von Harry Rosenbaum

«REGI. Die Neue»: «Unsere Inhalte gibt es sonst nirgends zu lesen»

Wenn sich die Grossen zurückziehen, springen Kleine in die Bresche: Im Hinterthurgau führt eine Genossenschaft die über 100 jährige Zeitungstradition weiter, nachdem Tamedia das Feld verlassen hat. In Basel übernahm ein traditionsreicher Buchverlag die Amtsanzeiger der Basler Zeitung Medien und investiert in den Lokaljournalismus.

Im Thurgauer Bezirk Münchwilen ist die Entstehung der Gemeindezeitung «REGI. Die Neue» eindeutig auf mediale Entzugserscheinungen bei der Bevölkerung und beim ansässigen Kleingewerbe zurückzuführen. 125 Jahre lang gab es im sogenannten Tannzapfenland die «Regional-Zeitung Hinterthurgau». 2008 stellte Tamedia das Blatt ein. Die Region fühlte sich fortan von der nachrückenden Thurgauer Zeitung aus Frauenfeld unterversorgt. 2011 wurde eine Genossenschaft gegründet, mit dem Ziel, der Zeitungsnot ein Ende zu bereiten. Daran beteiligten sich Private, Gewerbler und 13 Gemeinden, davon fünf ausserhalb des Bezirks. Die Herausgeber-Genossenschaft hat heute rund 500 Mitglieder und ein Stammkapital von 300’000 Franken.

Dorf- und Gemeindeleben im Mittelpunkt
«REGI. Die Neue» erscheint als Abo-Zeitung zweimal wöchentlich am Dienstag und Freitag. Die Abo-Auflage beträgt 2500 Exemplare. Hinzu kommen Grossauflagen mit 1000 bis 5000 zusätzlichen Exemplaren, die alternierend einmal monatlich in den einzelnen Gemeinden gestreut werden. Laut redaktionellem Leitbild will «REGI. Die Neue» eine unabhängige, liberale, weltoffene und der Wahrheit verpflichtete Forumszeitung sein, die das Dorf- und Gemeindeleben in den Mittelpunkt stellt.

Laut Redaktionskonzept müssen Berichte über Firmen und Veranstaltungen grundsätzlich von diesen selbst verfasst werden. Die Redaktion behält sich aber vor, so zu redigieren, dass dabei die Informationen von öffentlichem Interesse im Zentrum stehen. Werbebotschaften werden in den Inserateteil verwiesen.

Erfolgsmodell für die serbelnde Regionalpresse
Peter Mesmer, ein altgedienter Thurgauer Journalist, ist der Verlags- und Redaktionsleiter. Er hat ein 100-Prozent-Pensum. Zwei weitere Redaktorinnen sind für 100 respektive für 60 Prozent angestellt. Zusätzlich gibt es 10 freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die als Studierende oder Pensionierte für bescheidene Honorare arbeiten.

«Im ersten Erscheinungsjahr arbeitete REGI. Die Neue mit einem grösseren Verlust als vorgesehen», sagt Mesmer. «Im Businessplan rechneten wir mit 230’000 Franken.» Schon im darauffolgenden Quartal ging es aufwärts. Heute beläuft sich der Jahresumsatz auf etwa 650’000 Franken. Aus den Abonnements werden rund 250’000 Franken generiert. «Die Abo-Zahlen stagnieren momentan, aber bei den Inseraten, die hauptsächlich von den Gewerbetreibenden im Bezirk kommen, verzeichnen wir Wachstum», sagt der Verlags- und Redaktionsleiter. Die Redaktion verfügt über ein Jahresbudget von 320’000 Franken.

Mit der Thurgauer Zeitung, ein Kopfblatt des St. Galler Tagblatts (NZZ Mediengruppe), stehe «REGI.Die Neue» nicht in Konkurrenz, sagt Mesmer. Das Gewerbe aus dem Bezirk inseriere dort eher selten. Im Wettbewerb stehe man hingegen mit den Wiler Nachrichten, ein Blatt aus dem Gratisimperium des Zehnder Verlags. Das Blatt aus dem sanktgallischen Wil sei im Hinterthurgau nämlich stark vertreten. Trotzdem gebe es aber auch eine Zusammenarbeit der beiden Blätter. – Mesmer ist von seiner Zeitung und dem dafür entwickelten Konzept überzeugt: « Wir haben eine reelle Chancen», sagt er. «Das Blatt kann durchaus zum Erfolgsmodell für die serbelnde Regionalpresse werden.»

Basel: Amtsanzeiger mit Journalismus
Der Basler Reinhardt Verlag ist 2010 ins Geschäft mit den Amtsanzeigern eingestiegen. Gegründet wurde das Unternehmen 1900 als Friedrich Reinhardt Verlag und gab ursprünglich evangelisch-theologische Literatur und Familienzeitschriften heraus. Im Mai 2010 übernahm Reinhardt von der Basler Zeitung Medien den LV Lokalzeitungen Verlags AG und die Amtsanzeiger von Allschwil, Birsfelden, Muttenz und Pratteln. Die Wochenzeitungen mit 1500 bis 3000 Abonnenten erscheinen jeweils am Freitag. Sie berichten über lokale Themen aus Politik, Sport, Kultur und Gesellschaft. Mehrmals pro Jahr wird eine Grossauflage in alle Haushalte der jeweiligen Gemeinde verteilt.

Toprak Yerguz, ein erfahrener Journalist, besorgt die Chefredaktion und Leitung der Zeitungen. «Wir halten Amtsanzeiger für ein gutes Geschäftsmodell», sagt Yerguz. «Nach dem Birsigtal-Boten und der Riehener Zeitung sind die Lokalzeitungen der LV Lokalzeitungen Verlags AG der dritte gewichtige Schritt ins Zeitungsgeschäft, den der Reinhardt Verlag unternommen hat und von welchem wir überzeugt sind. Diese Zeitungen ergänzen sich, weil sie die Basler Peripherie abdecken. Sie erscheinen in Gemeinden, die eine kritische Grösse aufweisen und in welchen sich deshalb eine eigene Zeitung auch finanziell lohnt.» Yerguz Journalistenherz schlägt klar für die Lokalzeitung: «Hier ist eine Nische, in welcher man erfolgreich sein kann. Nicht zuletzt, weil der Druck aus dem Internet gering ist: Unsere Inhalte gibt es sonst nirgends zu lesen.»

Keine Verlautbarungsorgan
Am Redaktionskonzept und Layout der früheren Herausgeber hat der Reinhardt Verlag bei seinen Amtsanzeiger nichts geändert. Lediglich die Vermarktung ist anders. «Früher akquirierte eine externe Stelle die Inserate, jetzt machen wir das selbst», sagt Yerguz. Sind die Lokalzeitungen des Reinhardt Verlags durch das Etikett «Amtsanzeiger» Verlautbarungsmedien der Gemeinden? «Die Redaktionen sind unabhängig», sagt der Chefredaktor. «Die Gemeinden können auf dem für sie reservierten Platz ihre eigenen Mitteilungen publizieren. Dieser Teil der Zeitung ist klar gekennzeichnet.» Die Lokalzeitungen des Reinhardt Verlags finanzieren sich über Inserate, Abos und Abgeltungen der Gemeinden für erbrachte Leistungen, beispielsweise die Publikation amtlicher Bekanntmachungen. Umsatzzahlen und Budgets gibt der Verlag nicht bekannt.

Konkurrenzlos
Die Lokalblätter haben praktisch keine Konkurrenz, weder publizistisch noch wirtschaftlich. Die Dorfgeschichten stiehlt ihnen niemand, weil sie den Redaktionen der regionalen und überregionalen Blätter meistens gar nicht bekannt sind. Und wer von der schreibenden Zunft findet Vereinsversammlungen interessant? – Der Bäcker und der Metzger, das «Wullelädeli» und das Gasthaus auf dem Dorf haben ihre Kundschaft in der Regel im Dorf. Logischerweise inserieren sie auch nicht ausserhalb des Dorfes, dafür aber im Lokalblatt.