Neue Töne von der Falken-Strasse
Sicherheit vor Freiheit: NZZ-Chefredaktor Eric Gujer fordert in seiner ersten Reaktion auf die Attentate von Paris ein hartes militärisches Vorgehen. Damit unterscheidet er sich von seinen Vorgängern. Sie warnten angesichts der Herausforderungen durch den globalen Terrorismus vor Übertreibungen und sorgten sich um die offene Gesellschaft.
Aussergewöhnliche Ereignisse rufen nach aussergewöhnlichen Massnahmen. Wer nach der Mordnacht von Paris eine «neue Dimension des Terrors» erkennt, legitimiert damit auch eine härtere Gangart gegen die Täter und ihr Umfeld. So fordert NZZ-Chefredaktor Eric Gujer ein verstärktes militärisches Engagement der europäischen Staaten im im Nahen Osten bis zum Endsieg gegen den selbsternannten islamischen Staat. Das klingt bei Gujer nach einer bewältigbaren Aufgabe. Denn:
«Die enge Verzahnung von Polizei, Nachrichtendiensten und Armee bringt in der Epoche des globalen Jihad die besten Resultate. Die Amerikaner haben so die Kaida zerschlagen.»
Gujers Vorgänger, der abgesetzte Markus Spillmann, hielt vor einem Jahr in einem Leitartikel unter dem Titel «Unsicherheit als Ordnungsprinzip» zum vermeintlichen Erfolg der amerikanischen Anti-Terrorkriegs fest:
«Die Kaida als ‹besiegt› zu erklären, war immer Propaganda.»
Und auch weitere Passagen Spillmanns können als Kommentar ex ante zu den neuen Tönen von der Falkenstrasse gelesen werden:
«Der Mensch orientiert sich am Hier und Jetzt. Das führt zu Übertreibungen. Zäsuren jedenfalls sind jeweils rascher ausgerufen, als sie weltgeschichtlich zutreffen.»
Wenn es eine weltgeschichtliche Zäsur gab in den letzten fünfzehn Jahren, dann trifft das zweifelsohne auf die Ereignisse vom 11. September 2001 zu. Die Attentate in New York und Washington waren damals eine mindestens ebenso «neue Dimension des Terrors» wie sie Gujer in der Attentatsserie von «Charlie Hebdo» im letzten Januar bis zum vergangenen Freitag, dem 13. in Paris erkannt haben will.
Auch der damalige NZZ-Chefredaktor Hugo Bütler plädierte für ein militärisches Vorgehen, er zeigte aber gleichzeitig grosse Skepsis dieser Option gegenüber. Bütlers Hauptsorge galt indes der gesellschaftlichen Freiheit, der Menschlichkeit des Alltags und der wirtschaftlichen Blüte; sein Leitartikel war übertitelt mit «Gefährdung der offenen Gesellschaft». Davon ist heute nicht mehr die Rede. In Gujers Kommentar zu den jüngsten Anschlägen von Paris kommt der Begriff der Freiheit kein einziges mal vor, Sicherheit dagegen sechs mal.
Wenn Eric Gujer beim Amtsantritt angekündigt hatte, das liberale Profil der NZZ schärfen zu wollen, dann lag die Betonung wohl stärker auf schärfen und weniger auf liberal.
Zum gleichen Thema: «Liberale im Krieg» von Constantin Seibt (Tages-Anzeiger)