiner insgesamt 253 Zeitungstitel die samstägliche Printausgabe eingestellt.

Das Medienhaus, das seit der Fusion mit Gatehouse 2019 zur grössten Verlagsgruppe der USA aufgestiegen ist, hat in der Vergangenheit bereits rund 90 wenig lukrative Titel und Druckereien abgestossen. Der Verlagsriese will sich zukünftig stärker auf das Digitalgeschäft fokussieren. Nur das Flaggschiff «USA Today», dessen Abonnenten Zugang zu E-Papers der Regionalzeitungen erhalten, ist als Printausgabe unangefochten – obwohl die Zahl der Exemplare in Hotels drastisch reduziert wurde. Die gestiegenen Herstellungskosten und Zustellprobleme – jeder zehnte Fahrer hat in den USA im Zuge der Corona-Pandemie seinen Job aufgegeben – gehen nicht spurlos an dem Unternehmen vorbei.

Die Energie- und Papierkrise kommt zur Unzeit – und trifft eine Branche, die ohnehin schon mit einer Reihe von Strukturproblemen zu kämpfen hat. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» hat vorsorglich schon ihre Papiervorräte aufgestockt, um gut durch den Winter zu kommen. In der Druckerei in Mörfelden-Walldorf wurde ein eigenes Zelt aufgestellt, wo Papierrollen eingelagert werden. Pro Tag werden 40 Tonnen Papier benötigt, um die FAZ zu drucken. «Wir planen sehr vorausschauend und versuchen Papier vorrätig zu halten, um auf aktuelle Entwicklungen auch im Notfall reagieren zu können», teilt eine Sprecherin mit. Aufgrund der aktuellen Lage seien derzeit «in kleinerem Umfang» Auflagenbestandteile reduziert worden. Um Papier und Herstellkosten zu sparen, seien die bisher getrennten Bünde «Immobilien» sowie «Beruf & Chance», die freitags bzw. samstags erscheinen, in das Hauptprodukt integriert worden.

Weniger Papier bedeutet auch: Es verschwinden Themen aus der gedruckten Zeitung.

Doch nicht jeder Verlag kann Papier auf Vorrat lagern. Vor allem für kleinere Zeitungen, die nach wie vor auf das umsatzstarke Printgeschäft angewiesen sind, stellen die Versorgungsengpässe ein grösseres Problem dar. Eine Reduktion von Seiten und gleichzeitige Erhöhung der Preise birgt das Risiko, Abonnenten zu verlieren und weniger Umsatz für Anzeigen zu erzielen. Der mancherorts nur zaghafte vorangetriebene Ausbau des Digitalgeschäfts könnte einigen Medienhäusern nun auf die Füsse fallen.

Weniger Papier bedeutet auch: Es verschwinden Themen aus der gedruckten Zeitung. So druckt die «Süddeutsche Zeitung» Besprechungen des Ressorts «Das Politische Buch» nur noch alle 14 Tage. Ob die Sparmassnahme in Zusammenhang mit der Energiekrise steht, ist unklar. Je teurer die Herstellungs- und Zustellungskosten werden, desto mehr Anreize gibt es, auf digitale Distributionskanäle umzustellen. «Wir sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem wir aufpassen müssen, dass das Printgeschäft angesichts der dramatischen Verteuerungen überhaupt noch rentabel ist», sagte Wolfgang Poppen, Verleger der «Badischen Zeitung» und Präsident des Bundesverbandes Druck und Medien bvdm, gegenüber dem Branchendienst «Buchmarkt». Subventionen für die Zeitungszustellung können den Prozess nur verlangsamen, aber nicht aufhalten. Die «Berliner Tageszeitung» taz hat schon 2018 öffentlich mit dem Gedanken gespielt, bis 2022 ihre tägliche Printausgabe einzustellen und bis auf das Wochenende nur noch online zu erscheinen. Bislang erscheint die Zeitung weiter täglich gedruckt. Die Energiekrise könnte das aber bald ändern.

 

Auch Buchbranche spürt Papiermangel

Auch Buchverlage ächzen unter gestiegenen Energie- und Herstellungskosten. Die Preise für Papier, Karton und Pappe sind in den vergangenen beiden Jahren massiv gestiegen, um teils bis zu 60 Prozent. Hochwertige Papiersorten, die etwa für Bildbände oder Graphic Novels gebraucht werden, sind rar und teuer. Zwar kaufen Verlage im Vorfeld grosse Mengen Papier ein und sichern sich damit ein Stück weit gegen Preissteigerungen ab. Doch im Gegensatz zum Zeitungsgeschäft lässt sich die Druckauflage von Büchern im Vorfeld schwer kalkulieren. Manche Titel, die in der ersten Auflage in hoher Stückzahl produziert werden, entpuppen sich als Ladenhüter, andere wiederum avancieren überraschend zum Bestseller und müssen eilig nachgedruckt werden. Dafür braucht es Reserven.

Aufgrund des Papiermangels haben einige Verlage daher die Auslieferung ihrer Bücher verschoben oder Titel ganz aus dem Programm genommen. Print ist nach wie vor die wichtigste Einnahmequelle des Buchmarkts, E-Books machen lediglich fünf bis sechs Prozent des Umsatzes aus. Dementsprechend gross ist die Abhängigkeit vom Papier. Suhrkamp-Verleger Jonathan Landgrebe hat kürzlich in einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» gefordert, dass Bücher teurer sein sollten. Im Gegensatz zu Tageszeitungen seien die Preise für Bücher in den vergangenen Jahren kaum erhöht worden. Vorschläge, die Kosten für die vergleichsweise teuren E-Books zu senken, lehnte Landgrebe mit Blick auf die zu unterhaltende Infrastruktur und Händlermargen ab.

Bild: Unsplash/Bank Phrom