Kleinliche Rüge
Eine spontane Sympathiebekundung für einen Politiker liegt bei SRF nicht drin: TV-Chefredaktor Diego Yanez rügt einen Mitarbeiter für einen «Bravo!»-Tweet. Der Fall wirft die Grundsatzfrage auf: Wie frei sind angestellte Journalisten in ihrer Meinungsäusserung?
So schnell wie die fünf Buchstaben getippt und veröffentlicht wurden, so schnell waren sie auch schon vergessen und verloren im Ozean der Twitter-Meldungen. Nur wer gezielt danach sucht, wird die Botschaft wieder finden.
Niemand hätte sich weiter über das «Bravo!» eines SRF-Journalisten aufgehalten, wenn es nicht der Chefredaktor zum Anlass genommen hätte, daran ein Exempel zu statuieren: Wie die NZZ am Sonntag berichtet, hat Diego Yanez einen Mitarbeiter gerügt, weil dieser die Ankündigung eines SP-Politikers für ein Exekutivamt antreten zu wollen, auf Twitter mit einem «Bravo!» kommentierte.
Es musste offenbar wieder einmal gesagt werden: Twitter ist kein «feuchtfröhliches Nachtessen unter Freunden», donnerte Yanez in einer Hausmitteilung. Was er damit genau meint, bleibt sein Geheimnis. Das gerügte «Bravo!» wird wohl kaum einer trinkseligen Runde entsprungen, sondern wohlüberlegt als Ausdruck aufrichtiger Freude in die Welt gesetzt worden sein.
Ist das ein Problem? Ist eine solche Äusserung gar verboten und der Autor mit Sanktionen zu belegen? Die publizistischen Leitlinien von Schweizer Radio und Fernsehen geben darauf keine eindeutige Antwort. Unter Punkt 2.8 «Private Aktivitäten im Internet» heisst es: «Programmmitarbeitende sollen Stellungnahmen zu politischen, religiösen, kommerziellen und ähnlichen Themen auch im Internet vermeiden.» Und weiter in Punkt 3.2 «Distanz zu Protagonisten»: «Im Umgang mit Protagonisten dürfen keine Zweifel an unserer Distanz aufkommen; (..) Die Distanz zu Protagonisten soll auch in sozialen Netzwerken im Internet gewahrt bleiben.»
Nur: Wie bemisst sich diese Distanz? Ist dieses ominöse «Bravo!» bereits eine Verletzung der angemahnten Zurückhaltung? Oder könnte es nicht vielmehr eine Geste unter Freunden gewesen sein? Gut möglich, dass sich der betreffende Redaktor einfach über einen Entscheid eines Freundes gefreut hat, ganz unabhängig von dessen Parteizugehörigkeit.
Die SRF-Chefredaktion scheint nach dem Motto zu verfahren: Im Zweifelsfall rügen, und zwar so, dass der ganze Betrieb Bescheid weiss. Ein klärendes Gespräch unter vier Augen hätte es auch getan. Dass SRF wegen des «Bravo!»-Tweets Schaden nimmt, bleibt zuerst einmal eine Behauptung. Ein Beleg dafür müsste zuerst noch geliefert werden. Schaden nimmt SRF insofern, als dass die Affäre nun durch Zeitung und Social Media in aller Öffentlichkeit weiterverhandelt wird.
Wenn die Chefredaktion die publizistischen Leitlinien so kleinlich auslegt, gäbe es zahlreiche andere Verstösse, die der Glaubwürdigkeit von Schweizer Radio und Fernsehen in gleichem, wenn nicht sogar in stärkerem Masse abträglich sind. Bei Sportübertragungen etwa gehören Sympathiebekundungen für (National)mannschaften und Athleten zum Repertoire der Reporter, die Gratulation zum Sieg ist ein eingeübtes Ritual. Distanz zu Protagonisten sieht anders aus.
Oder um bei Social Media zu bleiben: auch der Umgang mit Quellen entspricht nicht immer den publizistischen Leitlinien. Einer der fleissigsten SRF-Twitterer, ECO-Moderator Reto Lipp, vergisst regelmässig seine Aussagen auf Twitter zu belegen, obwohl dies mit dem Anfügen eines Links problemlos möglich wäre. Kleinliche Kritik? Vielleicht. Aber nicht kleinlicher als die «Bravo!»-Rüge.
Bleibt schliesslich die Grundsatzfrage: Wie frei sind angestellte Journalisten in ihrer Meinungsäusserung? Im konkreten Fall halten sowohl ein Arbeitsrechtler als auch ein Gewerkschafter die Rüge für unverhältnismässig und appellieren an den gesunden Menschenverstand.
Dass SRF die rote Linie trotzdem dermassen eng zieht, hat auch damit zu tun, dass man sich keine Angriffsflächen bieten will. «Gerade unser Haus steht wie kaum ein anderes unter ständiger Beobachtung», zitiert die NZZ am Sonntag aus dem Chef-Rüffel. Eine Sympathiebekundung für einen SP-Politiker könnte von SRF-Kritikern als Beleg für die (angebliche) Linkslastigkeit des Senders ausgeschlachtet werden. Damit wird auch klar, was die Rüge eigentlich bezwecken soll: präventive Kritikabwehr, weil der Chef offenbar Angst hat vor der Meinung seiner Mitarbeiter. Eine Rüge wäre gerechtfertigt, wenn ein Internum ausgeplaudert oder das Unternehmen schlechtgemacht würde. Beides war hier nicht der Fall.
Journalismus gibt es nur mit Meinung und Haltung. Dass diese heute auch auf anderen als den offiziellen Kanälen frei fliessen, ist kein Risiko, sondern eine Chance zu mehr Transparenz und (Be)greifbarkeit der publizistischen Prozesse. Wer das anders sieht, kann sich nur mit einem rigiden Kontroll- und Sanktionsregime helfen. Mit Medienfreiheit hat das wenig zu tun.
De Bona Bruno 09. August 2013, 13:56
Bravo !
Frank Hofmann 12. August 2013, 09:22
Man stelle sich vor, dieses „Bravo“ hätte einem FDP- oder gar SVP-Politiker gegolten. Da hätte wohl der CR der nationalen Beschallungs- und Berieselungsanstalt vornehm geschwiegen und dies – in völliger Verkennung der Verhältnisse – als Beleg für die politische Ausgewogenheit seiner Belegschaft eingeordnet. Dafür wäre der #Aufschrei in der Branche umso grösser gewesen. Und der SRF-Twitterer wäre für den Rest seiner Karriere als Rechter gebrandmarkt gewesen.
Aber klar, die Hypothese ist weltfremd. SRF ist und bleibt ein Hort der Linken.