Geballte Wut auf die Medien
Jörg Kachelmann hat zusammen mit seiner Frau Miriam seine Sicht auf seine Verhaftung und den spektakulären Prozess gegen ihn nach einem Vergewaltigungsvorwurf aufgearbeitet. Das Buch «Recht und Gerechtigkeit» ist in dieser Woche erschienen. Darin rechnet Kachelmann gnadenlos ab, mit der Justiz, mit der Polizei und nicht zuletzt auch mit Medien und Journalisten. Stefan Winterbauer von meedia.de hat die Medienschelte gelesen.
Dass Jörg Kachelmann vor allem der Bild-Zeitung und den Burda-Zeitschriften Bunte und Focus vorhält, eine Vorverurteilungskampagne gegen ihn gefahren zu haben, ist nicht neu. Der Furor und Hass, mit dem er in seinem Buch mit den Medien abrechnet, überrascht dann aber doch an der einen oder anderen Stelle. Bereits auf Seite 48 heisst es: «Der Inhalt der Bild-Zeitung einerseits, der auf Menschenverachtung beruht und diesen Rechtsstaat mit Füssen tritt, und andererseits die Heuchelei der Verlegerin Friede Springer, die ein philanthropes öffentliches Leben vortäuscht, das aber auf dem Kot ihrer Produkte aufgebaut ist: Was für eine Kombination!» Die Bild-Zeitung und ihre Verantwortlichen, so Kachelmann weiter, seien eine «Gefahr für die Demokratie in Deutschland».
Auf Gerichtsreporter ist Kachelmann (bis auf zwei Ausnahmen) nicht gut zusprechen: «Mir scheint, die Medienvertreter vor Gericht sind halt eben die, bei denen die Redaktionen froh sind, wenn sie aus dem Haus sind und keinen grösseren Schaden anrichten.» Kachelmanns kritische Sicht auf den Journalismus begann laut seinen Schilderungen schon lange vor seiner Verhaftung. Auf Seite 48f schreibt er: «Gleichzeitig war die Verachtung für viele Journalisten gewachsen, weil sie auch einfachste Zusammenhänge bei Wettergeschichten entweder nicht korrekt wiedergeben konnten oder wollten – sogar korrektes Zitieren schien in den letzten Jahren ein Ding der Unmöglichkeit geworden zu sein.»
Später, auf Seite 62, schreibt Kachelmann, dass «jeder Amateurblogger besser recherchieren kann als die Angestellten der so genannten Qualitätszeitungen, geschweige denn die örtlichen Springer-Pressevertreter». Zeitungen und auch TV-Sender hätten während seiner Zeit in U-Haft beispielsweise u.a. angebliche Zellennachbarn interviewt, die gar keine waren. Auch mit der Süddeutschen Zeitung geht Kachelmann hart ins Gericht. Die «vermeintlichen Spitzenrechercheure in der fälschlicherweise als Qualitätszeitung betrachteten Papiersammlung» hätten ungefiltert die Sichtweise der Mannheimer Staatsanwaltschaft übernommen. Kachelmann: «Ich kann nur aus meiner Erfahrung berichten, dass die Geschichten der Süddeutschen in Sachen Seriosität mit dem Elend in Focus, Bild und Bunte gleichzusetzen waren. Es lohnt sich nicht, Geld für solche Blätter auszugeben; Sachen einwickeln kann man auch mit billigeren Zeitungen.» (S.70)
Dass er kurz nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft ein grosses Interview im «Spiegel» gab und ein selbst produziertes Video-Interview ins Internet stellte, bezeichnet Kachelmann in seinem Buch rückblickend als Fehler, bzw. «Gaga-Idee»: «Dass damit nun auch all die anderen, auch die Vorverurteilungsmedien, ein Interview einfach so bekamen, war schlicht blöd.» Kachelmann-Interviews waren bei Medien trotzdem noch begehrt. So dokumentiert er auch E-Mails von Bunte Chefreporterin Tanja May, die mit diversen Ex-Freundinnen von ihm Kontakt aufnahm und ihn auch selbst für ein Interview anfragte (S.144): «Da mein Kollege und ich bereits so viele ihrer reizenden Frauen kennengelernt haben, würden wir uns sehr gern auch einmal mit Ihnen unterhalten. Interesse?» Man wird sich bei Bunte wohl gedacht haben, dass sich das «Interesse» in Grenzen hält.
Kachelmann schildert auch eine Begegnung mit dem Bild-Journalisten Martin Heidemanns (S. 205): «Heidemanns machte kein Geheimnis daraus, dass er fast über jeden Promi und Politiker eine volle Schublade hat und dass es kein Zufall ist, wenn ein Star, der bisher eher zurückhaltend in der Öffentlichkeit agiert hat, plötzlich ‘freiwillig’ Heim oder Weinberg herzeigt. Auch, so liess Heidemanns durchblicken, würde man in Zukunft über den Politiker Wulff noch einiges hören.»
Die einzigen beiden Medien, die bei Kachelmann gut wegkommen, sind «Der Spiegel» und «Die Zeit»: «Gisela Friedrichsen vom Spiegel und Sabine Rückert von der Zeit waren die beiden einzigen Gerichtsreporter vor Ort, die diesen Namen verdienten, aber sie repräsentierten Medien, die wegen ihrer wöchentlichen Erscheinungsweise keine laufende Berichterstattung pflegen können.» Die anderen Medienvertreter hätten «mehr oder weniger alle nichts verstanden von dem, was einen deutschen Strafprozess ausmacht.» Und weiter: «Journalismus ist mehr, als dem Knabensopran von Staatsanwalt Oltrogge und andererseits Johann Schwenn zuzuhören, um dann ratlos zusammenzuschwurbeln, dass man nichts genaues wisse und die Wahrheit wohl nie herauskommen werde.»
Kachelmanns Medien-Fazit: «Es ist schwierig, nach alldem das hohlste und dreisteste Blatt zu küren. Burdas Bunte oder Focus, Springers Bild, die Süddeutsche, der Stern, der Tagesspiegel sind sicher die Blindesten unter den Einäugigen, aber wir wollen nicht die staatstreuen Medienhäuser in Baden-Württemberg vergessen, wo noch alles strammsteht, wenn es Obrigkeit gebietet, sei es noch so sinnlos und abseitig.» Mit letzterer Bemerkung meint Kachelmann die Stuttgarter Nachrichten, die in einem Kommentar dem Mannheimer Gericht vorgeworfen hatten, Johann Schwenn zu viele Eskapaden vor Gericht durchgehen zu lassen.
Das Buch der Kachelmanns liefert tatsächlich einige interessante Einblicke in das Innenleben des Skandalprozesses. Kachelmann hätte sich und seiner Sache womöglich einen grösseren Dienst erwiesen, hätte er auf die ständigen Beschimpfungen und Pauschalurteile («Alles Schwachsinn», «Alles Lüge») verzichtet. Das Buch ist dann am besten, wenn ausführlich aus den verschiedenen Gerichtsgutachten zitiert wird. Für eine objektive Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte steckt Jörg Kachelmann einfach zu tief drin.
Die Medienwoche veröffentlicht diesen Text mit freundlicher Genehmigung von meedia.de
Siegbert Gross 10. Oktober 2012, 15:30
Leider hat Herr Kachelmann im Prinzip Recht. Daran ändern auch dessen Pauschalveruteilungen nichts. Falsche Anschuldigungen von Ex-Frauen bleiben tatsächlich fast immer ohne Konsequenz. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das nichts zu tun und damit sind wir bei der Willkür. Auch ich wurde von meiner Ex der Vergewaltigung beschuldigt, d.h. damit erpresst, sofern ich das Sorgerecht beanspruchen würde. Ich habe aufgrund dieser Erpressung Strafantrag gestellt und damit konnte später die erfundene Vergewaltigung nicht mehr vorgebracht werden. Sofern es keine Beweise gibt, bleibt es ja einem Staatsanwalt, einem Richter überlassen zu glauben oder eben nicht. Da sind wir doch schon sehr nahe bei einer Willkür. Letztlich gab es im Fall Kachelmann keinen einzigen belastbaren Beweis: Gefängnis gab es trotzdem. Tatsache ist, dass wir in Deutschland keinen sehr gut funktionierenden Rechtsstaat habe und ohne Presse und viel Geld schon gar nicht. Mit dem Europäischen Gerichtshof hat sich viel verbessert, aber gegen die Waffe ‚Willkür‘ oder ‚Zeit‘ (beim Umgang) lässt sich kaum vorgehen. Und in solchen Fällen sehe ich die Rechtsstaatlichkeit schlichtweg umschifft.