von Ronnie Grob

Königshaus der Anständigen

Der Unterhaltungskonzern und Medienverlag Ringier funktioniert auf zwei Ebenen: der gegen aussen gezeigten Hochglanz-Fassade – und den sich innen abspielenden Beziehungen und Abgründen. Geführt wird das vor 180 Jahren gegründete Familienunternehmen wie eine Familie, in der man Wert legt auf Anstand. Teil 1 unserer Serie zum Ringier-Verlag.

Der Ringier-Verlag aus Zofingen und Zürich war mal ein ganz normaler Zeitungs- und Zeitschriftenverlag, man nannte ihn Heftliverlag. Heute er ein Konzern mit rund 8000 Mit­ar­bei­tern und einem Umsatz von fast 1,1 Milliarden Franken, der seit einiger Zeit mit den Bereichen Publishing, Digital und Entertainment eine Drei-Säulen-Strategie fährt. Die Eigentümer heissen Evelyn Lingg-Ringier, Annette Ringier und Michael Ringier, letzterer ist aktueller Verwaltungsratspräsident. Aufgewendet wurden 2012 956.3 Millionen Franken, davon rund 46 Prozent (438 Mio.) für Löhne und Gehälter, Sozialleistungen, Personalnebenkosten und Redaktionshonorare sowie rund 11 Prozent (108.5 Mio.) nur für Papier. 70.9 Prozent des Umsatzes wird in der Schweiz und Deutschland erwirtschaftet, aber auch 26.4 Prozent in Osteuropa und 2.7 Prozent im Bereich «Asien Pazifik / Neue Märkte», weshalb es den Jahresfilm 2012 in Deutsch und Englisch gibt.

Für die Blick-Gruppe hat das Unternehmen in Zürich einen der modernsten Newsrooms Europas gebaut und auch sonst gibt es sich gerne hochmodern – unzählige Image-Broschüren, -Filme und Apps, die Ringier stets glänzend und hochprofessionell darstellen, zeugen davon. Doch neben den offiziellen Strukturen gibt eine zweite, nicht schriftlich festgehaltene Ebene, die stark an einen Königshof erinnert. An dem intrigiert wird, protegiert, gemobbt, gepusht und geblockt. An dem Loyalität und Beziehung vor Leistung und Fähigkeit gehen. An dem der Schein oft mehr ist als das Sein. An dem Mitarbeiter daran gewöhnt wurden, sich zu ducken und anzupassen, nicht zu sagen, was sie denken. An dem altgediente Mitarbeiter es sich erlauben können, neue einfach gar nicht zu grüssen. Ringier ist nicht nur ein Weltkonzern, sondern auch ein Familienunternehmen, in dem der Mensch mehr im Vordergrund steht als anderswo (positive Sichtweise), das manchmal fern jeder Unternehmenslogik herumwurstelt (negative Sichtweise).

Das Vermögen der Familie Ringier wird von der «Bilanz» auf 1 bis 1,5 Milliarden Franken geschätzt (2012). Sie besitzt also etwa, was das Gesamtunternehmen in einem Jahr erwirtschaftet. Mit so einem Vermögen kann man es sich gut gehen und das Geld für sich arbeiten lassen. Doch einfach nur reich sein, das will man nicht; man will auch anständig sein. Deshalb wird das Unternehmen nicht nur nach betriebswirtschaftlichen Aspekten, sondern auch wie eine grosse Familie geführt.

Wer einmal in diese Familie aufgenommen wurde, weil er sich irgendwie verdient gemacht hat, die richtigen Leute kennt oder zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, muss sich schon sehr illoyal verhalten, um wieder ausgeschlossen zu werden. Ein einmal unter die Fittiche genommenes Kind schickt man nicht einfach zum Teufel, nur weil es sich als unfähig herausstellt, Alkoholprobleme hat oder Fehler gemacht hat. Das Gefühl einiger Mitarbeiter für diese Familie ist stark: fast wie in einer Firma in Tokio oder Kyoto verbringt man auch mal die Freizeit miteinander, sitzt gemeinsam in Cafés, Kneipen oder Karaokebars herum und spielt Fussball miteinander. Und das durchaus hierarchieunabhängig; man kann mit dem grössten Chef der beste Freund sein, jedenfalls hier und heute. Freundschaften sind Seilschaften. Und Seilschaften sind Freundschaften. Wer dennoch abgeseilt werden muss, darf damit rechnen, gut unterstützt ins Tal hinab begleitet zu werden.

Verlässt einer die Familie, wird ihm in der Regel nachgeweint. Das kapitalistische Prinzip des nüchternen Hire & Fire hält man für eklig, auch wenn man sich mitunter selbst leider, leider gezwungen sieht, zu solchen Mitteln zu greifen. Man mag das grossherzig oder heuchlerisch finden, konkret verbunden mit dieser Haltung sind oft Abgangsentschädigungen, lange Lohnfortzahlungen und absurd grosszügige Bleibeangebote (von Mitarbeitern auch als «mit Geld zuscheissen» bezeichnet). Viele, von denen man sich getrennt hat, arbeiten als Externe weiter für den Verlag, und das nicht etwa für schlechtes Geld. Abgesehen von den Beengungen im Newsroom dürften die Mitarbeiter mehrheitlich zufrieden sein mit den Arbeitsbedingungen, es wird auch gut gezahlt. Und fällt jemand durch alle Maschen, so hat er gute Chancen, von der Annette Ringier-Stiftung aufgefangen zu werden: «Die Stiftung bezweckt zudem die Unterstützung von Arbeitnehmern und ehemaligen Arbeitnehmern der Ringier Holding AG, Zofingen, oder mit dieser wirtschaftlich oder finanziell eng verbundener Unternehmungen im Fall von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Alter, Tod und Notlagen, vor allem in Fällen, für welche von anderen Fürsorgeeinrichtungen keine oder nicht ausreichende Leistungen erbracht werden können.»

Die Verantwortung für seine Mitarbeiter ernst zu nehmen und nicht ausschliesslich auf eine Gewinnmaximierung hinzuzielen, ist eine Eigenschaft, die jedem Unternehmer gut steht und die Ringier durchaus positiv von der Konkurrenz abhebt. Aus dieser Verantwortung heraus ist eine bemerkenswert sozialsensitive Haltung erwachsen (die übrigens Unternehmer aus anderen politischen Ecken mit etwas weniger Attitüde auch tragen). Man gibt sich allergrösste Mühe, das Einkommen sauber, nachhaltig, sozial- und umweltverträglich zu erwirtschaften. Um jeden Preis möchte man zu den «guten» Reichen gehören, denn unter Linken werden solche Unterschiede durchaus gemacht, wie Martin Beglinger in seinem Text über die Basler Elite aufgezeigt hat. Dass viele Journalisten trotzdem niemals bei Ringier arbeiten würden, liegt daran, dass der Verlag mit Blick, Sonntagsblick, Schweizer Illustrierte, Glückspost und ihren vielen Ablegern im Ausland, mit Boulevard erfolgreich ist, mit Klatsch, Tratsch, Stars, grossen Schlagzeilen, aufgemotzten Storys und manchmal auch mit Grenzüberschreitungen, wie sie der Schweizer Presserat dokumentiert.

Wer bei Ringier erfolgreich sein will, muss auf beiden Ebenen bestehen: Auf der Hochglanz-Ebene, wo jede Schwäche retuschiert, jede Wahrheit gebogen und jedes Gefühl verkitscht wird. Und auf der Beziehungs-Ebene, wo es darum geht, Allianzen zu schmieden, sich mit den richtigen Leuten gut zu stellen, und im richtigen Moment alles fallen zu lassen. Es ist kurzgefasst ein Weltbild, das aus dem Hochglanz aussen und dem Dreck innen besteht. Man korrumpiert die Menschen auf der Beziehungsebene und schmeichelt ihrer Eitelkeit – um sich dann in einem Moment der Schwäche mit ihnen im Dreck zu wälzen, Geheimnisse auszuplaudern und Schattenseiten zu thematisieren. Wer sich als betont integrer Charakter sieht, als ein Mensch, der aussen wie innen der Gleiche ist, passt nicht in dieses Konzept und wird im Zweifel bekämpft oder ignoriert. Im heutigen Zeitalter der Transparenz passt ein solches Weltbild für viele nicht mehr, sie möchten gerne ein einziger Mensch sein, nicht einer, der in der Öffentlichkeit lacht und zu Hause weint. So modern sich Ringier gibt: Der Verlag hält ein konservatives Weltbild aufrecht, das zwingend aus einer Fassade und einer dunklen Seite zu bestehen hat. Verlagsintern, aber auch in seinen Publikationen.

In den letzten Jahren ist man dazu übergegangen, «familiäre» Beziehungen ausserhalb der Firma vertraglich abzusichern, was die Unabhängigkeit der Redaktionen sehr in Frage stellt. Ottmar Hitzfeld und Gölä kommen deshalb so oft vor in Ringier-Publikationen, weil sie sozusagen mittels Vertragsabschluss in die Familie aufgenommen wurden. 2013 schloss Pool Position, eine «Künstler Management-Firma», an der Ringier zu 40 Prozent beteiligt ist, Verträge ab mit Peter Löhmann, Chris Bachmann und Renzo Blumenthal (siehe unsere Bildergalerie rechts), die gemäss den Medienmitteilungen alle ihre «Karriere weiter vorantreiben» möchten.

Der Preis für das Familienfeeling, das längst auf Werbekunden und Vertragspartner ausgeweitet wurde und in Prinzip jeden Bereich beherrscht und vereinnahmt, ist der Verlust der Unabhängigkeit. In einem Interview der «Schweiz am Sonntag» mit CEO Marc Walder ergab sich folgender, bezeichnender Wortwechsel:

Wie tickt eigentlich der CEO politisch?
In meinem Büro hängt der allererste «Blick» aus dem Jahr 1959, und da steht unter dem Logo «Die unabhängige Zeitung der Schweiz»…

Das Wort «unabhängig» fehlt heute.
Aber es gilt nach wie vor.

Andere Verlage und Publikationen mögen ebensowenig unabhängig sein, doch die Strategie, alles zu einer grossen Mélange zu machen, fährt nur Ringier. Ob sie am Ende aufgeht? Bis jetzt läuft es, finanziell zumindest, bestens.

Übersicht der Ringier-Serie:
1. Teil: Königshaus der Anständigen
2. Teil: Palastrevolution
3. Teil: Golden Boy der begüterten Kapitalistenhasser

Leserbeiträge

Marc Reichwein 06. Dezember 2013, 21:55

Das Familienprinzip bis hin zum Protegieren ist faszinierend, weil es hart kalkulierenden, milliardenschweren Konzernen eine unberechenbare, irrationale Note verleiht. Übrigens werden weltweit viele erfolgreiche Unternehmen, vom FC Bayern bis zur Mafia, nach diesem Protegé-Prinzip geführt.

Im Medienbusiness hat das Protegé-Prinzip m.E. eine wunde Stelle, nämlich da, wo Loyalität und Publizität sich vermischen. So kann jede (zumal falsch verstandene) Loyalität für eine Person oder Sache schnell zur peinlichen Kampagne werden, sei sie politisch manipulierend, oder sei sie skrupellos werblich wie im Beispiel Renzo Blumenthal.

Kampagnen sind eine Falschwährung in der eigentlichen Währung Aufmerksamkeit: der Tod jeder publizistischen Glaubwürdigkeit. Sie haften dem Image eines Medienhauses wie Pech an, wirken länger nach als jeder andere strategische Fehler. Kampagnen (als Teil einer falsch verstandenen Idee, publizistische Loyalität für Geschäftspartner zu bieten) werden Medienhäuser wie Ringier immer ambivalent aussehen lassen.

Gespannt auf den Fortgang der Serie. Königshof impliziert ja auch Königsmacher, Günstlinge, Hofschranzen… kurz: Kabale und Liebe.

Fred David 10. Dezember 2013, 11:20

Der Vorschlag, Frank A.Meyer selbst solle vorerst das Politikressort verantwortlich führen, ist nicht dumm. Er ist nach wie vor der profilierteste Polit-Kommentator der Schweiz.