von Benedict Neff

«Alle möchten mit mir befreundet sein»

Helmut-Maria Glogger erlebt die wunderlichsten Dinge. Sein Leben erzählt er als eine Abfolge gesammelter Anekdoten. Der Autor einer komischen Kolumne im «Blick am Abend» findet, dass er sein Talent nicht ausgeschöpft habe, aber dennoch zu den Begabtesten zähle.

Er, Helmut-Maria Glogger, würde ­Geschichten erfinden? «So ein Schmarrn!», wehrt sich dieser in gemütlichstem Bayrisch. Im Gegenteil, er pflege vielmehr das «genaue Fabulieren», also er meine natürlich das «genaue Formulieren», korrigiert Glogger den freudschen Versprecher. Kann es die Schuld dieses Mannes sein, dass er in Monte Carlo beim Saunabesuch ausgerechnet neben Ricky Martin auf dem Holzrost schwitzt und sich mit diesem «wunderbar unterhält»? Ist es seine Schuld, dass er im Auto von Günter und Elvira Netzer sitzt und sich anhören muss, wie Elvira ihren Gatten konsequent mit «Vati» anspricht? «Mensch, der Günther ist doch kein Vati!», brüskiert sich Glogger etwas gespielt.

Glogger erlebt nun mal die wunderlichsten Dinge! Und da er Journalist ist, schreibt er auch über sie. Mit seiner ­täglichen Kolumne «Glogger mailt» im «Blick am Abend» ist der Boulevardjournalist einem breiten Publikum bekannt geworden. Sein Leben erzählt er als eine Abfolge gesammelter Anekdoten, und dies mit Wonne. Manchmal eröffnet er ein Kapitel mit der euphorisch-vertraulichen Vorbemerkung, «diese Geschichte habe ich noch niemandem erzählt». Und obschon man sie andernorts schon gelesen hat, amüsiert man sich von Neuem.

Drei Uhr nachmittags, «Kronenhalle Bar» Zürich, grünes Saffianleder, Marmor, schwere Mahagoniwände, die berühmten Bilder von Picasso, Klee … Draussen ist es hell und heiss, drinnen zeitlos, kühl und finster. Glogger kommt eben vom Fitness, wehleidig ächzt der selbst deklarierte Hypochonder bei der Begrüssung auf und macht einen Muskelkater in der Hand geltend. Jetzt sitzt er entspannt im festen Leder, wippt simultan mit beiden Beinen und lässt seine Stimme mit einem feinen Lispeln durch den Bar-Schlauch hallen. Glogger fühlt sich hier zu Hause. Diese Kulisse hat er sich für das Gespräch gewünscht.

Der Skeptiker
«Das kenne ich nicht», «das weiss ich nicht», «da müsste ich nachfragen» – diese alltäglichen, ehrlichen und unehrlichen Ausflüchte hört man von Glogger nie. Der Mann weiss Bescheid. Was andere hinter vorgehaltener Hand sagen, posaunt er in seiner Kolumne «Glogger mailt» in die Welt hinaus. Unerschrocken, immer bereit, sich auf Händel einzulassen. Glogger, das ist die Personifizierung einer empörten Volksseele. Zu erwarten, sie sei gerecht, wäre zu viel verlangt. Das Glogger-Prinzip basiert primär auf Skepsis: «Erst einmal glaube ich die Dinge einfach nicht.» Wenn der Bundesrat etwas sagt, glaubt er es erst einmal nicht. Wenn Banker etwas sagen, glaubt er es erst einmal nicht. Überhaupt hat es Glogger nicht so mit den Mächtigen und Reichen: «Ich reagiere sehr schlecht auf starke Autoritäten, ich neige zum Anarchismus.» Aus dieser natürlichen Wesensart resultiert eine weitere Konsequenz: «Ich schreibe, was ich will.»

Was dem Leser aber besonders zugutekommt, Glogger stellt in seiner Schreibe den Menschen ins Zentrum. Denn das ist ein weiteres Glogger-Prinzip: «Du musst hinter der Geschichte einen Menschen finden.»

Der Polterer
Glogger hat schon viele Menschen gefunden. Unter ihnen so staatstragende Figuren wie Alexander Tschäppät («Sind wir mal ehrlich, der Tschäppät ist eine Schweizer Lachnummer. Menschenskind, ist das ein unangenehmer Mensch»), Daniel Vischer («Dieser Grüne, der nach Palästina fährt und für 1500 Franken in einer Zürcher Gemeindewohnung lebt – sorry Junge, so gehts nicht»), Daniel Binswanger ­(«Einer meiner liebsten Freunde, der Blechtrommler und Beau Brummel der Branche. Seine Eitelkeit ist unerträglich»). Beinahe lobend erwähnt er Christophe Darbellay: «Er hat eine ausgesprochen nette Mutter.» Ob dieser Tonfall, den Glogger auch in seinen Mails im «Blick am Abend» anschlägt, nicht beleidigend sei? «Gewiss nicht», sagt dieser unschuldig, «ich versuche lediglich, das Optimale aus dem deutschen Sprachschatz herauszuholen.»

Und doch räumt er ein, gelegentlich Fehler zu machen. Dies sei «so klar wie die Nacht finster». Bei Gunvor, ja, bei der unseligen Gunvor Guggisberg habe er es übertrieben. «Ich schrieb, sie sei das pure, das reine Nichts. Das tut mir heute leid.» Die Journalisten müssten sich nicht mit «hilflosen Gestalten» ­anlegen, sondern mit den Grossen. Die erwähnten Herren dürfen sich als ­Gloggers Lieblingsopfer also durchaus geschmeichelt fühlen.

Der Schnellschütze
Damit Glogger aber auch schreiben kann, was er will, dürfen die «Mails» für seine Kolumne nicht an die Adressaten verschickt werden. «Diese würden in manchen Fällen sofort ihre Anwälte ins Gefecht schicken und könnten im schlimmsten Fall selbst die Auslieferung der Gesamtausgabe blockieren», erklärt er. Ein Ringier-Anwalt versuchte einst eine Beschwerde gegen Glogger beim Presserat damit abzuwehren, indem er dessen Kolumne als «Schnellschuss» bezeichnete, die nicht als «tiefschürfende, hochreflexive und differenzierte Auseinandersetzung mit einem Kernproblem der Gegenwart» wahrgenommen werde.

Der «Schnellschuss» sitzt Glogger immer noch im Nacken. Die Abqualifizierung seiner Kolumne aus dem eigenen Haus hat ihn wahnsinnig geärgert. «Schnellschüsse, sorry, dafür bin ich einfach zu gescheit!»

Der Bildungsbürger
Glogger ist in Rehrosbach, einem Kaff in Bayern, aufgewachsen. Der ­Vater war Pianist, die Mutter schrieb Dialoge und Drehbücher für Filme. Gemäss Glogger lebte die Familie, die dem Bildungsbürgertum zuzurechnen ist, in einem Landhaus, einsam am Walde. Der Schulweg: acht Kilometer, per Ski oder zu Fuss. Als seine Schwester im Kindsbett starb, entschieden sich die Eltern, dem Kind einen Adoptivbruder an die Seite zu stellen. Unter gar keinen Umständen sollte der Junge als Prinz aufwachsen, so die Überlegung der Eltern. Mit vier Jahren mussten sich die beiden Jungen eine Geige unters Kinn klemmen und dem Vater am Morgen vor der Arbeit vorgeigen. Schon bald hätten sie sich aber in die Toilette eingesperrt und gewartet, bis ein Motorengeräusch den Abschied des Vaters verkündete. Der Vater nahm es mit Humor.

Er, Glogger, sei in einem liberalen Haus aufgewachsen. Ein grosser Geiger indes sei er nie geworden. Später besuchte er ein Internat bei Benediktinermönchen. Und, um das klarzustellen, er sei nie vergewaltigt worden. «Das Thema wird von vielen hochstilisiert, meist von Leuten, die nie vergewaltigt wurden.» In Regensburg habe er Jus und Zeitungswissenschaften studiert. Später versuchte er sich an einer Doktorarbeit über «Veit Ludwig von Seckendorff und der Kameralismus». Sie sei nie fertig geworden. Via «Bunte» kam er Mitte der Achtzigerjahre in die Schweiz. Seither ist er hier in wechselnden Positionen bei Ringier tätig. Einst war er gar Chefredaktor der «Glückspost». Hier hat er die «versiffte» und «verseuchte» Redaktion gemäss eigener Angabe gerettet. Unter anderem mit Feng-Shui.

Zur deutsch-schweizerischen Völkerverständigung hat er seither wenig beigetragen. Wer über arrogante Deutsche lästern will, findet in Glogger einen willigen Gefährten. Er könne dieses «Grossgekotze» nicht mehr ausstehen. Auf den Einwand, dass er in der Schweiz selbst als Deutscher wahrgenommen werde, schüttelt Glogger nur ungläubig den Kopf. Er fühlt sich hier zu Hause, hat den Schweizer Pass. Deutschland ist für ihn eine fremde Welt.

Der «Neger»
Glogger hat als Ghostwriter Autobiografien für Udo Jürgens, die Dirigentenwitwe Elliot von Karajan und andere Prominente geschrieben. Es mache ihm Spass, in andere Leute hineinzukriechen, aber freilich nur für kurze Zeit. Aber auch die Arbeit der Ghostwriter, die in der Branche als «Neger» bezeichnet werden, hat ihre Grenzen: «Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich mir ‹Griechischer Wein› freiwillig anhören würde?» Und er stellt fest: «Alle, über die ich geschrieben habe, möchten mit mir mehr befreundet sein als ich mit ihnen.» Der Mann, der Udo (Jürgens), Gunter (Sachs), Polo (Hofer) und überhaupt alle, auch Feinde, zu seinen Freunden zählt, sagt: «Ich bin, das glaubt man kaum, wahnsinnig gern allein.» Dann liegt er im Bett und liest ein Buch. Glogger spricht nicht von einer Wohnung, in der er lebt, sondern von einer «Bücherei mit Schlafgelegenheit». FAZ, «Süddeutsche» und NZZ zum Zmorge – versteht sich. «Die Leute denken, wer bei Ringier arbeite, habe automatisch einen IQ von unter 100.»

An Glogger scheiden sich die Geister, die einen freuen sich über die offenherzige Psychohygiene, die anderen finden sein engagiertes Geplapper einfach nur degoutant. Glogger kennt das Schulterklopfen («Danke, endlich sagt es einer!»), aber auch üble Angriffe ­gegen seine Person. Mal ist er eine «Kommunisten-Sau», dann wieder ein «rechtspopulistischer Blocherianer». «Ringier-Sau» wiederum gehört zum harmlosen Standardrepertoire der Verschmähungen. Doch genau diese Aufregung nimmt Glogger letztlich zum Gradmesser seines Erfolgs: «Wenn sich jemand aufregt, dann weiss ich, Helmut-Maria, Volltreffer!» Glogger ist vieles. Vieles wird an ihn herangetragen und er trägt vieles an andere Leute.

Der Unerfüllte
«Um es mal klar zu sagen, ich war ­sicher einer der Begabtesten im Hause Ringier.» Sein Talent habe er nicht ausgeschöpft. Er sei zu feige gewesen, und da war auch der frühe und völlig unerwartete Tod seiner ersten Frau, der ihn aus der Bahn geworfen habe und zum alleinerziehenden Vater machte. «Da kommst du auf die Welt! Wahrscheinlich ist es als alleinerziehender Vater noch schwieriger als für eine Mutter. Wir hatten erst die Pizza-, dann die Spaghetti-Phase, bis ich sagte, jetzt hören wir mit dem Scheiss auf, jetzt lern ich kochen.»

Wie viele andere Journalisten hätte er gerne Bücher geschrieben, aber nicht als «Neger» für verrückte Witwen und eitle Musikanten, sondern unter seinem eigenen Namen, Helmut-Maria Glogger. Ein zweiter Hemingway sei er vielleicht nicht. Und doch, von ihm werde man noch hören. «Da kommt noch was, das kann ich Ihnen sagen.» Auch der alte Theodor Mommsen habe seine «Römische Geschichte» erst mit 80 Jahren begonnen. Unter anderem wolle er Geschichten erzählen, wie sie wirklich waren.

Helmut-Maria Glogger in Kürze
Als Kolumnist und Klarinettist, Journalist und Royalist bezeichnet sich Helmut-Maria Glogger auf seinem Twitter-Kanal. Glogger wurde 1957 in Oberbayern geboren. Nach seinem Jus-Studium in Regensburg arbeitete er für die «Bunte» und wechselte in den 80er-Jahren zu Ringier. Von 1994 bis 2004 war er Chefredaktor der «Glückspost», mittlerweile schreibt er hauptsächlich für «Blick am Abend» die Kolumne «Glogger mailt» und längere Artikel für das «Sonntagsblick Magazin». Glogger gilt als ausgewiesener Kenner des englischen Könighauses. Als Journalist, Sachbuchautor und Ghostwriter ist er äusserst produktiv. Unter anderem schrieb er eine Best­seller-Autobiografie für Udo Jürgens («Unterm Smoking Gänsehaut») und «Das geheime Leben der Windsors».
Glogger ist Vater von drei Kindern. Seine erste Frau starb an einem Schlaganfall. Seine zweite Ehe ist geschieden. Auch in die Literatur ging Glogger ein: Die Figur Marcel du Chèvre in Matthias Ackerets Roman «Elvis» (2012) ist eine Persiflage auf ihn.

Dieses Porträt ist zuerst in der Basler Zeitung erschienen. Die MEDIENWOCHE durfte den Text mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag übernehmen.

Leserbeiträge

Marcuccio 26. Juni 2013, 22:31

Gratuliere zu diesem unterhaltsam geschriebenen Beitrag! Mehr Medienmenschen-Porträts wie diese, bitte!

Alpoehy 03. Juli 2013, 01:19

Hätte auch noch ein paar Titel:
Glogger der Niederträchtige
Glogger der Polemiker
Gloggers Kolumne oder Dinge die die Welt nicht braucht…
Oder nach diesem Artikel: Glogger der Narzist

Muggs Dolda 04. Juli 2013, 10:45

Hm. Mich dünkt, dieses Liebebekenntnis an einen Demagogen und Zyniker hat nicht viele Mittel aus dem Recherchefonds der BAZ beansprucht. Dass sie in das Konzept der BAZ passt bezweifelt niemand, aber was hat sie hier verloren?

Nicole Frehner 24. Juli 2013, 16:10

Apropos der Neger, bin auf das hier gestossen, lohnt sich mal reinzusehen(hören).

http://www.zweibuenzlis.ch/neger-s01e05/

entsetzt 05. Februar 2014, 10:40

bin ein wenig entsetzt dass das Wort Neger hier einfach so die ganze Zeit gebraucht wird und es alle so normal finden, typisch schweiz.

und nein ich bin nicht schwarz, sondern weiss und schweizer