Jenseits der Kuschelatmosphäre
Beat Balzli wechselt von der Spitze der Handelszeitung in die Chefredaktion der zehnmal auflagenstärkeren Welt am Sonntag und wird somit zu einem der mächtigsten Schweizer Journalisten. Im Interview mit der MEDIENWOCHE spricht der 47-Jährige über den Umbau der Handelszeitung, über das Wirken von Spin Doctors in der Sonntagspresse und gibt Tipps, wie man zu einem guten Rechercheur wird.
Beat Balzli finanzierte schon sein Studium der Volks- und Betriebswirtschaft mit Texten für die damalige LNN und die Handelszeitung. In den 1990er-Jahren mussten Schweizer Banken aufgrund seiner Recherchen die Existenz von herrenlosen Holocaust-Geldern einräumen, was im 1997 erschienenen Buch «Treuhänder des Reichs» nachzulesen ist. Nach vielen Jahren beim «Spiegel» war er für drei Jahre Chefredaktor bei der Handelszeitung, die er als «eines der wenigen Printprodukte der Schweiz, das in diesem Jahr konstante Leserzahlen ausweisen kann», hinterlässt. Auf den 1. September 2013 wird Balzli in die Chefredaktion der «Welt»-Gruppe wechseln, wo er für eine der wichtigsten und besten Sonntagszeitungen Deutschlands, die «Welt am Sonntag», zuständig sein wird.
Beat Balzli antwortet ohne Verzögerung, nur wenn er nicht gleich eine gute Antwort weiss, sagt er zuerst mal «Das ist eine gute Frage». Ein Mann, den man problemlos in jede Talkshow einladen könnte, wenn er denn einer Talkshow-Redaktion nicht vielleicht manchmal ein Stück zu vorsichtig und zu professionell wäre. Dass er ein Schweizer ist, merkt man an der Häufigkeit des in seine Sätze eingestreuten Wörtchens «relativ». Wir treffen uns Berlin-untypisch früh, schon um 9 Uhr, in der Lobby des Mercure Hotel unweit der Axel-Springer-Gebäude und suchen uns das erstbeste Café, in dem wir dann auch gleich trotz offenem Eingang bei angenehmen Temperaturen sitzen.
Sie sind in Hamburg geboren, in Luzern aufgewachsen, haben im deutschen und im Schweizer Journalismus gearbeitet. Was unterscheidet die Schweiz von Deutschland, was kann man voneinander lernen?
In der Schweiz herrscht eine Konkordanzkultur, in Deutschland geht es öfter um die Konfrontation. In den deutschen Medien wird der Themenwettbewerb härter geführt, politische Affären oder Skandale werden konsequenter verfolgt und von verschiedenen Medien aufgegriffen. In der Schweiz springen manche Medien nicht auf die Geschichten der anderen auf – vielleicht auch, weil man sie der Konkurrenz nicht immer gönnt.
Bei der Rückkehr in die Schweiz habe Sie fast der Schlag getroffen: «Das Ausmass des Einflusses der PR-Leute hierzulande ist erschreckend; ihre Präsenz hat ein Ausmass erreicht, das nicht mehr gesund sein kann.» Welche Medien meinen Sie konkret?
Darunter leiden fast alle Medien. Oft kommt man an ihnen schlicht nicht vorbei. Die PR-Leute versuchen allerdings besonders auf die einflussreiche Schweizer Sonntagspresse zu zielen, weil das eine gute Plattform für sie ist. Das Agendasetting ist am Sonntag ausgeprägter als in Deutschland. Der Einfluss dieser Spin Doctors im Politik- und Wirtschaftsjournalismus ist mitunter beeindruckend.
Was sagen Sie Werbekunden, die Ihnen nach kritischen Artikeln mit einem Anzeigenboykott drohen?
Denen sage ich, dass sie als Privatleute auch gerne profilierte Zeitungen und guten Journalismus lesen wollen, dass Anzeigenboykotte etwas von gestern sind. Und das sind sie auch: es gibt zwar auch heute noch Anzeigenboykotte, aber es nicht mehr so ein Problem wie vielleicht noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Die grossen, professionell geführten Konzerne drohen nicht mehr einfach so.
Beim Handelszeitung-Antritt haben Sie zuerst mal einiges beim Personal geändert. Warum?
Die Handelszeitung war früher Chronist – eine Art Tageszeitung, die einmal die Woche rauskommt. Mein Ziel, daraus eine klassische Wochenzeitung zu machen, habe ich erreicht. Diese Disziplin liegt nicht jedermann, darum haben wir gute Leute eingekauft, die diesem Anspruch gerecht werden.
Die Handelszeitung ist gut gemacht und auch für Wirtschaftslaien gut verständlich. Aber ist sie nicht für Fachleute zu trivial, während die Laien auch andere Produkte lesen können?
Die Handelszeitung ist nicht trivialer geworden, sondern vom Niveau her anspruchsvoller, aber verständlicher produziert. Wir haben uns vorgenommen, auch die komplizierten Themen so darzustellen, dass sie von Leuten gelesen werden, die zwar wirtschaftlich überdurchschnittlich interessiert sind, aber nicht spezialisiert in allen technischen Disziplinen. Die Texte haben wir enttechnisiert, die technischen Feinheiten in eine Box ausgelagert, für jene, die es ganz genau wissen wollen. Gerade von weiblichen Lesern haben wir dazu sehr gutes Feedback erhalten.
Was läuft schief im Schweizer Journalismus?
Läuft denn etwas schief? Es gibt sehr gut gemachte Produkte im Schweizer Journalismus. Was manchmal etwas fehlt, ist die Ambition, der Anspruch. Die Textarbeit beispielsweise spielt im Vergleich zu Deutschland oft eine untergeordnete Rolle. Hinzu kommt, dass der Schweizer Medienmarkt abgeschottet ist: Es gibt nur wenige Leute, die mal im Ausland gearbeitet haben und dort ganz andere Macharten von Medien kennengelernt haben. Der Wettbewerbsdruck im Ausland ist ein ganz anderer. Ich kann nur jedem Nachwuchsjournalisten empfehlen, ins Ausland zu gehen und dort mal andere Luft zu schnuppern.
Wieso machen das Schweizer Journalisten nicht? Sind sie zu bequem, zu harmoniebedürftig?
Es existiert nun mal ein Kulturunterschied. Auf Schweizer Redaktionen herrscht eher Kompromissklima, die Journalisten haben mehr Freiheiten und werden nicht so hart geführt vom Management. In deutschen Redaktionen ist die Konkurrenz unter den Kollegen um die Geschichten viel härter, sie werden hierarchischer geführt. Die manchmal beinahe kuschelige Atmosphäre, wie man sie in Schweizer Redaktionen antrifft, ist in Deutschland sicher nicht so ausgeprägt.
Wer macht es denn gut im Schweizer Journalismus?
Was die Textqualität anbetrifft, gibt es im Magazinbereich und auch am Sonntag gute Beispiele.
Was unterscheidet die Handelszeitung von der Bilanz? Wieso soll ich beide Axel-Springer-Produkte lesen?
Die Handelszeitung, so wie ich sie gemacht habe, setzt auf intelligenten Hintergrund, auf Investigation, auf einfache Erklärungen komplexer Materien. Teil des Profils ist eine gewisse Kontroverse, man soll sich daran reiben können. Die Bilanz bietet auch intelligenten Hintergrund und Recherche. Sie setzt dabei aber mehr auf Köpfe, auf Personifizierung, auf Glamour- und Lifestyle-Geschichten. Das lässt sich mit einem Hochglanzprodukt besser machen.
Nach Ihrem Abgang bei der Handelszeitung attestieren Ihnen viele, das Blatt besser gemacht zu haben. Gleichzeitig sind einige der Mitarbeiter nicht gut auf Sie zu sprechen. Sie hätten einen «diktatorischen und autoritären Führungsstil», ist im «Schweizer Journalist» (Ausgabe 06-07/2013) zu lesen.
Wenn ein Blatt in relativ kurzer Zeit relativ fundamental umgebaut wird, dann findet sich immer jemand, der mit diesen Entwicklungen nicht einverstanden ist und dann einen Medienjournalisten als Ventil benutzt. Das erscheint mir völlig normal. Die Fluktuationsrate bei der Handelszeitung ist freilich auffallend tief, das spricht dafür, dass vielen von unseren Mitarbeitern die Arbeit offenbar ein bisschen Spass macht. Und das, obwohl unsere Leute immer wieder Angebote erhalten haben von der Konkurrenz.
Weiter steht im Artikel, dass Sie den Mitarbeitern eher wenig Freiraum zugestehen.
Damit die Zeitung ein homogenes Produkt ist, muss man eine klare Linie vorgeben. Gewisse Leute nennen das vielleicht Unfreiheit, doch grundsätzlich geniesst ein Wochenjournalist viele Freiheiten. Es ist zudem illusorisch, zu glauben, ein Chefredaktor könne alles vorgeben. Der Chef schreibt nicht die Zeitung, das macht das Team.
Würde festangestellten Journalisten nicht ein freier Tag pro Woche gut tun, an dem sie draussen Geschichten fischen, finden, recherchieren könnten? Ein Journalismus, der nur noch konkurrenzschielend termingebundenen Content verwaltet, ist doch ein Problem.
Bei einer Wochenzeitung mit einer relativ kleinen Mannschaft gibt es nun mal einen gewissen Produktionsdruck. Sie können sich nicht, wie zum Beispiel beim «Spiegel», für eine Geschichte vier oder fünf Wochen ausklinken. Sonst kriegen wir schlicht das Blatt nicht voll. Eine Handelszeitung oder auch eine Bilanz bietet den Journalisten aber verhältnismässig viele Freiheiten, um nach Geschichten zu fischen – wenn sie das denn wollen.
Der Artikel trug den Titel «Beförderung eines Ungeliebten» – aber müssen Journalisten überhaupt geliebt werden?
Nein, das ist das Problem von vielen Journalisten: Sie wollen geliebt werden. Journalisten müssen nicht geliebt werden, Journalisten müssen respektiert werden.
Ist die Handelszeitung ein Karrieresprungbrett? Martin Spieler hat danach zur Sonntagszeitung gewechselt, Sie zur «Welt»-Gruppe.
Offenbar war es für zwei Leute ein gutes Sprungbrett, um danach zu General-Interest-Titeln zu wechseln.
Formal werden Sie vom Chefredaktor zum stv. Chefredaktor. Warum ist es trotzdem ein Aufstieg?
Die Welt am Sonntag hat eine verkaufte Auflage von über 400′000 Exemplaren [mehr als zehnmal mehr als die Handelszeitung – verkaufte Auflage 2012: 36’689 Exemplare]. Das ist eine andere Dimension. Der Einfluss eines solchen Blattes ist viel grösser als der eines Nischentitels. Folglich werde ich vermehrt unter Beobachtung stehen, kann also mehr mit guten Sachen auffallen, aber auch mehr falsch machen. Welchen Titel ich tragen werde, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Ich freue mich sehr auf meine neue Aufgabe, einen General-Interest-Titel zu führen in einem Sonntagsmarkt, der noch nicht so ausgereizt ist wie der in der Schweiz.
Was macht die Welt am Sonntag besonders gut?
Dank dem Investigativteam unter der Leitung von Jörg Eigendorf konnten viele gute Recherche-Geschichten platziert werden. Es wurde generell viel investiert in die journalistische Exzellenz, was auch zu einigen Auszeichnungen und zu einer steigenden Zitierungsquote geführt hat. Immer wieder fällt die WamS zudem mit spannenden Reportagen und prominenten Interviewpartnern auf. Der Trend ist also vielversprechend, und ich möchte ihn fortsetzen.
Was möchten Sie konkret umsetzen?
Das kann ich Ihnen heute nicht sagen, sowas können die Kollegen ja nicht bei Ihnen erfahren. Wie auch Jan-Eric Peters bereits betont hat, wird der Magazin-Style der Zeitung weiter zunehmen.
Ist das Magazinige die einzige Strategie, mit der sich Zeitungen von Online abheben können?
Das ist einfach gesagt, aber die Frage ist, wer es tatsächlich macht. Die Zeitung als statisches Medium muss die grossen Zusammenhänge erklären und nicht mehr der Tagesakualität hinterherrennen. Da ist online einfach schneller. Printprodukte müssen heute viel innovativer sein, als sie das früher waren. Trends erspüren, Themen setzen, grosse Geschichten erzählen: Das sind die einzigen Chancen, die Printmedien heute noch haben. Und das Wochenende ist meiner Meinung nach die Zeit, in der Printprodukte noch lange, lange gelesen werden.
Freuen Sie sich auf die Zusammenarbeit mit Ulf Poschardt in der Chefredaktion der «Welt»? Beim SZ-Magazin wurde er ja nach dem Tom-Kummer-Skandal entlassen.
Ulf Poschardt ist ein sehr netter Kollege, sehr dynamisch und sehr kreativ. Natürlich freue ich mich auf die Zusammenarbeit.
Ist Ihre erste Silicon-Valley-Reise bereits geplant? Das Axel-Springer-Kader ist ja derzeit sehr oft dort.
Diese Frage wird mir dauernd gestellt, noch ist meines Wissens nichts geplant.
Der Axel-Springer-Verlag verdient viel Geld mit digitalen Inhalten. Was sind Ihre Konzepte, online Geld zu verdienen?
Die Aufgaben sind in der Welt-Gruppe klar aufgeteilt, ich bin nicht direkt für online zuständig. Aber selbstverständlich sollen WamS-Inhalte auch online noch besser daherkommen für eine nachhaltige Zukunft der digitalen Marken-Abos.
Worin unterscheiden sich gute Autorenstücke online von denen in Print?
Gut geschriebene Stücke werden online und in Print gelesen. Das ist jetzt wissenschaftlich nicht erhärtet, aber ich glaube, online ermüdet der Leser schneller. Es gibt auch eine natürliche Aufmerksamkeitsgrenze bei der Länge der Stücke.
Wie wird man ein guter Rechercheur?
Ein guter Rechercheur ist misstrauisch, hat eine gesunde Distanz zum Objekt, das er beschreibt und hat natürlich den unbedingten Willen zur Geschichte. Das heisst, er tätigt nicht drei Telefonanrufe, nicht zehn, sondern dreissig, wenn es sein muss. Einen potentiellen Informanten ruft er zehnmal an, und das auch um zehn Uhr abends.
Es gibt tausend Methoden und Techniken, Datenjournalismus und vieles mehr, doch am Schluss entscheidet nur, ob Sie die richtigen Leute zum Reden kriegen. Per E-Mail erzählt ihnen sowieso niemand was und per Google können Sie auch keine Investigativgeschichte machen. Sie müssen das Vertrauen der Leute gewinnen, mit ihnen telefonieren und sich mit ihnen in einem Café treffen. Das bedeutet auch, dass man mal einen Informanten trifft, wenn am Samstag draussen die Sonne scheint. Gute Investigativleute zeichnet aus, dass sie Biss haben und die Geschichte wirklich wollen.
Mit einer guten Investigativgeschichte kriegt man vor allem eines: Richtig viel Ärger. Und diesen Ärger müssen Sie aushalten wollen, das will verständlicherweise längst nicht jeder. Sie sind als Investigativjournalist tendenziell nicht sehr beliebt, haben tendenziell viel mit Anwälten zu tun (was nicht immer Spass macht), und dann es gibt immer auch ein Restrisiko, dass Ihnen jemand ein Verfahren anhängt.
Wie ist das, wenn man die Zeitung wechselt? Kann man da das aufgebaute Kontaktnetz mitnehmen?
Zum Teil. Viele Journalisten sind ja der Meinung, dass die Informanten mit Ihnen persönlich reden. Das ist eine Fehleinschätzung: die Informanten reden mit den Gatekeepern der Plattform. Sobald Sie die Plattform nicht mehr vertreten, fallen Teile Ihres Netzwerkes weg, das ist völlig normal. Nach beinahe zehn Jahren beim «Spiegel» habe ich natürlich noch ein paar Kontakte. Ein gewisses Grundnetzwerk bleibt und wächst.
Wie baut man sich ein Kontaktnetz auf?
Sie müssen auffallen durch Ihre Geschichten. So erarbeiten Sie sich einen Ruf, kombiniert mit der Marke ist das Ihr Kapital. So kommen Leute zu Ihnen, und nicht zu anderen. Wenn Sie jedoch x mal verbrannte Erde hinterlassen haben und beispielsweise Informanten über den Tisch gezogen haben, rächt sich das irgendwann.
Kontakte müssen natürlich auch gepflegt werden, es muss nicht bei jedem Gespräch eine Geschichte herausspringen. Wenn Sie sich nur immer für konkrete Geschichten melden, dann funktioniert die Beziehung irgendwann nicht mehr. Es ist etwas Langfristiges: Mir haben viele Kontakte über Jahre hinweg einfach nur mal Dinge erklärt, und irgendwann dann aber plötzlich einen Knaller geliefert.
Was haben Sie beim «Spiegel» gelernt?
Eine Geschichte gut zu schreiben, sie klar zu strukturieren, einen hohen Qualitätsanspruch einzuhalten. Der Druck auf die Journalisten, seriös zu arbeiten und eine pingelige Textarbeit zu machen, ist beim «Spiegel» hoch.
Sind Leute, die ständig von «investigativem Journalismus» sprechen, Angeber?
Nicht alle, die behaupten, Sie seien Investigativjournalisten, sind Investigativjournalisten. Es ist ein Modewort, das ich fast nicht mehr hören kann, denn es impliziert, dass auf der einen Seite wichtige Investigativjournalisten stehen – und auf der anderen harmlose Schreiberlinge. Das darf nicht so sein: Alle Journalisten müssen recherchieren, auch Kulturjournalisten beispielsweise dürfen sich ihre Storys nicht nur auf einer Quelle aufbauen. Ohne Recherche ist Journalismus einseitig und oberflächlich.
Was sagen Sie zu den Veröffentlichungen der «Sonntagszeitung» zu den Offshore-Leaks?
Das war jetzt nicht ganz so explosiv wie gedacht. Einem grossen Aufwand steht ein eher bescheidenes Ergebnis gegenüber. Aber das ist nicht die Schuld der beteiligten Journalisten. Vor 15 oder 30 Jahren hätten diese Daten sicher ganz anders eingeschlagen, aber inzwischen haben Leute, die sehr viel Geld besitzen, dazugelernt. Viele von ihnen sind inzwischen sehr gut beraten und verspüren keine Lust mehr, Schwarzgeld zu produzieren oder überhaupt Illegales zu machen. Die wollen nur noch legal Steuern sparen.
Wie stehen Sie zu den Enthüllungen über die Überwachungstätigkeiten von Regierungen?
Sobald Überwachungstätigkeiten nicht mehr in rechtsstaatlichen Bahnen verlaufen, sind sie natürlich hart zu kritisieren, deshalb ist der aktuelle Aufschrei auch teilweise gerechtfertigt. Die Empörung fällt allerdings nicht ganz so gross aus, weil heute viele Menschen im Internet viel von sich preisgeben – und das völlig normal finden.
Sobald sich ein Terroranschlag ereignet, rufen die Medien: «Skandal! Wie konnte das passieren?» – Und jetzt rufen die Medien: «Skandal! Wieso überwacht uns der Staat?» Ist das nicht widersprüchlich?
Wenn man die Medien als Ganzes nimmt, waren sie noch nie besonders stark, eine klare Linie zu haben. Man springt auf das, was aktuell ist, und verheddert sich dann auch mal in einen Widerspruch.
Bereits mit Mitte 20 durften Sie für die «Handelszeitung» lange Artikel zur Wirtschaftsförderung, zu Asylbewerbern als Wirtschaftsfaktor oder zum Abstimmen via Computer schreiben. Werden heutigen Jungjournalisten die gleichen Chancen eingeräumt?
Ja. Mit guten Geschichten kommt man mit 18 ins Blatt und mit 80.
Braucht Journalismus Grossraumbüros?
Es ist teilweise laut in Grossraumbüros, manche Mitarbeiter fühlen sich gestört, man kann sich schlechter konzentrieren, vertrauliche Gespräche zu führen ist sehr schwierig. Aber es spricht neben dem Kostenvorsteil auch noch ein anderes Argument dafür: Das Know-How der Journalisten wird besser genutzt, weil sie mitkriegen, was bei ihren Kollegen läuft. Man tauscht sich viel mehr aus. Die Schwarmintelligenz kann sich so besser entfalten.
Was sind die drei wichtigsten Eigenschaften eines Journalisten?
Unendliche Neugier, Begeisterungsfähigkeit und Hartnäckigkeit.
Versuchte schon mal jemand, Sie zu bestechen?
Nein. Direkte Bestechungsversuche gab es bisher keine. Firmen und Verbände versuchen teilweise, Chefredakteure für Moderationen sehr, sehr, sehr fürstlich zu bezahlen. Das habe ich immer abgelehnt, man sieht sich doch stets zweimal. Solche Honorare laufen nicht unter Bestechung, sie stellen aber Filz her und Interessenskonflikte.
Welchen Artikel hätten Sie lieber nicht veröffentlicht?
Bei der «Sonntagszeitung» wurde mal ein Artikel von mir mehrfach verschoben. Bei der Veröffentlichung war er dann falsch, weil sich inzwischen die Lage verändert und ich das nicht nachrecherchiert hatte. Um was es ging, weiss ich nicht mehr, das ist schon so lange her. Wir mussten dann eine Korrektur drucken, es war mir unendlich peinlich.
Wann kommt der grosse Finanz- und Börsencrash, der massive Auswirkungen auf den einzelnen Bürger hat?
Die Frage ist, ob es eine neue Hyperinflation geben wird oder nicht. Die Nationalbanker behaupten zwar, den richtigen Zeitpunkt zum Ausstieg aus der Geldschwemme zu finden, aber daran zweifle ich. Es ist beunruhigend, in welchen Dimensionen die Geldmengen und die Bilanzen der Nationalbanken wachsen und wie die Zentralbanken in eine Abhängigkeit der Politik geraten.
Ist das Internet grossartig oder schrecklich?
Grossartig! Nichtsdestotrotz hat es den Job des Printjournalisten massiv erschwert. Manchmal wünscht man sich als Chefredakteur, zwanzig Jahre früher geboren zu sein. Eine Zeitung zu führen, muss ja damals unglaublich entspannend gewesen sein. Die Entwicklung der Technik hat aber auch vieles erleichtert: 1994 bei der Sonntagszeitung hatten wir einen Agenturticker und ein Telefon, so haben wir recherchiert.
Warum weiss man eigentlich kaum etwas über das Innenleben des «Spiegel»?
Das hat sicher damit zu tun, dass der Verlag den Mitarbeitern gehört, sie sich mit dem Produkt identifizieren und tendenziell loyaler sind.
Werden Sie nach der Zeit bei der «Welt» als Unternehmer in die Schweiz zurückkehren?
(Lacht) Wenn Sie ein Objekt haben, das ich kaufen kann? Verleger zu sein wäre reizvoll, aber auch ein hartes Geschäft. Roger Köppel könnte Ihnen sicher ein Lied davon singen. Aktuell ist das aber natürlich kein Thema für mich.
Kurt W. Zimmermann schreibt in einer aktuellen Kolumne, dass Journalisten, die selbst zu Unternehmern werden, alle bald zugeben, dass sie zuvor viel zu kritisch waren gegenüber der Wirtschaft.
Das ist richtig. Journalisten haben eine Tendenz, zu unterschätzen, was es bedeutet, eine Firma zu führen. Wenn Unternehmenslenker etwas sanieren und umbauen müssen, geht das eben nicht ohne das Fällen von harten Entscheiden. Schlimme Presse ist aber garantiert – egal, ob die Firma gerettet wird oder Pleite geht.
Was viele nicht wissen: Sie stellen eigene Fotografien aus. Hätten Sie auch Fotograf werden können?
Ja. Die Website liegt derzeit leider etwas brach, diese Leidenschaft werde ich aber sicher wieder aufgreifen – spätestens wenn ich pensioniert bin.
Das Gespräch mit Beat Balzli wurde am 19. Juli 2013 in Berlin geführt. Die Fotos sind von René Worni.
reto ledergerber 08. August 2013, 14:45
und das hier ist kein kuschel-interview?! wer (ausser den hofschranzen vom „schweizer journalist“) attestiert denn wirklich der HZ, sie sei besser geworden? die leser sicher nicht – und jene leserzahlen, die im herbst kommen, sind anders erhoben und nicht vergleichbar mit früheren zahlen.