Erfolgreich erfolglos
Wenn der Nebel durchs Rheintal kriecht und ich vom Bürofenster hinaus in die graue Welt starre kann es schon mal vorkommen, dass ich mir die Sinnfrage stelle. Hat meine Recherchearbeit überhaupt etwas bewirkt? Ist die Welt auch nur ein bisschen transparenter geworden durch meine Schreibe? Ehrlich gesagt ist die Bilanz bescheiden.
Wirklich verändert hat sich in all den Jahren eigentlich wenig. Obwohl ich das Bauernblut in Wallung brachte, als ich einmal aufzeigen konnte, dass die Milchindustrie 500 Mio. Kg Milch (das entspricht immerhin rund 20 Prozent der Schweizer Industriemilchproduktion) an der sakrosankten Segmentierung vorbeigeschmuggelt hat, haben die Bauern (vielleicht nicht genau dieselben, dafür aber umso mehr) diese undurchsichtige System erst kürzlich mit neuen Geldern alimentiert. Bei den Beiträgen handelt es sich um Geld aus ihrem eigenen Sack. Dem Sack, in den sie damals noch die Fäuste steckten…
Oder nehmen wir das Bundesamt für Landwirtschaft BLW. Dort habe ich mir mehr Feinde als Freunde geschaffen, als ich über Exzesse bei den Direktzahlungen schrieb. Trotzdem ist es genauso gekommen, wie ich vorhergesagt habe: Ein paar wenige Bauern werden mit Geld geradezu überschüttet. Die Beträge sind so hoch, dass selbst manchem Bauernpolitiker Angst und Bange wird. Ändern tut sich trotzdem nichts, die Agrarpolitik bleibt geradezu unanständig beständig.
Wenn meine Laune wieder etwas besser ist, versuche ich mich über Kleinst-Erfolge zu freuen. Wenigstens habe ich registriert, dass das BLW seit meinem Artikel zur Präsentation des Agrarberichts 2010 nicht mehr mit der dreisten Behauptung an die Medien tritt: «Schweizer Bauern exportierten soviel wie nie». Damals wie heute hat ein beträchtlicher Teil dieser Exporte überhaupt nichts mit Produkten aus der Schweizer Landwirtschaft zu tun, sondern stammt aus dem Handel mit Kaffee, Kakao und Mineralwasser. Dass die Schweizer Bauern keinen Kaffee produzieren mag für Otto-Normalbürger logisch klingen, nur nicht für die Bundesverwaltung. Die verwendet Nespresso und Co. weiterhin als «Beweis» dafür, dass sich die heimischen Bauern in den Exportmärkten bewähren. Von den Relationen her ist das ein Witz: Letztes Jahr wurde z.B. Kaffee im Wert von 2 Mrd. Franken exportiert, während die Käseexporte 600 Mio. Franken ausmachten – letzeres entspricht etwa dem Betrag um den die Kaffeeexporte in den letzten zwei Jahren zugelegt haben. Mit Exporterfolg der Schweizer Bauern hat das wenig zu tun.
Natürlich sollte die Triebfeder der journalistischen Arbeit nicht vom «Erfolg» der verfassten Artikel abhängen. Aber manchmal würde ich mir schon wünschen, dass sich ein bisschen mehr bewegt. In dieser Hinsicht beneide ich andere Handwerker. Sie sehen am Ende des Tages wenigstens was sie geleistet haben: Der Metzger hat seine Würste im Rauch, die Schreinerin Tisch und Bänke gehobelt und der Gärtner eine Kiste Blumenkohl im Kühlregal, während bei mir nur die Tastatur klebrig, und der Drucker schwarz geworden ist.
Wenn draussen die Sonne scheint, die Rotkehlchen vor dem Bürofenster zwitschern oder ich wieder einmal grundlos gut aufgelegt bin, sehe ich das Ganze nicht so eng. Dass sich nichts bewegt, hat sogar Vorteile: Solange die Missstände gleich bleiben, sinkt der Aufwand für die Recherche, ich habe immer genug Stoff und muss eigentlich nur noch Altbekanntes in neue Worte packen.
Damit bin ich vermutlich nicht allein: Viele Kolleginnen und Kollegen weisen ebenfalls seit Jahr und Tag auf dieselben Missstände hin. Trotzdem scheint sich auch dort wenig zu ändern. Als Erfolg der Erfolglosigkeit geht ihnen, genau wie mir, der Stoff nicht aus.