Presserat: Für Beschwerde kommt der Steuerzahler auf
Die Basler Zeitung schweigt, wenn sie bei Entscheiden des Schweizer Presserats unterliegt – den nahezu vollumfänglichen Freispruch in der Causa Gemeinde Oberwil aber feiert sie mit einem langen Artikel. Der Fall ist pikant, denn für die erfolglose, 47-seitige Beschwerde mit 50 Beilagen muss der Steuerzahler aufkommen. Honoriert dafür wurde der Zürcher Medienanwalt Urs Saxer.
Der Journalist Joël Hoffmann berichtet seit einiger Zeit kritisch über Vorgänge in der Gemeinde Oberwil im Baselland. Am 4. Januar 2014 schrieb er für die Basellandschaftliche Zeitung einen Text mit dem Titel «Oberwils Gemeindepräsidentin ausser Kontrolle», und, drei Tage später, einen weiteren: «In Oberwil bleibt ein Nachgeschmack». Ab dem 10. April 2014 dann schrieb er für die Basler Zeitung Artikel mit diesen Schlagzeilen: «Verdacht auf Vetternwirtschaft wird untersucht», «Powerpoint-Vortrag ist wichtiger als Referenzen», «Gemeinde nahm Imageschaden in Kauf», «Die Stokar-Connection», «Die Haarspaltereien der Gemeinde Oberwil», «Das Sorgenkind der Geschäftsprüfer», «Oberwils Vetternwirtschaft stösst alt Gemeindepräsident sauer auf».
Das wiederum stiess der Gemeinde Oberwil sauer auf, und sie wendete sich an den Schweizer Presserat. Allerdings verfasste sie die Beschwerde nicht etwa selbst, sondern beauftragte den bekannten Zürcher Medienanwalt Urs Saxer damit, der seine Fähigkeiten im Dienste der Anwaltskanzlei Steinbrüchel Hüssy anbietet, unter anderem auch für Behörden und öffentliche Institutionen. Saxer nahm den Auftrag sehr gewissenhaft wahr und reichte eine 47 Seiten umfassende Beschwerdeschrift ein, die 50, teils mehrseitige Beilagen umfasste. Das ist auch dem Presserat aufgefallen, der in seiner Beurteilung der Beschwerde schreibt, «dass Umfang und Weitschweifigkeit weit über das Mass hinausgehen, mit welchem sich der Presserat üblicherweise zu befassen hat». Zum Inhalt hält er fest, dass die Beschwerdeführerin den Vorwurf, die BaZ habe «unwahre Tatsachenbehauptungen wiedergegeben», an «kleinlich erscheinenden Details» festmachen wolle. Die Untersuchung des Presserats zeigt die Recherchen von Hoffmann in einem positiven Licht und moniert in der Zusammenfassung nur das: «Der Presserat hat in einem einzigen Fall eine verhältnismässig kurze Frist zur Stellungnahme festgestellt, sich aber ansonsten davon überzeugt, dass die Beschwerdeführerin angehört wurde und in angemessener Weise zu Wort kam.» Die BaZ habe weder die Wahrheitspflicht verletzt noch die Anhörung bei schweren Vorwürfen unterlassen – «zusammenfassend stossen somit die Vorwürfe der Beschwerdeführerin ins Leere».
Bei der Basler Zeitung löste der Entscheid einen langen Artikel des stv. Chefredakteurs aus (BaZ vom 15. Dezember 2014). David Thommen ging darin auf den Auftrag an Saxer ein:
Anwälte seines Zuschnitts verrechnen oft mehr als 500 Franken pro Stunde. Einem regionalen Anwalt hatte man die Aufgabe offensichtlich nicht zugetraut. Die Gemeinde hat Professor Saxer bei der Beschwerdeführung freie Hand gelassen. Ein Kostendach wurde nicht vereinbart. Saxer darf also nach Aufwand abrechnen, wie uns die Gemeinde auf Anfrage mitteilte. (…) Saxer gab gegenüber der BaZ an, dass er nicht den für Zürcher Wirtschaftsanwälte üblichen Stundenansatz in Rechnung stelle, da der Grossteil der Arbeit von günstigeren Mitarbeitern seiner Kanzlei erledigt worden sei.
Als Gewinner der Auseinandersetzung sieht Thommen – durchaus nachvollziehbar – die Anwälte, als Verlierer die Steuerzahler. Es ist korrekt, wenn sich eine sich von den Medien ungerecht behandelt fühlende Gemeinde an den Presserat wendet. Aber dann muss sie auch fähig sein, ihre Kritikpunkte selbst zu formulieren, und zwar auf einer A4-Seite, nicht in hundertseitigen Dossiers. Die Durchleuchtung der Berichterstattung darf sie dabei mit gutem Gewissen dem Presserat überlassen. Es ist nicht im Sinne des Steuerzahlers, wenn staatliche Organe auf seine Kosten teure Anwälte beschäftigen – und schon gar nicht, wenn es, wie in diesem Fall, um kaum zu beanstandenden kritischen Journalismus geht.
Doch nun ist die Geschichte noch nicht zu Ende, denn die Basler Zeitung erhielt einen an Chefredaktor Markus Somm adressierten Brief des Schweizer Presserats, unterzeichnet von Ursina Wey, Dominique von Burg, Francesca Snider und Max Trossmann. Darin wird kritisiert, die Zeitung würde «triumphierend auf die beschwerdeführende Gemeinde und deren Anwalt» eindreschen. Im auf den 24. Dezember 2014 datierten Weihnachtsgeschenk mit Kopie an die Gemeinde Oberwil steht weiter, «dass die Basler Zeitung mit dem systematischen Verschweigen der Stellungnahmen des Presserats, verbunden mit der vorliegenden Form der Berichterstattung, die ‹Erklärung der Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten› dauernd verletzt und ihre Leserinnen und Leser schlicht nicht respektiert.»
Tatsächlich hat die Basler Zeitung 2013 und 2014 weder zu gutgeheissenen (2/2013), in den Hauptpunkten gutgeheissenen (61/2013) noch teilweise gutgeheissenen Beschwerden des Presserats (44/2013, 23/2014, 31/2014) etwas geschrieben. So gibt man dem Urteil einer selektiven Wahrnehmung der Wirklichkeit Boden. Wer positive Presseratsentscheide feiern will, muss eben auch die Grösse haben, die negativen abzudrucken – oder den Presserat als Gremium konsequent (und gut begründet) abzulehnen. Abgedruckt in der BaZ wurde am 24. Dezember ein Leserbrief von Presserats-Mitglied Markus Locher. Er schrieb: «Die Baz wäre aus meiner Sicht glaubwürdiger, wenn sie auch dann berichten würde, wenn der Presserat nicht oder nur teilweise in ihrem Sinn entscheidet.»