Senden allein reicht nicht mehr
Die BBC denkt die digitale Zukunft neu: Der vielbeachtete Report «News of the Future» eruiert die Entwicklungsmöglichkeiten im digitalen Zeitalter. BBC News will über das klassische TV-Format neue Kanäle erschließen, vor allem im Mobile. Es könnte eine Blaupause für den Journalismus der Zukunft sein.
In der konstitutionellen Monarchie Grossbritanniens läuft bekanntlich alles etwas offiziöser und formaler ab als andernorts. So gesehen verwundert es nicht, dass die altehrwürdige BBC unter einer «Royal Charter» operiert. Dieser Staatsvertrag, eine Art Rundfunkvertrag, der seit 1927 zwischen der Treuhand BBC Trust und dem Finanzministerium geschlossen wird, regelt die Aufgaben und Zuständigkeiten der britischen Rundfunkanstalt. Es ist ein hochoffizielles Schriftstück, versehen mit königlichem Siegel. Die Royal Charter läuft Ende 2016 aus. In den Chefetagen der BBC arbeitet man mit Hochdruck an einer Neufassung, die nicht nur die Zuständigkeiten und Finanzierung abdeckt, sondern auch eine inhaltliche Neuausrichtung festlegt.
Der träge Tanker BBC muss sich im bisweilen stürmischen Nachrichtengeschäft neu positionieren. In diesem Zusammenhang wurde ein Report mit dem Titel «Future of News» veröffentlicht, der der BBC den Weg ins digitale Zeitalter weisen soll. Schon die Aufmachung des 49 Seiten starken Berichts bildet einen scharfen Kontrast zu der antiquiert anmutenden Royal Charter. Die Leitfragen des Berichts lautet: Wie werden News von morgen verbreitet? Was ist überhaupt eine Story? Und wie werden Geschichten mithilfe digitaler Technologie erzählt? Ein paar Dutzend Experten, unter ihnen die Journalismus-Professoren Jeff Jarvis und Emily Bell, wurden in diesem Kontext befragt. Entstanden ist ein tiefgründiger Bericht, den man hiesigen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zur Pflichtlektüre anempfehlen muss.
Die Prämisse des Reports ist, dass die News nicht mehr in eine Tageszeitung passen. «Heute kann jeder mit einer Internetverbindung und einem Twitter-Account News produzieren», heisst es. Aus den Zuschauern werden Quellen, Faktenchecker oder Meinungsbildende. Die Rezipienten sind nicht mehr die stummen Zuschauer vor der Flimmerkiste, sie prüfen Fakten auf ihre Richtigkeit, sezieren Informationen und kommentieren das Geschehen in sozialen Netzwerken. Damit geht auch ein geändertes Nutzungsverhalten einher. Das Publikum schaut nicht mehr zur Prime-Time Nachrichten, es konsumiert News On-Demand, zu jeder Tageszeit im Netz. «Das Internet», so lautet der zentrale Befund des Berichts, «hält nicht für jeden Informationen bereit: Tatsächlich vergrössert es die Probleme der Informationsungleichheit, der Polarisierung und Abkoppelung.» Die Aufgabe des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks sei es, jeden zu informieren. «Um das zu tun, wird die BBC darüber nachdenken müssen, wie es seinem Auftrag, über das Senden hinaus zu informieren, nachkommt.» Senden reicht nicht mehr.
Die BBC will ihre Rolle als News-Organisation mit einer Regionalisierung- und Internationalisierungsstrategie festigen. Vor dem Hintergrund des regionalen Zeitungssterbens in Grossbritannien – im Dezember stellte der Grossverlag Trinity Mirror allein sieben lokale Titel ein – will die Rundfunkanstalt mehr über das Geschehen vor Ort berichten. «Die BBC muss mehr tun, um lokale News anzubieten, die alle Teil des UK angemessen bedienen.» Konkret sollen etwa die Sendezeiten des Radios in manchen Sendegebieten verlängert werden. Die Bemühungen einer stärkeren Präsenz in den Regionen werden allerdings konterkariert durch Schliessungen einzelner Studios, etwa in Bradford. Der Bericht spricht dies offen an und spart auch nicht mit Selbstkritik. Man darf das getrost als Forderung an das Finanzministerium verstehen, hier mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig will die BBC ihre Internationalisierung stärker vorantreiben und ihr Angebot diversifizieren. Letztes Jahr berichtete die BBC über die indischen Wahlen auf dem Kurznachrichtendienst Whatsapp. In Nigeria experimentiert der Sender mit dem Blackberry Messenger. Solche Messaging-Dienste werden bei der Verbreitung von News immer wichtiger.
Nachrichten als Soft Power
Die BBC geniesst weltweit einen hervorragenden Ruf, ihre Formate gelten als Ausweis von Qualitätsjournalismus. Um das Korrespondentennetz wird der Sender von so manchem Intendanten beneidet. Doch eine fundierte Berichterstattung kostet Geld. Der BBC World Service mit einer globalen Reichweite von 190 Millionen Zuschauern wurde jahrzehntelang direkt vom britischen Aussenministerium finanziert, was dem Dienst zwar den Vorwurf des Sprachrohrs der Diplomaten einbrachte, ihn aber auch unabhängig von kommerziellen Einnahmen machte. Letztes Jahr wurde die Sparte in den Rahmen der Gebührenfinanzierung integriert. In dem Bericht heisst es: «Wenn das Vereinte Königreich will, dass die BBC wertgeschätzt und respektiert wird, ein Botschafter britischer Werte und Agent für Soft Power in der Welt (bleibt), ist die BBC verpflichtet, den World Service zu vergrössern, und die Regierung wird das anerkennen müssen.» Die BBC als Vehikel britischer Werte, das dürfte dem Parlament im 800. Jubiläumsjahr der Magna Carta ein Argument sein. Laut dem Bericht denkt die BBC über einen Kanal in Russland, der Türkei und Nordkorea nach – der staatlichen Zensur zum Trotz.
Der Bericht weist Parallelen zum Innovation Report der New York Times auf. Zwar ist das Kernprodukt beider Medienhäuser – Radio und Fernsehen bei der BBC, Print bei der NYT – (noch) grundverschieden – die Herausforderungen sind aber für beide dieselben: mehr mobile Nutzung, Einsatz von Analytics-Tools, Entwicklung von Apps. Sowohl der Zeitung wie auch der Rundfunkanstalt geht es darum, wie man im digitalen Zeitalter News verbreitet. Zentral ist der Begriff «Disruption», der in beiden Berichten auftaucht und einen besonders drastischen technologischen Wandel bezeichnet. Am Ende dieser Entwicklung könnte ein journalistisches Produkt stehen, das sich in seiner äusseren Form (etwa einer App) gar nicht so sehr von seinem ursprünglichen Medium unterscheidet. Etwas zugespitzt: Die BBC und New York Times steuern in dieselbe Richtung. Daraus folgt zugleich, dass zwei einst völlig unterschiedliche Medien im Kampf um Mobile zu Konkurrenten werden.
Interessant ist der Bericht vor allem da, wo er neue Wege der Informationsvermittlung aufzeigt. BBC Thai, das im letzten Jahr lanciert wurde, ist ein Informationsdienst, der ausschliesslich in Social Media verfügbar ist und ohne eigene Website auskommt. Auf Facebook verzeichnet BBC Thai bereits 380 000 Likes. Im September 2014 hat die Rundfunkanstalt ihr sechsmonatiges Projekt BBC Pop Up in Nordamerika gestartet. Das mobile Büro sammelt Crowd-Source-Storys in sechs Gemeinden. Ein Reporterteam bleibt 30 Tage in einer Gemeinde und fragt die Bewohner, über welche Geschichten sie berichten sollen. In Tucson (Arizona) wurde etwa über die Zuwanderung berichtet, in South Dakota, einem Midwest-State, den die meisten Leute mit Rinderfarmen assoziieren, wurde eine Reportage über Underground-Musik gedreht.
Der Bericht reflektiert, was eine Story ist und wie diese im digitalen Zeitalter erzählt werden kann. Es stehen immer mehr Verfügung für «multimediales Storytelling» zur Verfügung: Im Rahmen von Immersive Journalism können Ereignisse rekonstruiert und Dokumentationen produziert werden (mithilfe von Oculus Rift), Drohnen erlauben Fotoaufnahmen in unzugänglichen Gebieten, der Datenjournalismus ermöglicht grafisch aufwendige Visualisierungen. Die BBC, der wegen ihrer öffentlich-rechtlichen Verfasstheit bisweilen eine gewisse Behäbigkeit nachgesagt wird, verschliesst sich den neuen Entwicklungen nicht, sondern zeigt sich offen für neue Techniken. Fakt ist: Das Medienflaggschiff BBC wird sich im digitalen Umfeld verändern müssen.
Nicole Joens 05. Februar 2015, 14:33
Wäre es nicht spannend, wenn auch im deutschsprachigen Raum mehr Innovatives möglich wäre? Stattdessen werden wir uns noch eine Weile mit der Glaubwürdigkeit unserer Berichterstattungen abmühen müssen, was meiner Meinung nach zum Großteil der Entwicklung des ÖRR geschuldet ist, beziehungsweise der wenig transparenten öffentlich-rechtlichen Struktur. Wie sagte es mir eine junge ZAPP-Journalistin so nett: Hier beim NDR berichten wir frei – und sind sehr kreativ. Da musste ich dann doch herzlich lachen, denn wenn unser ÖRR weiterhin so von sich selbst überzeugt ist, also vor allem auch der journalistische Nachwuchs – warum suchen sich die Jungen da draußen schon längst andere Nachrichtenquellen? Und mit »jung« meine ich auch noch die unter 60jährigen. Unser ÖRR, – und auch journalistische Kooperationen -wie die Investigativ-Kooperation mit der SZ – müssen sich zunächst den Anforderungen der Staatsferne, Transparenz und Finanzierung stellen. Und dann noch den Medien-Lobbyismus (Korruption) bekämpfen – leider!
Meinen Dank für diesen Artikel über spannende journalistische internationale Entwicklungen! I wish we were there… already – in good old Germany…