von Ronnie Grob

Der Asylsuchende als Phantom

Eine kleine Gruppe aus den Appenzeller Dorfweilern Wienacht und Schwendi denkt darüber nach, eine Bürgerwehr zu gründen, weil sie sich von Asylsuchenden aus dem Asylzentrum Landegg bedroht fühlt. Die Sendung «Reporter» will der Sache nachgehen, filmt das Gebäude aber nur von aussen. Gleich drei Hauptakteure kommen nicht zu Wort: Die Asylbewerber, ihre Betreuer und die Polizei.

Wenn man sich überlegt, wie eine potentiell konfliktreiche Situation erschafft werden könnte, dann kommt man vielleicht darauf, ein paar junge Männer zu nehmen, sie an einen Ort zu bringen, wo überhaupt nichts los ist und ihnen zu sagen, dass sie 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche nichts anstellen dürfen, ausser die ihnen auferlegten «Ämtli» auszuführen.

So haben es die Kantone St. Gallen und Appenzell-Ausserrhoden gemacht und in einem ehemaligen Hotel das Asylzentrum Landegg errichtet. Seit März 2010 werden hier über «bis zu 125 Asylsuchende» untergebracht, darunter natürlich nicht nur junge Männer, sondern auch Frauen und Kinder. Auf der Website des Kantons St. Gallen heisst es dazu:

Ziel ist es, die Asylsuchenden in dieser Zeit auf einen selbständigen, eigenverantwortlichen Aufenthalt in der Schweiz oder auf die Rückkehr ins Herkunftsland vorzubereiten. Sie werden in der deut­schen Sprache unterrichtet und mit den hier geltenden Regeln und Gepflogenheiten vertraut gemacht.

Der «Reporter»-Beitrag beginnt mit dem Weg ins Säli des Restaurants Station. Eine Gruppe von zehn bis fünfzehn Personen erwägt, eine «Bürgerwehr» zu gründen, Details dazu werden keine bekannt. Einige von ihnen hatten bereits im Dezember 2011 der Weltwoche ihr Leid geklagt.

Reporter Marc Gieriet bringt sich selbst in den Beitrag ein und hört erst mal zu (so hätte es ein Abgesandter des EJPD auch gemacht). Tatsächlich nimmt man ihm ab, sich für die Belange der Bürger zu interessieren, doch am Ende des Beitrags ist sein Urteil klar und eindeutig: Hier wird etwas aufgebauscht, das keine reale Grundlage hat, eine Hysterie unter Dörflern. Es geht um Ängste, nicht um Fakten, was EJPD-Vorsteherin Simonetta Sommaruga im Schlusswort auf wundersame Weise bestätigt: «Ich nehme auch die diffusen Ängste ernst.»

Dieses Urteil ist zum Teil sicher korrekt, aber man hätte auch erwähnen können, dass bei einer Razzia im Juni 2011 fünf Personen festgenommen und später verurteilt wurden. Dass die Betreuer «am Rande des noch Bewältigbaren» sind, nicht zuletzt, weil sie bedroht werden. Wer das St. Galler Tagblatt liest, stösst zwar durchaus darauf, dass das Bild des Asylzentrums verzerrt dargestellt werde, aber auch auf Berichte über eine weitere Razzia und über Kokainbesitz, Täuschungen, Flüchtende, Trunkenheit, Schlägereien und Angriffe auf Polizisten.

Die Patrouillentätigkeit um die Landegg sei «kantonsweit am intensivsten», bilanzierte der Sprecher der Kantonspolizei Appenzell Ausserrhoden das Jahr 2011:

Nebst der täglichen, sichtbaren Präsenz hat die Kantonspolizei im Jahr 2011 über 60mal interveniert und dabei fehlbare Asylbewerber verhaftet, in Ausnüchterungshaft genommen oder strafrechtlich verzeigt.

Doch die Polizei kommt in der Sendung so wenig zur Sprache wie die Mitarbeiter der Landegg und die Asylsuchenden, um die es ja eigentlich geht. Am Asylzentrum wird mit der Kamera vorbeigefahren, nicht angehalten, man verhält sich witzigerweise exakt wie die Aktion «Pro Wienacht», die das Gebäude auf ihrer Website auch nur von aussen ablichtet. Wie die Kollegen von «Schweiz Aktuell» beweisen, ist das Gebäude zugänglich. Warum aus der Landegg in den gesamten 23 Minuten kein Bild gezeigt wird, bleibt das grösste Geheimnis des Beitrags. Zufällig gesichtet wird lediglich eine Gruppe von vier Männern am Bahnhof Schwendi, die dem Reporter erzählen, sie seien auf einem Frühlingsspaziergang (ab Minute 14:50).

Es ist nicht schwierig, den abenteuerlichen Braunbär-Vergleich zu thematisieren, den Unternehmer Hans Thoma ab Minute 5 bringt («unsere Belästigung hat die gleiche Farbe»), aber viel näher als an einen Braunbär wagt sich offenbar auch Marc Gieriet nicht an die Asylsuchenden heran. Es ist fast etwas wie mit diesem angeblich existierenden Panther: Irgendwo muss es ihn geben, es muss unbedingt darüber berichtet werden. Und tatsächlich findet sich: nichts. Kein Panther. Kein Asylbewerber. Keine Bürgerwehr.

Die Reporter-Sendung «Wienacht im Frühling» wurde am 27. Mai 2012, um 21.55 Uhr auf SF1 ausgestrahlt. Sie erreichte 314.000 Zuschauer und 21,2 Prozent Marktanteil.

Leserbeiträge

Jonas Arnold 29. Mai 2012, 21:44

Lieber Herr Grob

Ich stamme aus der Region. Meiner Meinung zeigt der Bericht sehr gut, wie das Asylzentrum Landegg offenbar gewissen Menschen jede Rationalität raubt. Auch Ihnen scheint die Verhältnismässigkeit bei dem Thema etwas abhanden gekommen:

*Die Autodiebstähle fanden im Sommer 2011 statt: Damals hat man drei (wenn ich mich richtig erinnere) Nordafrikaner festgenommen – ohne dass man Diebesgut sicherstellen konnte

*12 Kügelchen Kokain dürfte man wohl auch bei einer Razzia in einer Zürcher Stadtwohnung finden

*Genauso behindern auch bei uns betrunkene Jugendliche, ah ja, betrunkene Schweizer Jugendliche (in Zeiten wie diesen muss man präzis sein) jedes Wochenende irgendwelche Postautos und Bahnen. Würden die Zeitungen darüber berichten, müssten sie wohl Extraseiten hinzufügen.

*Dass die Betreuer zeitweise überfordert sind, kann ich gut nachvollziehen. Das gibt es aber in jedem sozialen Beruf, wo man mit unterschiedlichen Menschen zu tun hat.

Ok. Man hätte einen Rundgang durchs Heim machen können. Viel zu sehen hätte es aber nicht gegeben. Ich rate Ihnen aber, sich dafür mal einen privaten Nachmittag Zeit zu nehmen. Es erweitert durchaus den Horizont.

andreas kunz 30. Mai 2012, 13:39

Der Film war einfach schludrig gemacht und gipfelte in der Szene, in der Reporter Gieriet den Thoma als Deppen hinstellt. Die beiden stehen auf der blitzsauberen Strasse und Gieriet sagt aus dem Off, er habe bei der Gemeinde nachgefragt: Die letzte Reinigung sei vor zwei Wochen gewesen. Also nix mit Dreck von Asylanten. Das war dann sein Killerargument, dass alle Probleme aufgebauscht würden. Die Wahrheit ist nun aber, dass Gieriet bei der falschen Gemeinde nachgefragt hat. Tatsächlich. Bei der falschen Gemeinde! Das muss man sich erstmal vorstellen… Eigentlich zum Totlachen, wenn die Wahrheit nicht noch viel krasser wäre…. Mehr zu diesem und den vielen anderen Fehlern im Film morgen von Kollege Bandle in der Weltwoche.

Claudia Rosenkranz 31. Mai 2012, 18:23

Sehr geehrter Herr Grob
Grossen Dank für Ihre Kritik an der Sendung Reporter über Wienacht!

Mir sind die Haare zu Berge gestanden und ich habe dem SF eine entsprechende Mail geschrieben. Offensichtlich steht das SF politisch weit links. Eine objektive Berichterstattung kann man nicht mehr erwarten. Besorgte Bürger die ihre Mitmenschen schützen wollen werden als Phantasten und Lügner hingestellt.

Was für eine Erleichterung, dass es Menschen gibt wie Sie, die sehen was abläuft. Selbstverständlich hätte die Polizei befragt werden müssen.

Ich habe – zwar vor vielen Jahren – in einem Asylbwerberzentrum ein sechsmonatiges Praktikum gemacht und hautnah erlebt (Gewaltakte, Polizeieinsätze, Übergriff z.B. auf den zu Hilfe eilenden Dorfarzt usw. usf.) wie die Mentalität dieser sogenannten Asylbwerber beschaffen sein kann.

Wir dürfen nicht müde werden den Gutmenschen aufzuzeigen, dass sie ganz vieles übersehen und schönreden. Und immer wieder denke ich, dass auch sie irgendwann einmal begreifen werden…. aber dann wird es mit Bestimmtheit zu spät sein.

Besten Dank an Sie und freundliche Grüsse!

Theo Hanssen 01. Juni 2012, 11:19

Ich frage Sie:
Wo ist die Bürgerwehr gegen Rechtsradikale?
Wo ist die Bürgerwehr gegen Schweizer Krawallmacher?
Wenn es Gutmenschen gibt, gibt es dann auch Bösmenschen?

Das Volk rottet sich zusammen, gibt sich besorgt, um die „Mitmenschen zu beschützen“. Das ist Ihre Interpretation. Damit stellt sich eine Gruppe über den Konsens in der Gesellschaft – weil sie keine Mehrheit findet. Das nennt sich dann Selbstjustiz, wenn auch wohlmöglich nur in den Köpfen und am Stammtisch. Alles beginnt in den Köpfen.

Reto Bruggmann 04. Juni 2012, 14:35

Na ja, die Asylbewerber-Gemeinschaft wird wohl gute und böse Menschen umfassen. Aber eines werden alle gemeinsam haben, genau so wie die Strassenverkäufer. Nähert sich ein Polizist, ein Reporter oder sonst eine für sie verdächtige Person, sind die innert Sekundenbruchteilen unsichtbar.
Verkaufen sie gerade jetzt noch Taschen und es beginnt zu regnen, haben sie innert 2 Minuten (woher auch immer) nur noch Regenschirme im Angebot.
Und wie das geht verstehen wir wohl nie.
Aber, was klar ist, mit ihnen lässt sich so auch keine objektive Fernsehsendung vorbereiten. Und daher sind diese Sendungen für mich persönlich in der Regel unnütze Zeitverschwendung.
Aber, man muss hie und da etwas anschauen und hinhören, will man auch ein Minimalwissen aufbauen. Das ist die leidige Crux.
Reto