Medienpolitik in Liechtenstein: «Zügig neue Grundlagen schaffen»
Mehr Staatsgeld für den Landessender oder dessen Privatisierung? In Liechtensteins Medienpolitik stellen sich gerade Grundsatzfragen. Die MEDIENWOCHE hat mit Wilfried Marxer gesprochen, einem besten Medienkenner im Fürstentum. Der Politikwissenschaftler plädiert für mehr Tempo und eine gesamtheitlichere Sicht als bisher.
Man stelle sich vor, in der Schweiz befände sich die SRG in finanziellen und personellen Turbulenzen. Und kurz bevor der Bundesrat über eine Erhöhung der Medienabgabe beriete, käme die TX Group mit einem brisanten Vorschlag. In einem Brief an Bundesrat und Parlament würde der Medienkonzern und Herausgeber zahlreicher Zeitungen darlegen, dass er die SRG übernehmen und privatisiert zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten weiter betreiben könnte.
Was für Schweizer Verhältnisse einigermassen unrealistisch erscheint, spielt sich gerade genau so ab in Liechtenstein. Ab dem kommenden Donnerstag berät der Landtag, das Parlament des Fürstentums, das Budget für das kommenden Jahr. Dabei geht es auch um einen Posten von 500’000 Franken für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Mit der zusätzlichen halben Million erhielte «Radio Liechtenstein» neu 2,9 Millionen Franken pro Jahr an staatlicher Finanzierung. Die Regierung begründet die geplante Erhöhung des Landesbeitrags mit wegfallenden Werbegeldern in der Höhe von 200’000 Franken. Beim grösseren Teil der Gelder handelt es sich um eine Neuorganisation bisheriger Unterstützungsleistungen, die den Staatshaushalt nicht zusätzlich belasten würden. Tatsache ist aber auch, dass der Sender bereits vor vier Jahren einen Notkredit von fast 300’000 Franken erhalten hatte.
Angesichts der erneuten Beitragserhöhung meldet sich der Verlag «Vaduzer Medienhaus» und plädiert in einem Brief an Parlament und Regierung dafür, «dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk wieder in eine private Organisation überführt werden sollte». Der Zeitungsverlag, der mit dem «Vaterland» eine der beiden Tageszeitungen des Landes herausgibt, bietet sich gleich selber an als möglicher Käufer. Von der Politik folgte die Reaktion postwendend: Eine Privatisierung von «Radio Liechtenstein» stehe derzeit nicht zur Diskussion, beschied das zuständige Wirtschaftsministerium.
Mit Blick auf die bewegte Geschichte des Senders und seiner Finanzierung wird das aber kaum das letzte Wort gewesen sein – zumal nicht nur das Radio wirtschaftlichen Druck spürt.
Politikwissenschafter Wilfried Marxer erklärt im Gespräch mit der MEDIENWOCHE, wo die grössten Baustellen im Mediensystem des Fürstentums stehen und warum «Radio Liechtenstein» eine dermassen starke Stellung geniesst, obwohl die beiden Tageszeitungen «Vaterland» und «Volksblatt» wesentlich wichtiger sind für die politische Meinungsbildung im Fürstentum. Marxer kennt den Medienbetrieb aus eigener Erfahrung. In früheren Jahren war er Teil der Chefredaktion von «Radio L», wie der Landessender früher hiess.
MEDIENWOCHE:
Reden wir zuerst über «Radio Liechtenstein». Ist der Sender eigentlich die dritte, unabhängige Stimme neben den beiden Tageszeitungen «Vaterland» und «Volksblatt», die den beiden grossen Parteien Liechtensteins nahestehen?
Wilfried Marxer:
Was die Informationstätigkeit angeht, sind die Printmedien in Liechtenstein klar die Leitmedien. Das unterscheidet Liechtenstein von anderen Ländern, wo mitunter das Fernsehen diese Rolle hat. Radio ist hierzulande nicht unbedingt die grosse Plattform für die Meinungsbildung. Man muss aber auch sehen: «Radio Liechtenstein» ist ein Lokalsender und nicht vergleichbar mit dem Schweizer Radio.
MEDIENWOCHE:
Liegt die Schwäche des Radios als Informationsmedium am fehlenden Geld?
Marxer:
Mit 30 Millionen Franken pro Jahr könnte man sicher mehr machen. Aber das Radio könnte ja nicht nonstop Wortsendungen bringen, da es auch einen Unterhaltungsauftrag erfüllen muss. Die Frage ist daher eher, ob sich die aktuelle öffentlich-rechtliche Struktur und die journalistische Ausrichtung des Senders überhaupt für eine kritischere Berichterstattung eignet. Das Naheverhältnis zur Politik steht dem entgegen. Mehr Geld würde daran kaum etwas ändern.
MEDIENWOCHE:
Wie zeigt sich diese problematische Nähe zur Politik genau?
Marxer:
«Radio Liechtenstein» ist abhängig von den Mitteln, die der Landtag spricht und das ergibt ein Rechenschaftsverhältnis zwischen dem Radio und der Politik. Schliesslich könnte das Parlament die Gelder auch kürzen. Dass es überhaupt zur staatlichen Abhängigkeit kam, liegt daran, dass sich in Liechtenstein ein Radio allein mit Werbung nicht rentabel betreiben lässt. 1995 hatte «Radio L» als Privatradio angefangen. Aber schon ein paar Jahre stand der Sender vor dem Aus. Der Staat übernahm den Betrieb und finanzierte ihn, was er bis heute macht, mit immer mehr Geld.
MEDIENWOCHE:
Hat die Politik dem Sender auch schon mal die Mittel gekürzt?
Marxer:
Nein, dazu ist meines Wissens bisher nicht gekommen. Ich erwarte das auch nicht. «Radio Liechtenstein» macht keinen hyperkritischen Journalismus, der die Politik derart verärgern würde, dass sie den Sender finanziell abstrafen würde. Kritik kommt vor allem, weil immer mehr staatliche Mittel gefordert werden.
MEDIENWOCHE:
Das Vaduzer Medienhaus, das die Zeitung «Vaterland» herausgibt, bietet nun an, «Radio Liechtenstein» zu übernehmen und wieder als Privatsender weiterzubetreiben. Ist das ein ernstzunehmendes Angebot?
Marxer:
Das ist sehr ernst zu nehmen. Ich glaube schon, dass das Medienhaus alleine oder zusammen mit anderen Medien den Sender betreiben könnte, gerade auch, weil es Synergien gibt. Das ginge natürlich nicht zum Nulltarif: Der Staat müsste weiterhin Mittel sprechen, aber gemäss Schreiben des Vaduzer Medienhauses deutlich weniger als heute. Den Vorstoss des Medienhauses muss man auch vor dem Hintergrund sehen, dass es ein Ungleichgewicht gibt in der Medienförderung. Zeitungen und andere Medien erhalten zusammen nur rund 1.7 Millionen Franken pro Jahr und fürs Radio soll es bald gegen 3 Millionen geben. Da fragen sich die anderen Medien natürlich: Warum kriegt das Radio so viel? Zumal die Printmedien ebenfalls vor grossen finanziellen Herausforderungen stehen angesichts sinkender Abozahlen, und der private Fernsehsender 1FLTV fast leer ausgeht.
MEDIENWOCHE:
Warum spielt eigentlich das Liechtensteiner Fernsehen 1FLTV in den medienpolitischen Diskussionen kaum eine Rolle?
Marxer:
1FLTV erhält nur geringe Medienförderung und steht entsprechend weniger im Zentrum der politischen Debatte. Auch wenn seine Programmleistung eher bescheiden daherkommt, sollte man die Wirkung aber nicht unterschätzen. Viele Leute schätzen es, wenn sie beim Zappen mal Liechtensteiner Stimmen hören und Figuren aus dem öffentlichen Leben Liechtensteins sehen. Das Fernsehen hat in Liechtenstein das Potenzial allerdings bei weitem nicht ausgeschöpft.
MEDIENWOCHE:
Warum ist die Politik bereit, immer mehr Geld fürs Radio auszugeben?
Marxer:
Erstens, weil es ein öffentlich-rechtlicher Sender ist, «Radio Liechtenstein» ist der Landessender und also vom Staat weitgehend finanziert. Zweites: Das Radio hat im Katastrophen- und Krisenfall eine Informationsaufgabe. Es gab im Landtag aber immer auch kritische Stimmen, sowohl was die Höhe des staatlichen Beitrags angeht, als auch dazu, ob es überhaupt einen Staatssender braucht.
MEDIENWOCHE:
Wird der Landtag die von der Regierung vorgeschlagene halbe Million Franken durchwinken?
Marxer:
So klar scheint es mir nicht zu sein, was der Landtag entscheiden wird. Eigentlich sollte man die gesamte Medienförderung unter die Lupe nehmen und zukunftsorientiert ausrichten. Die Regierung plant ja eine Überarbeitung des Medienförderungsgesetzes, die vielleicht schon im nächsten Jahr ins Parlament kommt.
MEDIENWOCHE:
Gibt es auch kurzfristigere Massnahmen?
Marxer:
Neben der geplanten Erhöhung des Staatsbeitrages für «Radio Liechtenstein» steht auch noch eine parlamentarische Initiative an, mit welcher für einen befristeten Zeitraum die Medienförderung für andere Medien erhöht werden soll. Sinnvoll wäre es, zügig neue Grundlagen für die Förderung der liechtensteinischen Medien zu schaffen. Dabei müssten Richtlinien und wohl auch Zielsetzungen beschlossen werde, um dann zu entscheiden, wer wofür wieviel Geld erhalten soll.
MEDIENWOCHE:
Gemessen an der Grösse des Landes: Sind drei grosse Medienorganisationen – zwei Tageszeitungen und ein Radio – eine zu viel?
Marxer:
Schon zwei Zeitungen sind eigentlich eine zu viel im Verhältnis zum Verbreitungsgebiet. Dass es sie weiterhin gibt, hat mit der Geschichte der beiden grossen Parteien zu tun, die den Zeitungen nahestehen. «Vaterland» und «Volksblatt» sind keine Parteiblätter mehr, ein gewisser Hang zur jeweiligen Partei ist aber schon noch zu spüren.
MEDIENWOCHE:
Wie lange gibt es die beiden Zeitungen noch?
Marxer:
Das geht vielleicht gar nicht mehr so lange. Das «Volksblatt» scheint mir stärker gefährdet zu sein als das «Vaterland». Seit 2018 erscheint es ohne Dienstagsausgabe. Ich habe beide Zeitungen abonniert. Wenn ich die erste durchgelesen habe, dann wiederholt sich in der zweiten 60 bis 70 Prozent des Inhalts. Vor allem bei Sport und Kultur steht weitgehend das Gleiche. Bei der Politik findet man vielleicht eine etwas andere Gewichtung und Einordnung.