Terror-Videos: Bedenken, aber keine Grenzen
Die Diskussionsrunde im ersten «Medienclub» des Schweizer Fernsehens suchte nach Antworten auf die Frage, wie die Massenmedien mit Terrorbildern umgehen sollten. Im Ergebnis scheint fast alles möglich zu sein. Auf Regelwerke, wie sie etwa der Presserat oder publizistische Leitlinien bieten, haben die Medienprofis kaum verwiesen. Man möchte offenbar lieber referenzfrei entscheiden und publizieren.
«Sind Medien Terrorhelfer?»: Der erste «Medienclub» vom letzten Dienstag thematisierte die Fragen, ob und wie Medien das dramatische Videomaterial veröffentlichen sollen, das den Täter nach der kürzlichen Ermordung eines englischen Soldaten in London zeigt. Der Attentäter hatte einen Passanten am helllichten Tag auf offener Strasse aufgefordert zu filmen – ein für Europa neuartiger und verstörender Auswuchs von Terrorismus.
Die Teilnehmer der von Karin Frei geleiteten Diskussionsrunde waren drei Chefredaktoren (Rolf Cavalli, Patrik Müller und Diego Yanez), zwei Vertreter von Ausbildung und Wissenschaft (Alexandra Stark und Vinzenz Wyss), sowie ein Medienjournalist (Rainer Stadler).
Sie vertraten folgende Positionen:
- Vinzez Wyss (ZHAW) erwartet von den Medien ein regelbasiertes und reflektiertes Vorgehen mit Berücksichtigung der Gefahr, vom Terrorismus instrumentalisiert zu werden. Die Thematik und die erforderliche Sensibilität sind lange bekannt. Die Redaktionen haben dies zu wissen und im Rahmen ihrer Prozesse zu organisieren.
- Alexandra Stark (MAZ) möchte die Journalistinnen und Journalisten sensibilisieren. Es braucht ein Gespür, wann ein Problemfall vorliegt. Dieser lässt sich dann zwar nicht mit starren Regeln, aber mit bewährten Instrumenten lösen. Die Bedeutung des Journalismus liegt gerade nicht in der 1:1-Weitergabe einer Quelle.
- Rainer Stadler (NZZ) ist dagegen, dass Medien gefilmte Taten und Rechtfertigungen von Terroristen veröffentlichen. Journalismus setzt ein Selbstverständnis voraus, dass man sich nicht instrumentalisieren lässt. Was andere Medien publizieren, spielt keine Rolle. Wenn schon, dann lässt sich solch ein Vorgang in distanzierter Form über Text abbilden.
- Diego Yanez (SRF) beschreibt die Entscheidung seiner Redaktion in Schritten: Zeigen wir das ganze Video? Nein. Sprachrohr sein für den terroristischen Rechtfertigungsversuch? Nein. Weglassen des Videos oder Ausschnitt zeigen? Wir zeigen 7 Sekunden. Die umfangreichen publizistischen Leitlinien der SRG hingegen spielten hier keine Rolle
- Patrick Müller (Schweiz am Sonntag) zweifelt zwar das Argument an, man dürfe publizieren wenn es andere tun, doch er findet auch die Verzichtsdiskussion heuchlerisch, weil solche Videos ja im Internet leicht auffindbar seien. Medienprodukte dürfen differenziert sein: Blick zeigt das Video und die NZZ unterlässt die Veröffentlichung.
- Rolf Cavalli (Blick-Gruppe) setzt sein eigenes journalistisches Gespür ins Zentrum. Journalismus zeigt was ist, er möchte die Leser nicht bevormunden. Es ist unrealistisch anzunehmen, dass ein einzelnes Medium einen Einfluss auf die Verbreitung des Terrorismus habe. Auch ein Boulevardmedium ordnet ein, was gezeigt wird.
Das Sendeformat «Club» ist ein mögliches Gefäss für diese Diskussion, aber nicht das zwingende. Ein redaktionell betreutes Medienmagazin hätte dem Zuschauer rascher und deutlicher zeigen können, um welche beruflichen und moralischen Themen es geht: Gewaltbilder und Terrorbotschaften. Wie sollen Massenmedien auf ihren Plattformen schockierendes Laienmaterial verwenden, das im Umfeld von terroristischen Straftaten entstand?
Es geht nicht um den Kern des Journalismus, nicht um die individuelle Recherche, die Publikation meinungsbildender Inhalte oder das Verhältnis zu den Betroffenen (Stichwort Persönlichkeitsschutz). In Frage steht die Verbreitung einer vom Handy eines zufällig Beteiligten gefilmten Szene, welcher sich im Umfeld einer Gewalttat abspielte und die von einem Attentäter ausgestossene aggressive Botschaft enthält. Entsprechend kreisen die Fragen um die Publikation von Schockbildern und um die mediale Verstärkung von Terror und Kriminalität.
Zu Schockbildern hat sich der Presserat nach dem Tod von Prinzessin Diana geäussert und dabei zwar nicht genau den vorliegenden Fall, aber doch die Konstellation miterfasst (Stellungnahme 2/98 vom 20. Februar 1998 zum Umgang mit Schock- und People-Bildern). Diese Stellungnahme wurde im «Medienclub» nicht genannt und scheint auch in der Abwägung auf den Redaktionen keine Rolle gespielt zu haben. Allein Vinzenz Wyss erwähnte beiläufig den Presserat.
Dass Medien zu Gehilfen von Terroristen werden, war das zweite und hauptsächliche Thema des «Medienclubs». Die Teilnehmer schienen paralysiert durch die Kontroverse,
- dass ein Verbreiter des Videos automatisch die Absicht des Attentäters unterstützt, der sein Tun auf eine Medienöffentlichkeit angelegt hatte (Stadler) – was stimmt, und
- dass es für den Terrorismus keinen Unterschied macht, ob ein einzelnes Medium neben vielen anderen Kanälen das Video auch noch zeigt (Cavalli) – das stimmt auch.
Dass beide Feststellungen zutreffen, ändert nichts an der Bedeutung der Kontroverse, sondern zwingt im Gegenteil dazu sie zu führen. Stadler ist zu entgegnen, dass dem missliebigen Interesse eines Attentäters andere Interessen gegenüberstehen könnten, die in einem Bildmedium für die Bearbeitung und Publikation des Videos sprechen: Authentizität und Dokumentation der Berichterstattung, Abschreckung und Warnung der Bevölkerung und der Institutionen, Ermöglichung einer emotionalen Anreicherung der Berichterstattung (es ist ein Unterschied, ob man vom Attentäter liest oder ob man ihn sieht). Ob diese und weitere Gründe genügen, ist die Abwägungsaufgabe. Abwägung drückt sich nicht in markigen Sprüchen aus, sondern in einem Dialog und in der Suche nach Alternativen und Varianten, was man tun könnte – und vor allem wie. Rolf Cavalli von der «Blick»-Gruppe hält seine Medienfreiheit und eigene Einschätzung entgegen und nennt dies «Verantwortung». Weshalb die Leser seiner Publikationen das uneditierte Videoclip aber zu sehen brauchen, erklärt er während der ganzen Sendung nicht.
Niemand in der Runde nahm Vinzenz Wyss’ Forderung auf, dass Medienunternehmen Regeln und Kriterien für solche Fälle bekanntmachen und deren Anwendung organisieren sollten. Man möchte lieber referenzfrei entscheiden und publizieren. Dass hier die Verantwortung verbannt wird, die man selber beansprucht, wird kaum erkannt. Verantworten heisst Antwort geben und Konsequenzen tragen, wenn man Fehler macht – und zwar in den Augen anderer oder im Rahmen einer transparenten Selbstverpflichtung, nicht nach eigener Gerechtigkeit.
Setzt die Verantwortung erst dann ein, wenn die eigene Publikation direkten Schaden anrichtet und einen weiteren Attentäter zu einem Mord anstiftet, so kann einem Phänomen wie dem Rudeljournalismus nicht begegnet werden. Dieser besteht darin, dass sich Medien in ein gleichförmiges Verhalten einordnen und als amorphe Gruppe ein Problem schaffen, das die einzelne Publikation nicht zu bewirken vermag. Der Presserat hat solchen Rudeljournalismus als mediale Hetze gegen einen Prominenten abgelehnt, ohne den einzelnen Medienschaffenden direkt zu rügen (Stellungnahme 58/2010: Schutz der Privatsphäre von Boulevardprominenten, Medienhypes etc.): Journalismus in der Kollektivhaftung.
Es ist offensichtlich, dass die Medien als Ganzes den zynischen Absichten eines Attentäters wie jenem von London zudienen. Doch in erster Linie verursachen die Bilder Abscheu. Die Medienrunde konnte abschliessend nicht beantworten, ob Videofilme von Attentätern und Terrorakten in den Massenmedien gezeigt werden sollen. Oberflächlich blieb die Diskussion zwischen den Polen «Bevormundung des Lesers» (Cavalli) und «Selbstverständnis des Journalisten» (Stadler) hängen.
Einige TV-Stationen haben zuerst das ganze Video gezeigt, später nur noch Ausschnitte und präparierte Fassungen. Dieses Vorgehen bringt die wahren Gründe für die rasche Verbreitung ans Licht: Schnell dabeisein, nichts verpassen. Und es legt offen, dass man vorsichtiger wird und werden sollte, wenn man etwas Zeit hat. Es wird wirksamere Ausgaben des «Medienclubs» brauchen, damit sich die Redaktionen beim nächsten Ereignis vergleichbaren Ausmasses diese Zeit nehmen.
Vinzenz Wyss 31. Mai 2013, 22:58
Damit das klar ist: Sowohl die in der Diskussion nur angetippten Leitlinien des Schweizer Presserats als auch die Leitlinie 8.5 von SRF fordern klar, dass im konkreten Fall die Übernahme von Verantwortung eine Selbstbeschränkung bedeutet: also NICHT terroristisches Gedankengut verbreiten. Dies Sache ist also aus professionsethischer Sicht klar und kann nicht mit individualistischen Befindlichkeiten wegdiskutiert werden (selbstverständlich kann man auch über solche Regeln der Profession immer wieder mal debattieren). Dass es aber offensichtlich Angehörige der „möchtegern“ Profession gibt, die diese erarbeiteten Regeln gar nicht kennen wollen (ja sogar das Problem ignorieren), ist befremdend. Störend ist eine solche ignorante Sicht vor allem dann, wenn jenseits wissenschaftlicher und hoffentlich längst bekannter Erkenntnis naiv behauptet wird, man könne im Journalismus „zeigen, was ist.“ Auf einer solchen Ebene lässt sich auch kein weiterführender Diskurs führen. Fremsdschämen.
Rolf Probala 01. Juni 2013, 08:44
Was in dieser medienkritischen Runde fehlte: Die Sicht einer Mediennutzerin oder eines Mediennutzers. Eine medienkritische Diskussion im digitalen Zeitalter ohne Einbezug der Medienkonsumenten kommt mir vor wie eine Debatte über Sexualmoral, zu der ausschliesslich Kleriker eingeladen sind.
Rolf Probala
Frank Hofmann 01. Juni 2013, 10:35
Mediennutzer sind keine homogene Gruppe, deshalb ist es gar nicht möglich, sie durch eine oder selbst mehrere Personen vertreten zu lassen. Die Auswahl wäre völlig willkürlich. Was ich aus dem Beitrag herauslese (die Sendung selber habe ich nicht gesehen), ist die fehlende Selbstkritik der Entscheidungs- bzw. Verantwortungsträger. Jeder verteidigt seinen Entscheid. Aber selbstkritisches Hinterfragen passt einfach nicht zu den Medien. Arroganz schon eher.
Rolf Probala 01. Juni 2013, 10:53
Lieber Frank Hofmann
Ihre Argumentation kann ich nicht nachvollziehen. Auch Journalisten sind keine homogene Gruppe und die Auswahl jeder Diskussionsrunde ist mehr oder weniger willkürlich. Medienschaffende arbeiten im Dienste der Oeffentlichkeit (behaupten sie zumindest), sie schreiben und filmen für ein Publikum. Da liegt es auf der Hand, dass in einer medienpolitischen Diskussion auch dieses Publikum zu Wort kommen soll. Und Mediennutzerinnen und Nutzer, die sich differenziert und kritisch mit den Medien auseinandersetzten, liessen sich sehr wohl finden; z.B. in den Trägerschaftsorganisationen der SRG oder im Verein Medienkritik.
Frank Hofmann 02. Juni 2013, 19:58
Lieber Rolf Probala, mir scheint die Zusammensetzung sinnvoll: 3 Entscheider, 3 aus Kritik/Ausbildung/Wissenschaft, die ja auch Nutzer sind und die Redaktoren an ihre Verantwortung erinnert haben. Der engagierte Kommentar von @Vinzenz Wyss zeigt dies. Mehr Teilnehmer verträgt eine solche Runde kaum. Aber Sie können das selbstverständlich anders sehen.
irgendeiner 04. Juni 2013, 13:21
Wie sollen Medien über Terror und Verbrechen berichten, sollen sie Videos und Bilder zeigen?
Wenn solche Dinge deutlich gezeigt werden, muss man zunächst die Wirkungen überlegen. Einerseits wird es Betrachter geben, die dabei Ekel und Abscheu empfinden und dadurch(?) wohl in der Überzeugung bestärkt werden, dass für die Täter keine Bewunderung angebracht ist. Es ist allerdings zu überlegen, ob eine solche Reaktion nicht auch schon durch eine weniger detaillierte Schilderung ausgelöst wird.
Andererseits wird es auch Betrachter geben, die dadurch zur gegenteiligen Reaktion gelangen, sich wenn möglich bei mehrmaligem Anschauen sogar dran aufgeilen und zur Nachahmung motiviert werden. Dieser Effekt ist ohne Bildmaterial bestimmt weniger intensiv.
Es sind aber auch Mischformen denkbar, z.B. dass jemand aus der Beschreibung anfänglich eine gewisse Bewunderung für die Täter empfand aber dann beim Anblick von Leid und Elend doch noch zu einer ablehnenden Einstellung gelangt.
Weiter muss man sich überlegen, welche Aufgabe den Medien bei der Berichterstattung über solche Taten zukommt. Bei gewöhnlichen Berichten ist eine objektive Berichterstattung ohne jegliche Wertung über die Geschehnisse vorzuziehen, weil sich daraufhin jeder seine eigene Meinung bilden kann und soll. Ist dies bei Terror und Verbrechen ebenfalls richtig?
Ich denke, dass in solchen Fällen eine neutrale Berichterstattung nicht mehr angebracht ist, weil man die Verantwortung über die möglichen Wirkungen nicht einfach mit einem bestimmten Berufs-Kodex ausschliessen kann. Jeder ist letztlich für die Wirkungen seiner Tätigkeiten verantwortlich, und wenn eine Berichterstattung bei einigen Menschen eine Verrohung oder gar verstärkte Motivation für verwerfliche Taten hervorrufen kann, sollte man diese Berichterstattung geeignet ändern. Dass man dabei zuverlässig darauf achtet, nicht etwa die Diktion der Täter zu verbreiten dürfte selbstverständlich sein.
Berichte über Terror und Verbrechen sollten kein Bildmaterial aufweisen, welches negative Wirkungen entfalten könnte. Diese Wirkung kann auch nicht durch unterlegten Text oder Sprache aufgehoben werden, weil beides sehr leicht weg gefiltert werden kann. Der Grundtenor solcher Berichte sollte keinen Zweifel aufkommen lassen, dass es sich um verabscheuungswürdige Geschehnisse handelt, wobei dies allerdings auch keinesfalls bedeutet, dass man mit moralisch erhobenem Zeigefinger berichten soll…
Wiener 13. August 2013, 10:57
Die Presse wird ihrer Rolle schon langsam nicht mehr wirklich gerecht. Es ist dringend nötig, dass Qualitätsjournalismus wieder bezahlt wird! Dazu muss er für den Leser sichtbar werden. Derzeit kann ich den Unterschied zwischen guter und schlechter (und damit billigerer) Recherche nicht erkennen, solange alles nur seriös aussieht! Dazu gibt es allerdings ein neues Projekt (Medienranking).
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