Lokale Online-Ressourcen aktivieren
Wenn Lokalradios und Regionalfernsehen online zusammenspannen, könnten sie zu einer Konkurrenz für die SRG heranwachsen. Für die Medienvielfalt wäre das erstrebenswert. Die Politik könnte hierfür wichtige Weichen stellen bei der Neuvergabe der Konzessionen für Lokalmedien. Ein Diskussionsbeitrag von Manuel Puppis, Medienwissenschaftler Uni Fribourg und Etienne Bürdel, Programmdirektor Radio FR.
Spätestens seit dem 14. Juni 2015 und dem äusserst knappen Ja zum neuen Radio- und Fernsehgesetz steht die SRG SSR unter Druck – und die Service-public-Debatte ist voll entbrannt. Eidgenössische Medienkommission, Bundesrat und Parlament beschäftigt die Frage, wie der Auftrag des öffentlichen Rundfunks im Internet-Zeitalter definiert werden soll. Während die SRG sich auf den Standpunkt stellt, ein Onlineangebot sei für eine moderne Medienorganisation unverzichtbar, um die Nutzerinnen und Nutzer weiterhin zu erreichen, beschweren sich private Medienunternehmen über Wettbewerbsverzerrung und Marktverdrängung. Der Verband Schweizer Medien fordert denn auch, dass sich die SRG sich im Internet auf die Verbreitung ihrer Radio- und Fernsehsendungen beschränken und das Angebot komplett werbefrei halten solle.
Gegengewicht statt Einschränkungen
Europaweit muss die Medienpolitik entscheiden, inwiefern sich «Public Service Broadcasting» hin zu einem „Public Service Medium“ entwickeln darf, das den Bürgerinnen und Bürgern qualitativ hochwertige Leistungen auf allen Plattformen – also auch im Internet – anbietet. Klar ist: Werden dem öffentlichen Rundfunk zu starke Beschränkungen auferlegt, so verliert er die jungen Nutzerinnen und Nutzer endgültig. Lässt man hingegen dem Service public völlig freie Hand, haben private Medienhäuser noch grössere Schwierigkeiten, den Strukturwandel zu bewältigen. Eine Weiterentwicklung der SRG auf neuen digitalen Plattformen muss daher unter Rücksichtnahme auf private Medien möglich sein. Angesichts von Sparmassnahmen im Journalismus, Kommerzialisierung und Transnationalisierung des Mediensystems haben die sozialen, politischen und kulturellen Begründungen für Service public auch in der digitalen Welt nichts von ihrer Bedeutung eingebüsst.
Gleichzeitig bestehen auch Optionen, eine zu starke Stellung der SRG SSR zu kompensieren. Statt den Service public einfach nur einzuschränken, können also Gegengewichte geschaffen werden. So könnten einerseits wie auch von der EMEK vorgeschlagen neue journalistische Plattformen im Internet mit direkter Medienförderung unterstützt werden. Der Bundesrat scheint hierzu aber derzeit nicht bereit zu sein.
Andererseits – und dies wurde bisher in der medienpolitischen Diskussion überhaupt nicht berücksichtigt – verfügt die Schweiz über eine brachliegende Ressource: die Lokalradios und Regionalfernsehstationen, die tagtäglich journalistische Leistungen in ihren Sendegebieten erbringen. Während diese eine grosse lokale Bedeutung besitzen, fallen sie im Internet bisher kaum auf. Radio 24 erreicht im Oktober 2015 gerade mal 34’000 Unique Clients, TeleZüri immerhin 100’000 Unique Clients. Bei SRF sind es über 4 Millionen. Höchste Zeit also, dass die Medienpolitik ihre Gestaltungsmöglichkeiten nutzt.
Lokaler Service public online
2018 laufen die Konzessionen der privaten Lokalradios und Regionalfernsehsender aus. Das Bakom strebt im Zuge der bevorstehenden Digitalisierung im Radiosektor (Umstellung UKW auf DAB+) weniger Regulierung und mehr Markt7 an. Nächstes Jahr8 sollen die Bedingungen für die künftige Konzessionierungspraxis feststehen. Die Politik hat hier die Chance, Impulse für die digitale Medienzukunft zu geben und in den neuen Konzessionen auch das Onlineangebot zu definieren.
So könnten die konzessionierten Sender mit Leistungsauftrag dazu verpflichtet werden, sich an einer gemeinsamen nationalen Onlineplattform mit Video- und Audio-on-Demand zu beteiligen, die aus der Haushaltsabgabe finanziert wird. Die notwendigen Mittel sind überschaubar, da die Plattform hauptsächlich für die Kuratierung und Aufbereitung bestehender Sendungen zuständig wäre. Dadurch würde eine Onlineplattform entstehen, die mit den Angeboten von SRF, RTS, RSI und RTR in publizistischer Konkurrenz stünde. Die Inhalte der regionalen Rundfunksender fänden dadurch nationale Beachtung. Ein aktuelles Beispiel ist das geplante Asylzentrum des Bundes in Giffers FR. Während bisher ausserhalb der betroffenen Region insbesondere die SRG Resonanz für ihre Berichterstattung erhält, könnte mit einer Konkurrenzplattform ein Gegengewicht geschaffen werden. Die Regionalmedien würden bei Themen, die ihre Region betreffen, zu einem nationalen Leitmedium und könnten somit – zumindest auf dem Internet – besser mit der SRG mithalten.
Vor fast zehn Jahren hat die britische Medienregulierungsbehörde Ofcom bereits einmal einen solchen „Public Service Publisher“9 als Onlinekonkurrenz für die BBC ins Spiel gebracht. Die Schweiz könnte das erste Land werden, das diese innovative Idee umsetzt. Wie schon beim Gebührensplitting bestünde damit die Möglichkeit, ein Vorbild für andere Länder zu werden.
Eine Chance für unser Land wäre eine solche Plattform allemal. Denn nur gemeinsam können Verlage, Onlinepublikationen, Regionalsender und SRG SSR eine vielfältige Medienlandschaft sichern, die der direktdemokratischen und föderalen Schweiz angemessen ist.
Die Autoren
Prof. Dr. Manuel Puppis ist Professor für Mediensysteme und Medienstrukturen am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung DCM der Universität Freiburg/Fribourg.
Etienne Bürdel ist Programmdirektor bei Radio FR11 und studiert Kommunikationswissenschaft an der Universität Freiburg/Fribourg. Der Artikel widerspiegelt nicht zwingend die Position seines Arbeitgebers sondern entspricht seiner persönlichen Meinung.