Sex sells? Gemeindeschreiber sells!
Wenn sich die Realität nicht an die These halten will oder wie ein Gemeindeschreiber zum Star einer Reportage avanciert, weil der Sex nichts hergab.
«Weisch», sagt der Gemeindeschreiber, «das sind Leute wie du und ich.» Er duzt mich und meint dann: «Du könntest auch dort arbeiten.» Er stellt sich als Karl vor und scheint mich wie selbstverständlich den Huren zuzurechnen, die im Etablissement in seinem idyllischen Dorf im Zürcher Oberland arbeiten. Er ist klein und dick, 50-plus. Wir unterhalten uns über ungarische Prostituierte und meine geplante Reportage darüber, wie sich das horizontale Gewerbe mit dem Dorfleben verträgt. Der Besitzer des Tattooladens gleich nebenan ist ebenfalls Ungare. Er heisst auch Karl und hat nur ein «fucking bitches» für seine Landsfrauen übrig.
«Weisch», sagt der Gemeindeschreiber, «die sehen am Tag ganz normal aus wie du oder so. Nur nachts tragen die Federzeugs und Plateau-Stögis. Die sind voll und ganz integriert bei uns. Kein Thema.» Und er hört nicht mehr auf: «Also ich weiss nicht, was du hier journalistisch machen willst». Bitte? «Ja, eben. Wir haben keine Probleme im Dorf. Ich habe kein Problem mit den Ladys.» Er zieht dabei das a ganz lang und macht daraus Laaaaidis. «Und ich habe kein Problem mit den Jugos, die am Bahnhof rumhängen. Weisch, wegen denen müssen wir alles absperren, die machen alles kaputt!» Okay Karl, denke ich mir, du bist irgendwie massiv asozial und irgendwie massiv komisch. Und auf seinem Pult stehen zig Bilder von blonden, lächelnden Kindern. Vater ist der auch noch. Nennt er seine Frau auch Laaaiidiii? Ich will es gar nicht wissen.
Ich hatte das Konzept der Reportage klar vor Augen: Dorf und Sexclub beissen sich, Bordellbesitzer, Sprecherin des Elternvereins, Gemeindeschreiber und Prostituierte geben ein schillerndes Ensemble, eine Story, die sich gut verkauft. Sex sells halt. Doch diesmal läuft die Geschichte anders und ich muss eingestehen: Gemeindeschreiber sells. Man ist nie vor Überraschungen gefeit, drum liebe ich meinen Job.
Otto Hildebrandt 16. Dezember 2011, 14:55
Weshalb recherchieren Sie überhaupt vor Ort, wenn die Ergebnisse ihrer Reportage schon feststehen und sie nur noch ein paar Belege sammeln wollen? Ist doch Zeitverschwendung. Das machen ja nicht mal die Leute, die ihre Arbeiten für Journalistenpreise einreichen. Brilliant natürlich ihre Entdeckung, daß es „draussen in der Welt, besonders auf dem Dorf“außer FeministInnen noch Menschen mit anderen Ansichten gibt. Da hat sich der Recherchaufwand für Sie am Ende doch noch ausgezahlt.
Rafaela Roth 16. Dezember 2011, 18:21
Also Herr Hildebeandt was ist denn mit Ihnen? Wie reflektiert finden Sie es eigentlich Ihren Frust über Journalisten an der guten Frau hier auszulassen? Die Geschichte erzählt ja gerade davon wie eine Journalistin sich von Ihrer Recherche leiten lässt und nicht einfach Belege für Ihre These sucht. Wissen Sie was ich lustig finde? Wenn Sie Stephanie Rebonati gegenüberstehen würden, wären Sie wahrscheinlich ausgesprochen freundlich, schaurig interessiert an der jungen Journalistin und unglaublich aufmerksam und hier über das Internet haben Sie keine Mühe sie zu beleidigen und ihr schön eine reinzuwürgen. Lustig nicht?
agossweiler 16. Dezember 2011, 22:01
> Man ist nie vor Überraschungen gefeit, drum liebe ich meinen Job.
Yessss!! Das geht mir genau gleich. Weiter so, Frau Rebonati! Spannender Journalismus kann nur dann entstehen, wenn man rausgeht und seine (Vor)urteile mit der Realität abgleicht. Ronnie Grob könnte in diesem Punkt viel lernen von Stephanie Rebonati.
Vladimir Sibirien 17. Dezember 2011, 16:41
Ja ich denke so etwas nennt man dann Realitätsverlust.
Und was hat das mit Ronnie Grob zu tun, ausser dass Sie Profis nicht leiden können?