von Oliver Classen

Das «bessere Wikileaks» in der Warteschleife

Seit zwei Jahren arbeitet Daniel Domscheit-Berg an der Whistleblower-Plattform Openleaks. Im Gespräch mit der MEDIENWOCHE
erklärt die ehemalige Nummer zwei von Wikileaks, weshalb er heute lediglich überwachungssichere «tote Briefkästen» zur Verfügung stellen will und warum ihn die Inhalte der geleakten Dokumente nicht interessieren.

Als ich Daniel Domscheit-Berg, auch bekannt als DDB, Ende Januar 2011 zum WEF-kritischen Forum «Public Eye» nach Davos holte, hatte er gerade mit Julian Assange gebrochen und daraufhin eine eigene, bessere Whistleblowing-Plattform angekündigt. Damals war DDB ein bisschen berühmt. Die Weltmedien hingen an seinen Lippen und prominente WEF-Teilnehmer die Strassenseite wechselten, wenn sie ihm begegneten. Vor zwei Wochen kam DDB wieder in die Schweiz, diesmal auf Einladung des Zürcher Börsenbetreibers Six zu einem internen Anlass über «das gläserne Unternehmen».

Oliver Classen, langjähriger Medienjournalist und heute Sprecher der NGO Erklärung von Bern (EvB) sprach für die MEDIENWOCHE mit Domscheit-Berg über die Zukunft des Whistleblowing und den Stand der Entwicklungen bei Openleaks.

MEDIENWOCHE: Sie haben Openleaks als «professionalisiertes Wikileaks» angekündigt, wobei Sie die Stärken der Mutter aller Whistleblowing-Plattformen weiterentwickeln und deren Schwächen eliminieren wollten. Das war vor über zwei Jahren.
Daniel Domscheit-Berg: Zugegebenermassen geht es viel langsamer voran als gedacht und geplant. Trotz einiger Erfahrung haben wir den individuellen Aufwand pro Partner komplett unterschätzt. Es sind auch einige komplementäre Projekte dazu- und dazwischengekommen und mit der Summe unserer Baustellen haben wir uns vielleicht etwas übernommen. Wir machen aber gute Fortschritte, nur kommunizieren wir sie nicht besonders gut.

Wo liegen die konzeptionellen Hauptunterschiede zu Wikileaks?
Da gibt’s eigentlich nur einen: Wir arbeiten nicht mit dem Material, das wir bekommen, sondern schicken es direkt an Partnerorganisationen. Wir kennen die Daten nicht und haben auch keinen Zugriff darauf.

Wie soll das genau gehen?
Wir bieten vor allem den notwendigen Wissenstransfer für solche Systeme, denn da muss jeder anfangen. Für integrales „Outsourcing“ zu uns oder jemand anderen ist dieses Umfeld aus unserer Sicht viel zu komplex und fragil. Die Interpretation und Verbreitung der geleakten Informationen ist deswegen auch einzig Sache der entsprechenden Medien und NGOs. Diese Organisationen sind dafür die Experten. Unser Know-how liegt im Aufbau und Unterhalt sehr sicherer und niederschwelliger Zugänge für potentielle Informanten.

2011 lancierte OpenLeaks bereits ein Pilotprojekt unter anderem mit der Berliner Tageszeitung taz und Foodwatch. Was lief schief?
So manches. Wir gingen in eine öffentliche Testphase mit einem Referenzsystem, das wir für andere Partner kopieren beziehungsweise adaptieren wollten. Die erste Testphase zeigte einerseits schnell, dass wir viel tiefer ansetzen müssen, eben beim Transfer des entsprechenden Know-how. Technik ist dabei nur die eine Seite der Medaille. Andererseits geht’s auch um Fragen des professionellen Umgangs mit sensiblen Informationen. Die wenigsten Organisationen beherrschen beides. Dazu kam noch eine Menge unnötiges Drama um unseren Ausstieg und die ganze Entwicklung bei Wikileaks.

Gehapert hat’s beim Pilotprojekt also entweder in der Redaktion oder der IT-Abteilung.
Journalisten haben ein Verständnis für Quellenschutz und Informatiker für Datensicherheit. Organisationsintern spricht man folglich häufig vom selben ohne das Gleiche zu meinen. Zudem ist der technische Support meist die am schlechtesten gestellte Truppe in einem Verlag. Man ist zwar auf sie angewiesen, billigt ihnen aber kaum eine eigene Meinung geschweige denn Entscheidungsspielraum zu. Die Bedürfnisse der Content-Produzenten nach User-Einbindung und Social Media-Vernetzung werden typischerweise viel höher gewichtet als technische Sicherheitsstandards, die für uns nicht verhandelbar sind.

Konkret: Wenn ich meinen Website-Traffic von Google Analytics vermessen lasse, ist das inkompatibel mit OpenLeaks.
So ein Tool ist eigentlich inkompatibel mit egal welcher Plattform für Informanten. Wir werfen Grundsatzfragen auf, mit denen sich die meisten Medienorganisationen erst beschäftigen, wenn sie selbst ein Datenleck haben oder wenn sie mit uns zusammenarbeiten wollen.

Läuft OpenLeaks aber nicht Gefahr, vor lauter deutscher Gründlichkeit und genialer Ingenieurskunst die Gunst der Stunde zu verpassen? Schliesslich hat die Transparenz-Bewegung jetzt ein globales Momentum und böte ein optimales Geschäftsumfeld.
Ja, ich würde sicher besser schlafen, wenn wir schneller wären. Es juckt ja auch wirklich extrem in den Fingern, so ist das nicht. Und vielleicht sollten wir manchmal weniger perfektionistisch und etwas pragmatischer sein. Denn wer macht, hat bekanntlich Recht. Letztlich ist die Entwicklungsgeschwindigkeit unseres Projekts aber schlicht eine Frage der Ressourcen.

Wenn ein Verlag oder eine Stiftung eine namhafte sechsstellige Summe zuschiessen würde, wann wäre OpenLeaks betriebsbereit?
In wenigen Monaten. Das System und die Infrastruktur stehen ja schon.

Was heisst «System» in diesem Zusammenhang?
Eine Referenzstruktur mit dem von uns bisher erdachten Feature-Set. Oder einfacher: Der technische Unterbau für die Installation und Wartung überwachungssicherer toter Briefkästen. Jetzt geht’s um die konkrete Umsetzung mit den ersten Anwendern.

Haben Sie trotz oder wegen Ihrer Bekanntheit noch keinen Sponsor gefunden?
Gute Frage. Wir suchen ja eigentlich auch gar nicht und sind alle keine guten Fundraiser. Vielleicht weil wir lieber an unserer Unabhängigkeit arbeiten, statt uns nach privaten oder institutionellen Spendern umzusehen.

Vielleicht liegt es auch an dem alternativen bis anarchistischen Milieu, aus dem Leaking-Plattformen kommen. Was wäre, wenn morgen beispielsweise die durchaus auch investigative, sicher aber rechtspopulistische Weltwoche anklopft?
(Lacht) Wir hatten immer Angst, dass irgendwann die Bild-Zeitung bei uns auf der Matte steht. Boulevardjournalismus ist nichts, was wir aktiv fördern möchten, gleichzeitig wollen wir uns aber politisch und publizistisch neutral verhalten.

Würden Sie also der Weltwoche einen Whistleblower-Service anbieten?
Eine lebendige Demokratie braucht und verträgt die ganze Bandbreite an politischen Positionen. Die Wahrheit liegt schliesslich fast immer irgendwo nahe der Mitte. Ernsthaftes Interesse und professionelle Standards vorausgesetzt lautet die grundsätzliche Antwort also ja. Es gibt ja scheinbar eine ganze Menge gute Quellen, die sich jetzt schon lieber an die Weltwoche als an neutralere Forumszeitungen wenden. Im Endeffekt trägt das ja alles dazu bei, mehr Teile eines Informationspuzzles zu bekommen.

Teil einer linken Transparenz-Bewegung sein und zugleich politisch neutral bleiben: Das tönt aber schon nach einer Quadratur des Kreises.
Wir fördern Transparenz in gesellschaftspolitisch relevanten Bereichen, damit Bürger und Konsumentinnen gut informierte Entscheide treffen können. Darüber hinaus haben wir keinerlei Agenda und überlassen die Auswahl und Interpretation der Informationen ausgewiesenen Expertenorganisationen. Und deren Agenda können und wollen wir nicht beeinflussen.

Apropos Agenda: Wieso wurden die Daten, welche zu den vielen unter «Offshore-Leaks» laufenden Enthüllungen geführt haben, Journalisten zugespielt und nicht Ihnen oder Wikileaks?
Das Ungeschickteste, was jemand, der anonym bleiben will, mit 2,6 Gigabyte an heissen Informationen tun kann, ist sie irgendwo hochzuladen. Der Fussabdruck, den eine solche Datenmenge hinterlässt, ist selbst beim raffiniertesten Cover-Traffic nicht zu übersehen. Ich hätte so ein Ding auch einfach in ein Kuvert gesteckt und ab damit. Doch um da ganz klar zu sein: Standard-Use-Cases für Dienste wie unseren sind nicht Offshore-Leaks oder die diplomatischen Depeschen sondern einzelne, kontextbedürftige Dokumente von Otto-Normal-Whistleblower.

Ist «Offshore-Leaks» nicht auch ein Indiz für die wieder schwindende Bedeutung professioneller Whistleblowing-Plattformen?
DDB: Sicher ist, dass die Quelle dem Journalisten-Konsortium vertraute, das die Daten zugeschickt bekam. Ohne dieses Vertrauen ist in diesem Geschäft alles nichts und in diesem Fall wurde es durch die seriöse Analyse und globale Verbreitung ja auch absolut bestätigt. Dass sich aus diesem Einzelfall eine Rückeroberung des Whistleblowings durch den Journalismus ableiten lässt, wage ich zu bezweifeln. Es geht doch auch gar nicht darum, wer hier welches Territorium verteidigt. Wichtig ist nur, dass möglichst viele Fakten und die dazu gehörigen Kontexte ans Licht und zu den Menschen kommen, deren Leben sie letztendlich betreffen. Auf welchem Wege auch immer.

Domscheit-Bergs diskreter Auftritt am «Six-Brennpunkt 2013» in Zürich und damit im Herzen des Schweizer Kapitalismus hatte gesellschaftspolitischen Symbolwert: Viele jener Wirtschaftsführer, die den Transparenz-Aktivisten lange als Datendieb bezeichneten, hörten ihm nun an der Zürcher Börse interessiert zu und applaudierten zum Schluss sogar. Bleibt die Frage:

Hätten Sie die Einladung auch angenommen, wenn sie von der US-amerikanischen Börse gekommen wäre?
(nach langem Nachdenken) Wohl kaum. Mir ist zwar nicht bekannt, dass jemand in den USA mit mir direkt ein Problem hat. Es gibt da ja aber diese Grand Jury, deren Anklageschrift zum Teil noch versiegelt ist und von der niemand weiss, wer und was da genau drin stehen. Und selbst wenn die nur mit mir reden wollten, um zu sehen, ob ich jemand anderen belasten würde … Nein, das würde ich mir und meiner Familie nicht antun.

Kontakt zu ehemaligen Mitstreitern in den USA besteht aber noch?
Klar. Auch konkrete Anfragen gibt’s immer wieder. Und eigentlich wäre es verdammt wichtig, dass jemand unsere Sichtweise und Anliegen gerade in dem Land prominent vertritt, das von unserer damaligen Arbeit am direktesten betroffen war und in der globalen Transparenzdebatte zugleich immer noch den Ton angibt.

Dafür sind Sie in der Schweiz wenigstens keine Persona non grata, sondern offizieller Stargast an einer geschlossenen Veranstaltung der Wirtschaftselite.
Ist das so? Vielleicht heute noch. Die Finanz-«Elite» von morgen trifft sich aber heute schon am Bitcoin-Exchange, nicht an einer Wertpapierbörse.

Wird man als Ex-Intimus von Julian Assange und so umstrittener wie frei schwebender Transparenz-Papst nicht zwangsläufig etwas paranoid?
Hm. Der Umgang mit dieser verzwickten Situation hat meine letzten zwei, drei Lebensjahre stark geprägt. Aber eigentlich will ich mich gar nicht damit beschäftigen, ob und wer meine Emails mitliest und meine Telefonate abhören könnte oder auch nicht …

… weshalb Sie konsequenterweise kein Handy mehr haben.
Die Abschaffung der dauernden Erreichbarkeit hat auch Privacy-Aspekte. Nach den irren Ereignissen meiner jüngsten Vergangenheit lege ich heute den Akzent bewusst auf Entschleunigung und die Arbeit an meinen mittelfristigen Lebenszielen und Projekten [angepasst]. Die Alltagsablenkung durch Echtzeit-Kommunikation stört da nur. Hätte ich einen Twitter-Account, bliebe keine Zeit mehr für viel Wichtigeres. Hoch motiviert Projekte vorwärtszutreiben, die keine «instant satisfaction» sondern – wenn überhaupt – nur einen «delayed reward» bringen, braucht viel Konzentration und Energie. Diese wichtige Lektion habe ich bei Wikileaks gelernt.

Als dessen Sprecher standen Sie phasenweise fast gleich stark im Scheinwerferlicht wie Julian Assange und sind seitdem eine öffentliche Figur mit einer Botschaft.
Ja, eine gewisse missionarische Veranlagung kann ich nicht abstreiten. Die letzten Jahre lief das aber definitiv viel zu hochtourig. Mag sein, dass deshalb das Pendel bei mir jetzt fast genauso stark in die andere Richtung ausschlägt. Auf die Qualität meiner Arbeit wirken sich der Umzug aufs Land und der eigene Garten aber sehr positiv aus. Ich war noch nie so produktiv wie ich den vergangenen paar Monaten.

Leserbeiträge

Felix von Wartburg 31. Mai 2013, 17:27

Das tat gut, ein so erfrischendes Interview zu lesen. DDB scheint der richtige Mann am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein. Ich wünsche ihm und mir und der Mehrzahl der Menschen auf unserem Planeten, dass sein Werk gelingen möge.

kuro 07. Juni 2013, 07:27

Ja. Openleaks steht kurz vor der Vollendung. Wer es noch glaubt? Seit 2 Jahren zieht DBB durch die Medien und verkündet die groß konstruierte Wikileaks-Alternative, DIE Leakingplattform überhaupt. Während Wikileaks tot gesagt war und trotzdem die Stratfor Unterlagen veröffentlichte ist DBB unter getaucht… Ich verstehe nicht warum man diesem offensichtlichen Aufschneider noch so eine Plattform bietet.
Ach ja.
http://www.openleaks.org wirft seit Monaten einfach nur 404 raus.