von René Worni

Q – das Feigenblatt der Fachpresse

Heute tagt die Kommission Q-Zertifizierung des Verbands Schweizer Medien. Sie prüft den bunten Haufen der Spezial- und Fachpresse und entscheidet, wer sich für ein weiteres Jahr mit dem sogenannten Q-Label schmücken darf. Ein Gütesiegel ohne Wert. Ausgezeichnet werden damit auch Publikationen, die sich nur marginal um journalistische Maximen kümmern und als Sprachrohre ihrer Verbände und Inseratekunden fungieren.

Alljährlich wiederholt Jurymitglied Karl Lüönd in seiner Laudatio der prämierten Fach- und Spezialpublikationen, worauf es bei der Qualität vor allem ankommt: «Q-Publikationen werden von einer unabhängigen Redaktion gestaltet. Redaktionelle und bezahlte Beiträge sind klar unterscheidbar und entsprechend gekennzeichnet.»

Doch die Auffassung von Qualität ist so verschieden wie die Publikationen selber. Die Gattung der Spezial- und Fachpresse zählt schätzungsweise 2500 Titel in der Schweiz und generiert jährlich stolze 400 Millionen Franken an Werbeaufträgen. Das Spektrum ist enorm und reicht bei den bloss knapp über 100 zertifizierten Titeln von «Cigar», «Gartenfreund», «Tierwelt» über «KMU-Magazin», «Der Schweizer Treuhänder», «Wald und Holz», «Baublatt», «Chemische Rundschau», «Food & Beverage», «Werbewoche», «Schweizer Gemeinde», bis hin zu «Hausarzt Praxis», «Pharmajournal» und «Schweizer Optiker», um nur einige zu nennen.

Die wenigsten leisten sich jedoch eine nach journalistischen Grundsätzen unabhängige Redaktion und behelfen sich zur Not mit einem redaktionellen Beirat, der in der Regel nur die Minimalanforderungen des journalistischen Handwerks prüft. Selbst ein anerkanntes (und zertifiziertes) Branchenblatt wie etwa «Marketing und Kommunikation» lässt neben redaktionell einwandfrei recherchierten Beiträgen ausgewiesener Journalistinnen und Journalisten regelmässig Produktevertreter und Leute in Führungpositionen inserierender Firmen als Experten im Blatt schreiben. Vielfach verknüpft mit entsprechenden Inseraten. Das ist allgemein bekannt und kein Einzelfall. «Das machen zum Beispiel Werbewoche, Persönlich und viele andere auch», sagt Toni Vetterli, Leiter Marketing des Verlegerverbandes. Bekannt ist allerdings auch, dass Jaromir Löffler, bis vor kurzem M&K-Chefredaktor, in der Kommission der Q-Zertifizierer sitzt.

Was läuft hier schief? Unabhängiger und gleichzeitig rentabler Fachjournalismus scheint ein Widerspruch in sich zu sein. Denn Fachblätter berichten über jene, die gleichzeitig ihre besten Inserenten sind. Wer es mit der Unabhängigkeit ernst meint – wie die Automobil-Revue, die aufwändige eigene Modelltests durchführt und nicht a priori in die Hymnen der Autohersteller einstimmt – der muss sich seine Glaubwürdigkeit etwas kosten lassen; unabhängiger Journalismus gibts nicht gratis. Doch die grosse Mehrheit der Gattung geniesst praktisch grenzenlose Freiheiten bei den Konditionen und Preisen, die sie ihren Inserenten gewährt, die man nicht mit einem Gütesiegel beschränken will. Ronny Schmid, Teilhaber der Winterthurer Mediaagentur Konnex, schreibt in seinem Newsletter: «Das Erfüllen der Grundsätze für den Erwerb dieses Gütesiegels ist für viele Verantwortliche der Spezial- und Fachpresse nicht interessant. Sei es, weil die Freiheiten bei der Vermischung von redaktionellem und bezahltem Raum wegfallen würden. Oder sei es, weil keine Handhabe für den Einbau von verstecktem Mehrumsatz bei der Tarifgestaltung mehr gegeben wäre.»

Die Spezial- und Fachpresse ist ergo mit den Anforderungen des Q-Labels vor allem in Bezug auf redaktionelle Unabhängigkeit überfordert. Ehrlicher wäre es deshalb, die Kriterien zu ändern und zum Beispiel Branchenunterschiede zu berücksichtigen, um den unterschiedlichen publizistischen Anforderungen besser gerecht zu werden. Entsprechende Vorstösse von Mitgliedern sind beim Verlegerverband deponiert. Wie Toni Vetterli der MEDIENWOCHE mitteilt, gehöre es zu den ständigen Aufgaben, Anregungen und Kritiken regelmässig zu überprüfen und anzupassen. Ein in diesem Frühjahr erarbeitetes Strategiepapier zur verbesserten Positionierung der Q-Publikationen bei Verlegern und Kunden soll bis Ende Jahr innerhalb des Verlegerverbandes verabschiedet werden.

Oder aber man schafft das Feigenblatt Q-Label ganz ab, weil es im Grunde ein Ettikettenschwindel ist. Doch das wollen die Verantwortlichen der Q-Publikationen bestimmt vermeiden. Nicht zuletzt fiele damit das jährliche Stelldichein der Fachmedienvertreter im mondänen Zürcher Lakeside weg; die einzige Prise Glamour dieser mitunter zweifelhaften Mediengattung.

Leserbeiträge

Toni Vetterli 26. August 2011, 15:21

Zum Beitrag “Q- das Feigenblatt der Fachpresse”
Medienwoche vom 26. August 2011

Im professionellen Umfeld nehmen die Publikationen der Fach- und Spezialpresse wichtige Funktionen als Informations-, Kommunikations- und Werbemedien wahr. Dank ihrer inhaltlichen Fokussierung auf Fach- und Themenbereiche, ihrer redaktionellen Kompetenz und Glaubwürdigkeit und ihrer Rolle als Meinungsführer mit hoher Leserbindung sollen sie ein wichtiges Bindeglied zwischen den Teilnehmern ihres spezifischen Marktes sein. Qualität ist im harten Wettbewerb um Leser und Mediabudgets der zentrale Erfolgsfaktor. Sie muss aber nachvollziehbar überprüft sein und entsprechend kommuniziert werden.

Die Projektgruppe Q-Publikation im Departement Werbemarkt hat für die im Verband SCHWEIZER MEDIEN zusammengeschlossenen Fach- und Spezialpresse-Verlage – auch Nichtmitglieder können sich daran beteiligen – mit dem Gütesiegel Q-Publikation ein eigenständiges Label für diese Publikationen geschaffen. Um dieses Gütesiegel zu erlangen und es im Werbe- und Lesermarkt anwenden zu können, verpflichten sich die Titel dazu, klar definierte qualitative Merkmale und Kriterien einzuhalten. Diese Kriterien sind in einem Leitbild (http://www.schweizermedien.ch/index.php?id=84) zusammen gefasst. Das Gütesiegel muss jährlich neu beantragt werden, eine fachliche Überprüfung findet durch eine Fachkommission statt. Bei krassen Nichteinhaltungen gibt es Ablehnungen, bei mangelhaften oder ungenauen Einhaltungen gibt es Vorbehalte, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt umgesetzt sein müssen. Trifft dies nicht zu, wird auch einmal eine ursprüngliche Zusage für ein Gütesiegel wieder abgesprochen.

Die qualitativen Q-Kriterien sind so gewählt, dass sie Branchenübergreifend angewendet und untereinander verglichen werden können. Beispiel: Kriterien wie unabhängiger Redaktor/Chefredaktor, klare Trennung von redaktionellen und kommerziellen Inhalten, WEMF-Beglaubigung, Transparenz im Tarif-/Planungswesen sind sehr wohl über alle Branchen hinweg (inklusive Werbefachmedien!) anwend- und überprüfbar.

Es gehört es zu den ständigen Aufgaben die Projektgruppe Q-Publikation und der Kommission Q-Zertifizierung, die qualitativen Merkmale u.a. auf Einhaltung zu überprüfen oder auch zu hinterfragen. Es kommt aber immer wieder vor, dass Hinweise, Anregungen und Kritiken von einzelnen Titel – meistens über ihre Konkurrenztitel – gemacht werden. Diese fliessen dann in die entsprechenden Gremien ein. Im weiteren soll ein in diesem Frühjahr erarbeitetes Strategiepapier zur weiteren verbesserten Positionierung der Q-Publikationen bei Verlegern und Kunden noch bis Ende Jahr innerhalb vom Verlegerverband verabschiedet werden. Ziel dabei ist es, mit einer offensiven und kontinuierlichen Kommunikationsstrategie und einer Verstärkung der Dienstleistungen, die beteiligten Verleger über die laufenden Entwicklungen à jour zu halten, das Networking und die Kommunikation innerhalb den Mitgliedern zu fördern und ihre Titel als Qualitätsprodukte bei Agenturen und Werbeauftraggebern noch klar zu positionieren.

Übrigens: Die vollständige und differenziertere Analyse zu “Riesige Werbeinvestitionen – und niemand schaut hin!” von Ronny Schmid im Konni’s Kleiner Report (August 2010) ist abrufbar unter http://www.konnex-media.ch/de/newsletter/archiv/

Toni Vetterli, Leiter Marketing
Verband SCHWEIZER MEDIEN
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René Worni 27. August 2011, 12:15

@Toni Vetterli: Die Bemühungen um Qualitätsstandards in Ehren, aber viele Inserenten und Werbeauftraggeber kennen das Label nicht mal vom Hörensagen.
Ein spürbar besseres Ansehen hat das der Fachpresse nicht gebracht. Fachmedien müssen zwingend nahe bei ihren Inserenten sein. Da steigt die Gefahr von Beziehungsdelikten automatisch. Drum besser nicht journalisische Maximen mit einem Label verwässern, das nur schwer einzuhalten ist.