Schawi ist Kult
Nach sechs Sendungen ist der Fall Roger Schawinski klar und die nörgelnde Dauerkritik am «unverbesserlichen Egomanen» langsam ärgerlich, denn: Seine gleichnamige Talksendung auf SF steht im berechtigten Verdacht, Kult zu werden.
Zugegeben, wir haben in den letzten Jahren alle eine Überdosis an Roger Schawinski abbekommen, von diesem übereifrigen, rastlosen Marathon- und Erfolgsmenschen, der selbst aus dem Berliner Haifischbecken als Sendeleiter von Sat1 noch lebendig davonkommt und nebenher gar ein Buch darüber schreibt. Ganz zu schweigen vom Rummel rund um sein (tendenziell überschätztes) Erwachsenenradio, das ja nichts weiter ist, als ein solide gemachtes Lokalradio wie andere auch.
Doch hört endlich auf, mit dieser erbsenzählerischen Kritik an der halbstündigen Talksendung auf SF, denn sie ist seit Jahren stets dieselbe: Schlecht vorbereitet, lässt seine Gäste nie ausreden, wechselt sprunghaft das Thema, um die Oberhand zu behalten undsofort. Die alte Leier vom bejahrten Egozentriker, der sich besser ehrenvoll in die Pension verabschieden solle, anstatt krampfhaft zu versuchen, an seine «Talk Täglich»-Zeiten auf Tele Züri anzuknüpfen, nervt. Weil die Quote beim letzten Talk mit Toni Brunner wieder etwas anzog, musste sich das Newsnetz des Tages-Anzeigers verkneifen, die Sendung gleich tot zu schreiben (immerhin hat Newsnetz das miserabel geschnittene «Beweis»-Video für Schawinskis aprupten Gesprächsstil wieder entfernt).
Denn wirft man einen unvoreingenommenen Blick auf die Sendung, dann findet man alle Ingredienzien, die man von einem spannenden Talk erwarten darf. Tempo, Spontaneität, Emotionen, Aktualität und Relevanz. Das ist am Schweizer Fernsehen ein Novum, wo man eine behäbige, zurückgelehnte Tonalität speziell im Umgang mit Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft pflegt. Das Tempo erfordere die volle Konzentration des Publikums, bemängelte allen Ernstes der SF-Publikumsrat am Dienstag letzter Woche. Die Gespräche verliefen zudem kaum auf Augenhöhe, weil der Talkmaster das Zepter nicht aus den Händen gebe. Gerade das Tempo ist jedoch der fesselnde Faktor, bisher am schnellsten wohl mit SP-Jungspund Cédric Wermuth. Schawinski (66) und Wermuth (25) liessen selbst die Generationenkluft vergessen.
Solche Intensität überträgt sich auf die Zuschauer. Etwas Besseres kann einem Publikum nicht passieren. Selbst beim ersten Gespräch mit dem Privatbanker Konrad Hummler, (als risikomindernde «Zweitverwertung» eines Doppelpunkt-Talks auf Radio 1) und gemässigter als mit Wermuth, kann keine Rede von mangelnder Augenhöhe sein. Schawis Patzer, die Belegschaft von Hummlers Bank falsch zu beziffern ist verzeihlich. Den bisher grössten Ausrutscher landete der Talkmaster bei der St. Galler Justizdirektorin Karin Keller-Sutter, indem er sie aus dem Zusammenhang heraus mit ihren beiden Fehlgeburten konfrontierte (ohne Hinweis, dass die Schweizer Illustrierte das Thema bereits behandelt hatte). Doch solches kann passieren und sich nur verbessern.
Schawinski hat das Zeug zum Grandseigneur der Schweizer Medienszene zu werden, dem nichts weniger als beinahe 40 Jahre gelebte Mediengeschichte ins Gesicht geschrieben stehen; anders als Kollegen in gleicher Funktion, die um ihr Vis-à-vis bemüht, sich andauernd verkrampfen. So sagte der Talk mit Duzfreund Jean Ziegler mehr über die beiden Herren und über Schweizer Befindlichkeiten aus, als nur das, worüber sie sprachen. (Dass beide oft gleichzeitig redeten, erschwerte zwar akustisch die Verständlichkeit, was SF aber mit einer besseren Kanaltrennung – Schawinski links, Gast rechts – technisch einfach beheben könnte). Etwas von dieser Qualität kam auch im Gespräch mit Toni Brunner zum Vorschein, den Schawinski schon beinahe wohlwollend über wirtschafltiche Zusammenhänge in Erklärungsnot brachte.
Heute Abend steht der grünliberale Martin Bäumle, Musterschüler, Überflieger (Schawinski über Bäumle) und Schnellredner (Bäumle über sich) auf dem Programm. Ein Risiko dürfte das nicht werden, denn Bäumle stand dem Talkmaster bereits im April auf Radio 1 Red und Antwort. An Tempo wird es nicht fehlen.
Dass sich SF mit der Wahl der Gäste (unter sieben Gästen eine Kandidatin und vier Kandidaten für den National- bzw. Ständerat) über die eigenen publizistischen Leitlinien hinwegsetzt, steht auf einem anderen Blatt. Danach sollte während zwei Monaten vor Wahlen aus Gründen der Gleichbehandlung auf abstimmungsrelevante Personenporträts verzichtet werden.
adrian oesch 03. Oktober 2011, 23:15
naja… wenn man ein wenig ausserhalb des landes polit- & talkshows schaut, dann ist die leistung schawinskis doch eher verhalten. kult ist mehr seine attitüde, sein verhalten, nicht jedoch seine sendungen/leistungen. ähnliches gilt für giaccobo/müller. man kennt sie v.a. weil es keine alternativen gibt. aber gut ist was anderes (meine favoriten sind extra3, und natürlich john stewarts TDS.)