von Ronnie Grob

Journalisten, wie sie im Drehbuch stehen

Von Balzacs Lucien Chardon über Maupassants Bel Ami bis zu Baby Schimmerlos oder Carrie Bradshaw gibt es viele Journalisten, die sich jemand ausgedacht hat. Sie beruhen oft auf realen Vorbildern und haben mehr mit der Realität zu tun, als man auf den ersten Blick vermuten würde; als Charakterstudien realer Journalistentypen halten sie der Branche den Spiegel vor.

Zeit, sich mit ihnen zu beschäftigen: Wir haben zehn fiktive Journalisten ausgewählt, die es ins Kino oder wenigstens ins Fernsehen geschafft haben.

10. Horst Schlämmer

Reporter aus Grevenbroich, gespielt von Hape Kerkeling

Der Lokalreporter als Horrorvision: Dreist, unfreundlich, von sich selbst eingenommen und mit Alkoholproblem. Die 2005 von Hape Kerkeling erfundene Figur könnte man aber auch jovial, kommunikationsstark und originell bezeichnen. Sein fiktiver Arbeitgeber, das Grevenbroicher Tagblatt, ist sogar auf der Website seiner Heimatstadt Grevenbroich erwähnt. Überhaupt ist die Figur ein grosser Erfolg, vor allem auch unter den Journalistenkollegen. Als Schlämmer während dem Bundestagswahlkampf 2009 eine Pressekonferenz zu seiner fiktiven, mit einem Kinofilm verknüpften Kandidatur einberief, folgten dem Ruf Hunderte von Journalisten und mehr als 30 (!) Kamerateams. Wer das nicht glauben mag, sollte sich dieses Video in Erinnerung rufen, ein bemerkenswertes Dokument des Journalismus in der Spassgesellschaft.

9. Karla Kolumna

Reporterin bei «Benjamin Blümchen» und «Bibi Blocksberg» in Neustadt

«Karla war immer dort, wo etwas los war, konnte viel reisen, war mutig und hat sich mit Leuten angelegt – zum Beispiel mit dem Bürgermeister. Das hat mir ungemein imponiert. Sie hat sich nie davor gefürchtet, etwas so richtig aufzumischen und Skandale aufzudecken, das ist als Journalistin auch wichtig.» So schreibt es Mirka in einem Beitrag über ihre/eine Heldin. Als journalistisches Vorbild dient die rastlose und etwas schusselige Berlinerin mit der Brille im Überformat, der alles „sensationell!“ erscheint aber nur bedingt, wie auf Wikipedia nachzulesen ist: «In Folge 31 rettet Benjamin zwei Kinder vor dem Feuer, während Karlas Artikel die Überschrift ‹Benjamin Blümchen rettet 50 Kinder› trägt.»

8. Borat / Brüno / Ali G

gespielt von Sasha Baron Cohen

Welcher Reporter kann es mit der Herzlichkeit eines Borat aufnehmen, der all seine Gesprächspartner mit zwei Küssen begrüsst? Mit den Komplimenten eines Brüno? Und mit der Glaubwürdigkeit eines Ali G? Auch Mut und Beharrlichkeit muss den Figuren von Sacha Baron Cohen unbedingt zugestanden werden. Nur etwas mehr Taktgefühl wäre hilfreich. Oder überhaupt etwas Einfühlungsvermögen in die Situation des anderen.

7. Kent Brockman

Nachrichtensprecher bei «The Simpsons», seit 1989

Kent Brockman heisst eigentlich Kenny Brocklestein und ist wie Krusty der Clown oder Artie Ziff jüdischer Herkunft (mehr dazu hier). Als Zyniker zwischen Realität und Anspruch gleicht er der Realität manchmal fast zu gut. In der Folge „You Kent Always Say What You Want“ von 2007 (Video) wird Brockman gefeuert, weil er in der Sendung ein unaussprechliches Wort verwendet, nachdem er von Homer mit heissem Kaffee verbrüht wird. In einem Moment der Wahrheit packt er auf Anregung von Lisa in einem Webvideo über einen Skandal bei Fox aus (dem Sender, auf dem die Simpsons gesendet werden). Das Video wird so populär, dass die Episode aufgrund von republikanischem Druck mit der Wiedereinstellung von Brockman (inklusive Gehaltserhöhung) endet. Von diesem Faux-Pas abgesehen ist Brockman ein Profi, wenn auch ein maximal opportunistischer. Sein Ausspruch „I, For One, Welcome Our New Insect Overlords“ (Video) ist zu einem Mem geworden.

6. Tim

Reporter in der Comicbuchreihe «Tim und Struppi» («Les aventures de Tintin»)

«Tim hat keine Superkräfte, er hat kein Liebesleben, er scheint überhaupt kein inneres Leben zu haben», sagt der NYT-Rezensent Charles McGrath in seiner Besprechung über Tim, von dem weder Freunde noch Familie bekannt sind. Und vielleicht ist genau das sein Erfolg – in die nur von Ereignissen getriebene Figur können sich alle hineinversetzen. Und Ereignisse gibt es zuhauf bei Tim: Auslandreisen, Verfolgungsjagden, gefährliche Situationen. Die Geschichte fängt immer damit an, dass ihm etwas unstimmig erscheint, er neugierig wird und darauf zu recherchieren beginnt – nichts mehr als die Handlungsanweisung für jeden Reporter.

5. Miranda Priestly

gespielt von Meryl Streep im Film «The Devil Wears Prada» von 2008

Anna Wintour, nach deren Vorbild Miranda Priestly geschustert worden sei, ist nach wie vor Chefredaktorin der US-„Vogue“ – und das seit bald 25 Jahren. Die Filmfigur Miranda Priestly fällt auf durch eiserne Disziplin und den häufigen Einsatz eines nachlässig dahingesagten «That’s all». Auch wenn sie auf einen flüchtigen Blick wie die pure Sanftheit wirkt, führt sie ein Schreckensregime über ihre Mitarbeiter. Und die liegen ihr zu Füssen, als wäre sie die Leiterin eines Königreichs und nicht einer Redaktion. Miranda Priestly mag ein Verlust für die Menschlichkeit sein, aber sie ist ein Gewinn für den Journalismus.

4. Mikael Blomkvist

gespielt von Mikael Nyqvist in der «Millennium-Trilogie», 2009

Mikael Blomkvist fällt auf gefälschte Beweise rein und wird wegen Verleumdung verurteilt. Er verlässt die Zeitschrift «Millenium» und nimmt einen Rechercheauftrag des Industriellen Henrik Vanger an. Weil Blomkvist tatsächlich Dinge herausfindet, macht er bald schon Bekanntschaft mit kriminellen Figuren. Von ihm lernen kann man, dass ein guter Rechercheur wie ein Detektiv arbeitet. Und dass als Arbeitsort auch eine kleine Holzhütte dienen kann, deren Interieur man mit Fundstücken vollpflastert. An sich hält er sich aber lieber in Kaffeebars auf, wie andere Journalisten auch. «Millenium» ist übrigens das fiktive Pendant der realen Zeitschrift «Expo», bei der Stieg Larsson, der Autor der Bestseller-Trilogie, bis zu seinem Tod 2004 als Herausgeber tätig war.

3. Clark Kent und Lois Lane

gespielt von Christopher Reeve und Margot Kidder im Film «Superman» von 1978

Nicht in jedem Journalisten mit dicker Brille steckt ein Superman oder ein Supergirl, doch schöner wurde der im Nerd steckende Übermensch nie dargestellt. Journalistenkollegin Lois Lane bewundert dann auch stets die Taten des Helden (Superman) im blau-roten Anzug, der fliegen kann und mit seinem Blick Tanker wieder zusammenschweissen. Und gähnt gelangweilt über den zurückhaltenden Spiesser (Clark Kent), der heimlich in sie verliebt ist – seit 1996 sind die beiden übrigens miteinander verheiratet. Welcher Journalist hat nicht schon mal davon geträumt, das Hemd auszuziehen, aus dem Fenster zu fliegen und die Welt zu erobern? Man sollte das einfach tun.

2. J. Jonah Jameson

gespielt von J.K. Simmons in der Trilogie «Spider-Man», 2002, 2004, 2007

Der vielleicht durchgeknallteste Boulevardzeitungs-Chefredaktor aller Zeiten ist (Triple-Jay) J. Jonah Jameson, ein halbwahnsinniger, ausbeuterischer, gehetzter Diktator in Hosenträgern, der die furchtbarsten Vorurteile bestätigt, die von den Herren über die grossen Buchstaben in den Newsrooms gehegt werden. Wer es lieber positiv sehen möchte, kann auch von einem führungsstarken, geschäftstüchtigen und dynamischen Chef sprechen. Als Verleger und Chefredaktor des New Yorker «Daily Bugle» entscheidet er darüber, ob und wie Fotos von Spider-Man publiziert werden, die ihm dessen Alter Ego, Fotoreporter Peter Parker, regelmässig liefert. Was man vom ständig Zigarren rauchenden JJJ lernen kann? Gute Sprüche vielleicht? Erfolgreiche Kommunikation mit der Ehefrau? Mut zum Entscheid?

1. Charles Foster Kane

gespielt von Orson Welles im Film «Citizen Kane» von 1941

So wie in diesem Ausschnitt möchte wohl jeder Verantwortliche einer Zeitung mit Lesern und Anzeigekunden umgehen, die meinen, sich in die Inhalte einmischen zu dürfen. Und ein Verleger, der es sich gern leistet, jedes Jahr eine Million Dollar zu verlieren, wünscht sich vielleicht auch mancher. Kane hatte mit seinem «New York Inquirer» zumindest zu Beginn nicht nur finanzielle Ziele. Die «Declaration of Principles» umfasste zwei Punkte, Wahrheit sowie Einsatz für Bürger- und Menschenrechte:

I. I will provide the people of this city with a daily paper that will tell all the news honestly.

II. I will also provide them with a fighting and tireless champion of their rights as citizens and as human beings.

Signed: Charles Foster Kane, Publisher

Nicht ganz so zufrieden mit dem Film, der unter britischen Filmkritikern während 50 Jahren als bester aller Zeiten galt, war die Hauptinspiration für Kane, Medientycoon William Randolph Hearst; er versuchte (vergeblich), den Film mit einer Medienkampagne zu verhindern.

Leserbeiträge

Vladimir Sibirien 05. September 2012, 22:42

Ronnie, erwähnt hast Du ihn, aber sein Fehlen in den Top Ten ist absolut unentschuldbar: Baby Schimmerlos. Ich denke, die Produktion verdient allein schon deshalb höchste Ehren, da sie sich stark an realen Personen orientiert. Da kann ein „Superman“ seinen Red Bull Swinger Dress an der Garderobe abgeben.

Bussi!