von Ronnie Grob

Wir da oben, ihr da unten

Im Auftrag des Bundesrats beschäftigten sich mehrere Studien mit der Qualität der Schweizer Medien, was wiederum von diesen kommentiert wurde. Während sich Andrea Masüger von der «Südostschweiz» über eine «Inflation an Untersuchungen» beklagte, «auf die niemand gewartet» habe, kritisierte Norbert Neininger von den «Schaffhauser Nachrichten» die «für andere schwer verständliche Sprache» der Wissenschaftler. Für den ohnehin nicht überraschenden Befund, dass die eingeleiteten Sparmassnahmen Auswirkungen auf die Qualität hatten, erhalten die Wissenschaftler Zustimmung von den Lesern in den Kommentaren. Die Diskrepanz zwischen den Lesern und den Entscheidungsträgern in den Printverlagen wird immer offensichtlicher – eine Gefahr für den Journalismus und die Demokratie.


Auch Thierry Meyer, Chefredaktor von «24heures», versuchte im zweisprachigen Newsnetz-Politblog zu beweisen, «Wie die Wissenschaft die Presse schlecht macht». Sein Text ist einigermassen überraschend, unterstellt er doch den Bakom-Studien nicht nur «Unwahrheiten», sondern auch «Inhaltsfehler, nicht überprüfbare Thesen und methodologische Lücken» – ausserdem sei das Ganze «mit einer Selbstgefälligkeit verfasst, die man nicht einmal dem erst besten Praktikant verzeihen würde».

Doch noch viel mehr ins Staunen gerät, wer die 105 bisher von Lesern des Politblogs abgegebenen Meinungen dazu liest. Man muss schon sehr lange scrollen, bis man auf einen Kommentar stösst, welcher die Kritik von Meyer an den Studien verteidigt (Edith Habermann: «Ich stimme Thierry Meyer weitgehend zu.»). Die meisten Zu-Wort-Meldungen bestätigen den von der Wissenschaft ermittelten Qualitätsverlust. Das hört sich so an:

Ich kann keinen wissenschaftlichen Beweis geben, aber aus Sicht eines Leser kann ich den Verfall der Medien nur bestätigen. In der Presse wird heutzutage praktisch nur noch abgeschrieben und relativ viel einfach kopiert. (…)

Es kopieren alle von den selben Newstickern und der Text wird eigentlich nur mehr leicht modifiziert. (…)

Mag sein, dass die von T. Meyer zerrissene Studie wissenschaftlich nicht überragend ist. Es würde mich aber wundern, wenn ein engagierter Journalist zufrieden wäre mit dem Tiefgang der heutigen politischen Presse. (…)

Ich würde behaupten, dass die Qualität seit einigen Jahren ständig leidet und dementsprechend abnimmt! (…)

Es ist fast schon haarsträubend wie einseitig manche Schweizer Zeitungen berichten. (…)

Ich finde auch, dass es mit den Medien abwaerts geht. (…)

Komischer Polit-Blog. Bis jetzt jammern nur die Journalisten – im ersten Beitrag, daß sie es ja nur falsch machen können und man ihnen Unterstützung der SVP andreht, und nun, daß Studien, die mangelnde Qualtiät bescheinigen, ja sooo unseriös sind. Also mit Verlaub, die Qualität der Medien, allen voran der Presse, I S T definitiv am Sinken, nicht nur in der Schweiz, aber ganz besonders in der Schweiz. (…)

Das finde ich ja mal interessant. Die Journalisten zitieren blind und undifferenziert aus jeder Studie die sie gerade finden und ihrer Ideologie entspricht. Erscheinen sechs (!!!) Studien, welche die schweizerische Medianlandschaft kritisieren, dann werden diese in der Luft zerrissen und unsachlich kommentiert. Genau nach dem Vorwurf, welche die Studien der schreibenden Klasse macht. Kult!

Der Newsnetz-Redaktion zugute halten muss man, dass sie sich bemüht, mitzudiskutieren. So beantwortet der stellvertrendende Chefredaktor Michael Marti einige Kommentare. Und Redaktor Matthias Chapman sieht das Offensichtliche ein:

Da prasselt ja ein voller Korb an Kritik auf uns Medienschaffende nieder. Ich nehme das zur Kenntnis, und gebe weiter jeden Tag mein Bestes.

Ich bin überzeugt, dass viele Journalisten täglich ihr Bestes geben. Trotzdem ist die Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung in den Verlagen bemerkenswert – und fast scheint, als würde sie direkt proportional zum Einkommen und zur Kaderstellung der Mitarbeiter zunehmen. Das Sahnehäubchen ist dann, so zu tun, als ob es diese sich im Web artikulierende Fremdwahrnehmung gar nicht geben würde.

Es geht nicht nur um die Beurteilung der Qualität, sondern auch um die Herangehensweise an Themen. Nehmen wir das Web: Es kommt in den Zeitungen nach wie vor zumeist negativ vor. Auch sachliche Artikel über die alltäglichen Umwälzungen, die das Web bereits verursacht hat und noch verursachen wird, erscheinen selten. Stattdessen werden Morde mit Computerspielen in Verbindung gebracht. Jugendliche pauschal als Raubkopierer verunglimpft. Publizisten als Klowand-Schmierer dargestellt. Facebook ist ein Sicherheitsrisiko. Google eine Datenkrake.

Keine Frage, die Einsicht, dass das Internet nicht nur Sodom und Gomorrha hervorbringt, ist verbreiteter als auch schon. In Funktionen, in denen sie etwas bewegen und entscheiden könnten, geraten Personen mit solchen Meinungen in etablierten Organisationen aber nur selten. So erreichen die publizistischen Produkte der einst die Gesellschaft so prägenden Verlage je länger je mehr nur einen ausgewählten, finanzstarken, hochgebildeten Club mit einem Durchschnittsalter weit über dem Durchschnitt der Lesenden. Die mit dem Web aufgewachsenen Jugendlichen, also der die Zukunft sichernde Nachwuchs, blättern dagegen gelangweilt in Gratispostillen und fragen sich dann zurecht, warum sie eigentlich Zeitungen lesen sollen. Suchen sie online nach Qualität, werden sie genau so enttäuscht. Geht es nach den Führungskräften der Verlage, sollen sie Zeitungen kaufen und basta! So funktioniert die Marktwirtschaft aber nicht.

Wertvolle publizistische Produkte erreichen die Mitte der Gesellschaft immer weniger. Was nicht verwundert, findet doch die normale Mittelschicht gar keinen Einlass mehr in die Redaktionen, von der nicht so gebildeten Unterschicht braucht man gar nicht erst zu reden. Die «Süddeutsche Zeitung» beispielsweise verlangt schon von ihren Volontären zwingend einen Studienabschluss («Abgeschlossenes Studium muss sein, am liebsten Master-Abschluss»).

Journalismus darf nicht als Edukationsprogramm von oben nach unten doziert werden, sozusagen als Transfer von den angeblich gescheiteren zu den angeblich dümmeren Schichten. Journalismus muss aus der Mitte der Gesellschaft für die Mitte der Gesellschaft produziert werden. Wer den Leser mit all seinen Ängsten, Sorgen und Bedürfnissen nicht ernst nimmt, muss sich nicht wundern, wenn dieser sich abwendet und sich weitaus fragwürdigeren Quellen zuwendet. Diese Entwicklung ist nicht nur für den seriösen Journalismus eine grosse Gefahr, sondern für die Demokratie überhaupt.

Zum Newsnetz-Politblog siehe auch unseren Beitrag «Viel Redundanz und wenig Substanz» vom 7. März 2011.

Leserbeiträge

Philippe Wampfler 21. April 2011, 10:32

Ich bin mit dem ersten Teil des Posts sehr einverstanden – und finde es wichtig, dass man das einmal in dieser Klarheit darstellt. Danke dafür.
Der zweite Teil ist aber eine Wiederholung von absurden Thesen, welche die Biographie von JournalistInnen mit dem Inhalt ihrer Texte verwechselt und vermischt.
»Die Mitte der Gesellschaft« kann nicht nur erreicht werden, wenn diese »Mitte der Gesellschaft« auch journalistisch tätig ist. Eine professionelle Journalistin beschreibt nicht ihre eigenen Erfahrungen und Haltungen, sondern ist in der Lage, ein Spektrum von Erfahrungen und Haltungen darzustellen, zu verdichten, sie zu vermitteln.
Dieser Vorwurf ist, um ein plumpes Bild zu verwenden, als würde man einer Verkäuferin in einem Juweliergeschäft vorwerfen, dass sie sich diese Juwelen ja auch nicht leisten kann, also nicht in der Lage ist, sie zu verkaufen.
Um wieder in die Mediensphäre zu wechseln: Matthias Daum ist für mich ein ideales Beispiel dafür, dass ein gebildeter und wohl auch privilegierter Deutschschweizer sich in Themen einarbeiten kann, welche die »Mitte der Gesellschaft« beschäftigen. Studiert zu haben ist dafür meiner Meinung nach weder eine Voraussetzung noch ein Hindernis – aber ein abgeschlossenes Studium attestiert zumindest handwerkliche Fähigkeiten im Umgang mit Texten und ein gewisses Hintergrundwissen.

Ronnie Grob 21. April 2011, 10:49

@Philippe Wampfler: De Facto wird unsere Realität doch abgebildet von Menschen, die zu 90 Prozent weiterführende Schulen besucht haben. Das ist aber nur eines von vielen Milieus, die es gibt. Ich zweifle daran, dass die homogene Gruppe der Hochgebildeten einen Blick auf die Welt haben kann, wie ihn eine weniger gebildete Person hat. Journalisten wie Matthias Daum sind natürlich begrüssenswert, leider gibt es immer weniger von ihnen.

Ich glaube, dass es Journalisten aus allen Milieus braucht, also auch Arme, Ungebildete, Kranke, Arbeitslose, Ausländer, Homosexuelle, Arbeiter, Angestellte, etc. – nur so kann eine Gesamtsicht abgebildet werden. Umgesetzt ist das aber fast gar nicht, bzw. nur bei ausgewählten Personengruppen, oder siehst Du das anders? Besserung ist auch keine in Sicht: Ich nehme vielmehr Abschottungstendenzen der homogenen Gruppe der universitär Gebildeten wahr, so wie beim erwähnten Beispiel der SZ-Volontäre.

Schreiben können hat nichts mit der Bildung zu tun. Siehe dazu auch Niklaus Meienberg:

Da ist einer jung, kann zuhören, kann das Gehörte umsetzen in Geschriebenes, kann auch formulieren, das heisst denken, und denkt also, er möchte unter die Journalisten. Er hat Mut, hängt nicht am Geld und möchte vor allem schreiben.

Er meldet sich auf einer Redaktion. Erste Frage: Haben Sie studiert? (Nicht: Können Sie schreiben?)

Philippe Wampfler 24. April 2011, 22:22

Danke für den Meienberg-Input: Meine Antwort wurde etwas ausführlicher und findet sich in meinem Blog. http://philippe-wampfler.com/2011/04/24/die-mitte-der-gesellschaft-und-niklaus-meienberg/

Vinzenz Wyss 26. April 2011, 22:03

Danke, Ronnie Grob, für diese Analyse der vielen Kommentare zum Politblog. Ich habe selbst aus der Ecke der Schweizer Kommunikationswissenschaft versucht – durchaus auch selbstkritisch – auf die Larmoyanz der Journalisten zu reagieren. Heute in der NZZ: http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/medien/kassandra_laesst_gruessen_1.10375876.html

Titus 28. April 2011, 03:23

Da setzt sich Thierry Meyer zur Wehr was den Vorwurf des fehlenden Pluralismus anbelangt. Und er tut dies ausgerechnet in jenem einzigen Politblog, welches von Titeln der halben Schweiz unterstützt wird. Unter Pluralismus aus politischer Sicht verstünde ich 15 Politblogs.

Zum Vorwurf der Inhaltsfehler und Unwahrheiten ist das, was aus der Print-Ecke kommt, wahrlich auch nicht der Hit, wie ich hier schon einmal bezüglich Medienausgaben aufzeigte: http://bit.ly/lplrrs . Auch da geht es letzten Endes um die Eigen- und Fremdwahrnehmung…

Ursula Schüpbach 28. April 2011, 12:54

„Wer den Leser mit all seinen Ängsten, Sorgen und Bedürfnissen nicht ernst nimmt, muss sich nicht wundern, wenn dieser sich abwendet und sich weitaus fragwürdigeren Quellen zuwendet.“

Nun, manchmal steckt ja vielleicht auch nicht Angst dahinter, sondern Überheblichkeit und Arroganz. Es ist ja einfach, schnell einen Kommentar, total unverbindlich, zum Beispiel bei Newsnetz einzutippen. Schwieriger ist es wohl, z.B. selbst Bundesrat zu sein. Und sich öffentlich dermassen zu exponieren. Und da fallen mir halt oft auch Kommentare auf, die eher überheblich einen Befehl von „unten“ nach „oben“ enthalten, ohne dass kritisch hinterfragt wird, ob der überhaupt umsetzbar wäre in dieser berufl. Funktion.

Ronnie Grob 28. April 2011, 15:32

@Ursula Schüpbach: Das stimmt natürlich, aber gerade bei Newsnetz dienen die Kommentare hauptsächlich zur Klickgenerierung und als Empörungsfläche. Sie werden nur darauf geprüft, ob sie justiziabel oder sonst unangemessen sind, inhaltlich wird in aller Regel nicht auf sie eingegangen. So schafft man sich Kommentierende, die vor allem ihre Emotionen loswerden wollen. Also eine Umgebung, in der jeder virtuell auf den Stammtisch klopft und keiner dem anderen zuhört. So werden jene vergrault, die Substanzielles zu sagen haben oder gerne diskutieren würden. Ganz wie im sogenannt „echten“ Leben.

Ursula Schüpbach 28. April 2011, 17:07

@Ronnie Grob. Ja, ich sehe es auch so. Und wo viele Klicks vorhanden sind, schrieben wohl auch viele, man will doch wissen, ob der Text veröffentlicht wurde… Ich habe Newsnetz auch schon ausprobiert, aber ist irgendwie nicht so meine Sache. Es hat viel Oberflächlichkeit, finde ich. Kommt hinzu, dass manche 1:1 den gleichen Kommentar auf NZZ-Online und anderen Online-Portalen abgeben, gleich serienmässig, manche mal unter diesem, mal unter jenem Namen. Aber man sieht nicht, dass die wirklich diskutieren würden. Hat dann auch irgendwann genug davon, sich quasi mit den immer gleichen Textbausteinchen noch ernsthaft abzugeben.

Ronnie Grob 28. April 2011, 17:10

Genau aus diesen Gründen habe ich noch nie bei Newsnetz kommentiert. Und ich werde das, wenn sich nicht Grundlegendes ändert, auch in Zukunft nicht tun.

Ursula Schüpbach 28. April 2011, 19:20

Je nach Thema treffen bei Newsnetz rasch 100-200 Kommentare ein. Am nächsten Tag zieht dann dieser Schwarm quasi zum nächsten Artikel weiter. Man kann zwar schon auf ältere Artikel antworten, aber das ist dann wohl halt ein Schreiben oder Lesen ins Nichts hinaus, quasi ein sprachl. Selbstexperiment. 🙂 Zwar ist das bei anderen Online-Portalen von News- und Printmedien nicht viel anders, aber bei Newsnetz finde ich die Entwicklung ziemlich rasant. NZZ-Online-Diskussionen sind ja schon fast gemütlich dagegen.