Um die Früchte ihrer Arbeit gebracht
Der Lokaljournalismus gilt als eine der härtesten Disziplinen. Doch die Wertschätzung der Königsdisziplin lässt zu wünschen übrig. Gerne nutzen renommierte Titel Lokalmedien als Stichwortgeber und Steinbruch, ohne die Leistung der Ideenlieferanten zu würdigen. Eine Zeitung, drei Beispiele.
Als der Bieler Lokalredaktor Joel Weibel am letzten Sonntag die Presse durchblättert, blieb er bei einem Artikel im «Sonntag» hängen. Auf den ersten Blick schien es ihm, dass der Text etwas hergeben könnte für einen Nachzug im Bieler Tagblatt; es ging um einen Streit in der lokalen SP. Doch als Weibel den Artikel zu lesen begann, merkte er schnell, dass im «Sonntag» nichts anderes drin stand, als das, was er und eine Kollegin vor mehr als einem Monat recherchiert und veröffentlicht hatten.
Einen Hinweis auf seinen Artikel suchte der Journalist vergeblich. Der Text gab sich als «Sonntag»-Recherche aus – was auch nicht gelogen ist. Denn Christof Moser, der Autor des Artikels, hatte keine Kenntnis vom früheren Artikel in der Lokalzeitung. Nach einem Tipp aus SP-Kreisen habe er sich in der Schweizerischen Mediendatenbank SMD umgesehen und nichts zum Thema gefunden. Deshalb habe er davon ausgehen können, dass vor ihm noch kein anderer Journalist an der Geschichte dran gewesen sei. Dass das Bieler Tagblatt seine Artikel nicht in der SMD ablegt, wusste Moser nicht. Und mit einer Google-Suche wurde der «Sonntag»-Reporter nicht fündig, obwohl der betreffende Tagblatt-Artikel mit den passenden Suchbegriffen angezeigt würde.
Immerhin meldete sich «Sonntag»-Chefredaktor Patrik Müller beim Bieler Tagblatt, nachdem man ihn auf den Vorfall hingewiesen hatte und erklärte, es sei keine Absicht gewesen, die Lokalzeitung um die Früchte ihrer Arbeit zu bringen. Von Müller ist zudem bekannt, dass er seine Redaktoren dazu anhält, Quellen sauber zu zitieren, egal wie prominent sie sind.
Für Joel Weibel bleibt trotz Müllers Erklärung und den nachvollziehbaren Umständen, die dazu geführt hatten, dass der «Sonntag» seine Recherchen nicht würdigte, eine gewisse Enttäuschung zurück. Auch deshalb, weil inwzsichen auch die «Berner Zeitung BZ» die Geschichte aufgegriffen hat und als Quelle den «Sonntag» nennt – obwohl die BZ als Partnerin des Bieler Tagblatts die ursprüngliche Recherche vor mehr als einem Monat zur Veröffentlichung angeboten erhalten hatte.
Zu Weibels Unmut trägt weiter bei, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Lokalmedien riskieren immer wieder, von den Grossen der Branche als Gratis-Ideenlieferanten missbraucht zu werden. Das weiss man auch in Biel. Nur zu schlecht in Erinnerung geblieben ist ein Vorkommnis vom Herbst 2010. Damals hat das Bieler Tagblatt in aufwändiger Recherchearbeit acht Mitarbeiter des Erwachsenen- und Jugendschutzes Biel dazu bringen können, anonym über die Missstände in ihrer Behörde zu sprechen.
Als die Sonntagszeitung den Fall aufgreift, hält sie eine Nennung des Bieler Tagblatts nicht für nötig, obwohl sie sich offensichtlich auf die umfangreichen Recherchen der Lokalzeitung abstützt. Nach einer Intervention der Bieler Chefredaktion, entschuldigt sich die Sonntagszeitung. Quasi als Wiedergutmachung bietet sie zudem an, der Regionalzeitung künftig Informationen über die Bieler Islamistenszene weiterzugeben.
In einem anderen Fall war es das Wirtschaftsmagazin «Bilanz», das sich beim Bieler Tagblatt bediente und es nicht für nötig hielt, auf die Quelle hinzuweisen. Nachdem die Zeitung Anfang 2012 ein Porträt des inzwischen zum Nationalbankpräsidenten gewählten Thomas Jordan veröffentlichte, erkundigte sich ein Mitarbeiter der «Bilanz», ob man ihm den ganzen Artikel zur Verfügung stellen könne, da online nur Titel und Lead zugänglich sind und das Bieler Tagblatt auch nicht in der Mediendatenbank SMD zur Verfügung steht.
Nichts Böses ahnend, schickte die Autorin ihren Artikel dem «Bilanz»-Mitarbeiter, schliesslich hilft man sich unter Kollegen. Als sie bald darauf das Jordan-Porträt im Wirtschaftsmagazin las staunte sie nicht schlecht: Nahezu sämtliche Fakten, die sie über den Nationalbanker zusammengetragen hatte, standen so auch in der Bilanz zu lesen. Einen Hinweis auf die Mithilfe der Kollegin aus Biel sucht man indes vergeblich. Auf Nachfrage hat sich der Journalist bis heute nicht mehr gemeldet.
Mark Balsiger 19. April 2012, 12:42
Das Beispiel mit der „Bilanz“ löst nur etwas aus, dafür kräftig: Fremdschämen.
Zum „Bieler Tagblatt“/BT: Meines Wissens ist das der einzige Regionaltitel, der nicht bei Swissdox/SMD dabei ist. Eine Unterlassung – vermutlich aus Spargründen.
Weiss jemand, wieviel das für eine Tageszeitung kostet?
Christof Moser 21. April 2012, 00:05
Meine Entschuldigung hat den um die Früchte seiner Arbeit gebrachten Autor inzwischen erreicht. Was ich mich frage: Warum kommen in den anderen zwei Beispielen nur die Facts vor und nicht auch die Figures? Immerhin scheinen die anderen Fälle vorsätzlich geschehen zu sein, was ein absolutes No-go ist.
Be Kant 27. April 2012, 13:08
Nicht nur Lokalzeitungen, sondern auch «Special Interest»-Titel wie Zeitungen mit religiösem Hintergrund (Tachles, Reformiert, etc., pp.) wurden von den grossen Publikumsmedien schon schamlos geplündert ohne Quellennennung.
Man nimmt sie halt einfach nicht so ernst, die Journalisten, die nicht bei den prestigeträchtigen Titeln arbeiten.
Christoph Hugenschmidt 02. Mai 2012, 22:42
Ein bekannter Journalist einer richtig grossen, wichtigen Zeitung hat mich einmal etwa eine halbe Stunde am Telefon mit Fragen zu einer Informatik-Story gelöchert. Es war Samstag oder Abends aber ich gab trotzdem gerne Auskunft. Schliesslich hilft man Kollegen gerne und die Aussicht, in der richtig grossen, wichtigen Zeitung zitiert zu werden, war Lohn genug.
Der Kerl hat dann eine Äusserung von mir als Titel genommen und unser Telefongespräch zusammengefasst als Artikel in seine Zeitung geklatscht. Irgendwie hat dann der Hinweis auf den Quell seiner Weisheit grad nicht mehr Platz gehabt oder die bösen Produzenten haben ihn rausgekürzt.
Das war allerdings eher eine Ausnahme. Normalerweise klauen die lieben FreundInnen von der personell völlig unterdotierten „Fachpresse“ radikaler und öfter als die KollegInnen von der Tagespresse, den Radios und TV-Sendern. Bitter ist es, wenn eine bei uns abgekupferte Story mit Nennung der Diebe zitiert wird, weil man zu faul war, mal schnell Google zu fragen, wer denn sonst (und vielleicht genauer, kompetenter und vorher) über die Sache berichtet haben könnte.
Andreas Stricker 28. Juli 2013, 01:36
Manche Medien, die sich für gross halten, gehen nicht nur unfair mit kleineren Konkurrenten um, sondern auch mit freien Journalisten, die ihnen Themen zutragen – zumindest war das vor gut 10 Jahren so. So wie es mir einst beim Beobachter geschehen war. Zugegeben, es ist eine Weile her, im Jahr 2000.
Konkret hatte ich dem Beobacher Informationen für eine Story zugetragen. Gleich nachdem ich dem Beobachter eine erste Rohfassung meines Artikels übermittelt hatte (obwohl ich noch vor einem möglichen Ideenklau gewarnt worden war, aber ich war so naiv, dem Beobachter zu vertrauen), stellte der Beobachter entgegen mündlichen Abmachungen eigene Recherchen an. Dies tat er auch in vollem Wissen um das Risiko, in den Fall involvierte Personen in Position und Ruf zu gefährden, worauf ich den Beobachter-Redaktor ebenfalls vergeblich hingewiesen hatte.
Nachdem ich dies erfahren hatte, erklärte ich meinen Quellen, was der Beobachter vorhatte. Diese waren loyal mit mir und hielten dicht. Da der Beobachter somit keine Story zustande brachte, meine Geschichte aber auch nicht veröffentlichen wollte, erschien dann halt zumindest überregional gar keine Story. Dass an meinen Informationen durchaus was dran gewesen war zeigte sich, als ein Teil davon kurze Zeit darauf Thema in „10 vor 10“ war. Dies lief dann aber nicht mehr über mich – die Informanten, die ich hatte, wendeten sich direkt an „10 vor 10“.
Das Resultat war für mich eine geschlagene Woche intensive Arbeit mit null Franken Honorar. (Die Story wurde dann wie vorgesehen auch noch in einem Lokalblatt veröffentlicht und sorgte Lokal für grossen Aufruhr. Dafür erhielt ich dann auch kein Geld, aber das ist eine andere Geschichte).
Ich hatte damals, im Mai 2000, meinem Ärger Luft gelassen und den Mailverkehr ins Internet gestellt. Über web.archive.org ist er immer noch zu finden:
http://web.archive.org/web/20040509165839/http://www.stricker.net/andreas/zeitg/beob/beobachter.html
Auch der Artikel selber findet sich dort noch:
http://web.archive.org/web/20040509170151/http://www.stricker.net/andreas/zeitg/reg/spitalwil/spitalwil.html
Ich bin nun schon einige Jahre nicht mehr in diesem Geschäft… sind solche Methoden auch heute noch üblich…?