von Nik Niethammer

Die Mühe mit dem Trivialen

Entschuldigung, gucken Sie Dschungelcamp? Nein? Ach so, Sie schauen Arte. Nun, ich gebe es zu: ich mag die Maden- und Kakerlakenshow auf RTL. Warum? Weil «Ich bin ein Star – holt mich hier raus» eine saugut gemachte Unterhaltungsshow ist. Mit viel Liebe zum Detail: Moderation, Personal, Dramaturgie Ausstattung – perfekt in Szene gesetzt. Mehr noch als die Show liebe ich die Berichterstattung darüber.

Kein anderes TV-Format produziert in Deutschland soviel Kritik und Häme, wird von den meinungsstarken Medien derart bissig-böse begleitet. In den letzten Jahren stelle ich eine geradezu wachsende Obsession des Feuilletons für das Trash-Format fest. Sowohl das Geschehen im Camp als auch die Form und das Funktionieren der Sendung werden akribisch filetiert. Was dabei rauskommt, wenn die Redakteure sich so richtig ins Glibberzeug legen, ist ganz grosser Lesespass.

Zugegeben, es mutet etwas sonderbar an, wenn auf Spiegel Online («Macht endlich was für Euer Geld, Ihr TV-Schmarotzer») das Dschungelcamp direkt neben Pegida, der Ukraine und dem Islamischen Staat in der Suchleiste steht. Für die durchschnittlich 7 Millionen Fernsehzuschauer und für alle, die die Show (offiziell) nicht schauen, aber trotzdem mitreden wollen, werden die Vorgänge im Camp minutiös nacherzählt. «Der Ex-Moderator schleifte sich durch die Küche wie ein Butler auf Valium, identifizierte Skorpione als Frösche, suchte nach Sternen statt Schlüsseln, begutachtete in aller Ruhe interessiert einen Mini-Waran.»

Auch Süddeutsche («Mit Schafshoden im Mund Limbo tanzen») und FAZ («Als nächstes kommt die Naturgeburt») haben auf ihren Online-Portalen umfangreiche Dschungel-Dossiers («Testen Sie Ihr Dschungel-Wissen») angelegt und berichten täglich über «Ich bin ein Star ». Der «Stern» («Bloss nicht brechen, Walter») hat gar einen eigenen Reporter nach Australien entsandt, der in einem Video seinen kläglich gescheiterten Versuch dokumentiert, eine Drohne über das Camp fliegen zu lassen. Sehr komisch.

«Ich bin ein Star»- ist Trash-Fernsehen vom Feinsten, ist Grimme-Preis-nomminiertes Premium-Reality-TV. Die SZ sieht im Dschungel einen «ironisch überhöhten Spass für das gesättigte Bildungsbürgertum». Und für Schauspieler Ulrich Matthes («Tatort»), der sich kürzlich im FAZ-Interview zum begeisterten Anhänger der Show erklärte, ist der Dschungel ein Sehnsuchtsort, «eine hochtheatrale Angelegenheit, weil die Teilnehmer gleichzeitig als Individuen und als Rollenträger unterwegs sind.»

«Ich bin ein Star – holt mich hier raus»: 16-tägige Orgie des Banalen, Klassenfahrt für C-Prominente, Ekelshow mit Schleimgetier, enthemmtem Voyeurismus und Lästereien. Ein Fernseh-Format oft jenseits der Grenze des guten Geschmacks. Vom Feuilleton jahrelang verachtet, wagen sich immer mehr Meinungsmacher vor, die auf die Metaebene des Formats verweisen: keine andere deutsche TV-Sendung ist eine so exakte wie bitterböse Persiflage auf unsere Branche.

Während sich die deutschen Medien einen Wettstreit über die ironischste Dschungel-Berichterstattung liefern, herrscht in den Schweizer Medien Kakerlaken-Unterbesetzung. «Blick», 20 Minuten und Watson berichten seltsam uninspiriert, blut(egel)arm und spassfrei. Für Tages-Anzeiger und NZZ ist der Dschungel in diesem Jahr überhaupt kein Thema, weder digital noch gedruckt.

Das erstaunt. Die Schweizer Leitmedien verpassen die Chance, eine äusserst unterhaltsame Sozialstudie mit eigenen Akzenten medial zu begleiten. Ihre Abwesenheit zeugt auch von der Schwierigkeit, als Redaktion ein Gespür dafür zu entwickeln, wie man zwar populäre, aber schlecht kategorisierbare (Medien)hypes angemessen aufgreifen soll. Macht man einen auf Fanberichterstattung für die #ibes-Community oder wird versucht, das Phänomen den Abstinenten näherzubringen?

Dass man sich über Trash-TV sehr wohl launig-distanziert auslassen kann, beweist etwa Anja Rützel. Auf Spiegel Online beschrieb die Journalistin den Campbewohner Aurelio kürzlich als unerwarteten Sympathikus, «der mit seiner abstrusen Tattoofülle an eine vollgekritzelte Dorfbushaltestelle erinnert.»

Leserbeiträge

bugsierer 26. Januar 2015, 13:45

ja ich schaue arte & co. und diesen elenden dreck schau ich nicht. und ich finde es sehr seltsam, dass dieser trash zunehmend von sog. seriösen schurnis hochgejazzt wird. die irrungen und wirrungen, die dazu an den haaren herbeigezogen werden, sind ein fatales hipsterlitheater.

Rainer Stadler 26. Januar 2015, 14:34

Ich habe während mehrerer Jahre das Phänomen kritisch beleuchtet. Aber irgendwann ist alles gesagt. Und ich habe den „Skandal“ relativiert, als andere noch über die Show geiferten. Aber dass die NZZ ein Begleitprogramm zu einer TV-Show machen soll, nein, bestimmt nicht. Diese Idiotie überlasse ich gerne anderen. Wir Presseleute sollten nicht Groupies spielen.

Uersel 26. Januar 2015, 15:00

Ich sehe es nicht gerne wenn meine Kinder sprich Jugendliche diese Sendung schauen. Aufgepumpte Möpse, Selbstdarstellungen mediengeiler „Stars“. Ich denke in diesem Alter fallen den jungen Menschen die Differenzierungen schwer.
Übrigens auch einmal ein Thema in dem Heft dem Sie als Chefredakteur vorstehen.
Für mich als Abonnememt schwer nach zu vollziehen.

mark793 26. Januar 2015, 16:33

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Als jemand, der sich für dieses Format wenig bis gar nicht interessiert, bin ich von dem Overkill der Berichterstattung in den deutschen Medien eher genervt als sonstwas. Dass da auch mal die eine oder andere Perle dabei ist, mag schon stimmen, aber zur Meta-Ebene und darüber, was die Popularität eines solchen Spektakels über unsere Gesellschaft aussagt, war doch schon im Umfeld der ersten zwei, drei Staffeln alles gesagt, vielleicht nur noch nicht von allen.