Der Apostroph, dem Genitiv sein Grabstein
Wohl kein anderes Zeichen macht soviel Mühe in der Anwendung wie der Apostroph. Der unscheinbare Kringel spielt sich zuweilen als Platzhalter auf, ohne allerdings eine grammatische Berechtigung aufzuweisen.
Der Apostroph ist ein Satzzeichen, das als Ersatzzeichen eingesetzt wird, wenn in einem Wort ein- oder mehrere Buchstaben ausfallen: Ku’damm, Lu’hafen, ’s kommt schon gut, ’s Dschungelbuch, ’ne Superidee, Rock ’n’ Roll. In einer Bildmetapher ist der Apostroph wie ein Grabstein für einen oder mehrere «gestorbene» Buchstaben.
Kein Apostroph steht bei der Verschmelzung von Präposition und Artikel: aufs, ans, durchs, überm, unters. Auch bei Nomen, die von mundartlichem Gebrauch her rühren, steht kein Apostroph: Dirndl, Würstl, Brezn. Bei klaren Wendungen oder Imperativen steht kein Apostroph: Lass wieder mal von dir hören! Diese SMS-Flut find ich echt öd. Ich komm grad rüber. Wechsle dein nasses T-Shirt! Die gesprochene Sprache beeinflusst hier die Schriftlichkeit.
Bei der Verschmelzung eines Wortes mit der Kurzform des Pronomens «es» kann auf den Apostroph verzichtet werden, er ist aber nicht falsch. Hast dus begriffen? Hast du’s begriffen? Wenns halt so ist. Wenn’s halt so ist. Beide Formen sind richtig.
Der Apostroph führt in der Marketingsprache oft auch zu Abkürzungsformen, die im Grundtext verpönt sind. Zum Beispiel sollen Jahreszahlen nie mit Apostroph abgekürzt werden. Es heisst deshalb 2014 nicht ’14. Der 93er-Jahrgang hingegen mundet richtig, nicht aber der ’93er-Jahrgang. Die Brücke wurde 2011/12 erbaut, ist unschön, besser heisst es: Die Brücke wurde 2011/2012 erbaut. ’11/’12 ist auch nicht stimmig.
Bei Abkürzungen bewegen sich Frau Schreiber und Herr Journi auf einem Minenfeld. Wird die Abkürzung als Wort gesprochen, ist sie feminin oder maskulin, deutsch oder englisch? Kein Apostroph steht bei der Mehrzahlform von Abkürzungen. Im Prinzip haben Abkürzungen auch kein Mehrzahl-s.
Nehmen wir das Beispiel PDF (engl. Portable Document Format). Die Mehrzahl kann nun weder PDFs noch PDF’s lauten, richtig ist hier die endungslose Form: Senden Sie mir bitte alle PDF. Ebenso verhält es sich mit der Krankengeschichte (KG). Obwohl man leider in Mundart von den KGs spricht, im schriftlichen Ausdruck werden die -geschichten nicht zu KG’s oder KGs. Ebenso wird die AG (als Abkürzung von Aktiengesellschaft) weder zu den AGs noch zu den AG’S, weil die Mehrzahlform auf -en lautet und nicht auf -s. «Die Junioren des FCZs» ginge ja irgendwie noch, aber «die Junioren des GCs»? Umschreiben oder ausschreiben wird sprachliche Linderung bringen. So lesen wir immer wieder von NGOs, DVDs, PCs, ETFs, ÖVs, RAVs, – die Endungen auf -s sind mit oder ohne Apostroph in den meisten Fällen entweder falsch oder überflüssig.
Der Apostroph kann bei Abkürzungen gesetzt werden, um Singular und Plural zu unterscheiden. Meistens geht der Plural jedoch aus dem Kontext hervor, sodass auf das Mehrzahl-s verzichtet werden kann. Beispiel ID für Identitätskarte: Geben Sie mir bitte Ihre ID (für die Einzahl) – Geben Sie mir bitte Ihre IDs (für die Anzeige des Plurals). Bei den VIP des WEF lagen einige NZZ. Hier ist die Mehrzahlform auch ohne -s erkennbar.
Nach diesem Warm-up nun zum Genitiv.
- Das Genitiv-s benötigt im normalen Gebrauch keinen Apostroph: Mandelas Begräbnis, Mörgelis Monologe, Hugos Haarschnitt, Mayas Kochkünste. Optional kann der Apostroph zur Verdeutlichung der Grundform eines Eigennamens eingesetzt werden. Hier nicht als Auslassungszeichen, sondern zur Betonung. Die Gauss’sche Normalverteilung, die Parkinson’sche Krankheit.
- Der Apostroph steht zur Kennzeichnung des Genitivs bei Eigennamen, die auf -s, -ss, -ß, -tz, -z, -x, -ce oder ähnlich enden und wenn kein Artikel oder ein anderes fallanzeigendes Wort vorangeht: Linz’ Brauchtum, Stress’ Sängerdebüt, Max’ Hosenladen, Beatrice’ Korrekturen, Stanislas’ Majorsieg – aber der Majorsieg des Stanislas (fallanzeigendes Wort).
- In Firmen- oder Markennamen wird der Apostroph vor dem Genitiv-s toleriert: Andrea’s Wineloft GmbH, Anna’s Best, Simon’s Bistro.
- Im Englischen (oder Französischen) wird der Apostroph wie im Deutschen zur Anzeige eines ausgelassenen Buchstabens oder für Besitzverhältnisse verwendet: C’est l’heure, Christie’s, McDonald’s, O’Brian’s Bookstore.
- Bei Fremdwörtern, die im Nominativ auf eine unbetonte Silbe mit einem s-Laut ausgehen, wird das Genitiv-s nicht angefügt. Sie haben auch keinen Apostroph, der Genitiv ist also endungslos: des Chaos, des Radius, des Journalismus, des Präsens.
Als Tüpfelchen auf dem i sei hier betont, dass Zahlen ab fünf Stellen mit einem kleinen Abstand (in der Fachsprache Achtelgeviert) gegliedert werden, nicht mit einem Apostroph. In der Officeumgebung wird dafür ein geschützter Leerschlag gesetzt. 10 000 ist richtig, 10’000 oder auch 10.000 nicht. Obwohl in anglo-amerikanisch-stämmigen Softwares wie Excel der Apostroph seine Funktion hat und er in Finanzkreisen oder in der IT sehr verbreitet ist (sogar in der Norm SN 010 130:2010 für den Bürobereich von der Schweizer Normen-Vereinigung akzeptiert wird), kann ihm hier kein Persilschein ausgesprochen werden. Im Grundtext ist die Zahlengliederung ohne Apostroph richtig, weil er als Ersatzzeichen hier eigentlich nichts verloren hat. In der Tagesschau oder bei «10 vor 10» kann man an der Gliederung von Zahlen leider jeden Tag feststellen, dass die Texteinblendungen nicht auf einer sprachlichen Grundlage basieren, wie man es von der SRG in vorbildlicher Rolle erwarten dürfte.
Und noch was. Der Apostroph hat die Form eines Hochkommas oder je nach Schrift ein sich nach unten verjüngendes Strichlein, welches von oben rechts nach unten links leicht geneigt ist. Zur besagten Zahlengliederung im Schweizer Fernsehen kommt noch hinzu, dass dort keine Apostrophe, sondern die Zeichen für Winkel-Minuten gebraucht werden, die kerzengerade stehen. Wenn schon ein Apostroph eingesetzt werden soll, dann bitte nicht auch noch in Form von Gravis, Akut oder Minutenzeichen.
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Tom 26. Februar 2014, 19:15
Danke für den aufschlussreichen Beitrag, zu dem ich nur anmerken möchte: trotz der unbestrittenen Vorbildfunktion, die eine Tagesschau haben kann, wird die Behauptung, die SRG sei ein Staatsbetrieb auch durch stete Wiederholung nicht wahrer.
Nick Lüthi 27. Februar 2014, 10:19
Merci für den Hinweis. Der geht auf meine Kappe. Ich hätte es beim Redigieren merken müssen. Wird korrigiert.
Ralf Turtschi 27. Februar 2014, 12:54
Der Populärbegriff «Staatsfernsehen» ist wohl etwas unscharf, aber anschaulich. «Privatfernsehen» wird auch nicht als privat verstanden, sondern als marktwirtschaftlich finanziert. Wie ist denn der korrekte Ausdruck? Das Über-staatlich-erhobene-Gebühren-öffentlich-rechtliche-Fernsehen? Bezüglich sprachlicher Schärfe sei ebenfalls ein Hinweis gestattet: Ihre Bemerkung «(…) wird durch stete Wiederholung nicht wahrer.» enthält einen Komparativ, der sprachlich falsch ist. Wahr, wahrer am wahrsten – das ist falscher 😉 als Staatsfernsehen.
Leo 28. Februar 2014, 15:55
Im 8. Abschnitt hat sich ein Fehler eingeschlichen: „Der Apostroph kann bei Abkürzungen gesetzt werden, um Singular und Plural zu unterscheiden.“ Gemeint ist hier wohl das Mehrzahl-s.
Ralf Turtschi 28. Februar 2014, 16:50
Danke für das aufmerksame Lesen und entschuldigen Sie den Fehler. Sie haben natürlich recht.