von Nick Lüthi

Was der 105-Deal über die Schweizer Privatradios aussagt

Man könnte das Gezerre um das konkursite Radio 105 als Zürcher Provinzposse abtun, wenn es nicht ein Licht auf die gesamte Branche werfen würde. Roger Schawinskis Neuerwerbung und die Befindlichkeit der Schweizer Privatradios.

Als wäre nichts gewesen, dudelt Radio 105 vor sich hin. Viel Musik, ein bisschen Geplapper, munterer Mainstream in der Morgenshow. Nur ein Jubel-Jingle weist auf die turbulenten Tage hin, die der Sender gerade hinter sich hat. Aber jetzt ist Radio 105 gerettet. Roger Schawinski hat den konkursiten Jugendsender teuer ersteigert, 1.6 Millionen Franken soll 105 gekostet haben. Eine erstaunliche Summe für ein Unternehmen, das eben Pleite gegangen ist. Doch Schawinski wollte um jeden Preis verhindern, dass Ringier das Rennen macht. Der Unterhaltungskonzern hat ebenfalls mitgeboten.

Man könnte das Gezerre um Radio 105 als Provinzposse abtun: Pionier und Platzhirsch streiten um Pleitesender. Doch es ist mehr als nur das. Der Zürcher Radiohandel zeigt exemplarisch auf, in welchen Schwierigkeiten und vor welchen Herausforderungen die schweizerischen Privatradios stehen. Es geht um Geld, Technologie und Recht.

Geld: Roger Schawinski übernimmt Radio 105 nicht aus der Position der (finanziellen) Stärke heraus. Mit seinem Radio 1 schrieb er in den vergangenen Jahren jeweils bis zu einer Million Franken Verlust. Auch wenn er mit zwei Sendern unter einem Dach Synergien nutzen will, macht das den Braten nicht fett. Minus und minus ergibt nicht automatisch plus. Radiomachen ist in der Schweiz ein teures Hobby für Liebhaber mit finanziellem Polster, wie Schawinski eines hat. Ohne solche Reserven ist kommerzielles Radio ein Verlustgeschäft. In weiten Teilen des Landes überleben Sender nur dank Subventionen. Was heisst: Es gibt keinen Markt für Privatradios in der Schweiz. Die übermächtige SRG dominiert mit ihren 17 Programmen den Hörermarkt unumstösslich. Was den Privaten übrig bleibt, ist zu wenig zum Überleben und zu viel zum Sterben. Egal wie liberal die Politik den Spielraum neben der SRG gestaltet, der Markt bleibt klein.

Die Pleite von Radio 105 mag mehrheitlich hausgemacht sein, doch überrascht es grundsätzlich nicht, wenn in der Schweiz Privatsender ins Trudeln kommen. Gleichzeitig mit dem 105-Konkurs ersuchte das Winterthurer Radio Top um gesetzliche Erleichterungen, um weiter über die Runden zu kommen. Die häufigen Handänderungen mit Konzept- und Namensänderungen zeugen von der Unfähigkeit, in der Schweiz im Privatradiogeschäft auf einen grünen Zweig zu kommen.

Technologie: Wegen ihrer chronischen Unterfinanzierung fehlen vielen Sendern die Mittel für den anstehenden Technologiesprung. Solange sich Digitalradio noch nicht als Hauptkanal etabliert hat, muss das Programm parallel auf UKW und DAB ausgestrahlt werden. Das kostet, wenn auch nicht gerade das Doppelte, so doch mehr als nur ein Ausspielkanal allein. Nicht zuletzt wegen dieser Kosten hat sich Roger Schawinski mit seinem Radio 1 von DAB verabschiedet: zu teuer und zu wenig Publikum.

Dass er nun beim neu erworbenen Radio 105 als Erstes den digitalen Stecker zieht, könnte sich als Fehlentscheid herausstellen. Hatte doch 105 unter Giuseppe Scaglione stark auf DAB+ gesetzt und zur Promotion der neuen Empfangstechnologie eigens ein Gerät im 105-Look entwickelt und in der ganzen Schweiz verschenkt und verkauft. Ein Vorteil von DAB+ ist es ja gerade, dass ein Programm im gesamten Sprachraum terrestrisch (also über Antenne) empfangen werden kann und nicht nur im regionalen Konzessionsgebiet, wie dies bei UKW der Fall ist. Trotzdem will nun Schawinski dafür weibeln, dass das gesetzlich definierte Empfangsgebiet von Radio 105 «massiv vergrössert wird.» Was er mit DAB+ gehabt hätte – die Verbreitung in der ganzen Deutschschweiz – versucht er nun auf dem bürokratischen Weg zu erstreiten. Auch das kostet und verschlingt Ressourcen.

Recht: Der 105-Deal rückt auch eine der zentralen Bestimmungen des geltenden Radio- und Fernsehgesetzes in den Fokus: der Anti-Konzentrationsartikel. Roger Schawinski besitzt nun zwei UKW-Konzessionen, eine für Radio 1 und eine für Radio 105. Mehr als zwei lässt das Gesetz nicht zu. Das haben Bundesrat und Parlament so festgeschrieben, um die Eigentümervielfalt auf dem Radiomarkt zu sichern. Da Schawinski vor Gericht um zwei weitere Konzessionen streitet, hat er ein Problem. Eigentlich müsste er diese Verfahren abschreiben, wollte er dem Geiste des Gesetzes nachleben; zwei Konzessionen und nicht mehr. Doch daran denkt der gewiefte Geschäftsmann nicht.

Er werde, erklärte er dem Tages-Anzeiger, den Behörden klarzumachen versuchen, «dass wir innert 30 Tagen nach Zustimmung zur Konzessionsübertragung von 105 an mich in beiden Fällen absolut konzessionskonforme Lösungen vorlegen werden». Auch wenn das nun reichlich schwammig klingt, lässt sich das sehr wohl bewerkstelligen. Schawinski kann sich bei den beiden Projekten, mit denen er im Aargau und in der Südostschweiz den eingesessenen Sendern die Konzession streitig machen will, einfach ins zweite Glied zurücktreten. Entscheidend ist nur die wirtschaftliche Beteiligung. Wer wie stark auf das Programm Einfluss nimmt, interessiert nicht.

Darum ist es auch möglich, dass Ringier drei Energy-Sender kontrolliert, obwohl das Medienhaus nur über zwei UKW-Konzessionen verfügt. Neben den beiden eigenen Sendern in Zürich und Bern hat sich der unabhängige Besitzer des vormaligen Radio Basel für eine enge Partnerschaft mit Ringier entschieden und sendet als Energy Basel. Vor diesem Präzedenzfall würde es auch Schawinski ein Leichtes sein, de facto vier Sender zu kontrollieren.

Beim Bakom weiss man um die Problematik, sieht aber keinen Handlungsspielraum, weil das Gesetz nicht verletzt wird. Die Realität hat hier das Gesetz längst überholt. Und der Gesetzgeber hat auch schon reagiert: Bei DAB-Digitalradio gibt es schon heute keine restriktiven Bestimmungen mit Besitzbeschränkungen mehr. Trotzdem verharrt Schawinski lieber in seiner vertrauten UKW-Welt. Pionier bleibt man nicht zwingend ein Leben lang. Und gegen den Strom zu schwimmen, heisst noch lange nicht, dass die Richtung stimmt.

Leserbeiträge

Hans-Peter Scholl 04. Februar 2014, 07:21

Lieber Nick
Danke für den aufklärenden Artikel, der wohl nicht allen passen wird.
Du hast aus meiner Sicht im Bereich der Distributions- und Empfangs-Technologie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Fakt ist, dass Technologiesprünge heute viel schneller kommen als zurzeit wo man vom schwarz/weiss auf Farb-Fernsehen umgestellt hatte. Somit ist es für den Konsumenten nicht ganz einfach nachzuvollziehen, warum er jeden weiteren Schritt mitmachen soll oder nicht einfach überspringen kann.
Wenn wir aber einmal zurückschauen, dann müssen wir feststellen, dass uns alle in den letzten zehn Jahren, neue Distributions- und Empfangsmodelle in der sich stets wandelnden Technologiewelt überrollt haben. Der Konsument wartet Heute und setzt auf Empfangsgeräte mit der grössten Nutzen-Schnittmenge für seinen täglichen individuellen Informations- und Unterhaltungsanspruch = Medienkonsum. Da hat ein einzelner Radioempfänger zurzeit wenig zu melden, denn die Welt ist mobil geworden.
Für mich sind wir nun in einer Welt der „Diversity-Technologie Situation“ angekommen wo Du Dich einfach für den Empfang von medialen Produkten Deiner „eigenen technischen Möglichkeiten“ bedienen kannst. Dazu zählt DAB leider nicht standardmässig dazu. DAB würde zum fliegen kommen, wenn es im Smartphone einen Platz fände. Doch das wird nicht rechtzeitig oder nie zur Verfügung stehen, denn die Chips und Prozessoren brauchen zu viel Strom und wer will schon seine Batterieleistung kappen. Der Digital Native aber auch der Digital Immigrant hören Heute neben UKW Ihre Radios auch über App’s wie z.B tuneIn oder andere Anbieter. Dabei beziehen Sie die Medien mit einer unendlichen Angebotsvielfalt über WLAN, 3G oder 4G etc. mit guter Qualität, welche dank den Telco Unternehmen praktisch ubiquitär im sozialen Nahraum überall und lückenlos zur Verfügung stehen. Somit haben potentielle DAB Empfänger-Käufer diese Technologie bereits übersprungen. Ich sehe das bei mir: „Nachdem mein DAB Empfänger in der Küche wegen der Umstellung auf DAB+ empfangsuntauglich wurde, habe ich das gleiche Gerät einfach wieder auf UKW umgestellt und kein neues Gerät mehr beschafft. Warum auch, denn meine neue Stereoanalage ist direkt mit dem WLAN verbunden, ich kann das Smartphone direkt einstecken und Dienste davon direkt darüber einspielen und beziehen.“
Die Autoindustrie geht den gleichen weg. Heute werden die meisten Mittelklasse- und Luxus -Fahrzeug mit Internetempfang ausgestattet. DAB ist dabei einfach“ eine von vielen Empfangstechnologien“ die sicher Ihren Platz hat, aber UKW nie 1:1 ablösen wird und kann.
Somit sprechen wir eigentlich von einer Empfangs-Segmentierung wie wir das bei den Medien ja auch kennen. Nun ist es an dem Medienunternehmer zu entscheiden auf welche Distributions-Technologien er setzen will.
Da gebe ich Roger Schawinski recht, wenn er „Heute“ aus finanzieller Sicht auf diesen Technologiesprung verzichtet und weiter auf UKW sendet und seine Angebote als streaming Produkte im Web zur Verfügung stellt und somit auch direkt wieder beim Hörer über die Smartphone Welt aufschlägt. Wer ausser der SRG-SSR kann sich diese teure Technologie leisten, wenn er diese Investition über Werbung wieder einspielen muss? Eigentlich niemand in der Schweiz.

Emanuel 06. Februar 2014, 13:14

Internetradio ist gut und schön aber hier werden Äpfel mit Birnen verglichen.
Wie sicher allgemein bekannt, ist eine klassische Radioübertragung eine „Point to Multipoint“ Verbindung, d.h. ein Sender sendet ein kontinuierliches Signal (digital oder analog) und dieses Signal kann von beliebig vielen Empfängern empfangen werden. Dabei ist der Aufwand auf der Senderseite nahezu unabhängig von der Empfängerzahl und je mehr Empfänger erreichte werden können, um so wirtschaftlicher wird das Verfahren. Anders beim Internetradio. Hier handelt es sich um eine „Point to Point“ Verbindung, das bedeutet, dass jeder Empfänger einen eigenen Stream erhält. Je mehr Hörer sich am Streamingserver anmelden, um so leistungsfähiger muss dieser sein. Wenn ein Millionenpublikum gleichzeitig erreicht werden soll, dann werden die Betriebskosten extrem hoch. Ein Ausweg wäre die Anwendung der „Multicast“-Technologie, ein Verfahren, bei dem der Sender nur einen Multicast-Stream bereitstellen muss und dieser wird im Prinzip durch die angeschlossenen Router auf alle Empfänger verteilt. Leider sind jedoch bei weitem nicht alle Router im Internet Multcastfähig, so dass auch hier evtl. teure Investitionen erforderlich werden. Allen diesen Verfahren ist jedoch gemeinsam, dass zwingend eine Anmeldung am Streamingserver erfolgen muss, wobei damit prinzipiell die Empfängeradresse ermittelbar wird. Ob das gut oder schlecht wäre, sei dahingestellt.
Ein weiterer Punkt spricht gegen das Internetradio: Nicht jeder nutzt das Internet und in vielen Gebieten ist die Internetversorgung immer noch sehr dürftig, da hat auch LTE nichts wesentlich dran ändern können. Smartphones sind modern und vielseitig, aber viele Nutzer wollen einfach nur telefonieren und vllt. SMS verschicken. Nur um Radio zu hören, wird kaum jemand einen teuren Vertrag mit Daten-FLAT-Rate abschließen. 300MB je Monat Highspeed, wie ihn viele Provider anbieten, reicht u.U. nicht für permanentes Radiohören (viele hören Tagsüber Radio als „Hintergrundberieselung“) nicht aus.
Ein weiterer Punkt wird oft vergessen: Internet ist im Prinzip weltweit zu empfangen. Irgendwann werden das auch die Rechteverwerter als neue Einnahmequelle entdecken und dann kräftig kassieren, beim TV ist das ja bereits so, ein Grund, warum die meisten europäischen Länder ihre Sattelitenausstrahlungen verschlüsseln (z.B. ORF). Das würde bedeuten: Steigende Kosten auf der Senderseite (steigende Rundfunkgebühren wären die Folge) oder Empfang nur mit Smartcard …
Schöne Zukunft!

Ueli Custer 07. Februar 2014, 15:43

Es ist eines der Merkmale der aktuellen Medienentwicklung, dass es keine Königswege mehr gibt. Das stellt hohe Anforderungen an die Medien. Sie müssen auf jedem einigermassen populären Verbreitungsweg zu empfangen sein. Und da gehört beim Radio DAB+ genauso dazu wie bei der Zeitung Online. Dies gilt ganz speziell für ein Radio 105 mit einer derart spitzen Zielgruppe. Um damit auch finanziell Erfolg zu haben, müssen alle potentiellen Hörer in dieser Zielgruppe erreicht werden können. Und das geht ohne DAB+ einfach nicht mehr. Zumal ja gerade Energy dafür sorgt, dass sich junge Leute zunehmend entsprechende Empfänger anschaffen.