Unsere Arbeit muss nicht gefallen
Laut Verlegern und Medienmanagern haben nicht die Medien ein Strukturproblem, sondern die Publizistik- und Medienwissenschaft. Eine Antwort auf den aktuellen Liebesentzug von Werner A. Meier und Manuel Puppis. Die beiden Medienwissenschaftler der Universität Zürich eröffnen mit diesem Beitrag die neue Rubrik «Perspektiven». Hier bieten wir Fachleuten – Theoretikern und Praktikern – eine Plattform für ihre Sicht auf den Medienbetrieb; für Analysen und Kommentare zu aktuellen Entwicklungen und Ereignissen.
Im Editorial des Magazins des Verbandes Schweizer Medien vom August 2011 beschäftigt sich Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument mit den Fehlleistungen der Publizistikwissenschaft. Er schreibt von «fragwürdiger Forschung» und unverständlichen Ergebnissen. Sein harsches Urteil: In der Medienkrise hat die drittklassige Publizistikwissenschaft zur Qualitätsdebatte nichts Brauchbares zustande gebracht.
Mit dieser Beurteilung steht Lebrument nicht alleine da. Andrea Masüger (Südostschweiz Medien) fühlt sich von Experten umzingelt und beklagt «weltfremde» Systemkritik und «hanebüchene Erkenntnisse». Norbert Neininger (Schaffhauser Nachrichten) kritisiert die verwendete Sprache der Wissenschaft. Und auch Thierry Meyer (24heures) attestiert der Forschung «Selbstgefälligkeit», «nicht überprüfbare Thesen und methodologische Lücken». Kurz, die Wissenschaft macht lediglich die Presse schlecht. Offenbar haben also nicht die Medien ein Problem, sondern die Publizistikwissenschaft. Grund genug, uns einige Gedanken zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Medienpraxis zu machen.
Wissenschaft darf keine Akzeptanzforschung im Interesse von Regierung, Verwaltung, Parteien oder Medienunternehmen betreiben, sich Fragen, Vorgehensweisen und Interpretationen nicht diktieren lassen. Denn: Eine Wissenschaft, die sich von Partikularinteressen leiten lässt, ist für die Gesellschaft wertlos. Nur wenn die Publizistikwissenschaft sich an akzeptierten wissenschaftlichen Kriterien orientiert, kann sie der Gesellschaft eine eigenständige Sichtweise auf die Medienentwicklung bieten, die Grundlage für politische Entscheide verbessern sowie neue und unbequeme Fragen aufwerfen.
Wir müssen unsere Forschung gemäss den Regeln und Gepflogenheiten wissenschaftlichen Arbeitens durchführen. Dabei versteht sich von selbst, dass auch wir uns – genauso wie die Medien – den internen und externen Qualitätsdebatten und der Kritik aus Wissenschaft, Politik und Praxis stellen müssen.
Mit dem Schreiben von Berichten im Fachjargon ist es jedenfalls nicht getan. Zur Aufgabe der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehört es auch, Resultate in verständlich aufbereiteter Form in die öffentliche Diskussion einzubringen und der Politik wie der Medienpraxis zur Verfügung zu stellen. Das wollen wir zukünftig noch stärker tun, auch wenn sich die Schweizer Publizistikwissenschaft seit jeher nicht über mangelnde Beachtung beklagen kann.
Unsere Ergebnisse müssen aber nicht gefallen – weder der Branche noch der Politik. Unsere Forschung kann von allen Seiten für die je eigenen Zwecke instrumentalisiert werden. Unsere Sichtweise ist nur eine von vielen – und sie ist den nicht-wissenschaftlichen Sichtweisen auch nicht a priori überlegen. Regierung und Verwaltung stehen denn auch alle Optionen offen: Forschung kann in der Schublade verschwinden, stillschweigend zur Kenntnisse genommen werden oder gar direkt oder indirekt als Grundlage für Entscheide dienen. Im aktuellen Fall teilt der Bundesrat viele Bedenken der Wissenschaft, setzt aber auf die Eigenverantwortung der Medienwirtschaft – und tut nichts. Die Verleger applaudieren dem Bundesrat und diskreditieren vor allem diejenige Forschung, die ihren wirtschaftlichen und politischen Interessen zu widersprechen scheint.
Mit diesem Liebesentzug können wir leben. Deswegen ziehen wir uns noch lange nicht in den viel bemühten Elfenbeinturm zurück, sondern mischen uns auch weiterhin ein. Das ist unser professioneller Auftrag. Und dafür liegen uns die Schweizer Medien und ihr Beitrag für eine funktionierende Demokratie zu sehr am Herzen. Auch wenn diese Liebe manchmal verschmäht wird.
Helen Brügger 23. August 2011, 07:16
Diese Antwort war fällig. Und die Debatte ist nötig.