Der aufreibende Umweg übers Papier
Die Basler Tageswoche fiel in letzter Zeit vor allem mit Negativschlagzeilen auf – in eigener Sache. Entlassungen und Auflagenmauschelei frassen den Pionierbonus auf. Wenn das Medienprojekt noch eine Chance haben will, muss es sich von der Zeitung trennen und in der eigenen Organisation aufräumen.
Nach dem Kurswechsel Mitte 2013 und der verstärkten Fokussierung auf den Online-Bereich trennte sich die Basler Tageswoche von einer Reihe erfahrener Zeitungsjournalisten. Vor ein paar Wochen musste schliesslich auch Urs Buess gehen. Der bereits zuvor zurückgestufte frühere Co-Chefredaktor war der letzte noch verbliebene Journalist mit hoher Printaffinität. Die verbliebenen Entscheidungsträger setzen nun voll aufs Netz. Publizistisch spielt die Weiterentwicklung der gedruckten Tageswoche keine Rolle mehr.
Geschäftsführer Tobias Faust relativiert zwar und erläutert, inwiefern die Tageswoche von Anfang an als «Dialogmedium für das Web 2.0» angelegt war, weshalb der Kurswechsel vor einem Jahr auch mehr als Kurskorrektur zu verstehen sei: «Wenn man eine Vision hat, dann hilft diese Vision, den Kurs zu halten. Aus grösserer und langfristiger Perspektive ist die Kurskorrektur ein mutiger und guter Entscheid gewesen.» Mutig findet ihn Faust deshalb, weil die Tageswoche bis Mitte 2013 gut unterwegs gewesen sei, was auch Anlass zu Bequemlichkeit hätte geben können.
Die Qualität der gedruckten Wochenzeitung leidet jedenfalls beträchtlich unter der «Online first»-Maxime. Geschäftsführer Tobias Faust betont denn auch vor allem die gedruckte Form und weniger die spezifischen Inhalte als Vorteil der Zeitung: «Von den Ressourcen her können wir es uns nicht leisten, den Print exklusiv zu produzieren. Es gibt aber Leute, die lesen lieber auf Papier und bekommen ihre Zeitung gerne heimgeschickt.» Fraglich ist, ob es weiterhin Leser gibt, die bereit sind, dafür zu bezahlen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Papierqualität nach dem Relaunch Ende März massiv abgenommen hat. Fürs Geschäft ist die Zeitung vorderhand noch essenziell, wie auch Faust betont. Aber nach den von Tele Basel aufgedeckten Mauscheleien mit Gratis-Exemplaren an den Flughäfen Basel und Zürich wird es wohl zunehmend schwierig im Anzeigengeschäft. Einzelne Inserenten haben sich schon von der Tageswoche abgewandt.
Mit der Zurückstufung der Zeitung erhoffte man sich, mehr Ressourcen für die journalistische Arbeit zu gewinnen. Aber statt in inhaltliche Arbeit floss in letzter Zeit viel Energie in teils massive interne Konflikte: Der Umbau vom Hybrid-Medium zu «Online first» hatte zahlreiche Entlassungen zur Folge. Redaktionsassistentin Esther Staub musste gehen, weil die Endfünfzigerin überqualifiziert gewesen sei. Kulturredaktorin Tara Hill wartete eigentlich auf ein seit einem Jahr fälligen Gespräch zur Überstundenkompensation. Als es endlich so weit war, erhielt sie in aller Kürze die Kündigung. Nachdem sie dies öffentlich gemacht hatte, folgte die sofortige Freistellung. Bis heute hat sie weder ein Arbeitszeugnis noch die für die Anmeldung beim RAV nötige Arbeitsbestätigung erhalten.
Lokalredaktorin Monika Zech wurde von Dani Winter in der ersten gemeinsamen Rauchpause nach ihren Herbstferien entlassen. Laut Dani Winter, weil sie ihm jeden Tag «vor die Füsse gespuckt» habe. Bereits in der betreffenden Pause reagierte Monika Zech darauf mit: «Dass ich noch niemals in meinem ganzen Berufsleben einen solch inkompetenten Chef gehabt.» Ausserdem gegangen oder gegangen worden sind im letzten Jahr Martina Rutschmann, Matieu Klee, Philip Loser und die Layouterin Carla Secci. Mitte April wurde zudem bekannt, dass auch Urs Buess, der zu diesem Zeitpunkt bereits ein halbes Jahr krankgeschrieben war, die Tageswoche verlässt. Die Trennung vom «Publizistischen Leiter» und ehemaligen Chefredaktor Buess fand trotz «unüberbrückbaren Differenzen mit der Redaktions- und Geschäftsleitung […] in gegenseitigem Einvernehmen» statt. Buess darf zu den genaueren Umständen nichts sagen, dazu hat er sich in einer Entlassungsvereinbarung verpflichtet.
Im Rahmen der Kurskorrektur wurden aber nicht nur Leute entlassen. Schliesslich geht es weniger um einen Abbau als um einen Umbau, den die neue Ausrichtung auf «Online first» erfordert. So wurde etwa eine Community-Redakteurin eingestellt. Ihre Aufgabe sei laut Dani Winter eine „Katalysatorfunktion“ im Austausch zwischen Redaktion und Lesern. So wird Felicitas Blanck von der Leserseite aber nicht wahrgenommen: Manche Mitglieder der Tageswoche-Community bezeichnen sie in ihren Kommentaren als «unselige Zensurkommissärin», die ständig löschend eingreife. Solche Anfeindungen häufen sich auf tageswoche.ch. Besonders in den Kommentarspalten von Blogposts, in denen die Tageswoche ihre eigenen Missstände thematisiert. Die Publikumsreaktionen werden besonders heftig, wann immer es um die Tageswoche geht. Sei es beim Auflagenknatsch, dem journalistischen Kompetenzverlust infolge der Kündigungen und der mangelnden Transparenz in Personalfragen.
Der Umgang mit Transparenz vonseiten Tageswoche ist in der Tat heikel. So betont Tobias Faust, Transparenz sei zwar ein zentrales Anliegen, weist aber gleichzeitig auf die Unmöglichkeit hin, die von den Lesern gestellten Transparenzansprüche in Personalfragen einzulösen. In diesem Zusammenhang paradox wirkt Fausts Kommentar unter dem Communiqué zum Abgang von Urs Buess: «Nein, es stimmt nicht, was onlinereports.ch bezüglich des Arbeitsplatzes geschrieben hat.» Faust steht zu der Aussage: «Urs Buess wollte als publizistischer Leiter einen Platz in den Räumen der Redaktion haben und Home-Office machen. Beides wurde ihm ermöglicht.» Urs Buess äussert sich unmissverständlich: «Mein Computer war weg und mein Sessel im Chefbüro von meinem Nachfolger besetzt. Von Mitte Juni bis Oktober 2013 hat man mir auch keinen neuen Arbeitsplatz in der Redaktion zur Verfügung gestellt. Mitglieder der Redaktion haben auch regelmässig nachgefragt, weshalb.»
Tatsächlich war auch der vom Umbau nicht direkt betroffene Teil der Belegschaft vom Umgang mit verdienten Mitarbeitern befremdet. Der «Schweizer Journalist» veröffentlichte im vergangenen Oktober einen Brandbrief der Redaktion an die Geschäftsführung und den Verwaltungsrat. In diesem Schreiben beklagt die Belegschaft den mit den Abgängen verbundene Know-How-Verlust und den orientierungslosen Eindruck, den die Geschäftsleitung bei den Mitarbeitern hinterlässt. Ebenfalls geht aus diesem Brandbrief hervor, dass eine dreiköpfige Redaktionskommission als Interessenvertretung gebildet wurde. Redaktor Matthias Oppliger, Mitglied dieser Kommission, beschreibt die interne Stimmung heute nichtssagend als «mal gut, mal weniger gut.»
Auch wenn im Moment berechtigte Zweifel bestehen: Die Tageswoche hat durchaus eine Zukunft. Und der jetzt eingeschlagene Weg ist nicht einmal der schlechteste. Den Pionierbonus, den sie gerade zu verspielen droht, könnte die Tageswoche mit einer Weiterentwicklung von «Online first» zu «Online only» zurückgewinnen. Dass das mit der gedruckten Zeitung nichts mehr wird, hat sie hinlänglich bewiesen. Ehrlicher als das Blatt nur noch der Inserate wegen lausig zu produzieren, wäre es, den Stecker zu ziehen, und zwar möglichst schnell. Das reduziert auch Kosten. Ohne diesen Ballast kann die Tageswoche das tun, was sie am besten kann: Mit Online-Journalismus experimentieren. Nicht von ungefähr wurde die Berichterstattung zu den Basler Wahlen 2012 mit dem Schweizer Preis für Lokaljournalismus ausgezeichnet. Und auch bei der jüngsten Ausgabe des grössten Journalismuspreises war die Tageswoche völlig zurecht nominiert. Darauf kann die Tageswoche bauen. Ebenso auf die Online-Community, die praktisch kommentarmüllfrei auskommt. Nicht umsonst rühmt Redaktionsleiter Dani Winter, dass seit der Gründung erst fünf Community-Mitglieder gesperrt werden mussten. Unschön ist daran, dass einer der gesperrten Accounts der ehemaligen Redakteurin Monika Zech gehört. Sie hat in sachlichem Ton nach dem Grund ihrer Entlassung gefragt.
Da mit Online-Experimenten noch weniger Geld zu machen ist als mit einer schlechten Zeitung, muss die Finanzierung marktunabhängig gesichert werden. Bereits heute finanziert eine Stiftung die Tageswoche massgeblich, allerdings nur befristet. Ebenso gut könnte die schwerreiche Mäzenin und Roche-Erbin das Medienexepriment längerfristig unterstützen. Für solches Engagement gibt es erfolgreiche Vorbilder. Allen voran das Pulitzer-preisgekrönte Redaktionsbüro Pro Publica, das von der Sandler Stiftung finanziert wird.
Bei einer längerfristitigen Verpflichtung müsste die Stiftung Levedo ihre Einflussnahme transparenter gestalten, als dies heute der Fall ist. Ein Problem ist die Rolle von Georg Hasler (siehe dazu WOZ vom 30.4.). Als einziges Mitglied der Stiftung Levedo neben Mäzenin Oeri sitzt Hasler direkt am Geldhahn der Tageswoche. Sein Einfluss ist für die Redaktion spürbar, ob direkt oder indirekt. So durfte etwa ein kritischer Kommentar von Urs Buess zum bedingungslosen Grundeinkommen nicht erscheinen. Nun muss man wissen, dass Georg Hasler einer der Köpfe hinter der Volksinitative für dieses sozialpolitische Vorhaben ist. Hasler habe auch bei anderen inhaltlichen Entscheiden still mitgewirkt, sagt eine ganze Reihe ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tageswoche. Redaktionsleiter Dani Winter beharrt zwar auf seiner Unabhängigkeit als Redaktionsleiter. Aber genau so offen gibt er zu, dass ihm Georg Hasler regelmässig darlege, was ihm an der Tageswoche nicht gefällt.
D. Zimmermann 03. Mai 2014, 10:32
Berichtigung zur Papierqualität der Tageswoche: Nur nach der ersten Relaunch Nummer war das Papier dünner gewählt nun ist es wieder genau das gleiche wie vor dem Relaunch, was übrigens zu viel mehr Altpapier führt…
jak 03. Mai 2014, 13:39
Danke. Umfassende Recherche, erhellend, aufschlussreich. Die Tagwacht im Superschnelllauf-Zeitraffer.
Monika Zech 03. Mai 2014, 17:38
Noch eine Anmerkung zum Thema Medienpreis(e) für die TagesWoche: Beim letztjährigen Preis für die Berichterstattung zu den Basler Wahlen war die jetzige Führung (Dani Winter) praktisch unbeteiligt. Diese Berichterstattung fand noch unter der alten Führung statt. Auch die diesjährige Nominierung (für die es dann den Preis nicht gab) für rotblaulive ist überhaupt nicht auf dem Mist von Winter und Co gewachsen, das existiert seit Beginn der TagesWoche. Also bitte: Man sollte die Fähigkeiten, respektive die Unfähigkeit der jetzigen Redaktionsleitung nicht durch diese Auszeichnungen beschönigen.
Marianne Känzig 20. Mai 2014, 21:29
Es erstaunt und bedrückt mich immer wieder. Ganz „schön“ finde ich den Maulkorb, den man den gekündigten MitarbeiterInnen auferlegt. Das riecht für mich nach: Wenn man nicht zu dem stehen kann, was man tut, dann verordnet man eben das SCHWEIGEN. Ich finde das oberflächlich sehr peinlich. Tiefgründiger erinnere ich mich an ähnliche Verbote. Die Verbote gegenüber des missbrauchten, misshandelten Kindes. Ein Verbot auf freie Meinungsäusserung, auf Gegendarstellung, auf Disput, auf alles, was dem Menschen eigentlich zustehen würde. Willkür der Mächtigen. Und das ist doch gotterbärmlich peinlich für so eine kleine Zeitung!
Cornelis Bockemühl 26. Mai 2014, 14:25
Gleich vorweg: Ich gehöre auch zu den Enttäuschten gegenüber der TW! Klar am schwerwiegendsten ist auch für mich der konstante Abfluss von Kompetenz, durch Entlassungen oder was auch immer da hinter den Kulissen abgeht. Denn wenn man immer weniger zu sagen hat ist es doch auch immer mehr egal ob man das online oder auf Papier tut! Die „Community“ kann die kompetente Redaktion niemals ersetzen: Ich habe mich da lange aktiv beteiligt, aber wenn der Inhalt abhanden kommt erübrigt sich das ja auch.
Den Vorschlag von Benjamin von Wyl, auf die gedruckte Zeitung zu verzichten, finde ich heiss, denn seit über einem Jahr wird zwar ständig „Online-First“ gepredigt, aber gerade da tut sich ja noch viel weniger als bei der gedruckten Zeitung! Gerade die Online-Ausgabe hätte für mich einen riesigen Verbesserungsbedarf in Bezug auf Leserfreundlichkeit, denn im Moment sehe ich da nur eine ungeordnete Anhäufung von Sachen, die in der IT-Welt gerade irgendwie „cool“ sind (Blogs, viel Javascript, …). Was fehlt ist: Gestaltung, Konzept, Ordnung, Benutzerführung usw. Mit einer sicheren Finanzierung im Hintergrund könnte man da doch mindestens jeden Monat mal was Neues probieren: Ideen, Innovationen, Experimente!? Die dann gewiss eifrig diskutiert würden – sprich: Beteiligung der „Community“! Sind denn die Online-Leute bei der TW komplett ideenlos?
Vielleicht ist ja tatsächlich noch ein Neustart möglich, der dann allerdings unter umgekehrten Vorzeichen geschehen müsste: statt mit Goodwill-Start-Bonus müsste man mit einem Start-Malus – kein einfacher Job!