von Lothar Struck

Das primitive Bedürfnis nach Streit und Zoff

Die Verunglimpfung einer Autorin durch Kritikerin Elke Heidenreich jüngst im Literaturclub des Schweizer Fernsehens kommt nicht von ungefähr: Die Pathologisierung der Schriftstellerin, deren Werk Heidenreich verabscheut, steht symptomatisch für eine Beschäftigung mit Büchern, die nicht zwischen Leben und Werk zu trennen vermag. Als TV-Unterhaltung funktioniert das. Mit Literaturkritik hat das aber nichts zu tun.

Dieses Buch sei «grauenhaft», «entsetzlich», «unehrlich», «verlogen», «…und wenn das ernst gemeint ist, dann hat die Autorin eine ernsthafte Störung». So lautete das Verdikt von Elke Heidenreich im Literaturclub vom 30. August 2016 über das Buch «Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch» von Michelle Steinbeck. In dem Buch wird die «phantastische Reise» (Verlagstext) einer Protagonistin erzählt, die sich mit einem toten Kind im Koffer zu ihrem Vater aufmacht. Das Buch selber meinte Heidenreich mit den letzten beiden Adjektiven und ihrer Conclusio wohl eher nicht. Das Urteil zielte auf die Autorin und deren Gesundheitszustand, über den sie anhand eines fiktiven Textes Mutmassungen anstellte.

Dabei gehört es eigentlich zu dem Kleinen Einmaleins der Literaturkritik, dass man den Erzähler, auch wenn er/sie als «Ich» auftritt, nicht mit dem Autor gleichsetzen darf. Ein Roman, eine Erzählung ist keine Dokumentarschrift oder Reportage, die der Realität verpflichtet ist. Mit der vermeintlichen Einschränkung «wenn das ernst gemeint ist» suggeriert Heidenreich genau das.

Für einen fiktiven Text verbietet sich das Kriterium «ernst gemeint», sofern damit vorausgesetzt wird, dass es sich um eine realistische Schilderung handelt. Daher kann ein fiktiver Text auch nicht «unehrlich» oder «verlogen» sein. Man mag eine Figur oder den Erzähler entsprechend charakterisieren und hierfür aus dem Text Beispiele anbringen, aber das Buch selber kann diese Eigenschaften nie besitzen. Heidenreich meint also in diesem Fall die Unehrlichkeit der Autorin, was schliesslich in den Befund der «ernsthaften Störung» mündet.

Die Verwechslung zwischen Leben und Werk mag für Gelegenheitsleser nicht besonders wichtig sein. Sie feiert im Übrigen im inzwischen ausufernden Biographismus des Feuilletons ein veritables Comeback, nachdem sie in den 1960er Jahren mit Roland Barthes voreiliger Diagnose vom «Tod des Autors» fast verschwunden schien. Die Vorteile, sich vermehrt direkt nach autobiographisch auffindbaren Versatzstücken in einem Werk zu orientieren, liegen auf der Hand. So wird der Kritiker entlastet, den Text zunächst einmal (zeitaufwendig) nach ästhetischen Kriterien abzuklopfen. Übereinstimmungen (oder auch Differenzen) zum «real-life» können zudem eindeutig benannt werden.

Die Übereinstimmung zwischen Leben und Werk wird somit immer mehr zum Kriterium für ein «gutes Buch». Das Zauberwort heisst Authentizität. So wird Literaturkritik zunehmend und gerne personalisiert. Interviews oder andere ausserliterarische Marketingmassnahmen können somit besser mit dem Werk verknüpft werden. Diese Gleichsetzung befördert beim Leser die Identifikation; so wird Literatur emotionalisiert. Gleichzeitig wird der Name des Autors zur Marke am Markt. So heisst es denn häufig genug, dass «der neue X» (oder «die neue Y») erschienen sei. Die Lektüre ist dann irgendwann fast überflüssig; die Beschallung in den Medien konditioniert das Urteil auch ohne anstrengende Lektüre.

Diesen medialen Gesetzen beugt sich dann auch Michelle Steinbeck, in dem sie sich einige Tage nach der Heidenreich-Invektive in einem Interview genötigt sieht zu erklären, dass sie nicht psychisch gestört sei. Die Ungeheuerlichkeit dieses Rechtfertigungszwangs wird von den meisten Kommentatoren gar nicht thematisiert. Spinnt man diese Entwicklung weiter, werden sich wohl bald beispielsweise Kriminalschriftsteller in vorauseilendem Gehorsam mit polizeilichen Führungszeugnissen melden, in denen ihnen bescheinigt wird, keine Kapitalverbrechen begangen zu haben.

Wie problematisch ein solcher Umgang mit Literatur ist, zeigt sich auch an einem anderen aktuellen Buch. In Interviews zu seinem neuen Buch «Die Welt im Rücken» thematisiert Thomas Melle offen seine bipolare Störung. Der Autor untergräbt dabei die Trennung zwischen Erzähl-Ich und Schöpfer bewusst. Wie ist nun ein solches Buch literaturkritisch zu lesen, ohne zugleich der Person des Autors zu nahe zu kommen? Hier hätte nämlich Heidenreichs Befund keinerlei Wirkungsmacht mehr. Damit zeigt sich, dass ihre Entgleisung keinen literaturkritischen Wert besitzt. Die Tatsache ob bei einem Autor, einer Autorin, eine wie auch immer geartete «Störung» vorliegt, hat zunächst einmal nichts mit der literarischen Qualität eines Werkes zu tun. Den Leser voreilig damit zu konditionieren, ist tendenziös und manipulativ.

Es ist kein Geheimnis, dass Elke Heidenreich eine Protagonistin dieser trivialisierten, personalisierten Pseudo-Literaturkritik ist. Als das ZDF 2008 die Sendung «Lesen!» absetzte, protestierten zahlreiche Verleger beim Sender. Die Sendung sei ein «wichtiger Umsatzverstärker» für ihre Branche, lautete eines der Argumente. In manchen Kreisen kursierte derweil der Witz, die Sendung sollte man von «Lesen!» in «Kaufen!» umbenennen. Heidenreich sagte sich bewusst von der ästhetischen Betrachtung von Literatur los und empfahl nach ihrem Geschmack Bücher. Damit bediente sie zwei Strömungen: Zum einen wollten die Zuschauer nicht mit langatmigen literaturkritischen Betrachtungen belästigt werden. Was zählte – das hatte am Ende schon Marcel Reich-Ranicki erkannt – ist die Kaufempfehlung. Zum anderen waberte in der Sendung ein veritabler Anti-Intellektualismus, der mit einer Missionierung des Lesers einherging: Nur sie, Elke Heidenreich, wisse, was gut ist; man solle ihr vertrauen. Diesen Populismus hält sie bis heute durch.

Mit dem jüngsten Fauxpas brandete die Diskussion um ihre Teilnahme im «Literaturclub» erneut auf. Guido Kalberer konstatierte, dass sie inzwischen zur Hypothek für Sender und Sendung würde und entdeckte in der Wortwahl «ein historisch schwer belastetes Erbe». Der engagierte und umtriebige Roman Bucheli von der NZZ wies auf die Belustigungen bei den Zuschauern hin und sprach von der «Verluderung der Kritik». Rico Bandle hingegen verteidigt Heidenreich in der Weltwoche mit Vehemenz, macht aus ihr eine «Anwältin der Leser» und stellte fest, dass sie «mehr für die Literatur getan [habe] als alle zusammen, die nun in peinlicher Eintracht auf sie einprügeln».

Dabei stützt sich Bandle natürlich auf die Wirkung ihrer oben genannten Kaufempfehlungssendung. Für den Weltwoche-Kulturchef ist es wohl singuläre Aufgabe der Kritik, aus Büchern Bestsellern zu machen. Hans-Magnus Enzensberger sagte diese Entwicklung in den 1980er Jahren bereits voraus und erfand den Begriff des «Zirkulationsagenten». Den Angriff Heidenreichs auf Steinbeck subsumiert Bandle unter «Klartext»; da wüsste man gerne seine Reaktion, wenn man ihm in der Öffentlichkeit eine «Störung» andichten wollte

Noch frappierender als Heidenreichs Missgriff sind die Reaktionen darauf in der Sendung. Fast synchron fielen zunächst die drei Diskutanten Heidenreich ins Wort, was diese aber – auch das ist hinlänglich bekannt – nicht davon abhielt, einfach weiterzureden. Im weiteren Verlauf kam dann niemand mehr zu diesem Buch hinreichend zu Wort, auch Thomas Strässle, der Steinbecks Roman vorgeschlagen hatte, nicht mehr. Dauernd wurde er unterbrochen. Nicola Steiner als Moderation versagte einmal mehr. Sie ist eine veritable Fehlbesetzung, hetzt von Programmpunkt zu Programmpunkt, hat keine Geduld noch ist sie hinreichend kompetent, ihre eigene Sichtweise auf ein Buch mit der Moderatorenrolle abzugleichen. Ein prägnantes Beispiel war, dass ihr offenbar der Sprechduktus von Alain Claude Sulzer zu langsam war und sie daher mehrmals wie eine Lehrerin Sulzers Sätze ergänzte.

Elke Heidenreich aber auch Philipp Tingler befriedigen im «Literaturclub» immer mehr das eher primitive Bedürfnis nach Streit und Zoff. Damit weder der Literatur noch der Literaturkritik gedient. All die Literaturwissenschaftler, Autoren und ernsthaften Kritiker, die diese Sendung mit ihrer Anwesenheit noch eine seriöse Aura verleihen, sollten Abstand vom «Literaturclub» nehmen. Stattdessen sollte die Sendung nur noch mit Zirkulationsagenten und Krawallanten bestückt werden, die ihre Empfehlungen in die Kamera halten und dann ein paar Minuten drauflosloben oder hinrichten dürfen. Nicola Steiners Frage «Lesen?» würde dann entfallen.

Leserbeiträge

Dieter Kief 16. September 2016, 15:14

Frau Steinbeck sagt öffentlich,sie sei nicht psychisch gestört. Damit ist der Fall in ruhigem Fahrwasser.
Was Herr Struck nicht versteht, ist die hypothetische Natur der Heidenreichschen Aussage in der Sendung über Michelle Steinbeck und deren Buch. Wenn das ernst gemeint ist, sagte Heidenreich, dann ist FrauSteinbeck gestört.
Jetzt sagt Frau Steinbeck aber nicht nur, dass das Buch ein fiktionales Spiel gewesen – also tatsächlich nicht „ernst“ gemeint gewesen sei im Sinne von lauter authentischen Ich-Aussagen in einem von mir aus therapeutischen Setting. Damit ist der „Skandal“ erledigt, wie ich finde, vielleicht bis auf diese Kleinigkeit: – – Frau Steinbeck sagt nämlich auf die Frage des Zürcher Tages-Anzeigers, ob sie nun froh über die von Heidenreich befeuerte Debatte sei:

„Ja, bestimmt. Ich habe nicht erwartet, dass mein Buch ein grosses Publikum findet. Aber eine solche Diskussion kann helfen, es bekannter zu machen. Das freut mich, zumal ich sehe, dass es doch einige Menschen anspricht.“

Michelle Steinbeck als vielleicht nicht unwichtige Teilnehmerin an dieser öffentlichen Debatte ist also mit Frau Heidenreichs Wirken – und damit auch dem des Literaturclubs insgesamt – voll einverstanden.

Bleiben hier zwei bedröppelte Kritiker zurück – und zwar ziemlich traut vereint, nämlich Elke Heidenreich, weil sie einem Buch sozusagen hinterrücks superviel Aufmerksamkeit zugeschaufelt hat, obwohl sie es überhaupt nicht mag: Ihr Schuss ging also volley ins eigene Tor. Und Lothar Struck, weil er den Casus zu einer einigermaßen paternalistischen Fürsprache für eine Autorin nutzt, die diese Fürsprache offenbar weder für nötig noch für angebracht hält.

Lothar Struck 16. September 2016, 16:30

Heidenreichs Aussage war, dass die Autorin eine Störung habe, „wenn das ernst gemeint ist“.

Mit „das“ ist augenscheinlich Steinbecks Buch gemeint. Aber was bedeutet „ernst gemeint“? Das ist nur dann eine Aussage „hypothetischer Natur“, wenn man stillschweigend voraussetzt, dass Autor und Erzähler stets ein und dieselbe Figur sind. In diesem Fall würde dies bedeuten, dass die Autorin Michelle Steinbeck identisch mit der Protagonistin des Romans ist. Dann wäre sie die Frau, die mit einem toten Kind im Koffer ihren Vater aufsuchen will. „Ernst gemeint“ bedeutet also, dass es keinen Unterschied zwischen den beiden Instanzen gibt. Damit wäre per se jeder Text mit einem Ich-Erzähler ein dokumentarischer Text, eine Art Reportage. Steinbecks Buch ist aber eindeutig als „Roman“ und damit als fiktionaler Text, als eine Erfindung, gekennzeichnet. Die Annahme, dass Autorin und Protagonistin identisch sind, ist aber jedem, der schon einmal einen Lexikoneintrag über Literatur gelesen hat, unmöglich.

Bleibt noch eine zweite Interpretation des „ernst gemeint“: Dass es sich um ein ernsthaftes, komponiertes und von Michelle Steinbeck geschaffenes Text-Stück handelt. Um ein Stück „ernst gemeinte“ Literatur. Dies würde niemand bestreiten wollen. Das kann dann gelungen sein oder womöglich wirklich grauenhaft. Aber genau das meinte Heidenreich sicherlich nicht, weil sie darauf zielte, die Autorin mit der Figur gleichzusetzen und zu psychopathlogisieren.

Es ist geradezu absurd, Steinbecks Statement, dass sie nicht psychisch gestört sei, als ein Ende des Skandals zu setzen. Diese Stellungnahme ist vielmehr ein Teil davon. Auch das Argument, dass sich das Buch jetzt besonders gut verkauft, zählt nicht (siehe meine Einlassungen zum Zirkulationsagenten). Es geht auch nicht um Paternalismus (ich kenne weder Frau Steinbeck noch ihr Buch). Es geht darum, ob solche Invektiven, die als pseudo-hypothetische Konjunktive notdürftig verbrämt werden, um dann mit advokatischen Spitzfindigkeiten womöglich noch „gerettet“ werden zu können, Bestandteil seriöser Literaturkritik sein können.

Dieter Kief 16. September 2016, 17:57

Sie räumen fairerweise ein, es sei ein Konjunktiv im Spiel gewesen – nun: That’s the diffrence, that matters: Es handelt sich definitiv nicht um eine sozusagen ernst gemeinte Aussage Heidenreichs in dem Sinne, Frau Steinbeck gehöre in eine psychiatrische Klinik osä. eingewiesen.

Lieber Herr Struck – ob Ihre Einlassung von Ihnen als paternalistische Einlassung i n t e n d i e r t war, spielt, wie ich finde, angesichts der klaren Äusserung von Frau Steinbeck keine Rolle. Sie ignorieren Frau Steinbecks Aussage, sie freue sich über das, was der Literaturclub für ihr Buch bewirkt habe und nein: Sie fühle sich n i c h t persönlich angegriffen.
Ihr Bestreben, so scheint mir, gilt nicht der in Rede stehenden Autorin und deren Erstling. Stattdessen stürzen Sie sich mit großem Hallali auf Frau Heidenreich und übersehen den ganz handfesten Befund: Dass Frau Heidenreich dem von ihr scharf kritisierten Buch „Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch“ – contre coeur (!) offenbar sehr genützt hat.
Ich finde in der Tat, das ist praktisch die ganze Geschichte.
Der allergrößte Rest – insbesondere die Hitler- u n d Stalin- u n d Pol-Pot-Anspielung von Herrn Kalberer im Tagi, ist der reine zeitgenössische Nonsense.

Lothar Struck 17. September 2016, 14:57

Ich sprach von einem Pseudo-Konjunktiv. Ansonsten, lieber Herr Kief, sind die Standpunkte ausgetauscht. Sie mögen noch Interpretationen und Zitate herbeiholen, die nirgendwo stehen (Pol Pot?), aber das ist nicht mein Ding und bringt nichts Neues.

Protagoras 17. September 2016, 14:37

Was die Kritiker Strucks offenbar nicht verstehen, ist die Feststellung, dass man der Fiktion nicht mit Empörung beikommt vulgo, dass Empörung keine Kriterien für einen literarischen Text bereitstellen kann. Nicht mehr und nicht weniger! Hier liegt ein kardinaler Fehler vor. Mit anderen Worten: Eine Operation am offen Herzen wird mit einem Obstmesser wenig Erfolg versprechen.

Dieter Kief 18. September 2016, 21:39

@ Lothar Struck, 17. 9. 14:37 Uhr
Oh – Sie sprachen n i c h t von einem „hypothetischen Konjunktiv“, wie Sie jetzt behaupten, Sie sprachen von einem „pseudo-hypothetischen Konjunktiv“ – Ihre Worte Herr Struck.
Ich geb‘ zu : Ich hab‘ darauf mit einer gewissen diebischen Freude reagiert. Denn, nicht wahr, es wird kein verständiger Mensch widersprechen, wenn jemand den Ausdruck „pseudo-hypothetisch“ als nicht-hypothetisch – und damit im Sinne von „tatsächlich“ versteht: Was aber wäre ein tatsächlicher Konjunktiv anderes als: Ein Konjunktiv – und das hab‘ ich geschrieben.

Im übrigen sprach Frau Heidennreich tatsächlich im Konjunktiv davon, das Buch „wäre heikel“, wenn es nicht „hoch-konstruiert“ wäre: Also, wie sie zuvor ausführte, aus lauter Versatzstücken aus dem Genre der Horror- und Fantasy-Literatur zusammengesetzt.

Die Anspielung Kalberers im Tagi umfasste den Totalitarismus mit – und damit auch die asiatische Form des Totalitarismus, z. B. in der Form der Herrschaft Pol Pots. Kalberer lag neben der Spur.

@ Protagoras: Sie schreiben, dass „Empörung keine Kriterien für einen literarischen Text bereitstellen kann.“
Dem kann ich folgen.
So etwas zu behaupten ist freilich etwas anderes als zu sagen, dass auch fiktionale Texte die Gemüter sehr in Wallung zu bringen vermögen – was der vorliegende Fall ja zeigt. Dann aber kommt es – mit einer berühmten Zürcher Formulierung zu enden, darauf an, „zu begreifen, was uns ergreift.“ – Das heißt freilich: Verstand u n d Gefühl haben in der Sache der Literaturkritik g l e i c h e s Heimrecht. Ich würde soweit gehen zu sagen: Das genau mache sie so reizvoll.

Ramon 24. September 2016, 17:13

In meiner Wahrnehmung ist Herr Tingler stets einer der wenigen Teilnehmer des Literaturclub, der sein Urteil relativ eng am Text festmacht. Er ist ein genauer Leser und wenn er sich irrt, muss ihn dann schon auf dieser Ebene widerlegen. Dass Sie ihn die gleiche Ecke stellen wie eine Frau Heidenreich halte ich für verfehlt, auch wenn er natürlich provozierend und überspitzt formulieren kann (und soll! wir wollen am TV-Gerät ja nicht einschlafen, oder?) und sich so gewiß nicht immer Freunde macht. Ich halte ihn – im Gegensatz zu Frau Heidenreich – für eine Bereicherung dieser Sendung, die oft genug, meistens übrigens dann wenn er nicht dabei ist, ins Gefühlige und Ungenaue in der Behandlung über die verhandelten Bücher abfällt.

Lothar Struck 26. September 2016, 10:42

Jein. Tingler geriert sich mittlerweile allzu oft als eine Art Holzhammer-Ästhet, der sehr gerne und immer mit einem kleinen Seitenhieb auf die Reaktionen im Publikum mit wuchtigen Vokabeln um sich schlägt. Besonders wenn er zusammen mit Heidenreich dem Podium sitzen, kommt es zu Wortduellen, die mehr auf die Außenwahrnehmung als auf das Buch selber gerichtet sind. Sie haben aber recht, dass er viel stärker als Heidenreich am Text orientiert bleibt.

Beide praktizieren allerdings die Untugend, Zitate aus Büchern aus dem Zusammenhang reissend als Beleg für ihr Urteil (meistens dann einem Verriss) heranziehen. Das sollte man in einer solchen Sendung nicht tun, da die anderen Diskutanten auf diese Volten nicht vorbereitet sind und in der Eile keine „entlastenden“ Stellen zitieren können. Aus gutem Grund war im Literarischen Quartett unter Reich-Ranicki das Zitieren untersagt.

Dieter Kief 26. September 2016, 21:27

Wörtlich zu zitieren war im Quartett erlaubt, solange es auswendig geschah.
Zettel waren verpönt, und von einem Zettel vorzulesen war (fast) unmöglich. Es gab ein paar Ausnahmen.