«Wir haben alle Klinken geputzt»
Zürich sah er als letzte Chance für seine «Mikrozeitung»: «Wenn es hier funktioniert, dann funktioniert es überall.» Doch nun ist der Berner Oberländer Verleger Urs Gossweiler mit genau diesem Zeitungskonzept in der Innerschweiz gescheitert. Ob er sich von dem Rückschlag erholen wird, weiss er nicht.
Sein Brückenkopf steht an der Weinbergstrasse im Kreis 6 in Zürich. Eine Dachwohnung mit zwei Zimmern, eines davon so gross, dass darin locker 40 Personen eine Party feiern können. Partys finden hier keine statt, dafür wird intensiv genetzwerkt. Der Raum ist minimalistisch eingerichtet, wie ein Loft aus dem Katalog: Ledersofa, wuchtiger Holztisch, dekoriert mit iPad, Macbook, iPhone.
Urs Gossweiler, 41 und Verleger, blickt an einem Tag im vergangenen Herbst aus dem Fenster in den Nebel von Zürich und sagt: «Wenn es in Zürich funktioniert, funktioniert es überall.» Von hier aus wollte er die Stadt erobern. Jetzt scheint dieses Vorhaben immer unwahrscheinlicher.
Im vergangenen Oktober war die Ankündigung eine grosse Überraschung: Urs Gossweiler wollte in Zürich zwölf neue Zeitungen zu gründen. Gleichzeitig, am 12.12.2012. Für jedes Quartier eine. Mit der Jungfrau Zeitung hat es geklappt, Gossweilers Konzept der Mikrozeitung, mit der Obwalden-Nidwalden-Zeitung (ONZ) ist er letzte Woche gescheitert. Eigentlich hätte Zürich und nicht die Innerschweiz zum alles entscheidenden Test werden sollen, zum «All-In», wie Gossweiler sagt.
Gossweiler empfängt im Nadelstreifenanzug (grau, weiss kariert), Hornbrille, die kurzen Haare leicht hochgegelt. Mit der Frisur und seinem runden Gesicht sieht er jünger aus als er ist. Auf dem Weltkongress der Zeitungen 2011 referierte er neben dem CEO der Times of India und dem Geschäftsführer von Gruner+Jahr Corporate Editors über neue Geschäftschancen für Zeitungen. Im Hamburger Presseclub kokettierte er mit dem Klischee des langsamen Berners – und demontierte es gleich selbst mit einem redegewandten Vortrag.
Von Gemächlichkeit ist bei Gossweiler nichts zu spüren. Über die Medien in der Schweiz sagt er Sätze wie: «Es ist unglaublich, wie wenig passiert ist in dieser Branche» und «die arbeiten noch wie zu Zeiten des Buchdrucks.» Um seine Worte zu unterstreichen, klopft er mit ausgestreckten Fingern auf den Tisch. Wenn er von der Mikrozeitung erzählt, scrollt und streicht er über iPad und iPhone wie ein Autonarr über seine Lieblingskarosserie.
Urs Gossweiler vertritt radikale Ansichten, gibt sich gerne unangepasst, man nennt ihn auch den Medienpionier aus Brienz. 1993 erbte der damals 22-jährige ein knapp hundertjähriges Familienunternehmen mit Druckerei und Lokalblatt «Der Brienzer». In kürzester Zeit verwandelte er den Betrieb in ein modernes Multimediaunternehmen, verkaufte die Druckerei und gründete 1995 die Mountain Multi Media, das erste Multimedia-Ausbildungszentrum der Schweiz. Die Jungfrau Zeitung war 2004 die erste Schweizer Zeitung mit integriertem Web-TV, sein Medienhaus produziert Sendungen für Pro7, entwickelt Apps fürs iPhone und iPad. «Online im Oberland», titelte NZZ Folio einst. Das war 1996.
Im Jahr 2000 verwirklichte Gossweiler mit der Jungfrau Zeitung sein Konzept der Mikrozeitung: konstanter Newsfluss online, zweimal in der Woche das Wichtigste auf Papier, radikal lokal. Damit möchte Gossweiler die Lücke füllen, die überregionale Tageszeitungen durch die Ausdünnung der lokalen Berichterstattung entstehen liessen. Drei Jahre später präsentiert er ein flächendeckendes Lizenzmodell: Gossweiler teilte erst die Schweiz, dann ganz Deutschland in Mikro-Regionen ein und klopfte später bei den Verlegern an, um sein Zeitungsmodell zu verkaufen. Sein Medienhaus war zu klein, um genügend finanzielle Mittel aufzubringen.
Vier Jahre lang hat er jedem Schweizer Verleger sein Konzept erklärt, zu überzeugen versucht. «Wir haben wirklich alle Klinken geputzt», sagt Gossweiler und lächelt. Ein paarmal kam es fast zur Unterschrift, am Schluss haben immer alle abgelehnt. Er vermutet, die Medienhäuser hätten ihn in der Jungfrauregion versauern lassen wollen. 2009 wandte Gossweiler sich nach Deutschland, «wo das gleiche Rösslispiel noch einmal von vorne anfing.» Eine frustrierende Zeit. Erst 2010 gelang der Verkauf der ersten Lizenz an die neugegründete Obwalden-Nidwalden-Zeitung.
Zehn Jahre für die erste Lizenz, die bereits nach knapp zwei Jahren scheiterte. Ein harter Schlag. In Zürich wollte Urs Gossweiler eigentlich beweisen, dass sein Konzept funktioniert. Wer immer nur vom Erfolg seines Konzepts erzähle, werde irgendwann nicht mehr ernst genommen, sagt er. Darum wollte er alles riskieren: In Zürich geht es um 50 Millionen Franken an Investitionen, um 180 Journalisten und Verlagsspezialisten.
Die Medienbranche warte auf sein Scheitern, sagte Gossweiler bereits im letzten Herbst. Der Druck sei enorm: «Wenn man als Familienunternehmen 105 Jahre auf dem Buckel hat, ist das eine riesige Verantwortung.» Gegenüber der Familie, den Mitarbeitern, nicht zuletzt der Öffentlichkeit. Auch im Jungfraugebiet warten sie auf seinen Misserfolg, sagt Gossweiler. Noch immer würden dort einige denken, er sei ein Spinner. «Wir sind zum Erfolg verdammt», sagt er. Ob sich Gossweiler vom Rückschlag in der Innerschweiz erholen wird, weiss niemand. Auch er selbst nicht.
Jeffrey Damer-Feuz 30. März 2012, 20:52
Oh, der arme Herr Gossweiler….mir kommen die Tränen….war nicht er es, der im Schottenrock an der Verlegertagung auftrat? Der keine Gelegenheit ausliess, gegen „die Medien aus Zürich“ zu wettern? Der Journalisten PR-Texte gegen Bezahlung schreiben lässt? Der sein überteuertes Redaktionssysten bis nach Zug verschacherte? Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, Herr Gossweiler. Aber natürlich sind jetzt auch noch die anderen Schuld, die sie die vergangenen Jahr bei jeder Gelegenheit ins Schienbein traten. Und wie war das eigentlich mit dem geplanten Medienhochaus in Brienz? Und wie lange findet Herr Gossweiler eigentlich noch Journalisten, die sehr wohlwollend über seine „Visionen“ berichten….? Fragen über Fragen….