Das Kreuz mit den Listen
Der kuratierende Journalismus bedient sich gerne und oft bei anderen. Bilder und Ideen werden munter kopiert und neu zusammengefügt. In der Schweiz sind dafür besonders blickamabend.ch und Watson bekannt. Fragen und Antworten zu den rechtlichen Tücken des Listicle-Journalismus von Philip Kübler, Urheberrechtsspezialist und baldiger Geschäftsführer von Pro Litteris.
Wie erkenne ich, ob ein Bild urheberrechtlich geschützt ist?
Die meisten Fotos sind urheberrechtlich geschützt, eine Verwendung ist nur zulässig mit dem klaren Einverständnis des Autors. Ausnahmen sind triviale, schnelle Knipsbilder, die jede Person fast identisch schiessen würde. Das Bundesgericht hält in einem Leitentscheid fest, dass auch ein einzigartiges Sujet auf so naheliegende Weise geknipst werden kann, dass die Fotografie kein Urheberrecht erreicht. Man darf sich also nicht zu sehr vom abgebildeten Inhalt des Bildes beeinflussen lassen und muss sich die kreativen Gestaltungsentscheidungen der Fotografin oder des Fotografen vor Augen führen: Je grösser der künstlerische und technische Spielraum, je individueller und einzigartiger die Fotografie, desto eher würde ein Urheberrecht anerkannt werden.
Das heisst also: Wenn ich einen Schnappschuss finde vom Attentat auf den US-Präsidenten, dann dürfte ich das Bild ohne weitere Rücksprache mit dem Autor verwenden.
Genau, denn hier ist die Fotografie nicht einzigartig – nur das abgebildete Motiv, doch das zählt nicht. Dagegen kann die professionelle Fotografie einer grünen Wiese urheberrechtlich geschützt sein. Im Fall von Wort und Text wäre es übrigens dasselbe: «Attentat auf den Präsidenten» kann eine höchst wertvolle Nachricht sein, doch ein Urheberrecht besteht daran nicht. Das «kreative» Gedicht über eine grüne Wiese dagegen ist urheberrechtlich geschützt. Im Grundsatz ist das sinnvoll, weil so geistiges Eigentum geschützt, die öffentliche Kommunikation aber nicht unnötig beschränkt wird: Nachrichten und Gedanken sind frei, die kreative Form eines Werks ist geschützt.
Wenn ein Schnappschuss mit einem einfachen Filter nachbearbeitet wird, handelt es sich dann bereits um ein urheberrechtlich geschütztes Werk?
Ja, jede Bearbeitung rückt den Schnappschuss näher ans Urheberrecht. Filter und Bearbeitungsprogramme bieten so viele Gestaltungsmöglichkeiten, dass zusammen mit dem Bildinhalt und Bildausschnitt die nötige Schöpfungshöhe erreicht wird.
Was passiert, wenn ich urheberrechtlich geschützte Fotos in ein Listicle übernehme?
Der Urheber oder Rechteinhaber mahnt ab und kann Klage einreichen, was für die Website-Betreiber teuer werden kann. Das kommt immer wieder vor, besonders seitens der Bildagenturen.
Wie könnte man sich gegen eine solche Klage wehren?
Im Journalismus würde das Zitatrecht helfen, doch im Fall von Listicles wird es noch selten richtig eingesetzt. Ein zulässiges Zitat muss gekennzeichnet sein und die Quelle ist anzugeben. Vorausgesetzt wird weiter, dass sich der Zitierende mit dem zitierten Inhalt auseinandersetzt, also den übernommenen Inhalt erläutert und kommentiert. Listicle-Kuratoren hätten eigentlich die Möglichkeit, das Zitatrecht für sich nutzbar zu machen.
Macht es einen Unterschied, ob ich ein Bild von einer Schweizer Webseite oder von einer ausländischen Plattform verwende?
Der Urheberschutz im Ausland ist jedenfalls nicht geringer. Die Gesetze und ihre Interpretation unterscheiden sich, und es fällt manchen Rechteinhabern schwerer, über die Grenze hinweg zu ihrem Recht zu kommen. Doch die Grundsätze des Urheberrechts sind international und gelten fast weltweit.
Wann darf ich ein Bild bearbeiten und die Veränderung als mein eigenes Werk ausgeben?
Fehlt einem Bild das Urheberrecht, dann ist es nicht geschützt, und man darf damit tun, was man will. Ist es aber geschützt und fehlt eine Lizenz, dann ist jede Verwendung verboten, die Veröffentlichung genauso wie die Bearbeitung. Anders sieht die Sache aus, wenn das ursprüngliche Bild gar nicht mehr erkennbar ist, weil es nur als Vorlage oder Inspiration genutzt wurde: Dann ist die Nutzung keine Urheberrechtsverletzung.
Man hört oft, dass es an Ideen kein Urheberrecht gibt. Ideen für ein Listicle sind somit frei? Ich verletze kein Urheberrecht, wenn ich die Idee einer Liste übernehme, z.B. die lustigsten Bilder von Katzen auf Kopiergeräten, und sie mit eigenen Bildern illustriere?
Richtig. Solche Ideen sind auch nicht anderweitig schützbar, sei es als Marke oder Patent. Ich sehe die einzige Grenze im Wettbewerbsrecht, im UWG: Würde jemand systematisch alle Listen-Ideen eines Mitbewerbers übernehmen und sich dadurch den eigenen Aufwand sparen, könnte man von unlauterem Wettbewerb sprechen. Dieses Extremverhalten wäre verboten.
Und wenn ich eine Liste 1:1 übernehme, verletze ich dann das Urheberrecht des ursprünglichen Listenautors und kann eingeklagt werden?
Jetzt sprechen wir nicht mehr von einzelnen Bild-, Video- oder Textelementen, sondern von der Liste an sich. Vorsicht ist geboten, wenn man nicht nur die Idee einer Liste übernimmt, sondern die originelle – kreative – Gestaltung einer Liste, sofern es eine solche gibt. Das ist der Fall, wenn eine Auswahl oder Rangfolge subjektiven Kriterien folgt: der eigene Geschmack, die eigene Auffassung, die eigene Recherche. Zum Beispiel die zehn besten Fischgerichte, schönsten Filme oder attraktivsten Schlittelwege. Hier haben wir eine urheberrechtlich geschützte Auswahl und Anordnung vor uns, ein Copyright an einer Liste. Hingegen gilt der Schutz nicht für Rankings und Kolonnen, die nach objektiven Kriterien gestaltet sind, wie etwa «die höchsten Gebäude».
Unter welchen Bedingungen könnte ich ein Listicle einer fremdsprachigen Plattform (z.B. Buzzfeed) übernehmen, wenn ich als Eigenleistung lediglich den Text übersetze?
Abgesehen von den Content-Elementen wie den Fotos, die separat zu prüfen wären: Erstens, wenn die übernommene Liste nach objektiven Kriterien zusammengestellt ist – siehe vorangehende Frage. Oder zweitens, wenn ich die Auswahl und Anordnung einer kreativen Liste substanziell ändere – dann verschwindet das ursprüngliche Listen-Werk, ich übernehme nur die Idee: Bei mir rückt Kylie Minogue einen Rang vor und Lady Gaga fällt aus der Liste oder ähnlich. Oder drittens, wenn ich korrekt zitiere und nur einen Ausschnitt der Liste verwende. Schliesslich viertens, wenn ich eine Lizenz erhalten würde – was aber Buzzfeed im Kleingedruckten ausschliesst.
Sind bereits Gerichtsfälle über den Urheberrechtsschutz von Listicles bekannt?
Mir nicht. In England war bis vor Kurzem ein Copyright-Prozess über Musik-Playlisten im Gang. Ein vergleichbares Thema, denn es ging nicht um die Musiktitel, sondern um die von Spotify ungefragt übernommenen Listen von «Ministry of Sound» und die Frage, ob an der Auswahl und Anordnung ein Copyright besteht. Kürzlich haben sich die Parteien geeinigt, der Gerichtsfall ist damit vom Tisch und die umstrittenen Listen sind vorübergehend nicht mehr zugänglich.