Fehlende Vielfalt
Die Chefredaktoren der wichtigsten Schweizer Medien sind im Schnitt 50 Jahre alt. Ausländer, Frauen und Journalisten unter 40 sucht man fast vergeblich in den Chefetagen. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der MEDIENWOCHE. Diese homogene Redaktionselite spiegelt die Vielfalt der Schweizer Bevölkerung nur schlecht.
Wie alt war Werner de Schepper, als er 2003 Blick-Chefredaktor wurde? 37. Wie alt war Kai Diekmann, als er 2001 Chefredaktor von „Bild“ wurde? 36. Wie alt war Roger Köppel, als er 1997 Chefredaktor des „Magazins“ wurde? 32. Wie alt war Harold Ross, als er 1925 den New Yorker gründete? 32. Wie alt war Mark Zuckerberg, als er 2004 Facebook gründete? 20. Junge Chefs und Gründer sind sicher nicht besser als alte, doch sie bringen frische Ideen mit und eine Unbekümmertheit, diese auch gegen Widerstände durchzusetzen. Nichts gegen Chefredaktoren, die 60, 70 oder gar 80 sind, doch in diesem Alter sind doch eher solide Verwaltungstätigkeiten als bahnbrechende Innovationen zu erwarten.
Die allermeisten Chefredaktoren in der Schweiz sind zwischen 40 und 60, einem Alter, in dem allgemein viele Berufsleben ihren Höhepunkt erreichen. Fast 9 von 10 Chefredaktoren sind männlich, mehr als 8 von 10 zwischen 40 und 60 Jahren. Unter 40 sind lediglich 4 von 49 ausgewerteten Redaktionschefs, jünger als 38 keiner. 39 Jahre alt werden im Jahr 2013 Mark Dittli von der Finanz+Wirtschaft und, als einzige Frau unter 40, Ariane Dayer. Im Jahr 2014 werden dann, wenn sich nichts ändert, die beiden AZ-Leute Patrik Müller und Christian Dorer die letzten Chefredaktoren unter 40 sein.
In einer Demokratie sollten alle Bevölkerungsschichten (Handwerker, Akademiker, Bauern, Pädagogen, Beamte, Angestellte, Migranten, Senioren, Kinder, etc.) das Recht haben, ihre Positionen in den Medien abgebildet zu sehen. Ist das gewährleistet, wenn das letzte Wort meistens ein (akademisch gebildeter, männlicher) Schweizer um die 50 hat? Einige wenige Chef-Namen klingen zwar deutsch (Grosse-Bley), italienisch (Canonica, Cavalli, Boselli) oder spanisch (Yanez). Doch türkische, kroatische, albanische, ivorische Namen sucht man, anders als bei der Elite im Fussball, vergebens.
Sechs Frauen wurden gefunden: Colette Gradwohl vom Winterthurer Landboten, Lis Borner vom SRF-Radio, Susan Boos von der WOZ, Lisa Feldmann von der Annabelle sowie Sandra Jean und Ariane Dayer von „Le Matin“ und „Le Matin Dimanche“. Wie eine Auswertung des «Schweizer Journalist» (Ausgabe 10-11/2012) zeigt, beträgt der Frauenanteil in Schweizer Redaktionen 36 Prozent, im Führungsbereich (Chefredaktion, Ressortleitung und Art Direction) jedoch nur 23 Prozent. Zitat aus dem Text: «(…) das Gros der Frauen in Führungspositionen arbeitet als Art Director oder leitet das Korrektorat».
Auch wenn das AHV-Alter noch immer bei 64/65 liegt und viele Schweizer schon Jahre vorher mit Arbeiten aufhören, sollte anders gerechnet werden, fand kürzlich Sonntagsblick-Kolumnist Frank A. Meyer:
Wer heute sechzig ist, ist fünfzig; wer siebzig ist, ist sechzig; wer achtzig ist, ist siebzig. Die meisten älteren Menschen fühlen sich zehn Jahre jünger als ihr gezähltes Alter. Zu Recht: Zwar sind sie Rentner, aber aktiv wie ein Bienenschwarm.
Seiner Rechnung gemäss, bei der sich jeder fit fühlende Alte zehn Jahre jünger machen darf, wird er also im Januar 2013 59, nicht etwa 69. Wann begann Meyer nochmals bei Ringier? Ah ja, 1972, vor 40 Jahren, mit 28. Ob er damals auch so etwas geschrieben hätte?
Heute glaubt er auf jeden Fall, es sei eine Fiktion, dass die Jungen die Dinge bestimmen. Frank A. Meyer (*1944) sagt Harald Schmidt (*1957) (hier ab Minute 1):
Ich glaube, die Älteren – Ihre Generation – bestimmt die Dinge.
Dem ist nun wirklich nichts mehr hinzuzufügen.
Ausgewertet wurden grössere deutsch- und westschweizer Publikationen, die sich mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beschäftigen, also für die Information in einer Demokratie relevant sind.
Fred David 10. Dezember 2012, 14:11
Ich bin 63 und fühle mich im Kopf jünger als als viele 35 bis 40jährige. Dieses Gefühl habe ich noch nicht so lange und es verstärkt sich merkwürdigerweise. Ich teile es mit vielen meiner Alterskategorie. Das irritiert mich. Vielleicht sollte ich mal meinen Arzt oder Apotheker fragen.
Ehrlich: Altersrenitenz habe ich mir anders, unangenehmer, vorgestellt.
Wenn der „Sonntag“ eine angeblich „spektakuläre“ Gesprächsrunde zusammenbekommt, um „20 Jahre EWR-Abstimmung“ zum Anlass zu nehmen, „die Zukunft der Schweiz in Europa“ bedeutungsschwanger zu analysieren, sitzen da Doktor Blocher (72) Hotelier Bodenmann (61) , Rentner Steinegger (69)?
Drei graue Arena-Gesichter, die schon vor 20 Jahren den – genau gleichen – Ton angaben. Kein junges Gesicht, ausser dem Moderater, der von so viel Altersweisheit offensichtlich überwältigt war. Erkenntnisgewinn?
Ein Prosit auf die gerontokratische Zukunft der Schweiz!
Das ist nur ein einziges Beispiel, aber es ist symptomatisch. Es ist auch symptomatisch für das Land: 20 Jahren Kreisen um den eigenen Nabel, bis einem trümmlig wird.
Es liegt an den Jungen, wenn sie sich so leicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Seit 40 Jahren ist Frank A.Meyer Chefkommentator des „Sobli“. Aufs Alter hin breitet er sich immer weiter im Blatt aus, weil sein Verleger das so will – und weil die Jungen ihn lassen. Es scheint ihnen wurscht zu sein.
Wahr allerdings ist auch, dass FAM noch immer Kommentare schreibt, scharf, originell formuliert und oft bös auf den Punkt, wie man sie in andern Medien kaum irgendwo findet. Mit 69. Dass sich da nach 40 Jahren zwangsläufig eine gewisse Redundanz einschleift, ist nicht verwunderlich, scheint aber in der Redaktion niemanden zu stören.
Es ist, als hätte man jungen Leuten zwar nicht die eigene Meinung abgewöhnt, aber doch die Fähigkeit, eine Position auch jenseits des Mainstreams argumentativ zu vertreten und auch mal zu verteidigen.
Dass man gelegentlich kämpfen muss, nicht bloss um Karriereziele, sondern womöglich sogar mal um Inhalte, lernt man an Schweizer Journalistenschulen wohl nicht.
Fred David 10. Dezember 2012, 15:26
…übrigens gab es in den neunziger Jahren genau das Gegenteil. Da herrschte ein kindischer Jugendwahn. Ich erinnere mich noch zu gut an Scharen von 25jährigen CEOs, die mir die Welt erklären wollten, wie sie wirklich ist und in alle Zukunft sein wird. An deren Namen konnte sich schon kurze Zeit später niemand mehr erinnern konnte , Stichwort: Dot com-Bubble.
Es deutet alles darauf hin: der Altersmix muss stimmen. „Nur jung“ ist ebenso doof, langweilig und falsch wie „nur alt“.
Dieser Mix ist mindestens ebenso wichtig wie Mann/Frau.