von Christoph Hugenschmidt

Systematisch falsch

Die Wirkung von Online-Werbung sei präzise nachweisbar, heisst es. Ein Trugschluss, denn Internet-Statistiken sind ungenau und missverständlich: Gemessen werden Maschinen, nicht Menschen.

Er wisse zwar, dass die Hälfte des Geldes für Werbung zum Fenster herausgeworfen sei, wisse aber (leider) nicht welche, soll Henry Ford so oder ähnlich gesagt haben. Ford wird von allen, die beruflich mit Werbung zu tun haben, gerne zitiert, denn es ist teuer und aufwendig, die Wirkung der eingesetzten Werbefranken zu messen und den Erfolg verschiedener Werbemassnahmen schlüssig zu vergleichen. Und so werden Werbe- und Sponsoring-Massnahmen oft «aus dem Bauch» (des Chefs) heraus entschieden und dabei wird eben gerne Henry Ford zitiert.

Mit Online-Werbung werde alles anders, versprach die Branche euphorisch Anfang Jahrtausend und verspricht es heute noch. Man wirft mit Fachbegriffen um sich wie «page impressions» (Anzahl der Aufrufe einer Webseite), «unique clients» und «unique visits» (Anzahl unterschiedlicher Besucher und Besuche pro einer Zeiteinheit) und verkauft Werbeflächen und bezahlte Kurztexte pro «page impression» oder Klick. Online-Werbeagenturen liefern ihren Kunden Zahlenmaterial, in dem sie genau ausweisen, wie oft eine Werbefläche aufgerufen worden ist und wie oft darauf geklickt wurde. Raffinierte Systeme beim Werbetreibenden messen dann weiter und analysieren die «Click-Through-Rate», mit der man genau feststellen kann, welche Webseiten der angelockte Web-Surfer angeschaut hat und ob (und was) er allenfalls sofort gekauft hat.

Das Zahlenmaterial ist beruhigend für die Werbetreibenden, aber leider falsch. Denn im Internet misst man nicht Menschen, sondern Maschinen – und auch das sehr ungenau. Der Grund dafür liegt in der Technik. Auf den Maschinen, die Internet-Seiten von der Online-Version einer Zeitung über Spiele, Ratgebern, Internet-TV bis hin zum virtuellen Reisebüro im World Wide Web zur Verfügung stellen, sitzen Mess-Werkzeuge. Diese erkennen theoretisch die «Internet-Adresse» (IP-Adresse) des Geräts, auf dem die Inhalte der besuchten Webseite konsumiert werden. Allerdings eben nur theoretisch, denn die Messung funktioniert bei den meisten Computern, die innerhalb eines Firmennetzwerks sitzen, nicht. Denn fast alle Firmen zeigen nach aussen nie die IP-Adresse eines einzelnen Computers innerhalb ihres Netzwerks, sondern lediglich die Adresse eines so genannten «Proxy-Servers» oder «Gateways».

Doch selbst bei Privatpersonen und Heimcomputern geben die Messwerkzeuge im besten Fall ungenaue Zahlen an. Denn ein Heimcomputer bekommt meistens eine Adresse vom Internet-Dienstleister zugeteilt, wenn er eingeschalten wird. Der gleiche Websurfer tritt also im Laufe einer Messperiode als mehrere «unique visitors» auf. Dieses Phänomen ist bei Nutzern von mobilen Geräten noch viel stärker: Wer sich häufig in drahtlosen Netzwerken einloggt, um beispielsweise eine News-Seite zu lesen, wird die Werbetreibenden mit Dutzenden unterschiedlicher «clients» erfreuen, während hingegen Tausende von Besuchen über Geräte, die via Mobilfunknetze ins Internet gelangen, als einige wenige ausgewiesen werden.

Dazu kommt, dass sich gewisse Messeinheiten, wie die häufig verwendeten «page impressions», mit einer Anpassung der Seitenarchitektur vervielfachen lassen. So hat man den Zwang zum «Umblättern» von längeren Texten auf News-Seiten nicht etwa zur besseren Lesbarkeit eingeführt (dazu hat man ja das Mausrad erfunden), sondern um zusätzliche «page impressions» zu generieren.

Abhilfe bieten so genannte «Cookies», kleine Software-Stücke, die ein Werbetreibender oder eine andere Firma auf dem Computer des Besuchers ohne sein Zutun installiert. Mithilfe von Cookies lässt sich der Benützer eines Internet-Dienstes sehr genau identifizieren und sein Verhalten analysieren. Allerdings verhindern gerade Firmen und intelligente Privatanwender das Platzieren von Cookies und bleiben damit unerkannt.

Die Attraktivität des Internets für Werbetreibende steigt rasant und das zu Recht. Denn eine rasch wachsende Zahl von Menschen informiert sich bei Online-Medien und kommuniziert und konsumiert im Netz der Netze. Wer allerdings glaubt, man könne mit Online-Werbung Henry Fords Dilemma entrinnen, der irrt. Auch die Wirkung von Internet-Werbung ist nur unter sehr grossem Aufwand messbar. Schlimmer noch: Wer den Zahlen von Internet-Statistiken zu sehr vertraut, wiegt sich in falscher Sicherheit.

Leserbeiträge

Damian Kirtz 09. November 2012, 10:53

Grundsätzlich ein interessanter Artikel…leider bist du aber viel zu ungenau, um fachlich korrekt über Web Analytics zu schreiben…so hat ein Cookie gar nichts! mit einer Software zu tun. Ein Cookie ist eine Zeichenkette, also reiner Text, der abgespeichert wird. Was du evt meinst sind temporäre Internetdateien (Cache), aber auch dies hat nichts mit Software zu tun.
Via Cookies lassen sich alle Benutzer einer Webseite identifizieren, egal ob in einem Unternehmensnetztwerk oder nicht. Was aber hierbei wichtig ist, ist der Umgang mit den Cookies (was im Artikel leider nicht vorkommt). Ist der Browser z.B, so eingestellt, dass jedesmal beim Beenden des Browsers oder eines Tab alle Cookies gelöscht werden, so kann die Identifizierung nicht mehr garantiert werden (u.a. gibt es eine Verfälschung der Unqiue Visitors (mit Client hat es nicht zu tun)).
Auch deine Beschreibung der CTR ist falsch…dies hat nichts mit dem zu tun, was ein Besucher auf einer Webseite macht, sondern beschreibt, wie das Verhältnis zwischen Impressions (Anzeigen) und Klicks (Interaktionen ) ist. Die CTR ergibt danach, zusammen mit anderen Werten, z.B. den Quality Score (in der Online-Werbung, u.a. Google AdWords & GDN)….

Schade, denn das Thema ist sehr interessant…u.a. wie Zeiteinheiten via Cookies definiert werden, wie Crossdomain- und Crosssystem-Tracking möglich wird, wie Facebook das Tracking via den Snippeds/Mashups macht etc…..

Ich finde es sehr schade und auch problematisch, ein Artikel mit den Titel „Systematisch falsch“ in einer Medien-Zeitung zu publizieren, welcher dann Halbwissen verbeitet und selber falsch ist….

Viele Grüsse

Christoph Hugenschmidt 09. November 2012, 13:21

Vielen Dank, lieber Damian

Dein Kommentar ist in zwei Punkten sehr erhellend. Er zeigt erstens das Dilemma zwischen „fachlicher Genauigkeit“ und Verständlichkeit sehr gut auf. Und er zeigt zweitens, dass Fachleute in Sachen „Web Analytics“ eine Genauigkeit suggerieren, die es eben nicht gibt.

Du schreibst: „Via Cookies lassen sich alle Benutzer einer Webseite identifizieren, egal ob in einem Unternehmensnetztwerk oder nicht.“ Richtig wäre: Würden alle Geräte Cookies speichern und würden alle User nur ein Gerät benützen (wer tut das schon?), könnte man alle Benutzer einer Webseite identifizieren, falls alle Geräte und Browser nur von einer Person benützt würden. So analytisch sieht das dann doch nicht mehr aus, oder?

Damian Kirtz 09. November 2012, 13:55

Lieber Christoph

Vielen Dank für dein Feedback.

Na ja, wenn man schon einen Artikel mit einem provokativen Titel wie „Systematisch falsch“ schreibt und einer ganzen Branche unterstellt, sie verdiene Geld mit „Falschen Daten“, sollte man das Thema schon genauer recherchieren. Sorry, aber vieles was du schreibst, stimmt schlicht nicht…und so kann man keine Diskussion zu so einem Thema eröffnen. Den Genauigkeit entsteht eben durch Fachwissen und Berücksichtigung aller Aspekte…nur so kann man etwas (z.B. Online Daten) prof. & somit richtig beurteilen!

Zu deinem Bsp. im Kommentar:
Nein falsch, Geräte speichern keine Cookies, sorry. Das machen Browser (oder Apps).
Aber ja klar, man kann das Speichern von Cookies in Browsern unterdrücken oder diese einfach löschen…wegen dem sind aber Online-Statistiken nicht falsch..schon gar nicht systematisch falsch! Denn eine Voraussetzung für solche Analysen und Statistiken ist eben genau, dass man versteht, wie Daten zu Stande kommen und was dabei zu berücksichtigen ist. Weiss man, wie welche Systeme was aufzeichnen, so kann man die Daten richtig einordnen, miteinander vergleichen, auswerten & beurteilen.

Dies ist für mich eigentlich mehr das Thema: Personen im Online und Marketing müssen verstehen, wie was funktioniert, um richtige Schlüsse daraus ziehen zu können. Und genau hier mangelt es oft (zurzeit noch) im Business….(und anscheinend auch leider bei Fachjournalisten)…aber dafür gibt es ja Fachleute 😉

Vladimir Sibirien 10. November 2012, 12:09

Wer weiss, wie die Daten zustande kommen, lässt die Finger davon, mit wenigen trivialen Ausnahmen. Da helfen die ganzen Buzzwords auch nichts.

Der Erfolg eines Unternehmens äussert sich und lässt sich messen an anderen Stellen der Unternehmenstätigkeit. Und zwar wesentlich effizienter, kundenorientierter und ohne den Datenschutz mit Füssen zu treten.

Ihre Aussagen illustrieren ein Grundproblem in der Informatik: Wo setze ich die IT in welcher Form optimal ein. Auf den ersten Blick steht die Webstatistik ganz gut da, schliesslich handelt es sich um eine exponierte Schnittstelle zum Kunden. Das rafft sogar ein Ergo-Manager. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung drängen sich alternative Ansätze auf.

(Facebook als grösste Luftpumpe in der IT-Geschichte ist übrigens kein so tolles Beispiel. Ein Unternehmen mit Hauptprodukt Datenschutzverletzungen eignet sich nicht wirklich als Referenz.)

Damian Kirtz 12. November 2012, 11:01

Die Wichtigkeit der Messung im Business ist unbestritten. Und ich gebe dir absolut Recht, dass die KGIs eines Unternehmens schlussendlich entscheidend sind. Mit der zunehmenden Digitalisierung werden die KPIs einer Webseite jeglicher Art aber immer wichtiger. Schlussendlich geht es darum, den gesamten Fluss eines Business nachvollziehen zu können und dabei ggf. Blocker oder Booster herauszufinden. So wäre es z.B. sehr schade, wenn ein Unternehmen zig Tausende in Offline- und Online-Werbung investieren würde, während dessen auf Ihrer Unternehmensseite ein Blocker existiert, welcher den Kunden das erfolgreiche Interagieren mit dem Unternehmen verhindert. Klar sieht das Unternehmen dies dann auch an ihren KGIs, jedoch werden schon zig Tausende aus dem Fenster geworfen sein, bis die Schwachstelle gefunden wurde. Werden jedoch alle KPIs eines Unternehmens fortlaufend gemessen und beurteilt, ist diese Gefahr wesentlich kleiner.

P.s. Facebook habe ich als Bsp. erwähnt, weil eben genau viele Personen nicht wissen, was Facebook bei allen Seiten aufzeichnet, welche Facebook Plugins (wie z.B. den Like-Button) beinhalten. Anstelle Webanalytics schlecht zu reden und Unwissenheit par Excellence zu zeigen, wäre ein (im Detail richtiger) Artikel über das Funktionieren von Datenaufzeichnungen für die Leser wohl viel interessanter. Z.B. Was wird wie aufgezeichnet und wie kann man sich davor schützen…

Das finde ich eigentlich das Schreckliche an diesem Artikel (und vielen Anderen): Wie in meinem ersten Kommentar geschrieben, ist das Thema hoch aktuell und interessant. Aber mit einem dermassen schlecht recherchierten Artikel lässt sich keine ernsthafte Diskussion über die Nutzen, Wichtigkeit und Herausforderungen von digitaler Erfolgsmessung führen (oder deren Unsinn). Solche Artikel führen nur zu populistischen, undifferenzierten und ungenauen Diskussionen zu einem Thema, was schlussendlich immer nur zu schwarz-weiss Denken & Reden führt: Entweder für oder dagegen…Schade!

Vladimir Sibirien 09. November 2012, 10:55

Halleluja. Danke, Christoph, für dieses klare Statement. Dieser Falschzahlenberg ist die Basis einer gigantischen Industrie. Es gehören aber auch Unternehmer dazu, welche akzeptieren, dass eine Marketingabteilung nicht an diesen Zahlen gemessen wird.

Martin Steiger 09. November 2012, 11:55

Sofern die beschriebenen Probleme gemeinsam genutzte IP-Adressen betreffen, steht mit IPv6 eine Lösung zur Verfügung – mit IPv6 könnte jeder Benutzer über beliebig viele IP-Adressen verfügen. Ich verwende den Konjunktiv, weil bislang noch kaum ein Provider, weder im Festnetz noch mobil, seinen Benutzern diese Freiheit einräumt.

Andi Heer 09. November 2012, 13:40

…und wenn ich dann noch berücksichtige, dass verschiedene Messsysteme (Google Analytics, das CMS selbst etc.) ganz unterschiedliche Zahlen liefern…

Marcel Hauri 12. November 2012, 10:51

Systematisch falsch hat schon was.

Ich weiss von Beispielen, wo Klicks auf Grafik-Anzeigen via Google Analytics (GA) gemessen wurden. GA lieferte hervorragende Werte (3 – 5% CTR). Bei der Umstellung auf einen Adserver (notabene von Google) derselben Anzeigen (ohne Veränderung der Position) resultierte plötzlich eine CTR von 0.02 %.

Oder der riesige Unterschied von GA CTRs (gaq_Push-Methode) und Referrer-Angaben beim Kunden (ein Webseitenbetreiber sieht via Referrer, von welcher Seite der User kam). Beim Referrer gibt es zwar eine gewisse Ungenauigkeit aber die lag bei über 70%. Vermutlich werden auf der einen Seite Bots (Maschinen) gemessen – das wäre dann tatsächlich „systematisch falsch“.

Und wie Andy Heer richtig schreibt, jedes Messsystem gibt andere Zahlen derselben Seite raus … Schöne heile Messwelt.